Die Zeit bis zum Sonntag verging für Joshua viel zu langsam. Die Tage bis dahin war er unruhig, er konnte kaum noch schlafen. Fast ständig lief er wie ein gefangenes Tier im Käfig im Rauchsalon hin und her. Tag und Nacht dachte er daran, ob ihn Sarah wohl erhören würde.
Die Nacht vom Samstag auf Sonntag war er noch unruhiger. Inzwischen konnte er schon nicht einmal mehr Nahrung zu sich nehmen. Sein eigentlich bisher immer robuster Magen rebellierte alleine beim denken an Essen
Seine Mutter beobachtete ihn beunruhigt. Ahnte sie doch, was den Sohn so in Unruhe versetzte. Aber mit ihm über Liebe zu sprechen war schon damals so gut wie unmöglich. Da musste er alleine durch.
„Joshua, willst du nicht endlich ein wenig frühstücken? Seit zwei Tagen sah ich dich nichts vernünftiges mehr verspeisen. Ich mache mir langsam Sorgen um dich“, versuchte sie am Sonntagmorgen ihn ein wenig zu beruhigen.
„Nein, Mom, ich mag nichts essen. Dazu bin ich viel zu aufgeregt“, erwiderte er der Mutter, die gerade extra genüsslich in eine Scheibe Brot biss, um ihn damit anzuregen
„Du machst es dadurch nicht besser wenn du gar nichts isst. Wir können nur den Nachmittag abwarten", versuchte Lady Angelina ihrem Sohn zum klar zu machen, wo die Gründe für seine Appetitlosigkeit zu suchen sind..
„Ach, Mom", seufzte der, „wenn doch nur schon Nachmittag wäre und wir in der Stadt. Ich kann es kaum noch erwarten."
„Ich weiß, mein Sohn, ich weiß", erwiderte seine fürsorgliche Mutter mit einem Lächeln. „Liebe kann auch schrecklich sein.“
***
In Annas Haus liefen inzwischen die Vorbereitungen für den erwartenden nachmittäglichen Besuch auf Hochtouren. Anna und Sarah waren sogar früh aufgestanden, um einen leckeren Kuchen zu backen. Wenn Anna wüsste, dass ihre liebe Freundin Angelina, die Mutter von Joshua, auch mit in die Stadt kommt, wäre sie genau so aufgeregt wie ihre Tochter. Seit Sams Tod vor einem Jahr hatten sich Angelina und Anna auch nur ganz wenig gesehen.
Sarah war an diesem Sonntagvormittag seltsam ruhig. Ihre Mutter beobachtete sie mit wachsamen Augen. Doch sie konnte keinerlei Aufregung bei ihrer Tochter bemerken.
Wie sie sich wohl entscheiden wird, ging ihr durch den Kopf als sie ihr Kind bei seinen Tätigkeiten beobachtete.
„Sarah, Liebes, willst du mir nicht schon verraten, wie deine Entscheidung ausfallen wird?“, fragte sie Sarah.
Sarah schreckte auf und sah ihre Mutter mit verträumtem Blick an.
„Mama, bitte, ich möchte es zuerst Joshua sagen und dann erst dir und Joshuas Mutter“, antwortete sie.
„Lass uns jetzt noch ein paar Happen essen“, lenkte die Mutter von ihrem wohl zu neugierigen Wunsch ab. „Auf ein richtiges Mittagessen habe ich jetzt keinen Appetit. Am Nachmittag zum Tee werden wir dann den Kuchen auftragen, so lange können wir es wohl aushalten.“
Sarah räumte zwei Teller auf den Küchentisch und belegte diese mit Brot und einigen kleinen Häppchen, die sie vom kalten Braten des Vortages abgeschnitten hatte. Die beiden Frauen aßen, ohne dabei viel zu reden. Sarahs Gedanken waren allerdings bereits bei Joshua. Sie freute sich sehr, ihn bald wieder zu treffen und womöglich gar einige Zeit mit ihm alleine sein zu verbringen.
Und Anna? Ihr gingen die Worte, die Sarah diese Woche zu ihr gesagt hatte, nicht mehr aus dem Kopf. Sie glaubte aber, dass sich Sarah richtig entscheiden würde und ihr Herz sprechen ließe.
***
Die Stunden bis zur Teezeit vergingen schneller als befürchtet. Sarah hatte gerade den kleinen Tisch auf der Veranda vorbereitet, als sie Pferdegetrappel hörte. Staub wirbelte auf und sie vernahm das Knallen der Peitsche, mit welcher der Kutscher die Pferde antrieb. Sie schaute die Straße hinunter, und erkannte, dass es Joshuas Kutsche war, die von den Pferden in schnellem Trab herangefahren wurde. Ihr Herz klopfte jetzt doch recht in ihrer Brust. Sie lief ins Haus, um ihre Mutter zu rufen.
„Mom, Mom! Schnell!“, rief sie. „Beeile dich, Joshua kommt!“
Anna kam aus dem Badezimmer, wo sie sich eben etwas frisch gemacht hatte.
„Wie sehe ich aus? Sind meine Haare in Ordnung“, fragte sie ihre Tochter aufgeregt.
„Mom, jetzt bist du aber aufgeregt“, antwortete Sarah lachend. „Er will nicht um deine Hand anhalten. Aber du siehst fantastisch aus. Komm, gehen wir hinaus. Ich höre eben, unser Gast ist da.“
Damit nahm sie ihre Mutter an der Hand und zog sie hinaus auf die Veranda, um den Gast gebührend willkommen zu heißen.
Kaum stand die Kutsche, öffnete sich auch schon die kleine Türe und Joshua sprang heraus. Sarah stand auf der Veranda wie eine Statue und traute sich nicht, sich zu bewegen. Nur ein Lächeln umspielte ihre Lippen. Krampfhaft versuchte sie, die nun doch noch aufkommende Aufregung zu unterdrücken. Als sie dann noch sah, dass Joshuas Mutter Angelina aus der Kutsche stieg, wurde ihre Aufregung noch größer, das Herz schlug ihr bis zum Hals.
Joshua half seiner Mutter galant beim Aussteigen. Anna schritt die Verandatreppe hinab und lief auf ihre alte Freundin zu.
„Angelina!“, rief diese erfreut. „Welch eine Freude, dich endlich einmal wieder zu sehen. Joshua, auch ihnen ein herzliches willkommen.“
Die beiden Frauen umarmten sich wie zwei alte Freundinnen es halt tun, die sich schon sehr lange nicht mehr gesehen haben. Joshua blieb indessen im Hintergrund, bis seine Mutter und Anna die Begrüßungszeremonie beendet hatten. Dann trat er an Anna heran und begrüßte sie äußert galant in bester Manier mit einem Handkuss. Danach nahm er seine Mutter am Arm und führte sie die Verandatreppe hinauf.
Sarah trat ebenfalls heran und knickste tief vor Angelina.
„Madam. Welch eine Freude, sie hier zu sehen. Herzlich willkommen“, grüßte sie die Witwe des verstorbenen Großgrundbesitzers höflich.
„Mom, ich gehe gleich und hole noch ein Gedeck. Wir hatten ja nur einen Gast erwartet. Ich bin sofort wieder da“, flüsterte sie der Mutter zu, nachdem sie die von Joshuas begrüßt hatte.
„Joshua, schön dich zu sehen“, sprach sie diesen, bereits im Weggehen fast verlegen lächelnd an.
„Ich freue mich auch“, antwortete dieser fast steif.
Dass der eigentliche Zweck des Besuches der war, um die Hand von Sarah anzuhalten, war aus dem Verhalten der beiden nicht zu erkennen. Lief da wirklich nichts oder wurde nur in höflicher Gelassenheit gemacht? Es war nicht zu erkennen.
Die junge Frau ging ins Haus, um das vierte Gedeck zu holen.
„Setzen wir uns doch erst einmal“, versuchte Anna die aufkommende Stille zu überbrücken.
Joshua, wie immer Gentleman, schob den Korbstuhl für seine Mutter zurecht, damit sie sich setzen konnte. Dasselbe tat er dann für Anna, ehe er selbst Platz nahm.
Nach einiger Zeit kam Sarah mit einem vierten Gedeck aus dem Haus. Sie überspielte es gekonnt, dass sie keine Bediensten mehr hatten, die diese geringen Arbeite übernahmen. Gleichzeitig brachte sie den Kuchen, den sie am Vormittag mit ihrer Mutter zusammen gebacken hatte, sowie den frisch aufgebrühten Tee mit. Joshua stand sofort wieder auf, wie es sich gehörte.
Er hat wirklich eine sehr gute Erziehung genossen, dachte sich Anna. Da kann man nichts dazu sagen.
Als Sarah den Kuchen verteilt hatte, nahm sie den Platz neben Joshua ein. Anna und Angelina saßen nebeneinander und plauderten leise miteinander. Joshua sah Sarah an, die daraufhin leicht errötete und den Blick senkte.
„Kinder, wollt ihr nichts essen? Sarah, dein Kuchen ist immer noch unberührt. Und Joshua hat nur einen kleinen Bissen gegessen“, erkannte Anna plötzlich.
„Ich möchte nichts essen, Mama. Ich bin viel zu aufgeregt. Mein Magen fühlt sich noch gut gesättigt vom Lunch“, erwiderte Sarah zart errötend gleich wieder.
„Joshua, und sie? Ihr Kuchen ist auch noch unberührt. Oder mögen sie keinen?“, wollte Anna von Joshua wissen.
Angelina lachte laut auf, wie es sich für eine Dame eigentlich nicht gehörte.
„Anna, du wirst es kaum glauben, mein Sohn hat seit seinem Besuch hier fast gar nichts gegessen. Er lebt bestimmt von der Liebe“, plauderte Angelina völlig unbedarft aus dem Nähkästchen.
„Mom, du bringst mich in Verlegenheit“, versuchte Joshua seine Mutter aufzuhalten.
„Ach was“, konterte diese. „Wir waren alle ‘mal jung und verspürten Schmetterlinge im Bauch, als wir frisch verliebt waren. Lass uns halt reden wie Menschen. Nicht wahr, Anna.“
„Das ist so lange her, dass ich verliebt war, aber ich kann mich noch gut daran erinnern, wie es war, als David um meine Hand angehalten hat. Vor allem wie liebevoll er in der Nacht nach der Hochzeit mit mir umgegangen ist“, meinte Anna darauf nach kurzer Überlegung.
Nun war es an Angelina zu erröten.
„Anna, wie schön. Sam war mit mir auch so liebevoll. Er hat mich sehr zart und einfühlsam in die Liebe eingeführt. Bis zuletzt war er ein sehr guter Liebhaber und das nach über zwanzig Jahren. Was für ein Mann“, schwärmte sie weiter, sich dessen wohlbewusst, das dies eigentlich kein Thema zur nachmittäglichen Teestunde war. „Waren das schöne Zeiten, als wir noch geliebte Ehefrauen waren und keine trauernden Witwen wie jetzt. Wie schade, dass wir jetzt darben müssen und nur noch von den Erinnerungen leben dürfen.“
Sarah und Joshua sahen sich mehr als erstaunt an und wunderten sich sehr über den emotionalen Ausbruch von Angelina.
„Aber nun Kinder, geht ein wenig spazieren und lasst uns alte Frauen allein. Aber bitte keine Dummheiten machen“, ermahnte Angelina sie.
Joshua stand auf und reichte Sarah die Hand. „Darf ich bitten? Gehen wir ein Stück“, sagte er zu ihr.
Sie nahm seine Hand und stand auf. Zusammen gingen sie die Verandatreppe hinunter und entfernten sich von ihren Müttern. Sarah hakte sogar ihre Hand unter Joshuas Arm. Es wirkte fast intim wie sie langsam die kleine Straße hinunter gingen, die aus der Stadt hinaus führte. Schweigsam schritten sie nebeneinander her. Keiner von beiden traute sich, das erste Wort zu sagen.
Endlich räusperte sich Joshua, er nahm seinen ganzen Mut zusammen.
„Sarah, ich muss dir etwas gestehen“, sagte er leise. „Es geht um dich.“
Die schaute ihm in die Augen. Sie wurde fast pflichtgemäß blass, doch das Herz schlug ihr bis zum Hals.
„Joshua“, konnte sie nur hauchen. Dann versagte ihr die Stimme.
„Sarah, ich möchte dich zu meiner angetrauten Gattin, weil ich dich liebe. Ich liebe dich schon, seit wir als Kinder zusammen im Park meines Vaters gespielt haben“, wagte es Joshua nun zu gestehen. „Willst du meine Frau werden?“
Sarah fühlte sich, als würde sie gleich ohnmächtig werden. Sie taumelte leicht, dass Joshua sie fürsorglich am Arm nahm, um sie zu stützen.
„Ich muss dir auch etwas beichten“, wisperte auch sie. Ihr Atem stockte, ihre Zunge war wie ein Kloß im Mund; sie rang nach richtigen Worten.
„Ich liebe dich wirklich, von ganzen Herzen“, sagte Joshua noch einmal. „Du würdest mich zum glücklichsten Mann auf Erden machen, wenn du meine Gattin würdest.“
„Josh“, begann Sarah. Ihr fiel wieder sein Spitzname aus Kindeszeiten ein. So hatte sie ihn immer genannt. „Josh, ich liebe dich auch, schon seit wir als Kinder immer zusammen gespielt haben. Aber, bitte, wie kannst du mich zur Frau wählen? Ich bin fast mittellos und du bist der Erbe einer Plantage. Das geht nicht. Was sollen die Leute denken?“
„Liebes“, Joshua fiel vor ihr im Straßenstaub auf die Knie, fasste ihre Hand und küsste sie. „Ich liebe dich und es ist mir völlig egal, was die Leute denken. Ich möchte dich zur Frau und keine andere. Bitte, Sarah. Ich bin der glücklichste Mann, wenn du meinen Antrag annimmst.“
„Ist das dein Ernst?“, wollte sich Sarah noch einmal vergewissern. „Dein voller, wahrhaftiger Ernst? Immerhin bin ich von einem viel niedrigeren Stand als du. Du wirst die Häme der Leute auf uns leiten.“
„Das ist mir egal. Für meine Liebe bin ich bereit, alles zu ertragen. Für dich."
„Steh endlich wieder auf, du machst dich ja ganz schmutzig. Ich glaube dir“, sagte Sarah nun.
„Ich stehe erst auf, wenn du meinen Antrag annimmst. So lange knie ich hier, vor dir im Staub. Ich frage dich noch einmal: Sarah MacPherson, möchtest du mein angetrautes Eheweib werden, mich lieben und schätzen, bis dass der Tod uns scheidet?“
„Ja, ja, Joshua MacAllister, ich will deine Frau werden, dich lieben und schätzen, bis dass der Tod uns scheidet!“, rief Sarah laut und nun völlig entschlossen.
Joshua sprang auf, umfasste Sarahs Taille und schwenkte sie im Kreis herum.
„Sarah MacPherson, du machst mich damit zum glücklichsten Mann auf Erden. Du wirst meine Frau. Sarah, ich liebe dich!“, rief nun auch Joshua laut in die Gegend, wenn ihn auch niemand außer Sarah hörte.
„Hör auf, hör auf“, meinte diese laut lachend, ganz und gar nicht mehr damenhaft.
„Dafür möchte ich aber einen Kuss“, forderte Joshua lächelnd.
„Das gehört sich nicht. Mister MacAllister, sie können mich doch nicht einfach küssen“, empörte sich Sarah.
„Sieht doch keiner, bitte, nur einen“, bettelte Joshua. „Nur einen ganz kleinen Kuss. Wo wir doch jetzt verlobt sind, dürfen wir uns auch küssen.“
„Gut, aber nur einen. Es gehört sich nicht, sich auf offener Straße zu küssen“, säuselte Sarah und bot ihm ihren Mund zum Kuss an.
Leicht hauchte Josh einen Kuss darauf.
„Nun ist unser Pakt besiegelt“, meinte Joshua danach erfreut.
„Pakt besiegelt? Du wolltest mich wohl doch wohl nicht nur zur Frau, um mich zu küssen?“, fragte Sarah eher scherzhaft.
„Aber nein, auch für andere Dinge“, meinte er mit einem verschmitzten Lächeln.
„Was für Dinge? Solche Dinge, über die vorhin deine und meine Mutter gesprochen haben?“, bohrte sie weiter. Sarahs Neugier war geweckt, jetzt wollte sie genau wissen, um welche Angelegenheit es sich handelte. Vorhin war sie zwar auch neugierig, wagte es aber nicht, genauer nachzufragen.
„Na genau um diese anderen Dinge“, Joshua betonte das Wort diese ganz besonders. Noch direkter wollte er nicht werden.
„Was haben sie nur gemeint? Ich kann mir darunter nichts vorstellen, was das sein soll“, wollte sie völlig unerfahrene junge Frau weiter wissen.
„Liebes“, fing Joshua an. „Wenn zwei heiraten, so wie deine Mom und dein Dad oder meine Mom und mein Dad, dann kommen irgendwann Kinder, so wie wir.“
„Und wie geht das?“
„Hat dir das deine Mom nicht gesagt, wie es geht?“, wollte jetzt Joshua wissen. „Sie muss dir doch etwas gesagt haben, als du zur Frau wurdest.“
„Nein, sie hat mir nichts gesagt“, weinte jetzt Sarah fast. „Sie hatte damals genug um die Ohren; als ich diese seltsamen Dinge mit mir geschahen, war mein Dad gerade zu Tode gekommen, da wollte ich sie nicht noch damit belasten. Meine Freundinnen haben mir gesagt, als ich sie damals deswegen fragte, dass ich nun Kinder bekommen könnte. Mehr weiß ich nicht, und sie wussten damals auch noch nicht mehr darüber. Auch Mary Lancaster wusste noch nichts darüber, obwohl ihre ältere Schwester bereits verheiratet war und ein Kind hatte.“ Sarah sah beschämt zu Boden. „Nur eben soviel, dass es mit unserer Fruchtbarkeit zusammen hing.“
Joshua schaute sie an. Er wusste nicht, was er sagen sollte. Nach einiger Zeit meinte er: „Liebes, mach dir deshalb erst einmal keine Sorgen. Ich werde dir alles erklären, wenn die Zeit gekommen ist. Vertraue mir einfach. Ich verspreche dir aber, dass ich in unserer ersten Nacht nichts geschieht, was du nicht willst. Ich werde dir nicht wehtun werde. Vielleicht kannst du aber noch einmal deine Mom fragen, bevor wir heiraten.“
Er legte seinen Arm um sie und zog sie an sich.
„Komm, wir gehen erst einmal zurück, unsere Mütter werden bestimmt schon auf uns warten und vor Neugierde fast platzen.“
Langsam schlenderten sie die Straße zurück in die Stadt. Sarah sagte kein Wort. Zu sehr waren ihre Gedanken bei den Dingen, die in der Hochzeitsnacht geschehen sollten und von denen sie nicht ahnen konnte, was da auf sie zukommen sollte. Damals, bei der weiblichen Jugend des gehobenen Standes wurden diese Dinge noch als strengstes Geheimnis betrachtet. Es war eigentlich die Aufgabe der Mutter, die Tochter aufzuklären. Doch meistens drückten sie sich darum. Es war einfach zu peinlich, darüber zu reden.
***
Als Sarah und Joshua zurück am Haus waren, saßen Anna und Angelina immer noch auf der Veranda und plauderten. Erwartungsvoll sahen sie ihren Kindern entgegen. Joshua führte Sarah die Treppe hinauf, zärtlich umfasste er dabei ihren Arm.
„Nun ihr zwei. Wie habt ihr euch entschieden?“, platzte Angelina heraus. Wie immer konnte sie ihre Neugier nicht zügeln.
„Nun lass die Kinder sich doch erst einmal setzen und etwas Kühles trinken, anstatt ihnen gleich Löcher in den Bauch zu fragen“, versuchte Anna ihre Freundin zu zügeln. „Siehst du nicht ihre glücklichen Gesichter? Was müssen sie da noch mehr sagen?“
„So ist es, Mutter“, blies Joshua in Annas Horn. „Was musst du auch immer so neugierig sein“ Dabei stupste er Sarah leicht in die Seite, die ihm daraufhin Recht gab. „Aber wir haben euch trotzdem etwas zu sagen“, fuhr er fort.
Eine Pause entstand, niemand sagte ein Wort. Die beiden Mütter sahen ihre Kinder erwartungsvoll an.
Joshua räusperte sich.
„Wir haben etwas zu feiern. Sarah hat meinen Antrag angenommen, wir werden demnächst unsere Verlobung feiern“, verkündete er nun frohlockend.
Anna sprang freudig erregt auf und umarmte ihre Tochter herzlich.
„Siehst du“, flüsterte sie ihr leise ins Ohr, „und du hattest solche Angst gehabt.“
Auch Angelina stand auf und drückte ihren Sohn, danach ging sie zu Sarah und nahm sie in ihre Arme.
„Herzlich willkommen in unserer Familie. Ich freue mich für euch. Eine bessere Frau konnte mein Sohn gar nicht finden.“
„Madam, sie beschämen mich“, sagte Sarah leise zu ihrer zukünftigen Schwiegermutter.
Joshua trat zu Anna und ergriff ihre Hand. Anna konnte vor Rührung kein Wort heraus bringen. Aber dann nahm sie Joshua einfach in ihre Arme und drückte ihn genau so herzlich wie eben ihr Kind.
„Seien sie meiner Tochter bitte ein liebevoller Ehemann“, flüsterte Anna ihm zu.
„Mrs. MacPherson, ich verspreche ihnen bei meinem eigenen und dem Leben meiner Kinder, ich werde ihrer Tochter immer ein liebevoller Ehemann sein.“
„Wir haben etwas zu feiern, Mama, wollen wir nicht zusammen mit einem Glas Champagner anstoßen?“, meldete sich nun Sarah zu Wort. „Ich gehe und hole welchen.“
Damit drehte sie sich auf dem Absatz um und ging ins Haus, um die teure Flasche zu holen, die sie für genau diese Gelegenheit in der kühlen Vorratskammer gelagert hatte. Kurze Zeit darauf kam sie mit Gläsern und der besagten Flasche zurück. Sie reichte diese Joshua zum Öffnen.
„Ich denke, du kannst das besser“, lächelte sie ihren Zukünftigen an.
Joshua ließ den Korken knallen und schenkte die kostbare Flüssigkeit in die Gläser ein. Er gab seiner Mutter und seiner zukünftigen Schwiegermutter je ein Glas, ein weiteres bekam Sarah, das letzte nahm er sich selbst.
„Auf unsere Kinder“, sagte Anna und erhob dabei ihren Kelch. „Sollen sie zusammen glücklich sein bis an ihr Lebensende.“
Sie brachte die Gläser zum klingen und prosteten sich freudig zu. Sarah trank den Champagner nur in kleinen Schlucken. Joshua lächelte ihr zu. Seine Augen funkelten vor Freude.
„Setzen wir uns wieder“, bat Angelina. „Ich denke, wir haben noch einiges zu besprechen.“
Alle nahmen daraufhin wieder in den Korbstühlen Platz.
„Was denkt ihr, Kinder, wann die Verlobung stattfinden soll?“, wollte Angelina als Erstes wissen.
„Mutter kann es ‘mal wieder nicht schnell genug gehen“, antwortete Joshua lachend. „Ich denke aber, es wird im Sinne aller sein, es nicht allzu lange aufzuschieben.
„Was hältst du davon, die Verlobung in vier Wochen zu feiern?“, wollte er von Sarah wissen.
„Oh, so schnell schon“, erschrak diese.
„Von mir aus könnten wir sofort“, meinte Joshua mit einem zärtlichen Touch in der Stimme. „Mir kann es nicht schnell genug gehen, bis du meine Frau bist. Am liebsten würde ich sogar die Verlobung auslassen und gleich heiraten.“
„Mal immer schön der Reihe nach, Kinder. Wer soll Sarah zum Traualtar führen? Vielleicht der Herr Bürgermeister? Anna, was meinst du dazu?“, warf Angelina ein.
„Der Bürgermeister wäre eine akzeptable Person“, meinte Anna darauf. „Aber ob das so gut ist, die Verlobung einfach ausfallen zu lassen? Das sieht dann so aus, als müssten sie dringend heiraten. David als Brautführer wäre mir zwar lieber, aber das geht nun ja leider nicht mehr.“
„Mit dem Bürgermeister als Brautführer wäre ich einverstanden“, erwiderte Sarah. „Die Leute sollen doch denken, was sie wollen, wenn wir ohne lange Verlobungszeit heiraten. Josh, was hältst du davon? Wir können uns doch jetzt gleich offiziell verloben.“
„Nun hast du es aber eilig“, sagte Joshua. „Aber warum nicht? Mom, hältst du die Verlobungsrede oder soll ich den Kutscher rufen?“
„Nein! Nicht den Kutscher! Das mache ich schon“, lachte Angelina hell auf.
Sie erhob sich und räusperte sich. Dann begann sie:
„Liebe Anwesende. Ich möchte hier und heute die Verlobung meines Sohnes Joshua MacAllister mit Miss Sarah MacPherson bekannt geben.“
Sie machte eine kurze Pause, dann fuhr sie, das Champagnerglas erhebend, fort:
„Es lebe das Brautpaar!“
In dem Moment als Angelina Es lebe das Brautpaar! rief, fuhr der Bürgermeister zufällig in einer offenen Kutsche mit seiner Frau am Hause der MacPhersons vorüber. Er hielt an, stieg aus und kam auf sie zu.
„Was habe ich eben gehört? Eine Hochzeit steht ins Haus. Wie schön. Wann ist es so weit?“, fragte er neugierig.
„Lieber Herr Bürgermeister. Sie haben ihre Ohren auch überall. Der Termin wird ihnen noch rechtzeitig bekannt gegeben. Wir werden ja auch ihre Anwesenheit zur Trauung benötigen. Sie und ihre Gattin sind recht herzlich zur Feier eingeladen. Da Sarahs Vater nicht mehr am Leben ist, denken wir, es steht ihnen als Bürgermeister zu, die Braut anstelle des Vaters zum Traualtar zu führen“, sagte Angelina zu ihm.
„Mrs. MacAllister. Sie sind zu gütig zu mir. Ich freue mich schon. Meinen Glückwunsch, Mr. MacAllister und Miss MacPherson. Wir sehen uns in meinem Büro, um alles Weitere zu besprechen.“ Er verneigte sich kurz vor den Anwesenden und ging wieder zurück zur Kutsche.
„Was hast du gehört?“, wollte seine Frau wissen.
„Der Sohn des alten MacAllister und die Tochter seines ebenfalls verstorbenen Verwalters MacPherson werden heiraten. Wir sind eingeladen, ich soll Miss MacPherson anstelle ihres Vaters zum Traualtar führen. Aber lass uns nun weiter fahren.“
Nachdem der Bürgermeister davon gefahren war, setzten sich alle wieder hin.
„Das fehlte auch noch, dass gerade der Bürgermeister die Neuigkeit zuerst erfahren hat. Wenn seine Frau das weiß, dann sind wir bald in aller Munde“, meinte Angelina ein wenig grimmig.
„Mom, na und? Lass sie doch reden. Die hören auch wieder auf“, sagte Joshua dazu. „Ich denke, wir haben für den Anfang alles besprochen. Sollten wir jetzt Sarah und ihre Mutter nicht langsam alleine lassen? Es wird bald dunkel und wir haben noch einen weiten Weg.“
„Schade, dass ihr uns schon verlassen wollt“, Sarah zog, während sie das sagte, einen Schmollmund.
„Ich komme doch wieder“, versuchte Joshua sie zu trösten. „Oder ihr kommt in den nächsten Tagen zu uns auf die Plantage, da können wir auch in aller Ruhe die Hochzeitsvorbereitungen besprechen.“
„Ja, Mama, lass uns das machen und ein paar Tage auf der Plantage verbringen“, jubelte Sarah.
„Wie wäre es, wenn wir euch am nächsten Mittwoch die Kutsche schicken“, bot Angelina an.
„Natürlich, sehr lieb von dir. Danke Angelina. Das nehmen wir gerne an“, freute sich Anna.
Kurz darauf verabschiedeten sich Angelina und Joshua, um sich auf den Nachhauseweg zu begeben. Sarah sah der Kutsche mit verträumtem Blick hinterher und dachte an die bevorstehende Zeit mit Joshua.
„Komm, wir gehen hinein“, riss Anna sie aus ihren Träumen. „Nehmen wir gleich das Geschirr mit.“
Sarah ging zum Tisch und stellte alles auf das Tablett, das sie vorhin zur Seite gestellt hatte. Weiter träumend nahm sie es und brachte es in die Küche zur Spüle. Anna ging ihr hinterher. In der Küche nahm sie ihre Tochter in den Arm und drückte sie: „Liebes, ich freue mich so für dich. Aber du bist so schweigsam und in dich gekehrt. Freust du dich nicht?“
„Doch, Mama, ich freue mich sehr, dass Josh mir den Antrag gemacht hat, ich fühle mich aber noch nicht so richtig wohl in meiner Haut. Das Gerede der Leute, das kommen wird, alles wird über uns hereinstürzen. Ich habe einfach Angst. Und ich habe Angst vor dem, was in der Hochzeitsnacht kommen wird, wobei ich noch nicht einmal weiß, was das sein wird.“
„Ich glaube, es ist an der Zeit, dir etwas zu erklären“, meinte Anna. „Gehen wir ins Wohnzimmer. Vom Champagner ist noch ein Rest da, den trinken wir jetzt noch aus. Dabei werde ich dir genau erläutern, was du wissen möchtest.“
„Danke, Mama“, sagte Sarah leise.
Die beiden Frauen gingen zusammen ins Wohnzimmer, Anna nahm zwei neue Gläser aus dem Wohnzimmerbord und teilte den Rest Champagner auf. Dann begann Anna zu erzählen und Sarah hörte mit immer größer werdenden Augen und geröteten Wangen zu.