Als Severus Snape das Büro des Schulleiters betrat traute er zunächst seinen Augen nicht. Es war nicht die Tatsache, dass sämtliche Lehrer herbestellt wurden und der Minister samt einiger Auroren anwesend waren, sondern der Mann, der sich versuchte dezent im Hintergrund zu halten. Ein großer, schlanker Kerl in Severus' Alter. Er hatte kurzes, braunes Haar und sein Gesicht war von einigen, üblen Narben gezeichnet. Er trug ein abgetragenes Jackett über das er einen von Flicken übersäten Umhang geworfen hatte.
Severus wusste, dass Dumbledore Ende letzten Jahres Lockhart gefeuert hatte. Einfach weil er ein inkompetenter Vollidiot war. Demzufolge musste der Mann, den Severus gerade ins Auge gefasst hatte, der neue Lehrer für Verteidigung gegen die Dunklen Künste sein.
„Ah, Severus, gut, dass sie da sind. Jetzt da wir alle vollzählig sind … Herr Minister, wollen Sie das Wort haben?“, sagte Albus.
Cornelius Fudge nickte und stellte sich vor sie.
„Wie Sie alle wissen kam es jüngst zu einem Vorfall im Gefängnis von Askaban. Sirius Black konnte aus noch ungeklärten Umständen fliehen und das Ministerium ist der Ansicht, dass Hogwarts als besonders gefährdet gilt.“
„Gefährdet? Glauben Sie ernsthaft Black macht Jagd auf einen Haufen Kinder?“, fragte Severus sarkastisch.
„Ja, in der Tat, Professor Snape, wenn Sie mich also ausreden lassen würden ...“, kommentierte der Minister die Unterbrechung mit einem scharfen Blick auf ihn. „Wir glauben, dass Sirius Black hinter Harry Potter her ist. Er wird früher oder später kommen und versuchen ihn zu töten. Wie Sie alle sicher wissen war Black ein großer Anhänger von Du-weißt-schon-wer. Noch dazu gilt er als wahnhaft und unkontrollierbar. Die Wachen von Askaban wurden ausgeschickt und, so leid mir das tut, es wird nötig sein sie auch hier einzusetzen.“
„Dementoren in einer Schule?!“, entgegnete Minerva entrüstet. „Das kann nicht ihr ernst sein?!“
„Ich habe mit dem Ministerium bereits geklärt, dass die Dementoren nicht weiter als hundert Meter an das Schloss heran dürfen. Sie patrouillieren auf dem Gelände, aber in die Schule werden sie keinen Fuß setzen!“, erklärte Albus mit Blick auf Fudge.
„Trotzdem bleibt es unerhört!“, entgegnete Minerva. „Wie sollen wir denn Unterricht machen, wenn diese Monster um uns herumschleichen? Selbst wenn sie nur auf den Ländereien ihr Unwesen treiben. Sie wissen doch genau um ihre Wirkung!“
„Das ist alles zu Ihrer Sicherheit.“, sagte Fudge.
„Hmpf!“, machte Minerva und verkniff sich den Kommentar, der ihr offensichtlich auf der Zunge lag.
„Alles schön und gut.“, warf Severus ein. „Aber woher wollen Sie bitte wissen, dass es Black auf den Jungen abgesehen hat?“
„Wir haben unsere Informationen.“, entgegnete Fudge.
„Ach?“, machte Severus zweifelnd. Erfahrungsgemäß waren die Informationen des Ministeriums in etwa so sicher wie die Wetten bei einem Trollkampf.
„Und nach diesen Informationen ist es nur logisch, dass Black versuchen wird Potter etwas anzutun. Zweifellos wird er das Werk vollenden wollen, was er vor dreizehn Jahren angefangen hat.“, entgegnete Fudge und warf ihm einmal einen ungehaltenen Blick zu. „Ich bin auch nicht zufrieden mit dieser Situation. Am besten wäre es, wenn Black gar nicht erst ausgebrochen wäre.“
„In der Tat.“, erwiderte Severus.
„Nun denn, damit wäre alles besprochen. Herr Schulleiter.“ Fudge nickte Albus zu, setzte sich seine Melone auf den Kopf und verließ zusammen mit den Auroren das Büro.
Stille trat ein. Niemand sagte etwas. Nicht einmal Minerva, der anzusehen war wie wütend sie über all das war. Albus klatschte plötzlich in die Hände.
„Nun, damit wäre wohl tatsächlich alles gesagt. Severus, Remus, bleiben Sie bitte noch einen Augenblick.“
Die anderen Lehrer verschwanden leise murmelnd durch die Tür. Severus beäugte den neuen Lehrer skeptisch. Sie teilten sich eine unrühmliche Vergangenheit. Tief in sich kochte er, weil Albus offenbar so verzweifelt war, dass er Remus Lupin eine Stelle als Lehrer verschaffte. Dann doch lieber Lockhart!
„Ich möchte noch etwas klarstellen.“, sagte Albus. „Insbesondere Ihnen gegenüber, Severus.“
„Oh, da bin ich aber gespannt.“, knurrte Severus.
„Ich weiß, dass sie beide einen Groll gegeneinander hegen. Ich bitte Sie also ihre persönlichen Differenzen zurück zu stellen.“
„Wenn es nur das wäre ...“, entgegnete Severus finster.
„Komm schon, Severus, sprich frei heraus. Wir sind doch alte Bekannte.“, forderte Lupin ihn freundlich auf.
„Na schön, wo soll ich anfangen?“, erwiderte Severus. „Etwa bei der Tatsache, dass du noch nicht einmal ein Mensch bist? Oder lieber dabei, dass du und Black immer dicke Freunde waren!? Wenn er es auf Harry abgesehen hat, dann wüsste ich nur zu gern warum ausgerechnet du hier bist?“
„Severus, Remus ist hier, um uns zu helfen.“, wandte Albus ein.
„Auf die Hilfe verzichte ich gern!“, spie Severus aus.
„Falls Black hierher kommt, dann kann es durchaus von Vorteil sein, wenn er ein bekanntes Gesicht sieht.“, erklärte Albus.
„Fragt sich nur für wen?“, entgegnete Severus.
„Severus, wir sind auf der gleichen Seite.“, sagte Remus.
„Das wäre mir ganz neu!“, erwiderte Severus und wandte sich nun an Albus. „Ich kann es ehrlich nicht fassen, dass Sie diesen … diesen … diesen Werwolf angeschleppt haben!“
„Ich weiß Ihre Sorge zu schätzen, aber Sie werden an meiner Entscheidung nichts mehr ändern können. Halten Sie also Ihren Zorn im Zaun. Das hier ist zu ernst, als das wir uns von kleinlichen Streitigkeiten ablenken lassen könnten.“, sagte Albus.
Knurrend wandte sich Severus von den beiden ab.
„Habe ich Ihr Versprechen, dass Sie zum Zustand von Remus schweigen werden?“, fragte der Schulleiter eindrücklich.
Severus blickte zu Remus und dann zu Albus. Widerwillig nickte er. Welche Wahl hatte er denn auch?
„Davon abgesehen brauche ich Ihre Fachkenntnisse. Ihnen sagt doch sicher der Wolfsbanntrank etwas?“
„Natürlich.“, antwortete Severus.
„Sie werden ihn brauen. Einmal im Monat. Das ist meine Rückversicherung, dass sie beide nichts Dummes anstellen. Gegenseitiges Vertrauen, meine Herren.“, entgegnete Albus.
Severus hätte dem Schulleiter manchmal am Liebsten eins übergebraten. Er zwang sie zusammenzuarbeiten. Schön. Fein! Das hieß aber noch lange nicht, dass er diesem mondsüchtigen Wolf in Menschengestalt traute!
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Harry stand mit Draco am Gleis Neundreiviertel des Bahnhofs Kings Cross. Die letzte Ferienwoche hatten sie unverhofft zusammen verbracht. Das freute die beiden Jungs tierisch, ganz besonders aber Harry, der zu Gunsten seines Okklumentiktrainings die gesamten Ferien bei Severus verbracht hatte. Es war gut Draco wieder zu sehen und sorglos mit ihm herumalbern zu können.
Harry und Draco hatten gestern seinen Dreizehnten Geburtstag gefeiert und Misses Malfoy hatte sogar einen Kuchen für ihn gebacken. Noch nie hatte er einen so schönen Geburtstag gehabt und er war glücklich mit seinem Freund jetzt hier zu sein und in den Hogwarts Express zu steigen. Allerdings bemerkten sie schnell, dass viele Abteile besetzt waren, also schlugen sie sich zum letzten Platz im hintersten Wagon durch. Dort saß zu ihrer Überraschung ein Erwachsener. Sonst fuhren nie Erwachsene im Hogwarts-Express mit. Der Mann sah etwas kränklich aus und sein Gesicht war von einigen üblen Narben gezeichnet. Er saß da, mit dem Kopf an die Wand gelehnt und schlief.
Harry sah den alten Koffer in der Ablage auf dem auf einen kleinen Schild sein Name stand: R.J. Lupin.
„Wer ist das?“, fragte Draco. „Ist das ein Lehrer? Seit wann kommen denn die Lehrer mit dem Zug?“
Harry zuckte mit den Schultern. Er hatte nicht die geringste Ahnung. Sie setzten sich. Während der Fahrt spielten sie Karten und kauften Süßigkeiten von der Frau am Servierwagen. Harry biss gerade in einen Lakritzzauberstab als der Zug ohne Vorwarnung stoppte. Der abrupte Ruck schleuderte Harry und Draco beinahe aus ihren Sitzen, einzig der Mann namens Lupin saß da als sei überhaupt nichts passiert.
„Was ist denn jetzt los?“, fragte Draco. Er sah zu Lupin. „Sicher, dass er nur schläft? Nicht, dass er gestorben ist?“
Harry sah zu Lupin und fühlte sich unbehaglich. Mit einer Leiche im Abteil zu sitzen war wirklich keine schöne Vorstellung. Er beugte sich zu Lupin und pikste ihn mit dem Finger in die Brust. Keine Reaktion. Allerdings meinte er seinen Atem zu spüren.
„Nein, ich denke er lebt noch.“, sagte Harry.
„Gut, das hätte uns gerade noch gefehlt mit einem Toten im Gepäck nach Hogwarts zu fahren.“, entgegnete Draco.
Dann ging auf einmal das Licht im Abteil aus und sie saßen im Stockdunklen. So langsam war das nicht mehr witzig, fand Harry. Aus den anderen Abteilen hörten sie einige Mädchen hysterisch schreien.
„Was läuft hier?“, fragte Draco.
„Woher soll ich das wissen?“, antwortete Harry. „Aua, Draco, das war mein Fuß!“
Es fröstelte ihn und Harry spürte plötzlich eine durchdringende Kälte. Er dachte erst es läge daran, dass der Strom ausgefallen war, doch dann sah er schemenhafte Bewegungen im Flur. Etwas Großes bewegte sich auf sie zu und es brachte diese abnorme Kälte mit sich. Dann öffnete sich die Tür zu ihrem Abteil und er blickte auf eine große, schwebende Kapuzengestalt. Harry fühlte sich elend als würde das vor ihm – was auch immer es war – ihn irgendwie mit dieser Kälte angreifen. Er spürte einen unglaublichen Kloß im Hals und rang nach Luft. Unter der Robe glitt eine dürre Hand hervor, die aussah als habe eine Leiche schon zu lange im Wasser gelegen. Das Wesen vor ihm wollte ihn berühren. Dann jedoch hörte Harry wie jemand schrie. Er griff sich an die Stirn und ihm wurde schwarz vor Augen. Harry spürte nur noch den dumpfen schlag als er vom Sitz glitt und auf dem Boden aufschlug.
Als er benommen die Augen wieder öffnete lag er auf dem Platz gegenüber. Draco und der Mann namens Lupin sahen ihn besorgt an. Letzterer holte eine große Tafel Schokolade aus der Innentasche seines Jacketts. Er brach ein Stück ab und reichte es Harry.
„Iss das, dann geht es dir besser.“, sagte Lupin.
Zögerlich nahm Harry die Schokolade an.
„Was ist geschehen?“, fragte er.
„Das war ein Dementor, eine Wache von Askaban. Eigentlich haben sie hier nichts zu suchen.“, entgegnete Lupin.
Vorsichtig biss Harry ein kleines Stück der Schokolade ab. Es fühlte sich tatsächlich auf einmal warm an als würde es die Kälte des Dementoren vertreiben.
„Wenn ihr beiden mich entschuldigt, dann werde ich mal sehen, was weiter vorn im Zug los ist.“, erklärte Lupin und steckte die Tafel zurück in seine Tasche. Er verließ das Abteil.
„Komischer Kautz.“, sagte Draco als Lupin weg war.
„Was war mit mir?“, fragte Harry seinen Freund.
„Du bist ganz starr geworden und vom Sitz gefallen. Ich dachte erst du hättest 'nen Anfall oder so. Dieser Typ, Lupin, ist dann wach geworden hat seinen Zauberstab gezogen und den Dementor vertrieben. Das hättest du sehen müssen! Wie er da steht und ruft 'Niemand versteckt hier Sirius Black unter seinem Umhang!' Er hat dich versorgt als du ohnmächtig warst.“
Harry fühlte sich als hätte er einen Filmriss.
„Wer ist Sirius Black?“, fragte er und fühlte sich komplett dumm. Draco bekam große Augen, was Harry nur in seiner Ahnung bestätigte.
„Du weißt nicht wer … Du weißt es wirklich nicht?“, entgegnete Draco und es klang äußerst schockiert.
Harry schüttelte den Kopf.
„Mann, wie konnte das nur an dir vorbei gehen!“, rief Draco aus als hätte er Harry gerade darauf aufmerksam gemacht, dass Regen nass sei. „Der Tagesprophet schreibt seit Wochen über nichts anderes!“
„Davon weiß ich nichts.“, sagte Harry. Er hatte die Zeitung zwar bei Severus liegen sehen und manchmal drin gelesen, aber ihm war da nichts über einen Sirius Black begegnet.
„Sirius Black war DER Anhänger von Du-weißt-schon-wem! Er hat bei seinem Abgang einen Haufen Muggel ins Jenseits befördert. Angeblich ist er völlig wahnsinnig. Einer der schlimmsten Gefangenen, die je in Askaban saßen!“
„Askaban? Das Gefängnis?“, fragte Harry.
„Ja, du stehst aber echt auf 'ner langen Leitung heute!“, antwortete Draco.
„Und diese Dementoren ...“, begann Harry.
„... sind die Wachen von Askaban.“, beendete Draco den Satz. „Angeblich stellen die irgendwas mit deinem Kopf an.“
„Als ohnmächtig geworden bin habe ich 'ne Frau schreien hören.“, sagte Harry.
Draco wirkte auf einmal sehr unbehaglich.
„Es hat niemand geschrien.“, entgegnete Draco.
Harry fühlte sich seltsam. Er glaubte jemanden schreien gehört zu haben. Oder hatte er sich alles nur eingebildet?
Die restliche Fahrt über schwiegen Harry und Draco betreten. Es war beinahe eine Erlösung als sie endlich in Hogmead ankamen und ausstiegen, um mit den herrenlosen Kutschen hoch zum Schloss zu fahren.
Als sie in der Großen Halle ankamen herrschte eine seltsam aufgeregte Stimmung. Der Angriff durch die Dementoren auf den Zug hatte die Schüler verschreckt. Die folgende Einteilung der neuen Schüler auf ihre Häuser war anders als sonst kein freudiger Anlass. Die Atmosphäre war gedrückt und der sonst so frenetische Jubel an den Haustischen über die Neuen hielt sich sichtbar in Grenzen. Schließlich erhob sich Dumbledore und hob gebieterisch die Arme.
„Willkommen, willkommen zu einem neuen Jahr in Hogwarts! Zu allererst möchte ich auf einige Veränderungen im Kollegium aufmerksam machen. Professor Raue-Pritsche geht in den Ruhestand, weshalb das Fach Pflege magischer geschöpfe ab diesem Jahr von niemand anderen als unsere guten Rubeus Hagrid unterrichtet wird!“
Hagrid, der am Lehrertisch saß erhob sich zögerlich und nickte den Schülern zu. Professor McGonnagal zog ihn sanft wieder auf den Stuhl zurück als Hagrid nicht wusste, ob er sich denn nun setzen sollte oder nicht. Der Applaus für ihn hielt sich ohnehin in Grenzen.
„Ernsthaft?“, fragte Draco laut. „Dumbledore macht Hagrid zum Lehrer?“
„Warum nicht?“, entgegnete Harry.
„Weil er ein Halbriese ist, deshalb!“, ereiferte sich Draco.
Harry verdrehte nur die Augen.
„Des weiteren möchte ich euch den neuen Lehrer für Verteidigung gegen die Dunklen Künste vorstellen: Professor Remus Lupin!“, sagte Dumbledore und deutete mit einer ausschweifenden Geste auf Lupin, der am Tisch saß und sich nun erhob und freundlich den Schülern zunickte.
„Ha!“, machte Harry. „Er ist ein Professor!“
„Und nun, zu einer eher ernsten Angelegenheit.“, fuhr Dumbledore fort nachdem sich Lupin wieder gesetzt hatte. „Wie ihr sicher unzweifelhaft bemerkt habt beherbergt die Schule dieses Jahr die Dementoren von Askaban. Das Ministerium hat sie zu unserem Schutz abgestellt, trotzdem ermahne ich jeden Einzelnen von euch sich nicht mit ihnen anzulegen. Dementoren kennen keine Gnade und keine Rücksicht und es ist ihnen egal, ob sie Jagd auf einen Flüchtling machen oder auf Schüler.“
Harry fühlte sich irgendwie seltsam. Das Ministerium hatte die Dementoren in Hogwarts platziert, um sie vor Black zu schützen, aber wer schütze sie dann vor den Dementoren? Er dachte an das was im Zug passiert war. Würde Harry, wenn er wieder einen von ihnen begegnete, wieder in Ohnmacht fallen? Würde er wieder diesen Schrei hören? Er durfte sich das nicht einmal annähernd vorstellen. Da wurde ihm gleich ganz übel!
Nach dem Festessen ging Harry zusammen mit Draco und den anderen Slytherins hinab in die Kerker. Als er später in seinem Bett lag konnte Harry kein Auge zu tun. Immerzu musste er an den Dementor im Zug denken. Es machte ihm Angst. Die letzten Monate hatte er geglaubt seine Angst vor Voldemort und wie er ihn kontrollierte wäre unbeschreiblich groß, doch nun, wo er hier lag, da fürchtete er die Dementoren um einiges mehr. Er fühlte sich schwach. Dabei wollte Harry das nicht. Schlitterte er denn von einem Alptraum in den nächsten?