»Góðar nornir ok vel ættaðar skapa góðan aldr, en þeir menn, er fyrir ósköpum verða, þá valda því illar nornir.(1)« Teitr räusperte sich. »Heute ist ein Tag, an dem ich mir wirklich sicher bin, dass er uns von guten Nornen gegeben wurde.«
Er saß mit Rúna auf dem Kutschbock ihres Ochsenwagens, während Thorstein auf Hrimfaxi geruhsam neben dem Karren hertrabte. Die Ladefläche war zum Teil mit neuen Vorräten beladen und wurde ansonsten von jenem jungen Franken eingenommen, den Rúna seit dem Angriff auf Straumfjorður pflegte. Der Knappe trug den seltsamen Namen Hademund, der bei Thorstein nach wie vor ein mitleidiges Grinsen hervorrief. Aodh hatte gewusst, dass man diesen mit ›Kämpfer‹ oder ›Beschützer‹ übersetzen konnte. Einen weniger passenden Namen hätte der Vater diesem Hänfling nicht geben können. ›Linnet (2)‹ wäre viel treffender gewesen und wenn der Steuermann den Jungen ärgern wollte, rief er seinen Gefangenen genau so oder schlimmer noch ›Kektunarmaðr(3)‹ . Der Knappe gab zwar vor, den Krieger nicht zu verstehen, doch Rúna hatte mehrfach beobachtet, wie der Junge bei der Beleidigung errötete. So viel Jugend, dachte die Heilerin bei diesem Anblick, und so wenig Zukunft!
Doch es gab nichts, was sie für den Franken hätte tun können. Das Schicksal oder die gütigen Nornen hatten ihnen den Sieg geschenkt. Und es war gerecht, dass man die hinterhältigen Angreifer für ihr Tun strafte. Ragnar würde keine Ausnahmen dulden. Dennoch …
Der Ochsenwagen rollte träge dahin und Thorstein ließ seine Stute ein wenig vorausgehen. Die Sonne schien ihm warm in den Nacken und die Welt sah an diesem Sommertag hell und freundlich aus. Von weitem erblickte er die ersten Felder und das satte, saftige Grün zeigte an, dass seine Leute nicht untätig gebleiben waren, während er in der Siedlung auf Arngrims Männer gewartet hatte. Es war gut, wieder nachhause zu kommen.
Ein eigener Herd, Felder, die man nach eigenen Vorstellungen bestellen konnte, gesunde Tiere, die man besaß … der Hof bedeutete Thorstein viel. Hier fühlte er sich zuhause, konnte zur Ruhe kommen. Trotzdem – wenn er genau darüber nachdachte, waren es weniger seine Besitztümer, die den Wert des Ortes ausmachten. Was wäre der Moorseehof ohne die Menschen, die auf und von ihm lebten? Hätte er wohl früher, nach Snots Tod, ohne die Hilfe von Teitr in diesem einsamen Haus weiterleben können? Wäre dieser Platz immer noch derselbe, ohne seine Gefährtin Rúna, seinen besten Freund und die helfenden Hände von Katla, Oddi und den anderen Menschen, die dem Land um den Moorsee täglich ihren Lebensunterhalt abrangen und dabei zu unentbehrlichen Freunden und Helfern geworden waren?
Thorstein wusste, dass es nicht so war. Lag der Wert seines Zuhauses dann aber bei den Menschen, die mit ihm lebten? War es egal, dass sie dies gerade auf dem Moorseehof taten?
Der Steuermann runzelte die Stirn. Oftmals schon hatte er darüber nachgedacht, wie es wäre, an einem anderen Ort zu leben. Dann hatte er spätestens beim Gedanken an eine Überfahrt zu den westlich gelegenen Inseln über sich selbst den Kopf geschüttelt und sich einen Narren gescholten. Doch waren seine Gedanken wirklich so vollkommen abwegig? Vielleicht sollte er seine geheimen Ideen irgendwann mit Teitr und möglicherweise sogar mit Rollo teilen? Nach dem, was ihnen in den letzten Monden widerfahren war, gelang es Thorstein immer seltener, über all diese Erlebnisse hinwegzusehen. Auch wenn Rúna ihn gebeten hatte, mit Ragnar seinen Frieden zu machen – das unbedingte Vertrauen, dass er früher in den Jarl gehabt hatte, war einem grundlegenden Zweifel gewichen, den er vermutlich nicht mehr ablegen konnte. Doch es war nicht nur die Person des Jarl, die Thorstein Rätsel aufgab. Vor Rúna hatte er nie darüber nachgedacht, ob die Art, wie sie in Straumfjorður lebten, wirklich in Ordnung und vor den Göttern richtig war. Hatten die Skalden und Goden tatsächlich recht, wenn sie behaupteten, dass man andere Menschen wie ein Stück Land oder ein Tier besitzen durfte? Auch hierin war sich Thorstein längst nicht mehr sicher. Und so beschloss er, über all diese Zweifel nachzudenken, wenn ihm wieder ein wenig mehr Zeit für solche Grübeleien blieb.
Der Ochsenwagen rumpelte über den sandigen Weg, Hrimfaxi schnaubte ungeduldig und als sie die nächste Kurve passiert hatten, lag er vor ihnen – der Moorseehof.
Das starke Holztor der Palisade stand gerade offen, weil der Schafhirte mit einem Teil seiner Herde aus der Umfriedung kam, Rauch stieg aus dem Kamin des Grubenhauses auf und ein Pfiff war bis zu den Ankommenden zu hören – der Schäfer rief nach seinen Hunden. Thorstein sah, wie die beiden zotteligen Hütehunde zu ihrem Herrn liefen und beobachtete die friedliche Szene mit einem Lächeln. Dann spürte er, wie sich Hrimfaxi unter ihm straffte. Auch sie hatte den heimatlichen Hof erkannt. Mit einem Grinsen ließ der Steuermann die kleine Stute gewähren und schon bald trabten sie zufrieden dem Moorseehof entgegen.
Hinter sich hörte er das antreibende Knallen der Ochsenpeitsche. Offenbar freute sich auch Teitr auf einen Schluck kühlen Met im Schatten des Bauernhauses.
[1] „Góðar nornir ok vel ættaðar skapa góðan aldr, en þeir menn, er fyrir ósköpum verða, þá valda því illar nornir.“
„Gute Nornen aus vornehmem Geschlecht bescheren gutes Leben; wen aber Unglück heimsucht, der verdankt das den bösen Nornen.“ Snorra-Edda, Gylfaginning Kap. 15
[2] Linnet – dänisch: Hänfling
[3] Kektunarmaðr – altnordisch: Schwächling