Nach ihrer Ankunft in Moseby hatte Horik das größte Wohnhaus für sich beansprucht und die Bewohner von seinen bewaffneten Männern daraus vertreiben lassen. Ebenso war er verfahren, um Raum für sein Gefolge und Ragnars Männer zu bekommen. Am Abend hatten sie sich in der Halle versammelt, die zu dieser Zeit noch in all ihrer Schönheit in der Dorfmitte stand, hatten getafelt und getrunken und gefeiert.
Während Ragnar den König beobachtete und sich scheinbar an der Feier erfreute, kam ihm der Gedanke, einen großen, kampferprobten Kater vor sich zu sehen, der geduldig vor einem Mauseloch wartete, um die fette Beute für sich zu ergattern. Im ersten Moment musste er über diesen Vergleich lachen und stieß darauf mit Rollo an, der sich über die Heiterkeit seines Bruders wunderte.
»Ich sehe einen Jäger, der eine Spur verfolgt und auf Beute aus ist«, murmelte er halblaut. Auch Rollo hatte Horik beobachtet und nickte zu diesen Worten. »Der Mann hat einen Plan. Wir sollten wachsam sein!«
»So ist es!«, brummte Ragnar. Dann, als er bemerkte, dass seine Heimlichkeiten Blicke auf sich zogen, stieß er erneut mit Rollo an. »Auf den König!« »Auf den Sieg!«
Am kommenden Tag bekamen sie einen ersten Eindruck, wie ausgefeilt Horiks Pläne waren. Gegen Mittag wurden am Horizont Segel gesichtet und bald schon lief Horiks eigene Súð im Hafen ein. Sie war nach Moseby beordert worden, um das Urteil an den Franken zu vollstrecken. Doch nicht nur weitere von Horiks Männern kamen in die Siedlung. Auch Birthe ging von Bord, geführt von Santór, dem Franken, der sie ritterlich zu ihrem Vater geleitete und vor diesem eine Verbeugung andeutete.
Ragnar sah, dass sie einen wertvollen Pelzumhang und Schmuck trug. Beides hatte er vorher nicht an ihr gesehen. Gut so, dachte er. Wenn der Franke ihr klargemacht hatte, dass sie als Frau des Jarl ehrenhaft daherzukommen hatte, fand das sein ganzes Einverständnis.
Dennoch, welches Ziel der König mit der Anwesenheit seiner Tochter verfolgte, erschloss sich ihm nicht.
Auch Rollo und Thorstein hatten das Einlaufen der Súð und die Ankunft von Birthe beobachtet. »Er sichert sich mehr Rückendeckung«, murmelte Rollo und Thorstein stimmte ihm ohne Worte zu.
Dass Horik all seine Männer um sich hatte, sorgte dafür, dass kein lautes Murren der überlebenden Mosebyer erklang, als später das Urteil an den Franken vollzogen wurde.
„Vindöld, vargöld, áðr veröld steypisk[1]«, murmelte der Jarl leise vor sich hin. Horik fuhr wie ein Wolf unter die Leute von Moseby, ein Wind war aufgekommen, der eine neue Zeit an die Ufer des Landes brachte.
Die Männer des Königs führten dessen Richtspruch mit einer eiskalten Gleichgültigkeit aus, die Ragnar wissen ließ, dass selbst er von diesem Herrscher keine Gnade würde erlangen können, sollte er jemals dessen Seite verlassen.
Ein altes, leckes Fischerboot war schnell gefunden worden. Der König ließ es sogar vor den Augen der Südländer notdürftig flicken und besonders große Defekte abdichten.
Man sah es den Männern an, dass sie damit rechneten, sich mit diesem Boot retten zu können. Doch der Plan Horiks sah etwas ganz anderes vor. Die schlecht ausgeführten Reparaturen würden lediglich das Sinken des Kahns verlangsamen. Alle Nordmänner, die Zeugen dieses Urteils wurden, wussten, dass man in einem solchen Boot nicht überleben konnte. Hier und da hatte Ragnar ein unzufriedenes Flüstern vernommen. Doch niemand, er selbst eingenommen, war mutig genug gewesen, dem Willen des Königs zu widersprechen. Dann, als der Wind vom Land kräftig in Richtung des offenen Meeres zu wehen begann, hatte die Súð den Kahn samt der Franken in den Schlepp genommen und die Ruderer hatten das zum Sinken verurteilte Boot weit hinausgebracht. Den Rest würden Wind und See übernehmen.
Horiks stolze Súð kehrte in den Hafen zurück, geleitet von einer schwarzen Rauchwolke über Moseby. Arngrim war, wie es der König angekündigt hatte, in seiner eigenen Halle verbrannt worden. Die Schreie des Mannes, die selbst das laute Prasseln der Flammen übertönt hatten, klangen Ragnar in den Ohren nach. Er fühlte sich elend.
Umso mehr fiel ihm das herablassende Lächeln seiner königlichen Ehefrau auf, als das Dach der brennenden Halle eingestürzt war. Birthe schien das Ereignis zu genießen. Würdevoll und kerzengerade stand sie neben ihrem Vater und ließ sich keinen Moment der Hinrichtung entgehen.
Er, der Jarl, hatte bei all dem einen bitteren Geschmack im Mund verspürt, als wolle ihm sogar sein Magen auf den Ekel hinweisen, den er bei diesem Urteil verspürte.
Am Abend ließ sich Horik erneut feiern. Da die Halle inzwischen bis auf die Grundfesten ausgebrannt war, hatte man das Segel von der Súð geholt und wie ein Zeltdach am Strand aufgestellt. Hier saß der König, trank, aß und genoss seinen Sieg, als habe er gegen die Südländer gekämpft. Ragnar schien es sogar, als wäre er stolzer als nach der Einnahme Heiðabýrs. Er war froh, als er mit seiner Frau, Rollo und Thorstein einen Platz an einem Feuer fand, das etwas entfernt vom Platz des Königs entzündet worden war. Hier musste er weniger Begeisterung vorspielen als in der Nähe Horiks.
Sie teilten sich eine Schafskeule und ließen das Methorn herumgehen. Alles schien so gut zu sein, wie möglich. Rollo begann, einige alte Geschichten zu erzählen und es kam Ragnar richtig vor, dass sie vor Birthe keine Pläne schmiedeten. Instinktiv ahnte er, dass er keine loyale Frau an seine Seite geholt hatte.
Es verwunderte ihn daher weniger als seinen Bruder, dass zu später Stunde Santór an ihrem Feuer erschien und Birthe aufforderte, ihn zu ihrem Vater zu begleiten.
»Der König möchte sich mit seiner Tochter beraten«, ließ er die Männer wissen. »Gewiss wird sie die heutige Nacht beim König verbringen. Falls nicht, werde ich sie wohlbehalten zu euch zurückgeleiten.«
Ragnar nickte und ließ sich seinen Zorn nicht anmerken. »Geh ruhig, Birthe, wenn dein Vater dich sehen möchte«, stimmte er zu. »Ich vertraue Santór.«
Bei diesen Worten wurde ihm klar, dass er in Wahrheit nicht auf den Franken zählen konnte. Der Mann war bereits viel zu lang in der Nähe des Königs gewesen, um zuverlässig geblieben zu sein.
Thorstein runzelte wortlos die Stirn, während Rollo das Gespräch mit einem derben Scherz beendete. »Geleite sie! Geleite! Aber pass auf, dass du selbst den Weg nicht verfehlst, Franke!«
Santór schien den Jarlsbruder nicht verstanden zu haben, denn er reichte Birthe wortlos die Hand, damit sie besser aufstehen konnte. Ragnar aber sah, wie seine Kiefer mahlten. Hier entwickelte sich ein Gegenspieler, dessen Wert er noch nicht kannte.
[1] vindöld, vargöld, áðr veröld steypisk – Völuspa - Windzeit, Wolfzeit bis die Welt vergeht.