Sirius Black wusste nicht, wann er sich das letzte Mal gewaschen und rasiert hatte. In Askaban spielte Hygiene nur eine untergeordnete Rolle und sie wurden vielleicht einmal im Monat in eisiges Wasser getaucht. Sirius war froh, dass seine Flucht nun ein jähes Ende gefunden hatte. Zugegeben, das hatte er Dumbledore und nicht zuletzt Remus zu verdanken. Wäre es nach ihm gegangen, dann hätte er Pettigrew umgebracht für das was er getan hatte. Ihm war die Rache wichtiger gewesen, doch nun verstand er warum sein werwölfischer Freund so gehandelt hatte. Anders als Sirius sah er noch eine Chance alles wieder gerade zu biegen.
Für's Erste wurde Sirius bei Remus einquartiert. Er saß in einen Bademantel gewickelt vor dem Kamin und aß das erste Mal seit einer Ewigkeit wieder menschliches Essen. Keine Mäuse oder wilden Kaninchen wie er es im Wald immer getan hatte. Ein Teller mit Sandwiches und dazu ein Glas mit Kürbissaft standen auf dem kleinen Tisch vor dem Kamin. Das alles erinnerte ihn an seine Schulzeit. Viel zu lange war das her.
„Sirius, du bist kein Hund mehr!“, sagte Remus als er sah wie sein Freund gierig ein Sandwich nach dem anderen verschlang und dabei mehr fraß als aß.
„Entschuldige.“, erwiderte Sirius. „Ich war vermutlich zu lange nicht mehr unter Menschen.“
„Zweifellos.“, antwortete Remus. „Nun, vielleicht kannst du mir verraten, was du jetzt tun wirst, wo du frei bist?“
„Darüber habe ich noch nicht nachgedacht.“, gab Sirius zu. „Ich habe monatelang davon geträumt Pettigrew in die Finger zu kriegen und jetzt wo es vollbracht ist fühle ich mich seltsam.“
„Das verstehe ich. Es muss merkwürdig sein nach zwölf Jahren im Gefängnis.“, sagte Remus.
Sirius lehnte sich zurück und sah in die Flammen des Kamins.
„Hmm, so wie ich das sehe bin ich der letzte Überlebende aus einer langen Linie desaströser Gestalten des Hauses Black.“
„Das ist dein erster Gedanke? Dorthin zurück zu kehren?“, fragte Lupin verwundert.
„Wo soll ich sonst hin? Davon abgesehen weiß ich nicht wie sehr das Ministerium diesen Gerichtsprozess in die Länge ziehen wird. Ich kann ja schlecht die ganze Zeit bei unserem Lehrer für Verteidigung gegen die Dunklen Künste wohnen.“
„Da stimme ich dir allerdings zu.“, meinte Remus.
„Außerdem will ich Harry sehen.“, fügte Sirius hinzu.
„Ich weiß nicht, ob das eine gute Idee ist.“, sagte Remus und wirkte dabei fast etwas zerknirscht.
„Warum nicht? Er ist mein Patensohn! Sobald mein Ruf wiederhergestellt ist gibt es gar keinen Grund mehr nicht ...“
„Glaub mir, das ist komplizierter als du denkst.“, antwortete Remus.
„Was soll daran kompliziert sein?“, fragte Sirius.
„Eigentlich will ich nicht derjenige sein, der es dir sagt, aber nach allem was ich gehört habe ...“
„Jetzt spuck es schon aus!“, forderte Sirius ihn auf.
„Du weißt ja, dass er ein Slytherin ist ...“
„Überraschender Weise ja.“, bestätigte Sirius.
„Und das Snape sein Hauslehrer ist ...“
„Was wirklich eine Tortur sein muss!“, meinte Sirius.
„Nun, soweit ich weiß, hat sich Snape um den Jungen gekümmert.“
„Was? Du nimmst mich auf den Arm!“, entfuhr es Sirius.
„Du weißt vielleicht nicht was die letzten Jahre hier vorgefallen ist. Voldemort, oder das was von ihm übrig ist, hat mehrmals versucht Harry zu übernehmen. Frag mich nicht wie und warum, das kann dir Dumbledore sicher besser erklären. Nun, auf jeden Fall hat sich Snape um den Jungen gesorgt und ihm wohl sogar zwei Mal das Leben gerettet.“
„Das hast du dir doch gerade ausgedacht!“, erwiderte Sirius.
„Es ist wahr! Frag Dumbledore oder Minerva! Ich habe es am Anfang auch nicht geglaubt, aber ich sehe wie er mit ihm umgeht. Das hat fast etwas … nun ja … väterliches.“
„Du hast doch getrunken! Remus, wir wissen doch beide, dass du nichts verträgst!“, entgegnete Sirius.
„Hör auf, Sirius! Du kannst es glauben oder nicht, aber wenn du mit Harry umgehen willst, dann wirst du früher oder später an Snape vorbei müssen.“, sagte Remus völlig ernst.
„Ha!“, machte Sirius. „Ich kann es nicht glauben! Wie soll man das glauben? Unser Schnifilus als … nein!“
„Und ich würde diesen Namen lieber nicht benutzen.“, ermahnte Remus ihn.
„Tz! Warum nicht?“, fragte Sirius.
„Wegen des lieben Friedens Willen?“, entgegnete Remus. „Wir sind nicht mehr in der Schule. Ihr müsst euch nicht mehr auf dem Flur prügeln.“
„Schade eigentlich.“, meinte Sirius und grinste.
„Es ist ohnehin das Beste, wenn du dich bedeckt hältst bis der Gerichtsprozess vorbei ist.“, sagte Remus.
„Das klingt ja fast als hätte ich Hausarrest.“, bemerkte Sirius.
„Sei froh, dass sie dir keine Fußfessel verpasst haben! Fudge und Crouch wollten eigentlich deinen Kopf und stattdessen kriegen sie den von Peter.“
„Es nimmt dich ernsthaft mit, oder?“, fragte Sirius.
„Ich kann es einfach nicht glauben, das ist alles. Als ich damals hörte, dass du ihn umgebracht haben sollst, da ist eine Welt zusammengebrochen und jetzt ist es als sei er noch einmal gestorben. Dir ist hoffentlich klar, was es bedeutet, was sie mit ihm tun werden!“, sagte Remus.
„Du denkst doch nicht …!“, begann Sirius.
„Doch! Das Ministerium wird ihm den Kuss verpassen. Das wollten sie eigentlich mit dir tun. Stand vor einigen Tagen in der Zeitung.“
„Tja, ich hätte ihn umgebracht, wenn du nicht Dumbledore involviert hättest. Du kannst dir also aussuchen, was schlimmer ist.“, meinte Sirius grimmig.
„Lässt dich das etwa so kalt?“, fragte Remus.
„Hmpf!“, machte Sirius. „Ich war zwölf, verfluchte Jahre unschuldig in Askaban ohne meinen Verstand zu verlieren. Ja, es lässt mich kalt, was dem Bastard zustößt! Er soll nur seine gerechte Strafe bekommen!“
Remus schwieg bedrückt. Sirius war klar, dass das nicht das war, was sein Freund hören wollte. Sein kleines bisschen Rache wollte Sirius jedoch. Pettigrew hatte sie verraten. Wegen ihm waren James und Lily gestorben und dann inszenierte er noch seinen Tod, sprengte einen ganzen Straßenzug und tötete Unzählige, nur um Sirius loszuwerden. Er hatte sich den Kuss mehr als nur verdient! Er hatte ihnen allen gegenüber keinerlei Gnade gezeigt. Warum hätten sie sie ihm gewähren sollen?
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Am nächsten Morgen war die gesamte Schule in Aufregung versetzt. Spätestens als die Eulen mit der Post kamen und auf dem Tagespropheten groß die Überschrift pragte: „SIRIUS BLACK UNSCHULDIG!“
Auch Harry wühlte der Artikel in der Zeitung auf. Wie konnte das alles sein? Die ganze Zeit erzählte ihm jeder Black sei hinter ihm her und wolle ihn töten und nun war das alles nicht wahr?
Nach dem Unterricht klopfte Harry an der Tür zu Severus' Büro. Das übliche „Herein!“ folgte und er trat ein. Severus saß hinter seinem Schreibtisch und sah von seinen Papieren auf.
„Harry“, sagte er feststellend.
„Hast du davon gehört?“, fragte Harry.
„Hmpf, wer hat denn nicht davon gehört?“, entgegnete Severus. „Du willst vermutlich wissen, ob das wirklich wahr ist.“
„Und? Ist es das?“, wollte Harry wissen.
Severus erhob sich hinter seinem Schreibtisch und kam auf ihn zu. Er steckte die Hände in die Hosentaschen und machte ein zerknirschtes Gesicht.
„Es ist wahr. Ich war gestern Nacht dabei. Black ist tatsächlich unschuldig.“
„Aber wie …?“
„Steht das etwa nicht in der Zeitung?“, fragte Severus und verzog die Miene. „Natürlich nicht. Das Ministerium will vermutlich, dass schnell Gras über die Sache wächst.“
„Also habe ich ein Recht die Wahrheit zu erfahren?“, wollte Harry wissen.
„Dumbledore hat nichts explizit verboten, deshalb nehme ich an, dass dem so ist.“, sagte Severus und kratzte sich an der Schläfe. „Komm, lass uns woanders hingehen.“
Harry folgte seinem Lehrer in seine Privaträume, wo sie sich auf dem Sofa vor dem Kamin niederließen.
„Willst die kurze oder die lange Version?“, fragte Severus.
„Ich will die wahre Version.“, antwortete Harry.
„Nun, wie es aussieht, war Peter Pettigrew doch nicht tot. Er ist ein Animagus, ähnlich wie Black und dein Vater. Peter hat sich all die Jahre versteckt im Körper einer Ratte. Er täuschte seinen Tod vor, um die Schuld Black in die Schuhe zu schieben.“
„Aber warum hat Black dann die Schule angegriffen?“, fragte Harry.
„Das hat er nicht. Er wollte an die Ratte kommen. Pettigrew lebte als Haustier eines Schülers hier und Black wusste das. Deshalb ist er überhaupt erst ausgebrochen nachdem er es erfahren hat. Ziemlich witzige Geschichte.“
„Also war ich nie in Gefahr?“, entgegnete Harry.
„Genau.“, antwortete Severus knapp.
„Also war dieser ganze Trubel völlig umsonst?“, wollte Harry wissen und verzog das Gesicht als habe er auf etwas Saures gebissen.
„Hmm, nicht unbedingt. Pettigrew wurde dem Ministerium übergeben. Er war es schließlich der deine Eltern verraten hat, nicht Black. So ungern ich es auch zugebe, aber das ist vermutlich besser als die alternative Variante wie das alles hätte ausgehen können.“
Harry schwieg für einen Augenblick.
„Aber Sirius Black ist trotzdem mein Pate, oder?“, fragte er schließlich.
„Ja.“
„Das heißt, er ist der letzte noch lebende Teil meiner Familie?“, sagte Harry.
„Ich ahne worauf du hinaus willst.“, bemerkte Severus und er klang dabei alles andere als glücklich.
„Kann ich ihn sehen?“, fragte Harry.
„Da musst du wohl Dumbledore fragen und nicht mich.“, versuchte Severus auszuweichen.
„Können wir ihn dann fragen gehen?“, wollte Harry wissen.
Severus atmete tief, doch dann erhob er sich und bedeutete mit einer Handbewegung ihm zu folgen. Harry ging mit seinem Lehrer hoch in das Büro des Schulleiters. Dieser saß wie immer hinter seinem Schreibtisch.
„Professor Snape, Harry, wie kann ich euch helfen?“, fragte Dumbledore.
„Mister Potter hat eine Frage an Sie, Sir.“, sagte Severus und verschränkte die Arme hinter dem Rücken.
„Ähm ja, Sir, es geht darum … nun, um Sirius Black. Er ist mein Pate und ich habe mich gefragt, nachdem was passiert ist, na ja, ob ich ihn sehen könnte.“
Der Schulleiter erhob sich hinter seinem Schreibtisch und kam auf Harry zu.
„Das lässt sich sicher einrichten, wenn du es möchtest. Immerhin ist er kein gesuchter Mörder mehr.“
Bei dem letzten Satz sah Dumbledore Severus durchdringend an. Der brummte nur etwas in sich hinein und wandte den Blick ab. Harry verstand nicht, doch im Augenblick war es ihm egal. Wenn Black seine letzte, noch lebende Verbindung zu seinen Eltern war, dann wollte er mit ihm reden.
„Wo ist er?“, fragte Harry.
„Bei Professor Lupin. Severus, würden Sie Harry begleiten?“, sagte Dumbledore.
„Natürlich.“, antwortete Severus, doch er wirkte irgendwie unzufrieden. Harry hatte keine Ahnung, was da gerade unterschwellig vor sich ging. Offensichtlich war es Severus unangenehm ihn zu Black zu begleiten. Als sie bei Lupin ankamen klopfte sein Lehrer gegen die Tür. Einige Augenblicke später öffnete dieser.
„Harry?“, fragte Lupin überrascht und sah zu Severus. Der antwortete jedoch nicht.
„Professor Dumbledore sagte ich dürfte Mister Black sehen.“, sagte Harry.
„Ssssch! Nicht hier!“, machte Lupin und ließ sie ein. Zu Harrys Überraschung fand er Sirius auf dem Sofa herumlümmelnd in einen Bademantel gekleidet. Er sah anders aus als auf den Fahndungsplakaten. Sauberer. Gepflegter.
„Tatze, sieh mal wer da ist.“, sagte Lupin. Harry fragte sich warum sein Lehrer ihn so ansprach. Black setzte sich auf und lächelte ihn an.
„Harry!“, sagte er und seine Stimme klang ganz anders als sie sich Harry vorgestellt hatte. Viel weicher. Black erhob sich endgültig von dem Sofa. Für einen Moment blieb sein Blick an Severus hängen und Harry bemerkte wie die beiden sich taxierten. Dann jedoch wandte er sich wieder Harry zu.
„Du bist also mein Pate.“, sagte Harry feststellend.
„Der bin ich.“, antwortete Black.
„Und du hast meine Eltern nicht umgebracht.“
„Nein, das habe ich nicht.“, entgegnete Black.
„Das ist ja schon mal was.“, meinte Harry.
„Du hast es sicher in der Zeitung gelesen.“, sagte Black.
„Ja, und Severus hat mir erzählt was passiert ist. Das Sie unschuldig sind und so.“
„Harry, ich möchte, dass du weißt, dass ich deinen Vater und deine Mutter geliebt habe. Ich hätte sie niemals verraten! Anders als andere Leute.“, erwiderte Black.
„Sie meinen Pettigrew.“, schloss Harry.
„Ja.“, antwortete Black knapp.
„Kannten Sie meine Eltern gut?“, fragte Harry.
„Ich war ihr bester Freund. Genauso wie Remus und wie wir damals dachten auch Peter. Keiner von uns hatte geahnt, dass er uns so hintergehen würde.“
Nun ging Harry ein Licht auf. Black, Lupin, Pettigrew … sie waren die Clique mit der sein Vater immer rumhing und für die Severus nie ein gutes Wort übrig hatte, wenn er ihn danach fragte. Deshalb stand er auch mit verschränkten Armen und finsterem Blick an die Tür gelehnt. Es passte ihm ganz offensichtlich nicht.
„Aber das ist vorbei.“, sagte Black. „Es ist endlich die Wahrheit ans Licht gekommen und die Dinge wurden gerade gerückt.“
„Werden Sie hier bleiben? In Hogwarts?“, fragte Harry.
„Nun, das weiß ich noch nicht genau, aber sobald es die Lage zulässt werde ich wohl nach London zurückkehren. Vor Askaban war ich durchaus ein respektabler Mann.“
Harry hörte wie Severus losprustete.
„Hast du ein Problem, Schnifulus?“, fragte Black und sein Tonfall verfinsterte sich.
„Oh nein, was sollte ich denn nur für ein Problem haben?“, erwiderte Severus und verzog das Gesicht.
„Komm schon, sag es mir ins Gesicht!“, forderte Black ihn auf.
Severus antwortete nicht, sondern fixierte sein Gegenüber nur mit den Augen.
„Hab ich mir gedacht.“, meinte Black. „Du warst eben schon immer feige, wenn's drauf ankam.“
„Sirius ...“, begann Lupin sich einzumischen, doch zu spät. Severus' Faust schnellte nach vorn und traf genau Blacks Auge. Unter einem Schmerzensschrei taumelte er zurück.
„Das reicht!“, ging Lupin dazwischen als Severus schon erneut die Faust hob. „Harry, es tut mir wirklich leid.“
Lupin legte seinen Arm um Harrys Schulter und führte ihn hinaus. Er wollte ganz offensichtlich nicht, dass Harry dabei zusah wie Severus und Black sich prügelten. Vor der Tür hörten sie jedoch etwas Splittern als habe einer dem anderen ein Möbelstück über den Kopf gezogen.
„Herrgott nochmal!“, entfuhr es Lupin genervt.
„Warum hassen sich die beiden so?“, fragte Harry.
„Vermutlich weil sie das schon immer taten und sie einfach nicht aus ihrer Haut können. Es tut mir leid, dass du das mit ansehen musstest. Ich hatte gehofft zwölf Jahre würden reichen, um sich endlich wie erwachsene Menschen zu verhalten.“, sagte Lupin. „Lass dich von diesem ersten Eindruck nicht täuschen. Sirius ist ein guter Mensch.“
„Hmm.“, machte Harry nur. Er wusste noch nicht, was er von alldem halten sollte.