Harry stand erneut in dem Raum mit dem Spiegel. Wieder spürte er wie der Schatten von ihm Besitz ergriff. Wie er ihm seinen Willen aufzwang. So sehr es Harry auch wollte er konnte sich nicht dagegen wehren, das der fremde Geist in seinen Kopf drang und sein Körper nur noch eine bloße Marionette war. Harry wollte schreien, doch er konnte nicht. Er hörte das finstere Lachen, welches aus seinem Mund drang. Die dunkle, verzerrte Stimme, die nicht die seine war. Es war ein Alptraum, den Harry Nacht für Nacht durchlebte und der sich jedes Mal so echt anfühlte, dass er schweißgebadet aufwachte, weil er glaubte wieder dort zu sein. Harry umklammerte sich mit den Armen, nur um sicher zu sein, dass sein Körper ihm gehorchte und das es nicht Voldemort war, der ihn kontrollierte.
Harry fühlte sich mit jedem Tag, der verging miserabler. So miserabel, dass es scheinbar selbst den Dursleys auffiel. Zumindest benahmen sie sich immer komischer. Als er aus Hogwarts zurück kam war es zunächst das selbe wie immer gewesen. Harry, der von seinem Cousin und Tante und Onkel schikaniert wurde, im Schrank unter der Treppe schlief und gerade genug zu Essen kriegte damit man ihm den Hunger nicht ansah. Dann allerdings, von einem Tag auf den anderen, räumten sie Dudleys altes Zimmer leer und gaben es Harry. Außerdem fingen sie an ihn regelrecht zu ignorieren. Erst dachte er es hinge vielleicht damit zusammen, dass er sich so schlecht fühlte und vielleicht gar nicht merkte wie gemein sie mal wieder zu ihm waren. Aber nein, es hatte sich wirklich etwas verändert. Als sei etwas vorgefallen von dem Harry nichts mitbekommen hatte. Er wollte sich nicht beschweren. Ganz und gar nicht!
Harry saß wie so oft auf seinem Bett in seinem Zimmer. Seine Eule Hedwig fiepte und bettelte um Aufmerksamkeit, doch nicht einmal sie konnte ihn von seinen trübsinnigen Gedanken ablenken. Dann jedoch passierte etwas womit Harry nicht gerechnet hatte. Ein großer Uhu landete am Fenster. Er hatte einen Brief im Schnabel. Harry ging zu ihm hin und nahm ihn an sich. Er öffnete ihn und das erste Mal seit langer Zeit konnte Harry sich wieder über etwas freuen. Der Brief war von Draco und er fragte ihn, ob er nicht die restlichen Ferien bei ihm verbringen wollte. Harry nahm sofort einen Stift und schrieb die Rückantwort auf die Rückseite. Er gab den Brief dem Uhu und der flog sofort los.
Bereits am nächsten Morgen saß der Vogel wieder an seinem Fenster. Harry nahm den Brief den er brachte und las ihn. Darin erklärte Draco wo sie sich treffen würden. Innerlich machte Harry Freudensprünge. Er würde gleich seine Sachen packen. Als die Dursleys jedoch Wind von seiner guten Laune bekamen fragte Onkel Vernon ihn: „Na, was gibt es denn plötzlich so zu freuen? Hat dir einer deiner abnormen Freunde einen Keks geschenkt, oder was?“
„Nein!“, antwortete Harry. „Ich gehe und ihr seht mich die ganzen Ferien nicht mehr wieder!“
„Was soll das heißen, du gehst, Bursche?“, fragte Vernon sichtlich irritiert.
„Ich wohne die restlichen Ferien bei einem Freund. Ihr wollt mich doch eh nur loswerden, warum also nicht?“, entgegnete Harry.
Onkel Vernon konnte ob dieser klaren Ansage nicht einmal schimpfen. Er stand einfach nur mit offenen Mund da. Harry hingegen machte sich so schnell es ging mit der Straßenbahn auf den Weg zu ihrem Treffpunkt. Er hatte seinen Koffer in der einen und Hedwigs Käfig in der anderen Hand. Die Leute blickten ihn an. Sicher, sah er komisch aus, aber das war ihm egal. Er würde zu seinem besten Freund fahren und niemand würde ihn aufhalten. In der Innenstadt angekommen ging er auf den Platz den sie ausgemacht hatten. Dort fand er aber nicht etwa Draco und seine Eltern vor, sondern Severus. Er stand da, in sein übliches schwarzes Jackett gehüllt und mit einer Zigarette in der Hand. Als er Harry entdeckte trat er sie aus und ging auf ihn zu.
„Ich bin dein Abholdienst.“, sagte er und nahm Harry den Käfig aus der Hand. Mit der anderen nahm er Harrys Hand und sofort disapperierten sie.
Harry war bisher nur einmal apperiert. Es fühlte sich jedoch erneut so seltsam an als würde ihn jemand an einem Angelhaken entgegen der Strömung durch einen Fluss ziehen. Als sie wieder festen Boden unter den Füßen hatten spürte er wie seine Knie zitterten. Sie standen vor dem großen, herrschaftlichen Anwesen der Malfoys. Harry ließ Severus' Hand gehen.
„Alles in Ordnung?“, fragte Severus als er sah wie wackelig Harry auf den Beinen war.
„Ich werde mich wohl nie an diese Art des Reisens gewöhnen.“, antwortete Harry.
„Ich auch nicht.“, entgegnete Severus und zwinkerte ihm zu.
Sie gingen in das Haus. Drinnen herrschte reges Treiben. Als Harry zu Weihnachten hier war waren sie fast völlig allein. Jetzt hingegen sah er neben den Bediensteten und Hauselfen noch jede Menge andere Leute, die er jedoch nicht kannte. Viele von ihnen trugen geschäftsmäßige Anzüge und schwarze Roben.
„Wer ist das alles?“, fragte Harry.
„Oh, nur ein paar alte Bekannte.“, antwortete Severus. Es sollte wohl nebensächlich klingen, doch Harry bemerkte seinen sich verfinsternden Unterton. „Geh doch inzwischen zu Draco. Er ist sicher oben.“
Harry nickte. Warum auch immer wollte Severus ihn offenbar loswerden. Also tat er ihm den Gefallen und lief die große, geschwungene Marmortreppe hoch ins obere Stockwerk. Dort ging er den Flur entlang bis zu Dracos Zimmers. Harry klopfte und trat ein. Auf dem Bett saß sein Freund. Er sortierte gerade einige Schokofroschkarten.
„Harry!“, sagte Draco als er ihn entdeckte.
Harry stellte seinen Koffer und Hedwigs Käfig ab.
„Wie geht es dir?“, fragte Draco und sprang von seinem Bett.
„Gut, was denn sonst?“, antwortete Harry.
„Ich hatte erst Angst deine Verwandten könnten dich irgendwie gefangen halten.“
„Nein, die waren kein Problem.“, sagte Harry. Zugegeben, er hatte sie ja auch einfach ignoriert.
„Was machen denn die ganzen Leute hier?“, legte Harry nach einem Augenblick nach.
„Ach, das sind so Freunde von meinem Vater. Sie bereden irgendwas. Keine Ahnung. Bestimmt Sachen aus dem Ministerium. Langweiliger Geschäftskram.“, erwiderte Draco.
„Ach so.“, machte Harry etwas enttäuscht. Er ging hinüber zu Dracos Bett. „Boah, du hast ja Salazar Slytherin! Der fehlt mir noch in meiner Sammlung!“
„Den kriegst du aber nicht. Die Hogwarts-Gründer sind super selten.“, antwortete Draco.
„Du kannst einen Dumbledore von mir haben. Ich hab von denen bestimmt schon zehn!“, bekniete Harry seinen Freund weiter.
„Nee, Dumbledore kriegt man doch andauernd. Wenn schon musst du mir auch einen seltenen anbieten!“, erwiderte Draco.
„Wie wäre es mit Phineas Black? Den hab ich doppelt.“, sagte Harry.
Er ging zu seinem Koffer und holte einen Packen mit Schokofroschkarten heraus. Anschließend setzte Harry sich zu Draco auf das Bett. Sie ordneten ihre Karten und feilschten hart, wenn es darum ging seltene Karten zu tauschen. Dabei bemerkten sie gar nicht wie schnell die Zeit verflog.
---------------------------------------
Severus hatte Harry hoch zu Draco geschickt. Er wollte nicht, dass der Junge in Kontakt mit den Männern kam, die sich hier versammelten. Allesamt alte Todesser, die sich ob der Gerüchte, die nun die Runde machten fragten, was wohl auf sie zukäme. Die meisten von ihnen hatten ihren Kopf aus der Schlinge gezogen indem sie ihren einstigen Meister verleugneten oder andere belasteten. Die Todesser, die noch in Askaban saßen hatten allesamt ein Hühnchen mit ihnen zu rupfen. Mit Severus übrigens auch. Er machte sich jedoch weit weniger Sorgen, denn das was die Gerüchte ausgelöst hatte, das hatte er selbst miterlebt. Der Schatten Voldemorts, der Harry befallen hatte und den er im Spiegel Nerhegeb gebannt hatte. Zwar hatten sie alle stillschweigen bewahrt, doch irgendwie war es doch ans Licht gekommen. Irgendjemand plauderte halt immer. Und sei es nur, dass er vage Andeutungen machte, die dann als Gerüchte kursierten.
Lucius hatte sie alle zu sich eingeladen. Auch damit die Gerüchteküche endlich ein Ende fand. Er war halt Geschäftsmann und als solcher mochte er Unruhe und unkalkulierbare Risiken eben überhaupt nicht. Severus war klar, dass sie, wenn überhaupt, vor allem ihn ausquetschen würden. Er war schließlich Dumbledores rechte Hand.
Er ging in den großen Wohnsalon und schloss die Tür hinter sich. Severus ließ den Blick über die Anwesenden schweifen. Alle alten Bekannten waren hier. Avery. Dolohow. Die Carrows. Runcorn. Crabbe. Goyle. Mulcilber. Der alte MacNair. Selbst Yaxley und Thickness, dieser Schleimbeutel. Der ganze, frühere Innere Kreis war zusammengekommen, um die Frage zu erörtern, ob Voldemorts Rückkehr unmittelbar bevorstand.
Severus ließ sich neben Lucius nieder, der am Kopf des Tisches saß. Dieser erhob sich und klopfte vorsichtig mit der Gabel gegen sein Weinglas, um zur Ruhe zu bitten.
„Nun da wir alle hier sind möchte ich ohne Umschweife beginnen. Wie ihr alle wisst sind Gerüchte im Umlauf, die behaupten der Dunkle Lord sei gesichtet worden. Erst in Albanien und mittlerweile wohl sogar hier in Großbritannien. Ich halte nichts von diesen Gespenstergeschichten. Daher sollten wir versuchen Klarheit zu schaffen, wo es nur geht.“, sagte Lucius. „Meine Kontakte im Ministerium verrieten mir, dass es im Sommer einen Zwischenfall in Hogwarts gab. Ein Geist sei dort umgegangen und habe alte Wunden aufgerissen. Daher schlage ich vor uns anzuhören, was Severus dazu zu sagen hat.“
Lucius setzte sich. Alle Augen richteten sich auf Severus. Er hatte es ja geahnt.
„Jede Gruselgeschichte hat bekanntlich einen wahren Kern.“, antwortete Severus. „Ich bin dem Dunklen Lord begegnet, ja. Allerdings in Form eines Schattens. Er befällt Menschen und ergreift Besitz von ihnen. So bewegt er sich auch fort. Zumindest so lange bis der Wirt nicht mehr von Nutzen ist. Ich habe ihn für's Erste gebannt, aber wir alle wissen, dass es nur eine Frage der Zeit ist bis er wieder in Erscheinung tritt. Also ja, der Dunkle Lord ist in Großbritannien.“
Unruhiges Gemurmel brach aus. Lucius hatte sich offenbar erhofft die Gerüchte zu entkräften, doch damit konnte und wollte Severus nicht dienen. Sie wissen zu lassen, dass ihr alter Meister jederzeit wieder auftauchen konnte war mehr als sie verdienten.
„Wo ist dein Beweis, Snape?“, fragte Yaxley. „Du könntest alles behaupten. Vielleicht willst du ja nur, dass wir unruhig werden.“
„Harry Potter ist der Beweis. Der Dunkle Lord hatte kurzzeitig Besitz von ihm ergriffen. Und nein, Corban, ich werde ihn dir bestimmt nicht vorführen! Ich habe es mit eigenen Augen gesehen. Er versuchte offenbar durchzubrechen. Quirrell hat er mindestens ein Jahr lang besetzt bevor er ihn getötet hat. Wir müssen uns wohl mit dem Gedanken abfinden, dass er früher oder später wieder eine körperliche Form erlangen könnte, die es ihm ermöglicht erneut an die Macht zu kommen.“, sagte Severus. „Wir alle stehen nicht besonders hoch in seiner Gunst. Wir haben ihn verraten oder ihn verleugnet, um mit heiler Haut davon zu kommen. Das wird er nicht auf sich sitzen lassen.“
„Und was schlägst du vor?“, entgegnete Yaxley gefährlich. „Dass wir uns alle hinter Dumbledore verkriechen, so wie du es tust?“
„Ich schlage gar nichts vor. Ihr wolltet wissen, was an den Gerüchten dran ist. Ich habe es euch gesagt. Was ihr daraus macht soll nicht meine Sorge sein.“, erwiderte Severus.
„Das ist doch völlig unerheblich.“, schaltete sich Pius Thickness ein. „Es gilt Profit aus der Sache zu schlagen. Unsere Gegner werden diese Entwicklungen ebenso genau beobachten wie wir. Aktuell ist der Ton im Ministerum uns gegenüber eher feindselig. Ein erstarken des Dunklen Lords würde uns in der jetzigen Situation keinen Vorteil bringen. Man würde sofort die Auroren auf uns hetzen.“
„Er hat recht.“, stimmte Lucius zu. „Das Ministerium hat aktuell einige Razzien gegen ehemalige Todesser laufen. Sie versuchen über verbotene Artefakte Haftbefehle und Hausdurchsuchungen zu erwirken. Ich würde euch daher, ganz nebenbei, raten etwas aufzuräumen, wenn ihr versteht. Was den Dunklen Lord betrifft, so sollten wir seine Wiederkehr so lange hinauszögern wie es geht. Das Ministerium steht fest hinter Dumbledore und wird ihn ohne zu zögern beispringen.“
„Was schlägst du also vor?“, wollte Pius wissen.
„An seinem Stuhl zu sägen.“, antwortete Lucius. „Ein starker Dumbledore ist eine Gefahr für uns alle. Solange er in der Gunst des Ministers steht wird er auf jeden seiner Ratschläge hören.“
„Und wie willst du das anstellen?“, fragte Avery nun.
„Das muss ich mir noch überlegen.“, sagte Lucius.
Severus saß da und lauschte den Ausführungen. Lucius konnte Albus noch nie ausstehen. Weder als Mensch noch politisch. Seine Idee sich auf ihn zu konzentrieren, um das Ministerium sturmreif zu schießen für den Tag an dem der Dunkle Lord wieder erstarkte war jedoch die eines Praktikers. Und sie verschafften ihnen allen Zeit. Sowohl dem Inneren Kreis als auch Dumbledore. Severus wusste allerdings, dass es schwierig werden würde bei diesem Drahtseilakt die Balance zu halten. Natürlich würde er Albus informieren. Es würde kein Kampf werden, mehr eine Art Armdrücken darum wer an Tag X am längeren Hebel saß. Politik halt.