Ganze zwei Wochen verbrachte Harry im Krankenflügel. Fast täglich besuchte Draco ihn und regte sich dabei lautstark über Lockharts Schwachsinnigkeit auf. Severus hingegen besuchte ihn nur an den Wochenenden und dann auch nur kurz. Harry wusste, dass er sich Sorgen machte, doch als Hauslehrer von Slytherin konnte er nicht all zu viel offene Besorgnis zeigen. Als er langsam wieder seinen Arm bewegen konnte schwor er jedoch Lockhart mit dieser Seite auch noch eine runter zu hauen. Madam Pomfrey ließ ihn nur ungern gehen, doch sie fand schließlich keinen Grund mehr ihn noch länger hier zu behalten.
Halloween rückte näher und damit auch das Festessen. Harry war froh sich ablenken zu können. Gemeinsam saß er mit Draco in der Großen Halle und mampfte eine Fleischpastete nach der anderen. Sie quatschten über dies und das. Mit später Stunde leerten sich die Haustische.
„Boah ich bin völlig voll!“, sagte Draco und erhob sich. „Kommst du mit?“
„Ja, gleich!“, entgegnete Harry. „Geh schon mal vor. Ich komm dann nach.“
Harry versuchte noch die halbe Pastete auf seinem Teller aufzuessen, doch er merkte selbst, dass er sich total überfressen hatte. Er trank noch ein Glas Kürbissaft und folgte dann seinem Freund. Auf dem Weg in Richtung der Kerker hörte er plötzlich etwas. Eine seltsame Stimme, die ihm etwas einflüsterte.
„Ich warte auf dich! Ich waaarte auf dich! Töten! Tööööten!“
Harry sah sich um. Er war völlig allein. Hatte er sich das eingebildet? Harry lauschte in den Raum hinein. Nichts. Er zuckte mit den Schultern und wollte weiter gehen als ihn wie aus heiterem Himmel ein Schmerz durchfuhr. Seine Narbe brannte und er griff sich an die Stirn. Harry hatte so einen Schmerz noch nie gespürt. Selbst dann nicht als er Quirell und Voldemort gegenüber stand. Es war als würde sein Kopf gleich zerbersten. Ihm wurde schwarz vor Augen und er spürte nur noch wie er auf dem Boden aufschlug.
Als Harry die Augen wieder öffnete war er ganz benommen. Er saß an eine Wand gelehnt auf dem Flur. Sein Kopf dröhnte. Harry brauchte einige Augenblicke, um sich gewahr zu werden, wo er sich befand. Es war der Gang im Zweiten Stock. Über ihm pragte noch immer die blutrote Schrift an der Wand. Wie war hierher gekommen? Er war doch unten gewesen, oder etwa nicht? Unter Schmerzen kroch Harry auf dem Boden entlang und versuchte mit Mühe aufzustehen. Seine Beine glichen mehr einem Wackelpudding. Er ging einige Schritte. Verdammt, sein Kopf tat so weh! Was war nur passiert? Er konnte sich nicht erinnern. Dann fiel ihm jedoch diese sonderbare Stimme ein, die er gehört hatte. Gerade als er so darüber nachdachte stolperte er und fiel hin. Als Harry sah worüber er da gefallen war stockte ihm der Atem. Es war ein Junge. Einer der Erstklässler! Er hielt noch eine Kamera in der Hand als wolle er irgendetwas fotografieren.
Nein, nicht schon wieder!, dachte Harry verzweifelt. Nicht schon wieder!
Panik ergriff ihn. Harry rappelte sich auf und rannte davon. Mir klopfenden Herzen stiefelte er die Treppen hinunter in die Kerker. Als er endlich im Gemeinschaftsraum ankam sah er sich von Furcht erfüllt um. Niemand schien etwas gemerkt zu haben.
„Harry!“, rief Draco. „Wo warst du denn?“
„Ich ...“ Es schnürte ihm die Kehle zu. Energisch schüttelte er den Kopf und verschwand durch den Portraiteingang. Harry rannte zu der Tür, die zu Severus' Räumlichkeiten führte. Er klopfte. Keine Antwort. Wieder klopfte er, dieses Mal allerdings deutlich energischer.
Komm schon! Mach schon auf!, dachte Harry. Nach einer Weile öffnete Severus. Er stand da, nur im Unterhemd und einer Hose, eine Zigarette im Mund. Offensichtlich hatte er um diese Zeit keinen Besuch erwartet. Harry drängte sich an ihm vorbei und setzte sich auf die Couch vor dem Kamin. Zitternd hielt er sich den Kopf.
„Harry, was ist passiert?“, wollte Severus wissen und setzte sich neben ihn.
„Es gab einen Angriff! Ich schwöre ich war es nicht!“
„Ganz ruhig. Eines nach dem anderen.“, sagte Severus und versuchte ihn zu beruhigen.
„Ich weiß nicht was passiert ist! Ich war auf dem Weg in die Kerker, da bin ich plötzlich zusammengebrochen und als ich aufwachte lag ich neben … Ich habe diese Stimme gehört! Das ist alles völlig verrückt!“
„Wo?“, fragte Severus ruhig.
„Im Zweiten Stock. Dort wo es Filchs Katze erwischt hat.“, antwortete Harry.
Severus erhob sich und zog sich einen schwarzen Pullover über.
„Komm mit. Wir gehen zu Dumbledore.“, sagte er.
Severus nahm ihn am Arm und führte ihn zum Büro des Schulleiters. Noch immer zitterte Harry am ganzen Leib. Ihm war übel und er fürchtete das Schlimmste. Zu seiner Überraschung saß Dumbledore noch hinter seinem Schreibtisch, bei einem Glas Brandy.
„Severus? Harry?“, fragte er überrascht.
„Sag es ihm.“, forderte Severus ihn auf.
„Ich, also ich, ich weiß nicht was passiert ist. Ich habe einen völligen Blackout. Erst bin ich unten und auf dem Weg in den Gemeinschaftsraum und dann plötzlich im Zweiten Stock neben einem versteinerten Schüler! Und dann ist da diese Stimme! Ich schwöre, ich denke mir das nicht aus!“, entgegnete Harry voller Verzweiflung.
Dumbledore erhob sich und ging auf Harry zu. Der alte Mann hockte sich vor ihm hin und nahm sein Gesicht in seine Hände. Wie ein Arzt untersuchte er Harrys Gesicht und besah seine Augen. Wahrscheinlich sah er ziemlich mitgenommen aus.
„Weiß noch jemand davon?“, fragte der Schulleiter.
Harry schüttelte den Kopf.
„Wo hast du diesen Schüler gefunden?“, fragte Dumbledore.
„Im Zweiten Stock. An der gleichen Stelle wie Filchs Katze.“, antwortete Harry.
„Was hat die Stimme gesagt, die du gehört hast?“
„Irgendetwas komisches wie Ich töte dich oder so. Es war wie als sei sie auf der Jagd. Das ergibt alles keinen Sinn, ich weiß.“, sagte Harry.
„Oh doch, das ergibt durchaus Sinn.“, erwiderte Dumbledore. „Für mich zumindest. Severus, bringen Sie Mister Potter zurück in seinen Gemeinschaftsraum. Ich werde mich mit Minerva auf die Suche nach dem Jungen begeben.“
Harry war ganz elend zumute als er mit Severus wieder hinunter in die Kerker ging.
„Willst du etwas zum Schlafen?“, fragte Severus. Harry nickte. Er würde garantiert kein Auge zu tun, ob mit Trank oder ohne.
Als sie unten angelangt waren holte Severus eine kleine Phiole aus seinem Büro und gab sie Harry. Er entkorkte die Flasche und trank aus. Harry ging ohne weitere Worte in den Jungenschlafsaal und legte sich in sein Bett. Obwohl er sich so elend fühlte tat der Trank seine Wirkung und Harry schlief einen traumlosen Schlaf.
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Severus stand zusammen mit Albus und Minerva im Flur des Zweiten Stocks. Sie untersuchten den versteinerten Körper zu ihren Füßen. Es war genauso wie Harry gesagt hatte.
„Wer ist das?“, wollte Severus wissen.
„Colin Creevy. Ein Erstklässler aus Gryffindor.“, antwortete Minerva. Sie war ganz bleich geworden als sie ihn entdeckt hatte.
„Nun, vielleicht haben wir Glück im Unglück.“, sagte Albus. „Vielleicht hat er seinen Angreifer tatsächlich fotografiert.“
Der Schulleiter nahm die Kamera aus Colins kalten Händen und öffnete die Filmkammer. Ein weißer Lichtblitz und der Geruch von verbranntem Plastik. Der Film hatte sich sprichwörtlich in Rauch aufgelöst.
„Albus?“, fragte Minerva erschrocken.
„Höchst interessant.“, gab Albus zu bedenken. „Genauso wie das was dem guten Harry zugestoßen ist. Eine Stimme befielt ihm scheinbar zu töten und dann wacht er hier auf und kann sich an nichts mehr erinnern.“
„Sie glauben doch nicht ...“, begann Severus, doch er wurde sofort unterbrochen.
„Wer oder was unser Angreifer auch immer ist er hat eine Verbindung zu dem Jungen. Ganz eindeutig! Vielleicht benutzt er ihn sogar. Besessenheit kann viele Formen aufweisen.“, erklärte Albus. „Severus, ich weiß, dass sie das nicht hören wollen.“
„Nein, das will ich ganz und gar nicht hören!“, erwiderte Severus aufgebracht.
„Wir müssen uns wohl oder übel mit der Möglichkeit anfreunden, dass Harry Potter sowohl eine Gefahr für sich als auch andere ist.“, entgegnete Albus.
Severus verschränkte die Arme vor der Brust. Am liebsten hätte er darauf bestanden, dass Harry unschuldig war, doch genauso musste er zugeben, dass die Umstände mehr als verdächtig waren.
„Und was tun wir jetzt? Wir können ihn ja wohl kaum einsperren!“, sagte Severus.
Albus antwortete nichts darauf. Gut, die Antwort auf diese Frage hätte Severus ohnehin nicht gefallen.
Gemeinsam brachte sie Colin Creevy in den Krankenflügel. Madam Pomfrey schlug die Hände vor das Gesicht als sie sie hereinkommen sah. Severus blieb nicht, um sich das Gejammer der Krankenschwester anzuhören. Stattdessen ging er wieder hinunter in die Kerker. Tief in sich hoffte er inständig, dass Harry nichts damit zu tun hatte und das alles nur ein gottverdammter Zufall war. Er wollte sich gar nicht ausmalen was wäre, wenn der Junge tatsächlich nicht er selbst war.
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Der Vorfall mit Colin Creey sprach sich in Windeseile im Schloss herum. Harry fühlte sich die ganze kommende Woche wie ein Häuflein Elend und das nicht nur, weil die Blicke und das Getuschel seiner Mitschüler einmal mehr Überhand nahmen. Lockhart fühlte sich nach diesem erneuten Angriff offenbar zu Größerem berufen. Er versammelte alle in der Großen Halle um eine Art Bühne herum. Auf dieser stand er wie ein Ritter mit wehendem Umhang und glänzender Rüstung.
„Nun, ob dieser Vorkommnisse habe ich von Professor Dumbledore die Erlaubnis erhalten euch in die hohe Kunst des Duellierens einzuweisen.“, sagte er.
„Duellieren?“, fragte Draco und hätte fast gelacht. „Glaubt der ernsthaft das Monster von Slytherin will sich mit uns duellieren?“
„Für diese kleine Vorführung bitte meinen Assistenten herbei: Professor Snape!“
Severus stieg auf die Bühne und seinem Gesicht nach zu urteilen hätte er sich nur zu gern mit Lockhart duelliert.
„Wir werden nun unsere Zauberstäbe ziehen und bis drei zählen. Eins – zwei – dr...“
Noch bevor Lockhart auch nur ansatzweise bereit war rief Severus jedoch: „Expelliarmus!“
Lockhart wurde von dem Entwaffnungszauber getroffen und flog im hohen Bogen davon. Die anwesenden Mädchen schlugen sich die Hände vor den Mund. Draco verdrehte die Augen genervt.
„Nun, unser werter Professor, hält offensichtlich viel auf das Überraschungsmoment, aber ich habe natürlich gewusst, dass er das tun würde.“, sagte Lockhart grinsend.
Nun war es an Severus genervt die Augen zu verdrehen.
„Vielleicht sollten Sie ihren Fans erst einmal die wahre Bedeutung von Verteidigungszaubern näher bringen ehe wir das hier vertiefen?“, erwiderte Severus.
„Ha, Euer Tränkemeister, immer für einen Spruch gut, nicht wahr?“, entgegnete Lockhart. Er hatte ganz offensichtlich nicht verstanden, dass sein Assistent das vollkommen ernst meinte.
Severus jedoch hob schon wieder den Zauberstab. Er schoss einen weiteren Fluch auf Lockhart ab. Dieser sprang zur Seite, doch es nützte ihm nichts mehr. Lockhart wurde einmal mehr durch die Luft gewirbelt.
„Übrigens“, begann Severus. „Wenn man einen Gegner einmal am Boden hat, dann hört man nicht auf bis man ihn ausgeschaltet hat.“
Mit einem Schlenker seines Zauberstabs packte eine unsichtbare Hand Lockhart und schleifte ihn quer über den Boden. Er schrie auf, doch Severus dachte nicht daran aufzuhören. Er wischte förmlich den Boden mit ihm auf. Noch mehrmals flog Lockhart durch die Luft, nur um am Ende als menschlicher Wischmop zu dienen. Irgendwann lag Lockhart dann völlig benommen da. Er hob kurz den Kopf, ließ ihn dann aber auf die hölzernen Dielen fallen und regte sich nicht mehr.
„Gegner besiegt. Vorstellung beendet.“, sagte Severus und stieg von der Bühne.
Draco konnte sich nicht mehr halten vor Lachen.
„Hast du das gesehen? Das war spitze! Da hat sich dieser Idiot wohl den falschen Assistenten ausgesucht!“, sagte er und hielt sich den Bauch.
Harry musste zugeben, dass es ihm gefiel, dass Severus es Lockhart auf diese Weise heimgezahlt hatte. Nach dem, was er mit seinem Arm angestellt hatte, war das eine regelrechte Wohltat.