So schnell wie der Winter kam, so schnell verschwand er auch wieder und bereits Anfang Februar drangen die ersten Gräser und Blümchen aus dem Boden. Severus fand das Wetter ungewöhnlich mild. Normalerweise schneite es in den schottischen Bergen bis April und die Temperaturen sanken schon mal auf unter Minus zwanzig Grad. Dieses Jahr hingegen konnte es der Frühling kaum erwarten. Ebenso wenig wie ein gewisser Professor Lockhart. Als Severus an diesem Morgen in die Große Halle trat regnete es Blumenblüten und rote Herzchen flogen an ihm vorbei. Lockhart erhob sich feierlich und verkündete, dass er den Valentinstag dieses Jahr ganz besonders feiern würde, weil doch wegen der Vorfälle die Stimmung so betrübt sei. Zu allem Überfluss behauptete er auch noch Severus würde mit Freuden Liebestränke für die Schüler brauen. Severus würde ganz sicher den ersten erwürgen, der ihn danach fragte!
„Konnten Sie das nicht verhindern?“, fragte Severus den Schulleiter am Lehrertisch beim Frühstück.
„Der gute Gilderoy war wohl der Meinung es solle eine Überraschung sein.“, antwortete Albus und rieb sich die Stirn. Wenigstens schien er damit ähnlich unzufrieden zu sein wie Severus.
Er hasste ja grundsätzliche alle Festivitäten, die eine geheuchelte Freunde voraussetzen. Also Weihnachten, Valentinstag, Ostern, sämtliche Geburtstage. Es war ihm schlicht zu wider! Severus hätte sich lieber vom Astronomieturm gestürzt als an dieser bigotten Idiotie teilzunehmen. Mal davon abgesehen, dass nichts schlimmer war als Teenager im Liebesrausch.
Severus ließ sich den ganzen Tag über nicht sehen und verbarrikadierte sich in seinen Räumlichkeiten bei einer Flasche Wein. Irgendwann jedoch klopfte es an der Tür.
„Herein!“, grollte er dem Eindringling – wer auch immer es war – entgegen.
Die Tür öffnete sich und Minerva trat ein. Ihr Blick huschte von ihm zu der halb leeren Weinflasche wieder zurück. Sie atmete tief und setzte sich ohne zu fragen neben ihn auf die Couch.
„Betrinken Sie sich etwa?“, fragte sie mit der Strenge einer besorgten Mutter.
„Wie soll man sich bei diesem Theater denn nicht betrinken?“, erwiderte er finster und sah auf den Boden seines Weinglases.
„Ich habe Sie heute Abend vermisst.“, sagte Minerva.
„Ach ja?“, erwiderte er gereizt.
„Es ist nicht nötig bei jeder Gelegenheit den Miesepeter zu spielen.“
„Ich spiele nicht!“, antwortete Severus genervt. „Wie kommt Lockhart eigentlich dazu uns so etwas aufzudrücken?“
„Oh, also es gibt Menschen, denen ist es ganz recht sich wenigstens einen Tag etwas freudig abzulenken.“, sagte Minerva in einem Ton als würde sie einem Erstklässler erklären, dass er den Zauberstab am falschen Ende hielt.
„Genau das meine ich! Diese aufgezwungene Freude!“, entgegnete Severus. „Und dann noch diese Frechheit zu haben und zu verkünden ich würde Liebestränke brauen! Lockhart hat Glück, dass er am anderen Ende des Tisches sitzt!“
„Sie können froh sein, dass er überhaupt noch mit Ihnen redet.“, bemerkte Minerva. „So wie sie den Boden mit ihm aufgewischt haben.“
„Das war auch Sinn und Zweck! Den Mann zum Schweigen zu bringen ist ja offensichtlich unmöglich.“, grollte Severus ihr entgegen.
Minerva jedoch begann schallend zu lachen. Es dauerte einige Augenblicke bis sie sich wieder gefangen hatte.
„Ich weiß wirklich nicht, was daran so witzig ist.“, erwiderte Severus.
„Ich stimme durchaus mit Ihnen überein, dass Gilderoy Lockhart ein eitler Gockel ist, und eine wandelnde Katastrophe noch dazu, aber er weiß durchaus wie man Partys feiert.“
„Gah!“, machte Severus nur und schenkte sich noch ein Glas ein.
„Wären Sie so freundlich mir auch eins zu geben? Wenn Sie den ganzen Wein alleine trinken haben Sie am Ende nur Kopfschmerzen.“, sagte Minerva.
„Genau das ist ja auch der Sinn des Ganzen!“, entgegnete Severus. Trotzdem erhob er sich und holte noch ein Glas aus dem Schrank. Er schenkte Minerva ein und sie nahm das Glas und nippte an dem Wein.
„Mmmh.“, machte sie.
„Hat Albus schon etwas gesagt wie weit er mit dem Buch ist?“, fragte Severus, um das Thema von Lockhart weg zu bewegen.
„Nun, so weit ich weiß, ist es wohl ein hartes Stück Arbeit.“, antwortete Minerva.
„Dachte ich mir.“, pflichtete Severus ihr bei.
Dann, ohne Vorwarnung, loderten die Flammen des Kamins lila auf und die Stimme des Schulleiters ertönte: „Severus, ich brauche Sie in meinem Büro! Sofort!“
Severus und Minerva sahen sich an. Die Verwunderung war ihnen ins Gesicht geschrieben.
„Ich begleite Sie.“, sagte Minerva und trank ihr Glas in einem Zug aus.
Severus antwortete nichts, sondern stellte seinen Wein auf den Tisch vor sich und stand auf. Albus' Stimme klang nicht so ruhig und gelassen wie er es offenbar beabsichtigt hatte. Nach all den Jahren kannte Severus die Nuancen. Albus war selten offen erschüttert oder aufgeregt, doch wenn etwas passiert war, dann hörte man trotzdem das leise mitschwingen seiner Erregung.
Als Severus und Minerva das Büro des Schulleiters betraten trauten sie ihren Augen nicht. Es sah aus als habe eine Bombe eingeschlagen. Überall lagen Papier verstreut, sämtliche Schränke waren offen, die Schubladen herausgezogen und Tische und Stühle lagen umgeworfen im Raum. Wer bitte hatte die Dreistigkeit das Büro des Direktors derart auf den Kopf zu stellen? Geschweige denn das Wissen überhaupt hierher zu gelangen?
Albus stand in der Mitte des Raumes und hatte die Arme in die Seiten gestemmt.
„Das Tagesbuch von Tom Riddle fehlt.“, sagte er ohne große Umschweife.
„Aber wer …?“, begann Minerva.
„Vielleicht ist das die falsche Frage.“, antwortete Albus auf ihr sprachloses Gesicht. „Ich habe das Passwort erst heute Früh geändert. Ich habe es noch nicht einmal der Lehrerschaft mitgeteilt. Wer oder was hier am Werke ist kann offenbar durch Türen gehen.“
„Also haben wir es doch mit einem Geist zu tun?“, fragte Severus. „Das Buch. Es wird kein Zufall sein, dass es Voldemort gehört hat. Erst will es jemand auf dem Klo loswerden und dann, ein paar Wochen später, holt er es sich zurück. Die Frage ist warum?“
„Meine Untersuchungen, ebenso wie die Ihren, ergaben lediglich, dass es sich um einen ziemlichen Batzen an Schwarzer Magie handelte. Ich kannte Tom Riddle, er hätte ein Buch wie dieses nicht dem Zufall überlassen und schon gar nicht es einfach irgendwo in der Schule liegen lassen, wo es ein Schüler einfach findet.“, erklärte Albus.
„Sie meinen, jemand hat es mit Absicht hierher gebracht.“, entgegnete Severus. „Aber weshalb? Was tut es?“
„Ich fürchte, eine Verbindung mit der Kammer des Schreckens ist nicht ausgeschlossen.“, antwortete Albus. „Vielleicht vermittelt es einem das Wissen wie man sie öffnet oder dergleichen. Es spricht ja schließlich ziemlich direkt mit einem.“
„In den falschen Händen ...“, begann Severus.
„Nun, in diesen befindet es sich ja offenbar schon eine Weile.“, erwiderte Albus.
Der Schulleiter zog seinen Zauberstab. Er wirbelte ihn herum und sogleich flogen die Papiere wieder an ihren Platz, die Schränke und Schubladen schlossen sich und die umgeworfenen Tische und Stühle rückten an ihre alten Stellen. Nichts deutete mehr darauf hin, dass das Büro von jemanden durchsucht worden war.
„Halten Sie die Augen offen. Wer immer das Buch besitzt ist womöglich auch derjenige, der die Kammer geöffnet hat. Finden wir das eine finden wir auch das andere.“, sagte Albus schließlich.
Severus und Minerva schwiegen über den Vorfall in Dumbledores Büro. Sie wussten nicht, wem sie trauen konnten. Im Lehrerkollegium ebenso wie unter den Schülern. Severus behielt jetzt zwei Augen auf Harry. Wer auch immer das Buch hatte war auch für das verantwortlich, was dem Jungen zustieß. Irgendetwas sagte ihm jedoch, dass sie den Täter weder unter den Schülern noch den Lehrern finden würden. Das alles stank nach Dunkler Lord und Todessern. Lucius brauchte er allerdings nicht aufzusuchen solange er keinen handfesten Beweis seiner Schuld hatte, den er ihm auch unter die Nase halten konnte. Ansonsten wäre er bloß wieder ein Verrückter.
Eine Woche später jedoch tauchten der Zaubereiminister und Lucius auf der Türschwelle des Schlosses auf. Severus stand am Kamin im Büro des Schulleiters und verfolgte das harsche Wortgefecht zwischen Albus und dem Minister.
„Albus, bitte verstehen Sie doch, dass wir zu diesem Schritt gezwungen sind. Der Täter ist noch immer nicht gefasst. Die Öffentlichkeit will jedoch Ergebnisse sehen.“, sagte der Zaubereiminister Cornelius Fudge.
„Hagrid hat absolut nichts damit zutun!“, erwiderte Albus harsch.
„Nun, das Ministerium sieht das eher als Vorsichtsmaßnahme.“, antwortete Fudge.
„Sie können nicht einen meiner Mitarbeiter ohne triftigen Grund, geschweige denn ohne Beweise, nach Askaban stecken! Das entbehrt jedweder juristischer Grundlage!“, entgegnete Albus.
„Wie Sie wissen spricht Hagrids Akte gegen ihn. Es wäre also durchaus möglich, dass er zu einer Wiederholungstat neigt.“, sagte Fudge.
Severus hatte noch nie gesehen wie Albus Dumbledore der Geduldsfaden riss. Jetzt war es jedoch so weit.
„Eine Wiederholungstat? Cornelius, Sie sollten sich mal hören! Die Anschuldigungen gegen Rubeus Hagrid waren schon vor fünfzig Jahren haltlos! Sie wollen einen Unschuldigen einsperren, um nicht vor der Presse wie ein inkompetenter Idiot dazustehen! Hatte er die Idee dazu?“ Albus deutete auf Lucius, der sich die ganze Zeit im Hintergrund gehalten hatte.
„Ich versichere Ihnen, Professor Dumbledore, das alles ist nur im Interesse der öffentlichen Sicherheit. Niemand will schließlich, dass sich weitere Vorfälle ereignen. Drei Schüler wurden angegriffen und Sie sind offenbar nicht in der Lage für den entsprechenden Schutz zu sorgen.“, antwortete Lucius beflissen.
„Die öffentliche Sicherheit, so so, Mister Mafoy.“, entgegnete Albus schlecht gelaunt. „Nun gut, folgen Sie mir.“
Der Schulleiter gab klein bei. Einen Haftbefehl gegen Hagrid konnte er nicht verweigern ohne sich selbst verdächtig zu machen und er wusste, dass Lucius alles gegen ihn verwenden würde, dem er habhaft werden konnte.
Als sie hinaus gingen packte Severus Lucius am Arm.
„Was soll das?“, fragte er ihn.
„Das weißt du doch genau.“, antwortete Lucius. Er zog seinen Arm aus Severus' Griff und folgte den beiden anderen nach unten.
Severus fühlte plötzlich eine unbändige Wut und trat gegen den Türrahmen. Hagrid verdiente das alles nicht. In den Augen von Lucius war der Halbriese nur ein unbedeutendes Opfer. Severus jedoch fühlte sich als habe er Hagrid selbst verraten. Das war alles nicht fair.