Es dauerte keinen Tag ehe nicht alle in Hogwarts wussten, was sich in Lupins Unterricht ereignet hatte. Severus kochte vor Wut, weil dieser verdammte Werwolf es wagte ihn auf diese Art bloß zu stellen. Longbottom hätte er genau so gerne eine runter gehauen, einfach weil er da war!
Als ob Dumbledore seinen brodelnden Zorn spürte ermahnte er ihn die Ruhe zu bewahren. Wie immer sah er nur das Gute im Menschen und meinte, dass der Vorfall mit Neville doch sicher keine Absicht gewesen sei. Pah, er kannte Lupin halt nicht so wie Severus! Zusammen mit seinen Freunden hatte er ihm das Leben zur Hölle gemacht. Bei jeder Gelegenheit, die sich ihnen bot waren die Vier auf ihn losgegangen. Meist angestiftet von James oder Sirius. Wahrscheinlich war Lupin nur froh, dass er nicht auf der Abschussliste stand. Als Werwolf war man schließlich ebenso ein Außenseiter.
In den letzten zwei Jahren hatte Severus kaum daran gedacht, auch weil er sich um Harry gekümmert hatte und auf die ein oder andere Art ein Vater für ihn geworden war. Jetzt jedoch brach alles wieder hervor. Sein ganzer, alter Hass auf James Potter und seine dummen Freunde! Und Lupin war nun einmal ein ganz besonders heikles Thema. Einem Werwolf war grundsätzlich nicht zu trauen, schon allein, weil zwei Herzen in seiner Brust schlugen. Das des Menschen und das der Bestie. Severus hatte Letzteres während seines Dritten Schuljahres erlebt als Sirius Black ihn beinahe an das Monster verfüttert hätte. Und James Potters edle Heldentat bei der er ihm rettete war nichts weiter als Eigennutz. Es ging ihm um seine eigene Haut, weniger darum Severus zu helfen. Er hatte das nicht vergessen. Black war heimtückisch und Lupin im besten Fall nur unkontrollierbar.
Trotzdem hielt sich Severus an seine Abmachung mit Dumbledore und versorgte den Werwolf mit dem Wolfsbanntrank. Ein Gebräu, dass dafür sorgte, dass die Verwandlungen Lupin nicht um den Verstand brachten. Der Schulleiter wollte sie dazu zwingen sich zu vertrauen. Hätte Severus den Trank verpfuscht, dann wäre Lupin im besten Fall gestorben und im schlimmsten als rasendes Ungetüm in der Schule unterwegs gwesen. Also hielt Severus die Füße still. Er wagte es jedoch nicht zu hoffen, dass Lupin sich an seinen Teil der Abmachung halten würde. Daher hielt er ihn genau im Auge.
Das alles ging Severus durch den Kopf als es am Abend an seiner Tür klopfte.
„Herein!“, sagte er harsch. Die Tür öffnete sich und Harry trat ein. Sie hatten sich zu einer weiteren Stunde Okklumentik verabredet.
„Wie war deine Woche?“, fragte Severus ihn.
„Erstaunlich.“, antwortete Harry.
„Ach?“, machte Severus.
„Ja, dieser Lupin ist vermutlich der erste Lehrer in Verteidigung gegen die Dunklen Künste bei dem wir tatsächlich etwas lernen.“
„Hmm.“, brummte Severus nur.
„Ich schätze, du hast von dem Vorfall mit dem Irrwicht gehört?“, fragte Harry gerade heraus.
„Ja.“, antwortete Severus knapp.
„Du darfst es Neville nicht übel nehmen. Er hat eben eine Scheißangst vor dir.“, sagte Harry. „Gut, zugegeben, es war schon lustig.“
„Ich wette ihr hattet euren Spaß mit mir.“, meinte Severus finster.
„Du hättest Dracos Irrwicht sehen müssen! Es war sein Vater und er ist aus dem Raum gestürmt. Seitdem ist er irgendwie komisch.“, entgegnete Harry.
Severus verwunderte das nicht. Lucius legte viel wert auf die alten, reinblütigen Tugenden und auf einen Erziehungsstil von vorgestern. Er wusste das Draco hin und wieder eine gescheuert bekam. Vielleicht auch mehr.
„Wie war es bei dir?“, fragte Severus.
„Lupin hat mich daran gehindert. Er dachte der Irrwicht würde sich in Voldemort verwandeln.“, sagte Harry und zuckte mit den Schultern.
„Und tat er das?“, wollte Severus wissen.
„Es war ein Dementor. Seit dieser Sache im Zug muss ich unentwegt daran denken.“
Severus nickte.
„Die Dementoren zwingen uns unsere schlimmsten Augenblicke immer wieder zu durchleben.“
„Der Schrei den ich gehört habe. Es war eine Frau. Es war ...“ Harry brach ab, ihm schien bewusst zu werden, was oder besser gesagt wen er da hörte.
„Deine Mutter.“, beendete Severus den Satz. „Du bist nicht schwach, Harry. Du hast entsetzliches durchlebt. Wenn überhaupt, dann muss man die Dementoren verantwortlich machen.“
Trotz seiner alten Wut auf Lupin musste er ihm innerlich danken, dass er den Jungen nicht erneut einem dieser Monster ausgesetzt hatte. Selbst ein von einem Irrwicht imitierter Dementor war für den Betreffenden noch schlimm.
„Fühlst du dich in der Lage für das Training oder sollen wir es lieber verschieben?“, fragte Severus. Wenn Harry durch die Dementoren zu angeschlagen war, dann wäre es ohnehin nicht sinnvoll mit der Okklumentik fortzufahren.
„Doch! Doch!“, erwiderte Harry schnell.
„Gut, wenn du das sagst. Also dann, leere deinen Geist.“
Harry atmete tief durch und schloss seine Augen. Severus zog seinen Zauberstab.
„Bereit?“, fragte er. Harry nickte.
„Legilimens!“
Sofort spürte Severus die Barriere im Kopf des Jungen. Allerdings fühlte sie sich schon bei seinem vorsichtigen herantasten sehr schwach und wackelig an. Severus brach ab und zog sich aus Harrys Kopf zurück.
„Was ist los?“, fragte der Junge und sah ihn an.
„Du spürst es doch selbst, oder? Die Dementoren setzen dir zu. Solange das so ist werde ich dich nicht weiter unterrichten können. Wäre ich in deinen Kopf gedrungen, dann hätte ich dich sofort überwältigt.“
„Und was soll ich deiner Meinung nach tun?“ Harry wirkte enttäuscht. Er ließ den Kopf und die Schultern hängen als habe er gerade fürchterlich versagt.
„Ich bringe dir einen anderen Zauber bei. Schwierig aber nützlich gegen die Dementoren. Man nennt ihn den Patronus. Es ist eine Art Schutzschild könnte man sagen. Mit ihm kannst du sie dir vom Leib halten, wenn sie das nächste Mal kommen.“, erklärte Severus.
„Und wie geht der?“, wollte Harry wissen.
„Du musst ein das glücklichste Erlebnis denken, was dir einfällt und wenn du es hast sprichst die Worte Expacto Patronum. Glaub mir, das klingt viel einfacher als es ist. Erst recht in der Gegenwart eines Dementors.“
„Da ist aber ein Haken, oder?“, sagte Harry. „Wir brachen einen Dementor zum üben.“
„Überlass das mir.“, antwortete Severus. „Es ist ohnehin besser erst einmal trocken zu trainieren.“
Harry nahm seinen Zauberstab. Wie erwartet war bereits die richtige Betonung des Zaubers ein gewisses Hindernis. Ebenso die Verknüpfung mit der entsprechenden Erinnerung. Harry versuchte es immer wieder ohne das etwas geschah. Severus würde keinen wie auch immer gearteten Dementor auf Harry loslassen solange er nicht wenigstens einen formlosen Patronus zustande brachte. Alles andere wäre sowohl für Harry als auch Severus nur frustrierend.
Die nächsten Wochen trafen sie sich wenigstens einmal in der Woche, um zu üben. Nur langsam wurde Harry besser. Severus hatte selbst ewig gebraucht bis zu seinem ersten halbwegs gelungenen Patronus. Er kannte das Problem, wenn man zu wenig Gutes erlebt hatte, um daraus eine glückliche Erinnerung zu fischen mit der man den Zauber auch in Gegenwart mehrerer Dementoren aufrecht erhalten konnte. Es war die Angst vor der Angst mit der man fertig werden musste. Da waren schon ganz andere dran gescheitert.
Währenddessen machte sich Severus daran einen zumindest halbwegs echten Dementor zu besorgen. Dummer Weise bedeutete das, dass er seinen berüchtigten Groll dafür beiseite schieben musste. Er hatte keine große Lust darauf Lupin davon zu erzählen, doch der Mann hatte einen Irrwicht im Schrank. Severus hatte weder Zeit noch die Lust durch das Schloss zu stromern und zu hoffen irgendwo einen weiteren zu finden. Also ging er zum Büro des Werwolfs und klopfte.
„Ja!“, hörte er Lupin rufen. Severus trat ein. Lupin, der hinter seinem Schreibtisch saß, blickte ihn verwundert an.
„Severus? Das nenne ich mal eine Überraschung.“
„Könnte ich mir für eine Weile Ihren Irrwicht leihen, Professor Lupin?“, fragte Severus und versuchte es neutral und förmlich klingen zu lassen.
„Wofür brauchst du denn einen …?“ Lupin stockte und lehnte sich zurück. Er sah Severus genau an, doch sein Gegenüber legte das beste Pokerface auf, dass er hatte.
„Geht es um die Sache von neulich?“, fragte Lupin. „Ich versichere dir, dass es sich um einen Unfall handelte.“
„Ich bin nicht hier, um über deinen Unterricht zu plaudern.“, erwiderte Severus.
„Nicht? Na gut, wofür braucht der Meister der Zaubertränke dann einen Irrwicht?“, entgegnete Lupin.
Severus biss sich auf die Zunge. Warum musste dieser Werwolf so unfassbar neugierig sein? Konnte er nicht einfach tun worum er ihn bat?!
„Ich brauche ihn für ein Experiment.“, sagte Severus schließlich.
„Mir fällt kein Zaubertrankrezept ein bei dem zerkleinerter Irrwicht eine Rolle spielt.“, erwiderte Lupin.
„Was ich damit mache geht dich überhaupt nichts an!“, fuhr Severus ihn an.
„Doch, tut es! Weißt du eigentlich wie schwer die Dinger zu bekommen sind?“
Severus taxierte Lupin und dieser starrte zurück. Ach verdammt nochmal! Er setzte sich auf den Stuhl vor Lupins Schreibtisch.
„Also schön, dann versuchen wir es eben so.“, grummelte Severus. „Harry hat mir erzählt, was im Unterricht vorgefallen ist. Wie du ihn abgehalten hast dem Irrwicht zu begegnen.“
Lupin antwortete nicht sofort. Er verschränkte die Arme vor der Brust und blickte Severus zweifelnd an.
„Dumbledore hat zwar etwas angedeutet, aber ich konnte mir einfach nicht vorstellen, dass ausgerechnet Severus Snape sich dazu herablassen würde sich um den Sohn von James Potter zu kümmern.“
„Dir muss das ja wie ein Witz vorkommen.“, sagte Severus und lachte hohl.
„Nun, ich habe die Pointe noch nicht so recht verstanden.“, erwiderte Lupin.
„Es gibt keine Pointe.“
„Nicht? Wo ist dann der Witz daran?“, wollte Lupin wissen.
„Ich brauche den Irrwicht, um Harry den Patronus beizubringen. Wärst du also so gütig ihn mir zu leihen?“
„Einen Patronus? Da hast du dir aber was vorgenommen.“, erwiderte Lupin.
„Ich brauche wohl kaum deine Erlaubnis, um einen meiner Schüler zu unterrichten.“
„Natürlich nicht. Ich finde es nur höchst wunderlich. Du hast nie den Eindruck gemacht als würde dich das Schicksal des Jungen interessieren.“, entgegnete Lupin.
„Vielleicht hat dir Dumbledore auch erzählt, was in den letzten zwei Jahren hier los war?“
„Das hat er.“, antwortete Lupin.
„Dann kannst du dir vielleicht denken warum ich mich um ihn kümmere.“, sagte Severus ungehalten. „Und jetzt sei so frei und tu worum ich dich bitte!“
„Nun gut.“ Lupin erhob sich und ging zu einer Kiste hinter sich, die mit einigen Ketten gesichert war. „Hier. Und bitte bring ihn mir in einem Stück zurück.“
Severus verzog genervt das Gesicht und nahm die Kiste an sich.
„Danke.“, sagte Severus mit all seiner Überwindung und verließ das Büro. Lupin sah ihm hinterher.
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Nachdem Snape gegangen war blieb Lupin in seinem Büro zurück. Dumbledore hatte ihm vor dem Antritt seiner Stelle erzählt, dass Harry ausgerechnet nach Slytherin gekommen war, ebenso – und das erstaunte ihn am Meisten – dass sich ausgerechnet Severus um ihn bemühte in einer Weise, die dem eines Vaterersatzes wohl mit am nächsten kam. Snape hatte nach dem Krieg und auch davor nie einen Hehl daraus gemacht, was er von James, Sirius und nicht zuletzt ihm, Remus Lupin, hielt. Es war ihm nicht zu verdenken. Ihre Clique und Snape hatten sich bis aufs Blut gehasst. Auch nach der Schule noch. Der Krieg hatte ihre Fronten scheinbar klar getrennt.
Anders als James hielt er es jedoch nie für einen Gag, dass Severus irgendwie in Lily verliebt war. Und nach ihrem Tod hatte auch Remus wahrgenommen wie der düstere Slytherin daran fast zerbrach. Er hatte schließlich Augen im Kopf! Dumbledore hatte ihn in vielerlei Hinsicht vermutlich das Leben gerettet als er ihn hier als Lehrer anstellte. Allem zum trotz hatte Snape jedoch bereits vor Harrys ersten Jahr in Hogwarts immer klar gemacht, dass er nichts von dem Jungen hielt. Er hatte ihn immer abfällig „Potters Nachgeburt“ genannt. Absolut nichts wollte er mit Harry zu tun haben. Das er sich jetzt scheinbar um ihn kümmerte sorgte nicht nur bei Remus für gewisse Irritation. Vielleicht lag es daran, dass der Hut den Jungen nach Slytherin geschickt hatte. Das zwang ihn vermutlich automatisch sich mit ihm zu beschäftigen.
Remus hatte mehr als einmal seine Sorge gegenüber Dumbledore zum Ausdruck gebracht, dass Severus dem Jungen womöglich das Leben unnötig schwer machen würde. Er wusste schließlich wie Snape war. Schon damals als sie noch Schüler waren.
Remus schüttelte Gedankenverloren den Kopf. Das Leben hielt eben doch noch Überraschungen bereit. Wer hätte schon ahnen können, dass sich ausgerechnet sein alter Schulkamerad in diese Richtung entwickeln würde? Eine Ironie des Schicksals, oder? Auf jeden Fall würde es spannend bleiben.
Remus hoffte nur, dass Sirius klug genug war sich von Hogwarts fern zu halten. Er wusste natürlich, dass Dumbledore ihn nicht angestellt hätte, wenn Sirius nicht aus Askaban geflohen wäre. Er wollte sichergehen, dass, falls er nach Hogwarts kam, jemand in seiner Nähe war, der ihm nahe stand. Na ja, so nahe Remus ihm stehen konnte nach zwölf Jahren Askaban. Dumbledore war nie von der Version des Ministeriums am Tathergang überzeugt gewesen. Remus musste gestehen, dass er nicht wusste auf wessen Seite er bei dieser Geschichte stehen sollte. Sirius war sein bester Freund gewesen. Vermutlich ein noch engerer als James. Aber er wusste auch dass er schon damals in der Schule zu unüberlegten, spontanen Übersprungshandlungen neigte. Wenn ihn Askaban also nicht doch wahnsinnig hatte werden lassen, war die Frage, ob er Sirius überhaupt wiedererkennen würde. Auf den Fahndungsfotos sah er immer aus als sei nicht mehr viel von dem Mann übrig, den er einst gekannt hatte.
Remus wurde schwermütig bei dem Gedanken. Die Jahre nach dem Krieg hatte er versucht damit klar zu kommen, dass seine besten Freunde tot oder im Gefängnis waren. Alleine hatte er sich durchgeschlagen. Die Einsamkeit gesucht und sich teilweise aus der Welt der Magier zurück gezogen. Als Aushilfslehrer hatte Remus sich über Wasser gehalten. Wer wollte schon einen Werwolf als Mitarbeiter? Wohl nur solche Leute wie Dumbledore. Es war kein gutes Gefühl wieder hier zu sein. Alles fühlte sich nach einem unendlichen Deja Vu an. Als hätte Remus das alles schon mal erlebt, aber aus einer anderen Perspektive. Er hoffte wirklich Sirius würde sich fern halten. Um seines und um ihres Willen.