Anna saß nun in einer neuen Zelle, welche der Professor ihnen zugeteilt hatte. In der Zelle war es viel angenehmer, als in der wo sie zuvor gefangen war. Hier hatte sie ein Feldbett mit einem Kopfkissen und einer dünnen Decke, einen kleinen Schreibtisch und einem kleinen Holzhocker. Es gab auch einen kleinen Schrank. Anna fand darin Handtücher, Zahnputzzeug und Duschsachen. Auf dem Schreibtisch war eine kleine Leselampe, ein paar Stifte und ein Block. Wenigstens war es jetzt nicht mehr stock dunkel. Auch an der Decke befand sich eine Lampe. Man konnte sie durch eine Schnur, die von ihr herunter hing anschalten. Es gab auch eine Toilette und ein kleines Waschbecken. Alles in allem sah es in der Zelle aus wie in den ganzen Gefängnis-Dokus die gelegentlich im TV kamen. Aber Anna war froh nicht mehr in die alte Zelle zurück zu müssen. Diese war stock finster und hatte keine Einrichtung.
Als der Professor Anna und die Jungs zu ihren Zellen brachte hatte er jedem von ihnen noch Ersatz-Einteiler und eine Jacke gegeben. Die Jacke war auch nichts Besonderes. Sie war wie die Einteiler komplett schwarz. Eisenhardt hatte sie auch gefragt, ob sie Hunger hätten und er ihnen etwas bringen sollte. Aber jedem war der Hunger vergangen. So schloss er die Zellen von allen und verriegelte sie. Der Professor entschuldigte sich, dass er die Zellen verschließen musste. Er versprach, aber dass Anna und die anderen sich in den nächsten Tagen frei in den offenen Bereichen bewegen durften. Dort würde es auch eine Kantine geben, wo sie sich in den vorgeschriebenen Zeiten etwas zu essen holen könnten und zwei abgetrennte Gemeinschaftsduschen. Dann wünschte er allen eine gute Nacht und ging.
Anna brummte der Kopf. Sie hatte heute viel zu viel erlebt und versuchte nun all ihre Gedanken, Erinnerungen und neue Informationen zu sortieren. Dadurch bekam sie höllische Kopfschmerzen.
Anna wusste zwar nicht, ob sie jemals wieder nach draußen in Freiheit kam oder was morgen mit ihr passieren würde, aber nun wusste sie wenigstens einigermaßen wieso das passierte und was die Organisation mit ihr vorhatte. Anna verspürte nun eine riesige Angst vor dem, was morgen mit ihr passieren würde. Etwas Nasses lief ihr die Wange herab. Unbemerkt hatte sie angefangen zu weinen. Nun kamen die Tränen in Strömen aus ihren Augen.
Die salzigen kleinen Dinger liefen ihre Wange herunter und tropften auf den Boden. Anna konnte es gar nicht stoppen. Nun durchfuhr sie eine Welle an Schluchzern. Anna dachte nur, dass sie einfach heim in ihr Bett wollte. Zurück zu ihrer Familie und ihren Freunden. Sie wollte alle in den Arm nehmen und ihr langweiliges, friedvolles Leben weiterleben.
„Das geht doch nicht!“ Verzweifelt fing Anna mit sich selbst zu schimpfen. „Du kannst doch jetzt nicht anfangen zu verzweifeln. Jetzt hör schon auf zu weinen, du dumme Gans!“ Sie rieb sich ihre heißen Tränen aus den Augen. „Anna Roos, du schaffst das! Du hast schon so manche schwere und stressige Situation mit Bravour gemeistert und wirst auch diese mit einer Leichtigkeit schaffen. Angst brauchst du auch nicht zu haben! Es hätte schlimmer kommen können. Der Professor ist eigentlich ganz nett und versucht das Beste aus der Situation zu machen. Und die anderen haben genau so viel Angst wie du. Also mach das Beste daraus und lass den Kopf nicht hängen.“ Langsam versiegten die Tränen und die Schluchzer wurden weniger. „Gut so! Morgen ist ein neuer Tag. Das könnte das Abenteuer sein, auf das du die ganze Zeit gewartet hast. Also beruhig dich! Leg dich ins Bett und schlafe. Sammle deine ganzen Kräfte für morgen. Du wirst sie brauchen!“ Anna wischte sich die letzten Tränen aus ihrem Gesicht, stand von dem kleinen Holzhocker auf und legte sich auf ihr Feldbett. Sie kuschelte sich in die Decke und schlief sofort ein.
***
Der Professor saß in seinem Büro. Nachdem er seine viel zu jungen Probanden in ihre neuen Zellen gebracht hatte und sie mit Wechselsachen ausgestattet hatte, ging er dorthin zurück. Eisenhardt musste noch einiges für die morgigen Tests vorbereiten. Ihm gefiel es nicht, dass alle Testpersonen noch so jung waren. Sie könnten alle seine Kinder sein. Der Professor stand auf, ging zu einem Regal und holte aus einer kleinen Kiste seine Zigaretten heraus. In dem unterirdischen Komplex indem sie sich befanden war das Rauchen eigentlich strikt verboten. Alle Wissenschaftler hatten sich das Rauchen abgewöhnen müssen. Aber heute, nachdem der Professor gesehen hatte wie jung all die Probanden waren, musste er eine Zigarette rauchen.
Das Gebäude indem sie früher ihre Tests durchgeführt hatten war nicht unterirdisch gewesen. Es war ein ganz normales Hochhaus gewesen, mitten in einer Stadt.
Die meisten Leute, welche daran vorbei gingen dachten es wäre ein Bürogebäude. Vor zwei Jahren wurde es von den sechs Teufeln komplett zerstört. Viele Wissenschaftler, die zu der Zeit in dem Gebäude arbeiteten sind dabei gestorben. Die Organisation hat mit ihren letzten angesparten Geldern diesen unterirdischen Komplex errichten lassen. Man konnte es sich nicht mehr leisten, dass die Gegner der Organisation sie fanden. Der Komplex war tief unten im Erdreich versteckt. Man kam nur durch einen Eingang herein. Dieser war versteckt hinter mehreren Büschen und Sträuchern. Es gab in dem Gebäude mehrere Bereiche. Der Professor sowie alle anderen Wissenschaftler und die Probanden hielten sich zurzeit in Bereich eins auf. Die Auserwählten Testpersonen würden nach erfolgreicher Verpflanzung der Dämonen in Bereich zwei verfrachtet. Dort würde man mit ihnen trainieren und arbeiten. Bereich drei wurde nur als Lagerfläche benutz. Und Bereich vier war für den Vorstand bereitgestellt worden. Dort würden auch regelmäßige Besprechungen mit allen Teams stattfinden.
Der Professor steckte sich nachdenklich die Zigarette in den Mund. Er wollte sie gerade mit einem Feuerzeug anzünden, als er ein seltsames scharrendes Geräusch hinter sich vernahm. Langsam drehte er sich um. Das Geräusch kam aus der Richtung seines Schreibtisches. Zögernd ging er darauf zu. Das Scharren kam aus der untersten Schublade. Eisenhardt legte langsam das Feuerzeug und die Zigarette weg und sah zu der Schublade herab. Er griff zögernd an den Griff und riss mit einem Satz die Schublade auf. Darin war das Kästchen mit dem Fragment. Es bewegte sich in der Schublade hin und her. Wie konnte das möglich sein, dachte der Professor. War der Dämon im Fragment erwacht? Eisenhardt nahm die Schatulle in die Hand. Sie hörte aber nicht auf sich zu bewegen. Er hatte Schwierigkeiten sie festzuhalten. Er schmiss ein paar Bücher von seinem Schreibtisch auf den Boden, um etwas Platz zu haben. Dann stellte der Professor das Kästchen darauf ab. Erhielt es fest und öffnete ganz langsam den Verschluss. Er öffnete die Schatulle. Der Holz-Chip wackelte darin noch viel lebhafter als das Kästchen selbst.
„Was ist den los? Bist du erwacht, Dämon?“, fragte Eisenhardt leise. Als der Professor das Fragment ansprach hörte es sich abrupt auf zu bewegen. Nun verströmte es eine unheimliche Aura. „Bist du neugierig, ob einer der vier Probanden es schaffen könnte dich in sich aufzunehmen? Da hast du dir aber einen bunten Haufen ausgesucht. Was ging da in dir vor? Findest du sie Interessant oder willst du dich über unsere Tests dadurch lustig machen? Vielleicht willst du auch einfach nur mit ihnen spielen… Mal schauen, was du morgen mit ihnen anstellst. Aber bitte verletzte sich nicht! Sie sind doch noch so jung und unerfahren. Sie haben ihr Leben noch komplett vor sich. Ich wünschte du hättest dir ältere Probanden ausgesucht. Es gibt hier unter den Wissenschaftlern Gerüchte, dass bei den Experimenten an den sechs Teufeln und den sieben Todsünden massenweise verstümmelter Leichen entsorgt wurden. Stimmt das? Macht es euch spaß Leute zu quälen? Es heißt auch, dass viele andere ihren Verstand verloren oder wie seelenlose da lagen und keinen Lebenswillen mehr hatten. Ich weiß nicht, ob diese Gerüchte stimmen, aber ich flehe dich an übertreibe es nicht.“ Der Professor hatte es nicht über das Herz gebracht den Vier etwas von den Gerüchten zu erzählen. Er wollte ihnen nicht noch mehr Angst machen. „Weist du, ich frage mich schon die ganze Zeit, was für Kräfte du besitz. Vielleicht möchtest du mir ja eine Kostprobe davon geben?“ Er wartete hoffnungsvoll auf eine Antwort, doch es kam keine. „Mh... hast wohl keine Lust mit mir zu reden. Dann halt nicht. Vielleicht bist du bei den Probanden morgen etwas gesprächiger.“ Eisenhardt schloss die Box wieder und lies sie auf dem Schreibtisch stehen. Er benötigte sie ja für morgen früh.
Der Professor wurde etwas nervös. Hoffentlich passiert morgen nichts Schlimmes, dachte er sich. In welcher Reihenfolge wäre es am sinnvollsten zu starten? Am besten war es mit den Stärksten zu beginnen und das war die Nummer drei. Danach die Nummer fünfundzwanzig der sah auch nicht so aus, als würde er gleich zusammenbrechen. Danach kamen die schwächeren aus der Gruppe. Also als vorletztes kommt die Nummer vierzig, er hatte zwar sehr viel Angst aber darüber musste er nun morgen stehen. Zum Schluss würde die Nummer zehn darankommen. Eisenhardt fand, dass sie sehr zerbrechlich wirkte. Er hatte Angst, dass sie die Tests seelisch und körperlich nicht durchhalten würden. Der Professor würde für sie sehr viel Zeit einplanen müssen. Und was würde passieren, wenn der Dämon keine Schwächlinge akzeptieren würde? Wäre sie dann dem Tode geweiht? Er wollte es sich gar nicht vorstellen, dass er das kleine Mädchen tot aus dem Gebäude bringen zu müssen. Dem Professor lief bei dem Gedanken ein kalter Schauer den Rücken herunter. Er wollte keinen der Probanden tot sehen! Aber wie konnte er verhindern, dass keiner von ihnen stirbt. Eisenhardt fühlte sich auf einmal so machtlos. Er schüttelte den Kopf um seine schlimmen Gedanken daraus zu entfernen. So würde er schon wieder keinen Schlaf finden. Aber das war erst einmal Nebensache. Es musste für morgen noch viel vorbereitet werden.