Gespannt hing Sarah an den Lippen ihrer Mutter. Die Wangen der beiden Frauen röteten sich immer mehr, ging es doch um ein Thema, über das eigentlich nie gesprochen wurde.
„Mama“, unterbrach Sarah sie. „Wie ist das beim ersten Mal, tut das nicht weh? Du sagtest, es blutet ein wenig.“
„Wenn dein Mann sehr zärtlich ist und kein ungehobelter Klotz, dann wirst du dabei wahrscheinlich nicht sehr viel Schmerzen verspüren“, beruhigte Anna ihre Tochter.
„Du musst Joshua sagen, was du fühlst, und wenn es schmerzhaft werden sollte, dann erst recht. Wenn er dich wirklich so liebt, wie er es sagt, dann wird er auf dich Rücksicht nehmen und dir alle Zeit lassen, die du brauchst.“
„Wie war es bei dir und Dad?“, fragte Sarah ungeduldig. Ihre Neugier auf das, was ihr in Bälde bevorstand, stieg fast ins Unermessliche.
Anna lehnte sich zurück und sah nach oben zur Decke. Ihre Gedanken gingen zurück in ihre Hochzeitsnacht, als David sie zu einer richtigen Frau machte. Nach einigen Minuten sah Anna ihre Tochter an und fing an zu erzählen:
„Ehe ich dir von meiner Hochzeitsnacht berichte, möchte ich dir noch von Sophie erzählen.“
„Wer ist Sophie?“, wollte Sarah wissen. Von einer Frau namens Sophie hatte sie vorher noch nie etwas gehört.
„Sophie war meine beste Freundin, als wir noch in England gewohnt haben“, erklärte Anna ihrer Tochter. Sie bekam einen traurigen Blick, als sie sich an die ehemals Freundin erinnerte, welche sie seit ihrer Auswanderung nach Amerika nie wieder gesehen hatte.
Nachdem sich Anna ein wenig gefasst hatte, begann sie mit ihrer Erzählung :
„Einige meiner Freundinnen waren bereits verheiratet, ehe ich David, deinen Dad, geheiratet habe. Meine beste Freundin Sophie gehörte auch zu ihnen. Sie wurde von ihren Eltern einfach zur Ehe mit einem viel älteren Mann gezwungen, ohne dass sie etwas dagegen tun konnte.
Sophie nun erzählte mir von ihrer eigenen Hochzeitsnacht. Das, was sie mir berichtete, machte mir Angst, sehr große Angst. Mit Grauen dachte ich daran, dass auch ich bald heiraten und mir dasselbe bevorstehen würde.“
Anna holte tief Luft, ihre Augen traten Tränen, als sie weiter erzählte:
„Am Tag unserer Hochzeit war ich so aufgeregt wie wohl jede Braut. Doch die Freude wurde teilweise überdeckt vor der in mir schlummerten Angst vor der Hochzeitsnacht, die unweigerlich folgen würde. Immer wieder musste ich dabei an Sophies Erzählung zu diesem Tag denken.
Als ich David nun in unser gemeinsames Schlafzimmer folgte, zitterte ich fast vor Angst. Würde David mir dasselbe antun, wie Sophies Mann meiner Freundin?“
„Was erzählte sie dir denn?“, wollte Sarah es nun genauer wissen.
„Ich habe zwar versprechen müssen, niemandem etwas von dem Vorfall zu erzählen, aber dir kann ich es ja sagen. Als Mutter und Tochter sollten wir keine Geheimnisse voreinander haben.“
Annas Augen verschleierten sich mehr, Tränen rollten über ihre Wangen. Doch sie versuchte sich zu beherrschen, nahm einen tiefen Atemzug und berichtete sie weiter:
„Nun, Sophie erzählte mir damals, dass ihr Mann sich benommen hat wie ein grobschlächtiger Tyrann, dabei nur an sich denkend. Was sie dabei empfand, das interessierte ihn überhaupt nicht. Dementsprechend ernüchternd und schrecklich war auch die Hochzeitsnacht. Das, was für ein jungvermähltes Paar meist der Beginn einer glücklichen Zukunft ist und in guter Erinnerung bleiben sollte, wurde für sie zu einem sehr grässlichen Erlebnis.“
Anna weinte jetzt noch bitterlicher, als sie weiter erzählte:
„Sophies Mann nahm sich bei ihr einfach - und das auch noch brutal, was ihm in seinen Augen laut Gesetz nun zustand. Egal ob seine Frau das wollte oder nicht. Sophie versuchte sich zu wehren, sie schrie, kratzte und biss ihn. Aber es half nichts, denn keiner im Haus hörte ihre verzweifelten Schreie, besser gesagt, keiner wollte sie hören.“
„Nun sag schon, was tat er?“, keuchte Sarah erregten Sinnes.
„Er riss Sophie die Kleider vom Leib, warf seine junge Frau einfach auf das Bett und drang ohne Gnade mit seiner Männlichkeit in sie ein. Er verging sich so rücksichtslos an ihr, als sei sie eine Dirne, die er für ihre Dienste bezahlt hätte. Sie müsse ihm jederzeit zu Willen sein, befahl er ihr unter Androhung von körperlicher Gewalt. Als sie sich ihm trotz Allem widersetzte, prügelte er auf sie ein. Am nächsten Morgen erst sah Sophie im Spiegel, wie er sie zugerichtet hatte. Sie hatte am ganzen Körper blaue Flecke und das Bett schien durchtränkt von ihrem Blut, weil er sie bei seiner Vergewaltigung verletzt hatte. Sie verspürte schlimme Schmerzen. Aber ihre seelischen Leiden wogen viel schlimmer als die körperlichen.
Sie hatte es nie verwinden können, wie sich ihr Mann in dieser Nacht ihr gegenüber benommen hatte. Viel später hörte sie einmal, wie er in Gesellschaft einiger seiner groben Kumpane erzählte, wie er sie zugeritten und gefügig gemacht hätte.“
„Ich habe Angst, Mama. Was du mir da erzählst, ist ja wirklich grausam. Wie kann ein Mensch nur so zu einer Person sein, von der er sagt er liebe sie?“, fing nun auch Sarah an zu schluchzen. Die Freundin ihrer Mutter tat ihr noch im Nachhinein leid.
„Aber Liebes, ich glaube, Joshua wird nicht so benehmen wie Sophies Mann. Für den war eine Frau einfach nur ein Gegenstand, den man nach Belieben benutzen kann. Ich denke noch oft daran, David hat mir in unserer ersten gemeinsamen Nacht die Angst schnell genommen. Auch wenn es ein wenig schmerzte, als er das erste mal behutsam in mich eindrang, so war es doch fast schön. Sehr schön sogar. Diese Nacht werde ich nie vergessen. So zärtlich wie in der Hochzeitsnacht, so verhielt er sich auch die ganzen Jahre, wenn wir uns liebten. Zärtlich, einfühlsam, liebevoll. David war ein sehr guter Liebhaber.
Schade, dass Gott uns nur zugestand, nur dir das Leben schenken zu können. Wie gerne hätten wir noch mehr Kinder gehabt. Aber leider war uns das nicht vergönnt. Aber vor Allem schade ist es, dass wir nicht gemeinsam alt werden konnten und ich den Rest meines Lebens nun alleine meinen Weg gehen muss.“
Das Wort Kinder war für Sarah ein Gedankenanstoß. Sie erinnerte sich, was Joshua über das Kinder bekommen gesagt hatte.
„Mama, und wie ist das mit dem Kinder bekommen? Wie geht das?“, fragte sie.
„Liebes, Kinder kommen zustande, wenn zwei sich lieben, wie David und ich. Oder wie meine Freundin Angelina und ihr Sam. Mann und Frau lieben sich dazu, wie sie es in der Hochzeitsnacht begannen. Wenn sie Glück haben, wächst irgendwann ein Kind heran, oder zwei und mehr. Leider kann das auch geschehen, wenn man es nicht will, so wie bei Sophie“, erklärte Anna lächelnd ihrer Tochter.
„Und wie?“, fragte die Tochter immer noch wissbegierig.
„Nun, eigentlich ganz einfach, der Mann verströmt nach einiger Zeit des Eindringens in seine Frau, seinen Samen in uns. Der ist es, der seinerseits uns befruchtet, wenn es die rechte Zeit dazu ist“, flüsterte Anne ihrer erwachsenen Tochter in Ohr, das ganz große Geheimnis lüftend.
Doch als die Erinnerungen an ihren Mann und die schöne Zeit, die sie mit ihm zusammen hatten, erneut hochkamen, begann Anna wieder zu schluchzen.
Sarah rückte näher an ihre Mutter heran und schmiegte sich an sie. Ihr tat das Herz weh, wenn sie ihre Mutter so leiden sah. Aber sie wusste auch nicht, wie sie ihr helfen konnte. Tröstend küsste sie ihr die Tränen von den Wangen.
***
Inzwischen war es schon sehr spät geworden. Die beiden Frauen hatten bei ihrem aufregenden Gerede sogar das Abendbrot vergessen.
„Wir haben jetzt so lange geredet. Vielen Dank dafür, danke, dass du mir alles so genau erklärt hast, auch wenn wir dadurch etwas traurig geworden sind. Wollen wir uns auf die Zukunft freuen, dass sie schöner wird als die Ereignisse in den letzten Jahren. Auch wenn Dad körperlich jetzt nicht mehr bei uns ist, seine Seele wird für immer bei uns sein“, sagte Sarah zu ihrer Mutter.
„Tochter, du redest wie eine alte, weise Frau“, erwiderte Anna leise. „Sei Joshua eine gute Ehefrau. Er liebt dich. Und du ihn auch. Was kann es schöneres geben als zwei, die sich lieben. Werdet glücklich miteinander.“
***
Der Montag und der Dienstag vergingen wie im Fluge mit Vorbereitungen für den Aufenthalt auf Joshuas Plantage. Sarah summte wie eine aufgeregte Biene durch das Haus und kam nicht zur Ruhe.
Anna vermochte nicht viel dazu zu sagen. Nur zu genau erinnerte sie sich, wie es ihr damals ergangen war, als sie zum ersten Mal offiziell ihre zukünftigen Schwiegereltern besuchen sollte.
***
Am Mittwoch standen sie schon sehr früh auf. Sie wollten unbedingt bereit sein, wenn Joshuas Kutsche eintreffen würde. Schnell erledigte Anna noch einige kleine Arbeiten und wies eine ihrer Freundinnen ein, die sich bereit erklärt hatte, während Annas und Sarahs Abwesenheit sich um das Haus zu kümmern. Anna hatte auch bereits in dem Laden Bescheid gesagt, in dem sie täglich ein paar Stunden aushalf. Die Nachricht über Sarahs bevorstehende Vermählung erfreute den Ladenbesitzer so sehr, dass er Anna, ohne groß nachzudenken, ein paar Tage frei gab. Und wenn sie noch mehr Tage bräuchte, solle sie einfach jemanden schicken, der ihm Bescheid geben sollte.
Kurz vor elf Uhr hörte Sarah draußen das Knirschen von stählernen Rädern einer Kutsche. Schnell lief sie hinaus und sah, dass Joshua selbst die Zügel übernommen hatte. Freudestrahlend lief sie ihm entgegen. Joshua sprang vom Sitz und nahm sie zärtlich in seine Arme.
„Schön, dich zu sehen, ich habe dich sehr vermisst“, flüsterte er ihr leise ins Ohr und hauchte ihr einen Kuss auf den Mund.
Sarah wurde rot.
„Du machst mir Komplimente.“
„Einer schönen Frau wie dir muss man einfach schöne Dinge sagen“, meinte Joshua lachend. „Wenn diese schöne Frau bald mein Eheweib ist, dann erst recht“, fügte er noch an.
Ehe er Sarah noch weitere Komplimente machen konnte, trat Anna auf die Veranda. Joshua ließ von Sarah ab und ging auf seine zukünftige Schwiegermutter zu.
„Madam MacPherson, guten Tag“, grüßte er sie, während er ihr einen Handkuss gab, „sind sie bereit zur Abfahrt?“
Anna nickte fast hoheitsvoll.
Joshua reichte ihr seinen Arm und führte sie zur offenen Kutsche. Galant half er ihr beim Einsteigen. Dann wandte er sich Sarah zu, um auch ihr behilflich zu sein. Als die Damen ihre Sonnenschirme aufgespannt und es sich bequem gemacht hatten, konnte es losgehen. Joshua sprang vorne auf, ergriff die Zügel und trieb die Pferde an.
Im schnellen Trab ging es aus der Stadt in Richtung Plantage. Ein langer Weg lag nun vor ihnen. Als sie die Stadtgrenze erreicht hatten, verringerte Joshua das Tempo und sie rollten nun gemütlich über die staubige Straße.