Es ist Sommer in New Orleans des Jahres 1850. Die Hitze in diesem Jahr ist beinahe unerträglich. Zum Glück ist es nicht so schwül. Hunderte von Zikaden singen fast ohne Pause, während die Luft flimmert, die Sonne unbarmherzig auf die Stadt niederbrennt und die dort lebenden Menschen fast an den Rand des Wahnsinns treibt. Das Land lechzt nach Wasser. Doch kein einziges Wölkchen ist am Himmel zu sehen, welches den lang ersehnten Regen bringen könnte.
Sarah saß mit ihrem Baby im Arm auf der überdachten Veranda ihres Elternhauses. Die Eltern der jungen Frau, Anna und David McPherson, waren bereits vor einundzwanzig Jahren, mit ihrer damals einjährigen Tochter, aus England hierher ausgewandert. Sie hofften, in diesem verheißungsvollen fremden Land ihr Glück zu finden.
Fast wehmütig hing Sara ihren Erinnerungen an die eigene Vergangenheit nach. Damals waren ihre Eltern etwa in dem Alter wie jetzt sie selbst, als sie diesen großen Schritt wagten und die ewig dauernde, anstrengende Reise über das große Wasser des Atlantik in Richtung Amerika auswanderten, um dort ihr Glück zu finden. In England hatten sie ein recht bescheidenes Leben des Mittelstandes auf dem Land geführt. Oft erzählten sie Sarah Episoden aus ihrer eigenen Kindheit, die Anna bereits zum größten Teil mit dem jugendlichen David gemeinsam verbracht hatte. Eine Kinderfreundschaft halt, wie es unter Nachbarn oft üblich ist.
Anna und David hatten gerade das Erwachsenenalter erreicht, als ein hässlicher Unfall den Eltern von Sarahs Mutter das Leben kostete. David kümmerte sich rührend um die nur ein Jahr jüngere Nachbarin, die jetzt ohne jeglichen familiären Halt auskommen musste. Dadurch wurde die Verbindung zwischen ihnen jedoch nur noch intensiver und sie beschlossen zu heiraten, um ihr Leben zukünftig gemeinsam zu verbringen. Die Hochzeit wurde recht einfach nur im engerem Kreis gefeiert. Für ein großes, rauschendes Fest war kein Geld vorhanden. Schon damals schworen sie sich, ihre Kinder sollten es einmal besser haben als sie selbst.
Elf Monate nach der Hochzeit wurde die kleine Sarah geboren. Die Vorbereitungen für die Auswanderung nach Amerika liefen bereits damals schon auf Hochtouren. Als das Mädchen neun Monate alt war, konnte die weite Reise über den Ozean beginnen. Oft erzählten ihre Eltern von der beschwerlichen, etwa drei Monate dauernden Fahrt mit einem Segelschiff. Leider war ihnen der Wind nicht gnädig. Drei Wochen lang ließ eine heiße Flaute das Schiff sich kaum von der Stelle bewegen. So kamen sie mit viel Verspätung auf dem fremden Kontinent an.
Sarah erinnerte sich, wie der Vater ihr zum zehnten Geburtstag erzählte, dass sie genau an dem Tag, als sie ein Jahr alt wurde, zum ersten Mal im New Yorker Hafen amerikanischen Boden betraten. Zur Feier des Tages bekam sie von den Zollbeamten sogar Süßigkeiten geschenkt und wurde sehr von ihnen verwöhnt. Das war wohl der erste Lichtblick nach der langen, meist eintönigen Seefahrt.
Die junge Familie verbrachte die erste Nacht in einer schäbigen Notunterkunft für Einwanderer, die ihnen die Beamten vermittelt hatten. Danach machten sie sich am nächsten Tag, wie sie es geplant hatten, auf den langen beschwerlichen Seeweg nach New Orleans.
Dort angekommen, stand gleich das nächste Problem an, eine Unterkunft zu finden, in der sie für längere Zeit bleiben konnten, die aber nicht sofort ihre restlichen Ersparnisse auffraß. So fanden sie Unterschlupf in einer kleinen Pension im Quartier Latin, die mehr als notdürftig eingerichtet war. Doch für den Anfang war das erst einmal ausreichend.
Gleich am nächsten Tag nach ihrer Ankunft machte sich ihr Vater auf die Suche nach Arbeit. Von irgendwas mussten sie ja leben. Ihre finanziellen Reserven waren von der Überfahrt nach Amerika fast aufgebraucht. Die immensen Preise für Lebensmittel und Wasser auf dem Segler riss große, kaum wieder zu füllende Löcher in ihren Geldbeutel. Drei Wochen nach ihrer Ankunft in New Orleans hatte Sarahs Vater Glück. Er fand eine Anstellung als Verwalter bei Sam MacAllister, dem Besitzer einer in der Nähe gelegenen Baumwollplantage. Dieser stellte ihnen auch ein kleines Häuschen zur Verfügung, das sie bewohnen konnten, solange Sarahs Vater bei ihm in Lohn und Brot stand.
Die Freude über so viel Glück war groß. Innerhalb kurzer Zeit siedelten sie samt ihrer wenigen Habseligkeiten in ihre neue Unterkunft auf der Baumwollfarm um. Sarahs Mutter gab sich die größte Mühe, mit den knappen Mitteln, die sie hatten, das Haus so wohnlich und gemütlich wie möglich zu gestalten.
So wuchs Sarah zwar in bescheidenen Verhältnissen auf, aber trotzdem fehlte es ihr an nichts. Sie fand auch Anschluss an Joshua, den zwei Jahre älteren Sohn des Großgrundbesitzers, dem einzigen Kind von Angelina und Sam MacAllister. Bald konnte sie im großen Herrenhaus ein und ausgehen, wie es ihr beliebte. Sie wurde bald auch eine sehr beliebte Spielgefährtin der Kinder der anderen Plantagenbesitzer, jedoch auch der Kinder der Sklaven, die auf der Plantage arbeiteten und lebten. Sie alle liebten vor allem Sarahs heiteres und sonniges Wesen.
Ihr Vater bekam bei dem Großgrundbesitzer bald einen sehr guten Stand. Schnell erarbeitete er sich Sam MacAllisters Vertrauen. Dieser ließ ihm bei der Verwaltung der Farm schnell freie Hand, da er erkannte, sein neuer Mitarbeiter gab alles, um die Plantage auf immer bessere Füße zu stellen. Mit am wichtigsten erschien es dem Boss, auch gut mit den schwarzen Sklaven auszukommen. So konnte er jeglichen Ärger vermeiden. Das war damals eher selten, aber auch MacAllister erkannte, es konnte sehr nutzbringend sein, denn Streit verhindert gute Arbeit. Auch David hatte ebenfalls ein Händchen dafür, mit den Sklaven umzugehen.
Innerhalb von knapp zwei Jahren verdoppelte sich Davids Lohn. Davon wurde gespart was ging, so konnte der junge Familienvater von dem Ersparten in der Nähe der Stadt bald ein eigenes kleines Stück Land kaufen, das damals noch billig zu haben war.
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Als Sarah zehn Jahre alt wurde, war genug Geld für den Bau eines Hauses auf ihrem eigenen Grundstück zusammengekommen. Bald konnten sie in das kleine schmucke, neu gebaute Stadthaus umziehen. Leider hatte das Leben dort für Sarah den Nachteil, dass der Kontakt zu ihrem Jugendfreund Joshua fast völlig abbrechen musste. Der Weg in die zwei Reitstunden entfernte Plantage war einfach zu weit, um dort täglich hinzugehen.
Dazu kam, jetzt ging sie auch zu Schule. Aus war es mit dem etwas laschen Privatunterricht im Herrenhaus der MacAllisters. So schlief nach und nach der Kontakt zu Sarahs Freund fast gänzlich ein. Doch wie Kinder so sind, fand sie in der Stadt schnell Anschluss zu den anderen Kindern. Schon nach kurzer Zeit hatte Sarah neue, gute Freundinnen gefunden.
Vater David verdiente weiterhin gutes Geld auf der Plantage der MacAllisters. Zum Leidwesen seiner Frau und von Sarah kam der nur zum Wochenende in die Stadt, wenn notwendig auch das nicht.
So wuchs im Laufe der Jahre jedoch auch das Vermögen der MacPhersons. Die Eltern erwarben nach und nach immer mehr Grund und Boden. So wurde aus dem anfänglich bescheidenen Haus im Laufe der Zeit eine kleine Villa. An– und Umbauten wurden vorgenommen, Gärten angelegt, Brunnen gegraben, Bäume gepflanzt. Inzwischen hatte Mutter Anna auch Bedienstete eingestellt, die ihr die grobe Hausarbeit abnahmen. So konnte sich Anna intensiv um ihre Tochter kümmern. David kam, wie gesagt, nur über das Wochenende nach Hause, täglich zwei Stunden Ritt zur Plantage und wieder zurück wären einfach zu viel geworden. Auf der Farm bewohnte er immer noch das kleine Häuschen, das ihm Sam MacAllister zu Beginn seiner Anstellung zur Verfügung gestellt hatte. So hatten Anna und Sarah in den Schulferien die Möglichkeit, Zeit dort zu verbringen.
So viel Glück sie fern der Heimat gefunden hatten, so unglücklich waren sie bald, jetzt wo es ihnen besser ging, dass sie es nie schafften weitere Kinder zu bekommen.. So sehr sie es sich auch wünschten; Sarah blieb ein Einzelkind.
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Sarah war gerade fünfzehn, das Glück in der Familie war groß, als etwas Schlimmes geschah: das Familienoberhaupt David wurde auf einem seiner Kontrollritte über die ausgedehnten Ländereien seines Arbeitgebers von Räubern überfallen und getötet. Und das nur wegen den wenigen Dollars, die er mit sich trug. Es waren vermutlich vagabundierende und geflohene Sklaven.
Fortan waren Sarah und ihre Mutter auf sich alleine gestellt. Da nun der Ernährer fehlte, konnten sie sich auch keine Bediensteten mehr leisten und mussten alle entlassen. Außerdem verkaufte Anna auch einige der Ländereien. Den Erlös daraus legte sie fest an, um in Notzeiten darauf zurückgreifen zu können. Nur das kleine Stück Land behielt sie, auf dem ihr Haus stand, welches sie sich mit ihrem Gatten vom Munde abgespart hatte. David konnte zwar im Laufe der Jahre ein kleines Vermögen ansammeln, von dem sie jetzt einige Zeit zehren konnten, doch Anna wollte sich nicht gänzlich darauf verlassen, nur von diesem Geld zu leben.
Sarah sah, wie ihre Mutter jeden Tag mehr unter dem Verlust ihres Mannes litt. Sie arbeitete fast Tag und Nacht und dachte nie an sich selbst. Sie fand sogar eine Anstellung in einem kleinen Laden in New Orleans, in dem sie täglich für ein paar Dollar einige Stunden aushalf.
Der jungen Frau tat ihre Mutter leid, so wie sie litt. Nur zu oft bat sie ihre Mutter, sich einen neuen Ehemann zu suchen, denn irgendwann, so hoffte sie, würde sie auch einen passenden für sich selbst finden, den sie heiraten und dem sie in sein Haus folgen würde.
Doch ihre Mutter wiegelte Sarahs Bitten immer wieder ab. Sie wolle keinen anderen Mann, war jedes Mal ihre Rede. Sie habe dies ihrem David geschworen, als sie nach Amerika auswanderten.
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Sam MacAllister bot ihnen nach dem Überfall mehrmals an, wieder zum Gut umzuziehen und dort ohne Miete zu leben. Sein Anliegen war es, der verwitweten Frau und dem halbwaisen Mädchen Gutes zu tun. Immerhin war sein Verwalter David ihm immer gut gesonnen und hatte mit seinem Wissen Sams Hab und Gut vermehrt. Jedoch Anna lehnte seine Bitte immer wieder ab. Sie wollte nicht auf Kosten anderer leben. Sie hätte dann auch ihr geliebtes Haus verlassen müssen. Davids ehemaliger Boss tat sein Bestes, um der Frau seines verstorbenen Verwalters zu helfen. Es war für ihn, den allseits geachteten Großgrundbesitzer eine Selbstverständlichkeit, dies zu tun.
Als Sarah achtzehn Jahre alt geworden war, kümmerte sich ihr ehemaliger Spielgefährte Joshua wieder sehr viel mehr um sie. Er hatte gerade die höhere Schule beendet und suchte nun wohl den Umgang mit dem anderen Geschlecht. Fühlte sich Sarah schon als Kind von ihm angezogen, so malte sie sich heute immer wieder aus, wie es wohl wäre, irgendwann einmal seine Frau zu werden. Sie träumte davon, wie er sie in einer großen Kutsche zur Kirche abholen und sie ihm dort die ewige Treue und Liebe schwören würde. Da sie aber von einem niedrigeren Stand als Joshua war, kam ihr immer öfters der Gedanken, dass er womöglich nie um ihre Hand anhalten würde. Da ihr de Idee, ihn zum Ehemann zu bekommen, immer besser gefiel, blieb ihr nur übrig, sich passendes einfallen zu lassen, um ihn zu umgarnen.
Ein paar Monate nach ihrem achtzehnten Geburtstag kam er auf seinem Hengst angeritten, elegant angezogen, fesch, jung und voller Elan. Vor ihrem Haus hielt er an, sprang vom Pferd und band es an der Brüstung fest.
Sarah saß gerade auf der Veranda und las ein Buch, das ihr Vater aus England
nach Amerika mitgebracht hatte. Nun zeigte sie, was sie als junge Dame gelernt hatte. Sie zeigte ihren ganzen Charme.
Etwas verlegen trat Joshua näher. Sarah stand höflich auf, begrüßte ihn mit einem bezaubernden Lächeln, wie es sich gehörte und fragte nach dem Grund seines Erscheinens.
Joshua wurde rot und fragte fast verlegen nach Sarahs Mutter, ob diese im Hause sei. Ansonsten würde er lieber ein anderes Mal wieder kommen, denn es gehörte sich nicht, sich mit einer unverheirateten, jungen Lady alleine in einem Haus aufzuhalten. Er müsse ihre Mutter jedoch aufgrund eines wichtigen Anliegens sprechen.
Sarah sah ihn an und bemerkte sehr wohl, wie sein Gesicht eine noch rötere Färbung annahm.
„Ich gehe kurz ins Haus und rufe meine Mutter. Setze dich inzwischen. Ich bin gleich wieder da“, bot sie ihm an. Irgendwie nahm sie an, Joshua bräuchte ein wenig Zeit, um sich zu beruhigen und sich zu sammeln. Diese Möglichkeit wollte sie ihm lassen. Sie spürte, an diesem Tage würde etwas geschehen, das ihr Leben von Grund auf umkrempeln wird.
Schnell ging Sarah ins Haus, um nach ihrer Mutter zu suchen. In ihrem Kopf wälzten sich die Gedanken hin und her, was wollte Joshua wohl von ihrer Mutter, dass er so förmlich nach ihr fragte. Im Haus rief sie nach ihr. Anna kam die Treppe aus der oberen Etage herunter.
„Was möchte der junge Herr?“, fragte sie, „Wer ist das überhaupt?“
„Mama, das ist doch Joshua, der Sohn von Papas nun ebenfalls verstorbenem Boss auf der Plantage. Erinnerst du dich nicht?“, antwortete Sarah, „Er möchte dich unbedingt sprechen. Ich weiß nicht, was er will. Er wollte es mir nicht sagen.“
„Ich gehe sofort hinaus“, sagte Anna zu ihrer Tochter. „Geh du inzwischen in die Küche und bereite eine Erfrischung vor.“
Sarah tat, wie ihr geheißen und Anna ging inzwischen nach draußen, um den jungen Mann zu begrüßen.
Als dieser sie aus der Tür treten sah, erhob der sich sofort und ging ihr entgegen.
„Guten Tag, Mrs. MacPherson“, begrüßte der junge Mann die Dame des Hauses mit einem angedeuteten Handkuss.
„Joshua. Sie sind doch der kleine Joshua von der Plantage, auf der mein Mann als Verwalter gearbeitet hatte“, antwortete Anna. Sie freute sich, ihn nach so langer Zeit wieder zu sehen.
„Ja, Madam. Der bin ich. Nur inzwischen nicht mehr ganz so klein. Wie sie sich vielleicht erinnern, bin ich zwei Jahre älter als ihre Tochter“, erwiderte Joshua.
„Oh, ja, natürlich“, meinte Anna. „Aber setzen wir uns erst einmal. Sarah wird gleich eine Erfrischung bringen. Und dann berichten sie mir vom Grund ihres Erscheinens.“
Sie nahmen am Tisch auf der offenen Veranda Platz. Gleich darauf kam Sarah mit einem Tablett, auf dem drei Gläser und ein vor Kühle perlender Glaskrug mit frischer Limonade standen. Sie verteilte die Gläser an die Anwesenden und schenkte das kühle Getränk ein. Dann setzte sie sich neben ihre Mutter, gespannt darauf wartend, was Joshua für ein Anliegen hatte.
Der saß wie auf heißen Kohlen und wusste nicht wie er anfangen sollte.
„Nun sagen sie schon, was sie auf dem Herzen haben, junger Herr“, forderte Anna ihn auf.
Joshua errötete noch einmal und räusperte sich. Dann begann er mit seiner vorbereiteten Rede:
„Madam, Mademoiselle, sie haben sicher vernommen, dass mein Vater vor einiger Zeit an einer heimtückischen Krankheit verstorben ist. Nun habe ich das Erbe meines Vaters angetreten. Ich musste ihm jedoch noch vor seinem Tode versprechen, mir so bald wie möglich eine Frau zu suchen. Das Alter zum Heiraten habe ich ja und unsere Domäne soll ja nicht verwaisen. Es ist nun natürlich nicht einfach für mich, so plötzlich eine geeignete Frau fürs Leben zu finden. Meine Nächte wurden lang beim Nachdenken über diesen letzten Wunsch meines Vaters. Doch gestern kam mir die Erleuchtung, welche durch lange Trennung fast erloschen ist. Sarah und ich waren schon als Kinder sehr mit einander befreundet. Sicher war damals noch keinesfalls von Liebe die Rede. Aber beim nächtlichen Nachdenken wurde mir immer klarer, es war ein schwerer Fehler von mir, mich jahrelang kaum mehr um Sarah gekümmert zu haben. Man kann eine aufkeimende Liebe doch nicht einfach ignorieren. Schon gar nicht, wo Sarah zu einer wahren Schönheit heranwuchs. Ich hoffe, ich irre mich nicht und in Sarah schlummert ebenfalls ein wenig Liebe zu mir. Ich habe sehr mit mir gekämpft und fand heute morgen endlich den Mut, bei ihnen, sehr verehrte gnädige Frau, um die Hand ihrer Tochter anzuhalten.“
Joshua verbeugte sich fast eckig vor verdrängter Aufregung, aber immerhin lächelte er Sarah zu.
Anna schaute nun Joshua doch sehr erstaunt an, überlegte aber nur kurz.
„Ich möchte meiner Tochter nicht das Wort aus dem Mund nehmen. Sie soll selbst entscheiden, wen sie heiraten möchte. Mein Mann und ich konnten damals auch niemanden fragen und die Ehe wurde glücklich. Schon daher möchte ich meiner Tochter selbst die Entscheidung überlassen, mit wem sie die Ehe eingehen will. Wenn sie nun sie als Ehemann möchte, werde ich ihr selbstverständlich nicht im Weg stehen“, sagte sie zu Joshua. Dabei wurde ihr Blick melancholisch, denn unwillkürlich dachte sie an ihren verstorbenen David.
Sarah dagegen saß wie versteinert auf ihrem Stuhl und wusste nicht, was sie sagen sollte. Ihre Gedanken schlugen Purzelbäume, dass gerade der Mann, den sie schon als Kind vergöttert hatte, ihr eben einen Heiratsantrag machte.
„Sag du doch auch ‘was!“, hörte sie ihre Mutter wie durch eine Nebelwand sagen.
„Kann ich etwas Bedenkzeit haben?“, entgegnete Sarah mit vor innerer Erregung heiserer Stimme, aber voll damenhaft. „ Es kommt sehr überraschend. Ich kann das natürlich nicht von jetzt auf gleich entscheiden.“ Ihr Herz schlug dabei aber schneller als sie zugeben durfte. Sie konnte jedoch nicht vermeiden, dass die Aufregung rote Flecken in ihr Gesicht zauberte. Sollte sich ihr Kindheitswunsch doch noch erfüllen?
„Selbstverständlich“, gab Joshua seiner Angebeteten recht. „Ich werde gerne am Wochenende wieder kommen und dich zu einem Spaziergang ausführen. Da können wir in Ruhe über alles sprechen.“
„Danke“, erwiderte Sarah mit gesenktem Kopf. „Mama, darf ich mich bitte in mein Zimmer zurückziehen? Ich muss nachdenken.“
„Bitte, Liebes, gehe nur, wenn du möchtest“, antwortete ihre Mutter.
„Joshua, auf Wiedersehen, bis zum Sonntag. Ich werde dich zur Teezeit erwarten“, wendete sich Sarah noch diesem zum Abschied zu. Zu gerne hätte sie ihm noch einen Kuss zugeworfen – aber noch war ihr Verhältnis nicht geklärt.
Joshua stand auf, wie es sich für einen wohlerzogenen Gentleman gehörte, wenn eine Dame sich von ihrem Platz erhob. Er ging auf Sarah zu, hauchte ihr einen Kuss auf den Handrücken, nicht ohne ihr dabei etwas schmachtend in die Augen zu blicken.
„Ich hoffe, ich habe dich nicht erschreckt mit meiner Werbung. Egal wie deine Entscheidung ausfallen wird, ich werde sie akzeptieren, wäre aber sehr geehrt, wenn du meinen Antrag annehmen würdest. Bis zum Sonntag also“, sprach er leise zu Sarah.
Die junge Frau drehte sich um und schwebte zurück ins Haus. Ihre Mutter und Joshua sahen ihr hinterher.
„Möchten sie noch eine Limonade?“, fragte Anna danach den Antragsteller.
„Danke, nein, Madam. Ich werde mich jetzt wieder auf den Weg nach Hause machen. Danke, dass sie Sarah sich selbst entscheiden lassen. So etwas kommt sehr selten vor. Ich hoffe, ich bekomme am Sonntag eine positive Antwort, denn, und das wurde mir jetzt erst bewusst, ich liebe sie schon seit unserer Kindheit. Nur habe ich mich nie getraut, ihr meine Liebe zu erklären“, gestand er ihr mit leiser Stimme, „Bitte sagen sie ihr nichts davon; ich möchte es ihr selbst sagen.“
Anna sah ihn doch erstaunt an, von einer solchen Liebe hatte sie nie etwas mitbekommen, schon gar nicht solch ein Geständnis erwartet.
„Ich werde nichts sagen, wenn sie es nicht wollen. Ich habe nicht gewusst, dass auch sie Gefühle für meine Tochter verspüren. Sarah schwärmt jedenfalls seit ihren Kindertagen von ihnen; dass sie ihre Gefühle erwidern, das hätte ich nicht gedacht und es erstaunt mich wirklich sehr. Ich denke auch, sie sollte ihnen selbst sagen, wie es mit ihr steht. Wir sehen uns am Sonntag zum Tee. Ich wünsche ihnen einen guten Nachhauseritt.“
Damit verabschiedete sie sich von Joshua, der sie nach diesem Geständnis genau so erstaunt ansah, wie Anna ihn vorhin auch.
„Auf Wiedersehen, Madam“, verabschiedete er sich von Anna und ging zu seinem Pferd, das immer noch ruhig an der Brüstung stand. Leise schnaubend begrüßte es seinen Herrn. Joshua band es los, saß auf und ritt davon.
***
Auf dem Nachhauseweg gingen ihm die Gedanken wirr durch den Kopf. Annas Geständnis hatte ihn überrascht. Dass auch Sarah Gefühle für ihn empfinden könnte, war ihm nie in den Sinn gekommen. Sie war ihm gegenüber immer so distanziert aufgetreten, als hätte sie Angst vor etwas. Aber wovor? Vor ihm? Wenn nicht vor ihm, wovor dann? Oder waren es doch hier eigenen Gefühle, die ihr Angst machten? Er musste das herausfinden. Dass es bereits beginnende Damenhaftigkeit war, daran dachte er gar nicht.
***
Zur selben Zeit saß Sarah in ihrem Zimmer auf dem Bett. Joshuas Antrag kam für sie völlig überraschend und wie aus heiterem Himmel. Nie hätte sie gedacht, dass er ihr gar einen Heiratsantrag machen würde. Immer war sie der Meinung, dass die Standeskluft zwischen ihnen zu groß sei, um überbrückt werden zu können. Da hatte sie wohl falsch gedacht. Wenn sie gewusst hätte, was Joshua ihrer Mutter eben gestanden hatte, wäre sie noch erstaunter gewesen. Aber noch hatte sie ja keine Ahnung davon.
Sarah ließ sich auf ihr Bett fallen, starrte an die Decke und überlegte. War es richtig, wenn sie Joshua heiraten würde? Käme sie in seinem Leben zurecht? Was würden die Leute von ihr denken, wenn sie erführen, dass eine fast mittellose Eingewanderte einen reichen Plantagenbesitzer heiratete. Würden sie denken, sie wäre nur auf sein Geld aus? Fragen über Fragen, die ihr durch den Kopf schossen die ihr aber niemand beantworten konnte. Dann dachte sie wieder, Joshua ist der Mann, den ich liebe. Was soll mich das Gerede der Leute berühren, was geht mich an, was über mich getratscht wird. Und wenn er vielleicht noch meine Liebe erwidert, so wie meine Eltern sich immer geliebt haben, da kann mir doch nichts Besseres geschehen. Als Frau eines Großgrundbesitzers bin ich vor Klatsch und Tratsch sowieso geschützt. Dann bin ich jemand!
Noch war bis Sonntag etwas Zeit zum Überlegen. Sie würde einfach mit ihrer Mutter reden und sie fragen, was sie davon hielte.
Sie sprang auf, lief nach draußen und die Treppe hinunter. Ihre Mutter hatte inzwischen das Geschirr vom Verandatisch abgeräumt, sie stand nun in der Küche und spülte alles ab.
„Mama“, rief Sarah, als sie in die Küche kam. „Was hältst du von Joshuas Antrag? Das kam alles etwas plötzlich. Ich frage mich, wie er dazu kommt, mir einen Heiratsantrag zu machen. Er weiß doch, dass wir fast mittellos sind und er ein reicher Plantagenbesitzer ist.“
Anna drehte sich zu ihrer Tochter um. Sie trocknete sich die Hände an einem Küchentuch ab, das neben der Spüle lag, und ging auf sie zu.
„Liebes“, sagte sie, „mach dir deswegen doch keinen Kopf. Frage ihn doch einfach, wenn ihr am Sonntag nach dem Tee einen Spaziergang macht.“
„Was sollen die Leute denken?“, fiel Sarah die nächste Frage ein. „Sie werden denken, ich hätte mich ihm an den Hals geworfen und sei nur scharf auf sein Geld. Das ist aber nicht so! Ich liebe ihn wirklich. Ich liebe ihn schon seit wir zusammen als Kinder auf der Plantage Streiche gemacht haben.“ Schluchzend lehnte sie ihren Kopf an die Schulter ihrer Mutter.
Anna nahm ihre Tochter in den Arm und drückte sie.
„Lass das ‘mal Joshuas Sorge sein. Ich glaube nicht, dass er dir einfach so einen Antrag gemacht hat, weil er niemand anderes fand. Da gäbe es hunderte andere. Dazu ist er ein viel zu ehrlicher Mensch. Rede einfach am Sonntag in Ruhe mit ihm, wenn ihr alleine seid. Dann wird sich bestimmt alles aufklären.“
Sarah seufzte: „Hoffentlich hast du recht.“
***
Etwa zwei Stunden später kam Joshua auf der Plantage an. Seine Mutter Angelina erwartete ihn schon. Sie war auch gespannt, was sein Besuch bei Sarah und ihrer Mutter gebracht hatte. Sie konnte sich Sarah als gute Schwiegertochter vorstellen. Immerhin kannte sie die inzwischen erwachsen gewordene Frau schon von klein auf. Auch wenn sie, seit Sarah mit ihren Eltern in die Stadt gezogen war, diese nur noch sehr selten gesehen hatte. Für sie war Sarah immer das kleine Mädchen gewesen, das sie sich gewünscht, aber nie bekommen hatte. Ihr ging wie Anna und David, es wollten keine weiteren Kinder mehr kommen, nachdem Joshua geboren wurde. So wuchs auch er als Einzelkind auf. Als dann David und Anna mit der kleinen Sarah im Verwalterhaus einzogen, kehrte auch bei ihr die Freude am Leben zurück. Sie fand in Anna eine gute Freundin und in Sarah die Tochter, die sie nicht hatte. Dass Joshua nun Sarah den Hof machte und sogar einen Heiratsantrag gemacht hatte, erfreute sie ganz besonders. Eine liebe Schwiegertochter, mit der sie sich verstand, und womöglich ein paar Enkelkinder, das war nun ihr Traum. Bis vor Kurzem hatte sie es nie für möglich gehalten, aber nach Sams plötzlichem Tod fühlte sie sich doch sehr alleine.
Angelina saß im kleinen Salon, als Joshua auf dem Vorplatz des Hauses anhielt und vom Pferd sprang. Der Stallbursche kam sofort herbei geeilt, nahm das Pferd beim Zügel und führte es in den Stall, um es dort abzusatteln und trocken zu reiben. Sie stand auf und ging in die Eingangshalle, um ihren Sohn zu begrüßen.
„Joshua“, rief sie ihm entgegen, als er durch die große, breite Tür in die Halle trat. „Was hast du erreicht?“, wollte sie gleich darauf wissen.
„Mom, so viele Fragen auf einmal. Du bist neugierig wie immer. Lass uns erst einmal in den Salon gehen und dort einen Tee trinken, dabei erzähle ich dir alles.“ Er nahm seine Mutter am Arm und führte sie zurück in den kleinen Salon.
„Nun erzähle schon“, drängelte Angelina weiter. „Ich möchte alles wissen.“
„Noch habe ich kein Ja bekommen“, erwiderte Joshua bedrückt. „Aber ich habe von Sarahs Mutter erfahren, dass sie mich schon seit Kindertagen liebt. Was will ich
mehr?“
„Das ist doch schon eine gute Nachricht!“, freute sich seine Mutter. „Sarah wäre eine angenehme Schwiegertochter für mich. Vielleicht kommen dann ja auch bald Enkelkinder, die ich umsorgen und verwöhnen kann. Das wäre schön."
„Mom, so weit sind wir doch noch lange nicht. Ich bin am Sonntagnachmittag zum Tee eingeladen“, erzählte Joshua weiter. „Danach werde ich mit Sarah allein einen Spaziergang machen. Dabei werden wir alles klären.“
„ALLEIN!“, schrie Angelina bestürzt auf und breitete theatralisch die Arme aus. „Du kannst doch nicht allein mit einer jungen, unverheirateten Lady ohne Anstandsdame spazieren gehen!“, empörte sie sich weiter. Erregt sprang sie aus ihrem Sessel auf und lief im Zimmer hin und her.
„Aber Mutter“, meinte Joshua lachend. „Wir leben doch nicht mehr im Mittelalter! Ich habe nichts vor, was Sarah oder mich in Verlegenheit bringen könnte. Und außerdem ist sie offiziell noch gar keine Lady, sie wird es sein, wenn sie mir das Jawort gegeben hat. In meinem Herzen ist sie es aber schon lange. Sie ist das schönste und edelste Mädchen, das ich je kennengelernt habe“, schwärmte er weiter.
„Lady noch nicht, Dame aber auf jeden Fall. So, wie du von ihr schwärmst, kommt es mir so vor, als würdest du mir etwas verschweigen“, sagte Angelina mit einem strengen Blick auf ihren Sohn.
„Aber nein, Mom! Ich verschweige dir nichts. Ich werde wirklich erst am Sonntag erfahren, wie sich Sarah entschieden hat. Und ich hoffe mit ganzem Herzen, dass sie sich für mich entscheidet“, erwiderte Joshua mit einem verträumten Blick. „Es wäre mir recht, wenn du am Sonntag mit in die Stadt kommen würdest. Mrs. MacPherson freut sich ganz bestimmt, wenn du mit zum Tee kommst.“
„Ja, aber gerne komme ich mit“, freute sich Angelina. „Da komme ich auch ‘mal wieder unter Leute. Seit Sams Tod bin ich gar nicht mehr aus gewesen. Anna habe ich auch schon lange nicht mehr gesehen. Das wird mir bestimmt mal wieder gut tun. Bis dahin ist noch etwas Zeit. Wir werden uns gedulden müssen.“