Anna saß an ihrem kleinen Schreibtisch. Heute war wieder einer der Tage, an dem sie einfach nicht vernünftig ausschlafen konnte. Ihre Uhr zeigte dem Mädchen, dass es gerade einmal sechs Uhr morgens war. Ein Seufzer entglitt ihr. Die ganze Nacht über war sie immer wieder aus ihren Träumen aufgeschreckt. Irgendwas stimmte nicht! Anna hatte ein sehr ungutes Gefühl. Es erinnerte sie an den Tag, an dem Mark starb. Es war dieselbe schlechte Vorahnung! Der Magen von Anna verkrampfte sich, als sie an Mark dachte. Sie schlug sich mit beiden Händen gleichzeitig auf die Backen, um ihre Gedanken zu ordnen und sich zu beruhigen. Jetzt war keine Zeit, um an traurigen Erinnerungen festzuhalten. Das Mädchen musste sich konzentrieren.
Vor ihr auf dem Tisch lag das Buch, welches sie gestern erst vom Professor ausgeliehen hatte. Der Titel des Buches lautete „Die Kriegsherren der Sengoku-Ära“. Auf dem Cover waren mehrere Schlösser und Residenzen aus Japan abgebildet. Anna hatte bereits gestern Abend einige Seiten darin gelesen. Sie hatte zuerst vermutet, dass in dem Buch mehrere Erzählungen und kleinen Geschichten niedergeschrieben waren, aber der Inhalt war ein anderer. Es handelte sich um eine Aufzählung der Kriegsherren und eine Beschreibung der Residenzen in denen sie gehaust haben. Man konnte es mit einem kurzen Wikipedia Eintrag vergleichen. Das Leben der Kriegsherren wurde kurz erläutert und für was sie sich in der Ära ausgezeichnet hatten. Die meisten der Personen waren in Japan sehr bekannte Samurai-Lords. Anna hatte von manchen in anderen Büchern bereits gelesen. Pro Kapitel wurde ein anderer Samurai vorgestellt. Es wurden auch die bevorzugten Waffen und gemunkelten Hobbys der Lords aufgelistet. Zuerst wurden immer die Kriegsherren und dann deren Gefolgsleute vorgestellte. Vereinzelt gab es auch Gemälde von ihnen. Gestern hatte sich Anna das Haus von Hideyoshi Toyotomi und Ieyashu Tokugawa angeschaut. Nun wollte sie das dritte Kapitel lesen.
Um welchen Kriegsherr es sich wohl handelte?
Es gab am Anfang immer ein Kapiteldeckblatt mit dem Hauswappen. Das Wappen aus Kapitel drei kam ihr sehr bekannt vor. Woher kannte sie es nur?
Sie grübelte und grübelte. Jedes Mal, wenn sie das Wappen aus ihrer Erinnerung zuordnen wollte, kam ihr das Gesicht des Dämons in den Sinn. Anna dachte so angestrengt nach, dass sie Kopfschmerzen bekam. Das Mädchen stutzte. Sie sah das Symbol auf dem Wappen nun noch einmal sehr genau an. Hatte der Dämon nicht auch so ein ähnliches Zeichen auf seiner Samurai Rüstung?
Nun versuchte Anna sich an das Wappen auf der Rüstung zu erinnern. Es kam ihr aber immer das Hauswappen aus Kapitel drei in den Sinn. Das konnte nicht sein! Oder etwa doch? Ein Gedanke blitze in ihrem Kopf auf. Was wäre wenn? Nein! Oder? Anna schluckte erschrocken. Kein Wunder, dass ihr immer dasselbe Symbol in den Kopf kam… die beiden Wappen waren identisch! Anna war fassungslos. Sie war nur einen kleinen Schritt davon entfernt herauszufinden, wer der Dämon in seinem früheren Leben einmal war. Ihre Hand begann zu zittern. Sie musste nur die Seite umblättern! Anna wurde immer nervöser. Ihr Herz raste und ihr Atem ging unregelmäßig. Langsam, ganz langsam blätterte sie auf die nächste Seite. Annas Augen weiteten sich, als sie las, um wen es sich handelte…
***
Es war neun Uhr morgens. Eisenhart hatte bereits alle Probanden zu sich in das Büro geholt. Sie aßen ruhig und noch müde ihr Frühstück. Er überlegte schon seit gestern Abend, wie er die heutige Situation am besten erklären sollte. Er kratze sich am Hinterkopf und seufzte. „Heute wird der Ablauf des Experimentes anders sein als sonst!“ begann er zögerlich zu sagen. Die Drei sahen ihn nun neugierig an. Anscheinend hatten sie sich bereits an die standardmäßigen Tests gewöhnt. Auch mit dem Dämon gab es seit dem Unfall keine Probleme mehr. „Ich hatte gestern ein längeres Gespräch mit dem Vorsitzenden der Organisation. Wir kamen zu dem Schluss, dass wir dem Dämon im Fragment Druck machen wollen. Uns läuft leider die Zeit davon! Deshalb bekommen wir heute die Unterstützung des Vorstandes. Wir dürfen sein Labor für die heutigen Tests verwenden. Dort ist es möglich mit euch Drei gleichzeitig das Experiment durch zu führen. So wollen wir versuchen den Dämon zu überfordern. Meine bitte nun an euch ist, dass ihr heute mit allen Mitteln versuchen müsst den Dämon an euch zu binden! Ich weiß, dass das etwas zu viel von euch verlangt ist, aber ich bitte euch, versucht es! Der Dämon sollte durch die gleichzeitige Aufteilung auf euch geschwächt sein. Wäre das nicht der ausschlaggebende Punkt, dann würde ich euch nicht so weit gehen lassen. Eines muss euch aber klar sein, heute könnte die größte Möglichkeit bestehen, um den Dämon an einen von euch zu binden. Ich möchte zwar nicht, dass euch etwas passiert, aber leider lässt uns der Vorstand keine andere Wahl. Jede Diskussion mit ihm war aussichtslos… Bitte passt auf euch auf!“
Die Drei sahen Eisenhart zum Teil geschockt als auch nervös an. Bei Tom konnte er auch noch einen Hauch Entschlossenheit erkennen.
Nach dem Frühstück gingen sie gemeinsam zum Labor des Vorstandsvorsitzenden. Dieser war bereits mit Henderson dabei alles vorzubereiten. „Guten Morgen“, sagte er, als er die Gruppe bemerkte. “Eisenhart haben Sie das Fragment dabei?“ Der Professor zog eine kleine Box aus einer seiner Taschen am Laborkittel. Diese überreichte er dem Vorsitzenden. Henderson wies den drei Probanden die Kabinen zu und schloss sie an viele Geräte an. Nun lagen alle Drei auf Feldbetten und warteten darauf einzuschlafen. „Wir beginnen nun!“, sagte der Vorsitzende zu allen. Sein Sekretär dokumentierte alles haargenau. Eisenhart saß vor den Bildschirmen, welche die Übertragungen der Bilder aus den Kabinen zeigten. Der Vorsitzende hatte die Werte der Testpersonen im Auge.
Das Experiment konnte starten!