Vor eineinhalb Jahren:
Völlig fertig schlurfte ich in meine Privaträume. Wenn ich Mario nicht hätte, wäre ich ganz und gar aufgeschmissen. Fand mal gute Belegschaft für Gastronomie und Hotelbewirtschaftung, es war einfach unmöglich. Noch dazu, da ich nun endgültig ausbauen wollte.
Übermüdet und total durchgef ... ließ ich mich auf den Sessel im Wohnzimmer fallen, doch nicht für lange, denn eine innerliche Unruhe machte sich in mir breit.
Nach dreizehn Jahren sah ich ihn wieder. Meinen Sandkastenfreund. Meinen Kindheitsfreund. Meinen besten Freund eben. Sicherlich war er in den letzten Jahren öfters in Deutschland, aber so richtig zusammengekommen, um einen drauf zu machen, waren wir nie. Entweder hatte er terminlich zu tun oder ich war unabkömmlich.
Aber es gab ja noch Skype und wir chatteten meist stundenlang. Okay, stundenlang war vielleicht etwas übertrieben. Wenn es bei mir Tag war, war es bei ihm mitten in der Nacht oder anders herum.
Laut der Buchung blieben er und sein frisch angetrauter Ehemann für eine Woche, bevor sie weiterreisten. Er hatte seinen Deckel gefunden, wie ich ihn beneidete. Ja und ich? Ich saß immer noch als Single alleine herum, obwohl, Avancen hatte ich viele, nur keine, die mich ansprachen, die mich vom Hocker hauten. Einer passte eventuell in mein Schema, doch der kam auch nicht infrage, denn ich wollte Mario in keiner Weise dazwischenfunken. Aber möglicherweise, wenn ich es geschickt anstellte, kam ich vielleicht auch auf meine Kosten und wenn es nur für ein paar Minuten waren.
Endgültig stand ich auf und ging ins Bad. Ich wollte den ganzen Stress abduschen und dann sofort ins Bett. Der nächste Tag würde bestimmt sehr aufregend werden.
***
Noch bevor ich ins Bett ging, ging der Wecker schon los. So hatte ich zumindest das Gefühl und drückte das nervige Ding aus. Ich hatte keine zwei Stunden geschlafen und ich hievte mich wieder aus dem Bett. Machte mich fertig für die Küche, denn ich musste auf die Bestellung warten, während meine Gäste noch friedlich schlummerten.
Kaum das ich unten war, hörte ich bereits den Lkw. Half beim Entladen und gab meine Unterschrift. Inzwischen war der Koch auch schon eingetrudelt und ging selbst noch einmal die Bestellung durch.
Die Nachtschicht saß in der Küche und trank Kaffee. Lisa war total übermüdet, das sah ich ihr an. War ja auch kein Wunder. Es war das erste Mal, dass sie die Schicht gemacht hatte. Aber es musste sein. Ich hatte mal wieder leichten Personalmangel und Mario dafür einplanen, ging nicht. Er ging noch zur Schule, obwohl er immer sagte, ›er hilft aus, wenn Not am Mann ist‹. Er war eine gute Haut. Doch in letzter Zeit hatte sich sein Gemütszustand drastisch geändert. Ob es mit diesem Sam zu tun hatte? ›Ich werde den Kerl im Auge behalten.‹
Ein Schmunzeln huschte über meine Züge und der Tag stellte sich schließlich endgültig ein. Ich richtete das Frühstücksbuffet und half in der Küche sowie an der Anmeldung. Eben ein normaler Arbeitstag.
***
Es ging auf Mittag zu als eine grauhaarige ältere Dame, mit gutmütigen grünen Augen, auf die Anmeldung zuschritt. Ich trat vor und reichte ihr die Hand.
»Omama!«, begrüßte ich sie und hauchte ihr einen Kuss auf die Stirn.
»Ach Kilrian, ich bin so aufgeregt! Mein Enkel, ... und ich lerne endlich mal seinen ›Mann‹ kennen. Es ist so viel passiert in den letzten Jahren. Kilrian ich hatte so was nie von Markus gedacht. - aber ich bin froh, dass du dich bereit erklärt hast, das für Sascha zu tun.«
»Aber immer doch, Omama. Sascha ist wie ein Bruder.« Sie gluckste.
»Ich sehe euch immer noch, wie ihr nackt im See geplanscht habt und Opapa euch raus scheuchte. Wie ihr ständig die Schokoriegel aus dem Laden geklaut habt. - Ach das ist so lange her und jetzt ist mein Enkel verheiratet. - Was macht mein Weiher?«
»Dem Weiher geht es gut und die Fische beißen.«
»Ich bin froh, dass du dich darum kümmerst. Meine alten Knochen schaffen das nicht mehr und Opapa wäre bestimmt auch stolz auf dich!« Sie blickte kurz an die Decke. Ja, es war damals für jeden, wie ein Schlag ins Gesicht, als er so plötzlich starb. Ganz besonders für Sascha. Er hing an seinem Opa, und kurz drauf zog er mit seiner Familie nach Amerika.
***
Ein Wagen fuhr vor und es stieg ein wahrhaftig, wundervoller gut aussehender Mann von der Fahrerseite aus. Dunkelblonde Haare, leicht kräftige Statur und kam auf mich zu. Je näher er kam, desto mehr zog mich sein Blick in seinen Bann. In meinem Nacken fing es an zu kribbeln und ich hielt automatisch den Atem an.
Er stellte sich als Tom ›noch etwas‹, den Nachnamen verstand ich nicht, vor. Denn seine Augen hielten mich gefangen und meldete Kyel und Sascha Kastner an.
Wie blöde nickte ich und musste mich tierisch zusammenreißen. Seine Lippen, wohlgeformt, luden mich direkt zum Küssen ein. Shit, was dachte ich da. Ich küsste nicht. Ich habe noch nie geküsst. Nein! Küssen bedeutete mehr.
»Kil!«, riss mich eine Stimme aus, ja aus was? Und ich blickte über die Schulter, dieses wundervollen Adonis.
»Sascha!« Er kam auf mich zu und als ob wir uns täglich sahen, umarmte er mich kurz. Kurz und doch sehr erwärmend.
»Darf ich dir meinen Ehemann vorstellen. Kyel!« Schock! Ich kannte diesen Mann und auch er schien mich wiederzuerkennen.
»Es ist mir eine Freude, den Deckel meines besten Freundes endlich kennenzulernen.« Sascha drehte sich zu Kyel um und übersetzte dies. Er schmunzelte und reichte mir die Hand. Seine Augen sagten aber etwas anderes. Nichts Erotisches, sondern Mahnendes. Ich selbst nickte nur kurz und wendete mich wieder Sascha zu.
Kurz drauf kam Marie mit zwei Gläser Sekt. Kyel und Sascha stießen an. Sascha setzte das Glas an seinem Mund, trank alles auf ex und schmiss es hinter sich. Kyel beobachtete ihn und tat es ihm gleich. Danach überreichte Marie ihnen Salz und ein Stück Brot mit den Worten »Gott Erhalts«.
Sämtliche Gäste, also Saschas Verwandtschaft aus Deutschland, kamen an und ich wurde langsam aber sicher abgedrängt.
Mit anderen Worten ›mach endlich deine Arbeit‹. Sascha war wirklich sehr glücklich. Ich freute mich für ihn und ich erwischte mich, wie ich immer öfters, ihn suchte. Diesen Mann, der Tom hieß. Er war nicht mehr auffindbar. Irgendwann gab ich auf und erledigte meine Arbeit.
Kurz bevor ich mich selbst für die Feier fertigmachen wollte, erblickte ich ihn in einer hinteren Ecke, er telefonierte. Er schien nicht gerade erfreut über dieses Gespräch zu sein und schnaubte, als er auflegte. Plötzlich spürte ich einen durchdringenden Blick. Automatisch folgte ich dieses Gefühl und blickte in Kyels Gesicht. Seine Züge sprachen Bände und als mein Handy losging, erschrak ich.
Ich ging ran und verschwand an den Computer. Es war nur eine einfache Buchung für ein Zimmer, die ich schnell aufnahm.
Endlich kam Mario. Ich wies ihn schleunigst ein und er meinte nur. »Na los! Geh jetzt. Immerhin gehörst auch du zu der Hochzeitsgesellschaft!«
Schnell verschwand ich in meinen privaten Räumen und machte mich für die Feier fertig. Als ich später an den Tisch ging, an dem das frisch vermählte Paar saß, stand Sascha auf, packte mich in den Schwitzkasten, er lallte schon etwas.
»Na es wird auch Zeit, dass mein bester Sandkastenfreund endlich zu mir kommt.« Man war ich froh, dass ich Englisch verstand. Nun ja die meisten Gäste waren Ausländer und es war eben erforderlich, Englisch zu können. Besonders in dem Job, den ich noch neben diesem Hotel ausübte.
Sascha zog mich neben sich an den Tisch und ich saß Tom direkt gegenüber. Gott diese Augen, wenn ich es nicht besser wüsste ... sie zogen mich regelrecht aus.
»Ich habe aber nicht viel Zeit ...«, sagte ich. Sascha verdrehte die Augen. »Ich muss noch einen Termin wahrnehmen, leider«, sagte ich und ich sah, wie Kyels Blick herablassender wurde. Und er meinte nur: »Tja, so ist das halt, wenn man zweigleisig fährt.« Sascha schien es kein bisschen zu verstehen, machte sich aber anscheinend auch keine Gedanken darüber. Dafür war er schon viel zu angetrunken. Er fing an, über die alten Zeiten aus Kindheitstagen zu plaudern, und es war mir überhaupt nicht peinlich. Alles holte er hervor, aber ich ging auch selbst in die Offensive. Wir lachten und tratschten, bis ich erschrocken zusammenzuckte. Etwas hatte mich am Fuß angestoßen und ich blickte mein Gegenüber an. Langsam fuhr er mit seinem Fuß meine Wade hoch, und er lächelte mich an. Ich konnte nicht anders und versank in seinem Blick. Malte mir seine liebliche Zunge aus, wie sie über meinen Hals leckte. Seine Lippen, wie sie mich mit Küssen überzogen und seine Hände, die wohlig warm meine nackte Haut erkundeten.
Plötzlich nahm Sascha mich wieder in den Schwitzkasten und im gleichen Moment ertönte mein Handy, denn ich hatte eine SMS erhalten. Nachdem Sascha mich wieder losgelassen hatte, holte ich mein Handy aus der Hosentasche und las die Nachricht.
›Den heutigen Termin kann ich nicht wahrnehmen. Überweise den bereits überwiesenen Betrag zurück. Danke Jerry.‹
Ich schrieb nicht zurück. Wie würde das aussehen, als wenn ich nur darauf wartete, dass mich jemand buchte. Außerdem war ich erleichtert, denn ich wollte mein Gegenüber nicht mehr verlassen. Auch ich fing an, ihm Signale zu schicken. Nippte am Glas und blickte immer wieder leicht verstohlen zu ihm hinüber.
Er wurde, je später es wurde, Mal für Mal nervöser und ich wusste, dass ich ihn an der Angel hatte.
Irgendwann verabschiedete sich das frischvermählte Paar und ich saß mit Tom und noch einigen anderen Gästen alleine am Tisch. Auch er machte Anstalten aufzustehen, aber ohne mich dabei aufzufordern, ihm zu folgen.
Bevor er den Aufzug erreichte, packte ich ihn am Arm und zog ihn in einen Gang. Drücke ihn an die Wand und suchte wie ausgehungert seine Haut. Er lächelte mich lasziv an und ich zog ihn in meine privaten Räume. Noch nie hatte ich jemanden mit hierhergebracht. Wie denn auch? Meine sogenannten anderweitigen Termine hatte ich immer außerhalb.
Er blickte sich um und zog seine viel zu enge Krawatte auf. Allein diese Bewegung bescherte mir ein Kribbeln.
Sein Blick blieb an dem Ölbild hängen. Das Bild zeigte mich nackt im Laub. Er drehte sich zu mir um, ich lächelte.
»Das Bild hat mein Cousin für mich gemalt.«
»Er hat dich perfekt getroffen. Mal schauen, ob du auch in Wirklichkeit so gut aussiehst!« Allein wie er es aussprach, ließ meine Hose enger werden, und bevor ich mich versah, spürte ich seine Lippen auf meinen. Schon wollte ich ihn abwehren, aber dies war kein Termin. Dies war privat. Dies geschah, weil ich es wollte und nicht, weil ich es musste. Nun war ich Kilrian und nicht Zeth der Callboy. So ließ ich es geschehen und er stupste seine süße Zunge in meinen Mund. Während er mich um den Verstand küsste, knöpfte er mein Hemd auf. Fuhr mit seiner warmen Hand über meinen Oberkörper und streichelte meine Brustwarze. Verhalten keuchte ich in seinem Mund und ich wollte mehr. Ich wollte alles.
Er verstand mein Verlangen und in seinen Augen las ich nicht nur die Leidenschaft, die ihn überkam. Es war mehr. Dieses mehr, welches ich immer vermisste, wenn ich bei einem Kunden war.
Er war geübt und ich stand schnell nackt vor ihm. Meist war ich immer der aktive Part, doch diesmal ließ ich mich fallen. Es war Zärtlichkeit, es war Wärme, es war Geborgenheit. Kein Sex, weil es von mir verlangt wurde, bei dem es vorher ausgemacht wurde, welche Stellung mein Kunde wünscht. Es war viel mehr. Er.
Langsam und mit bedacht schob er seine Finger in mich rein. Ich spürte nicht den bekannten Schmerz, der mich sonst bei meinen Kunden begleitete. Seine Zunge und seine Lippen waren überall. Seine Hände streichelten mich in ungeahnte Höhen und er ging auf die Knie. Ich schob mich ihm entgegen und er leckte mit einem Stöhnen meinen Lusttropfen ab.
Ich keuchte auf. Das war es. Das war es, was ich immer vermisste. Nie bekam, aber von mir immer gefordert wurde.
Seine Lippen umschlossen mich. Lutschten meinen Schaft. Knabberten an meiner Eichel. Je mehr er mich bearbeitete, desto lauter wurde ich. Er schob mich aufs Bett.
Ich bekam nur noch mit, wie er meine Beine auf seine Schulter legte und sachte in mich eindrang. Er war kräftig, groß, er füllte mich vollständig aus.
Sein Rhythmus schickte Schauer durch meinen Körper. Seine Lippen trieben mich in den Wahnsinn und seine Zunge entfachte ein Verlangen, was ich noch nie zuvor erlebt hatte.
Laut keuchte ich seinen Namen und ergoss mich auf meinen Bauch. Seine Augen, seine Lust überrannte mich. Als er meine Kontraktion spürte, stieß er immer heftiger und schneller zu. Er spießte mich auf. Trieb mein Innerstes an. Das war es. Genau dies ... und ergoss sich in mich.
Nur kurz kam mir der Gedanke, nicht verhütet zu haben, doch ich vertrieb ihn. So ein toller Mann konnte nicht ansteckend sein.
Langsam schob er sich von mir runter und gab mir einen sanften Kuss. Er hielt mich noch lange im Arm, bevor er aufstand. Irgendwie musste er mein Bad gefunden haben, denn ich vernahm das Geräusch der Dusche.
Ich selbst stand auf und ging ihm nach. Er stand wirklich unter der Dusche. Als ich seine Silhouette sah, ging meine Kontrolle flöten. Mein Schwanz regte sich wieder und als ich sah, wie er sich zwischen den Beinen wusch, war es aus. Nun war ich dran. Ich trat zu ihm und er blickte mich leicht überrascht an. Dann nahm ich ihm das Duschgel ab, goss etwas auf meine Hand und fing an, seinen wunderbaren Körper einzuseifen. Kein Muskel zu wenig, jeder war auf seinem, ihm zugewiesenen Platz. Ich musste es wissen, ich habe schon viele Männerkörper gesehen, doch keiner hatte mich so angemacht wie seiner.
Meine Hände wanderten von seinem Hals zu seiner Brust. Seiften die lieblichen Brustwarzen ein, kurz zwickte ich rein und ihm entkam ein zischender Laut. Seine Überraschung wich von ihm ab und Lust machte sich breit. »Yeah! So will ich dich!«
Ich kannte die geheimen Stellen und jede Einzelne bearbeitete ich, bis Tom nur noch Butter in meinen Händen war.
»Shit, was machst du mit mir? Du streichelst mich nur und doch ...!« Weiter kam er nicht und schrie seinen Orgasmus raus.
Ich hingegen flüsterte, während ich mich vor ihm hinkniete.
»Ich beschere dir eine Nacht, die du nie vergessen wirst!«
Ich fing den letzten Strahl seines Saftes mit der Zunge auf. Leckte über seine Eichel und küsste mich wieder zu seinen Lippen hoch. Unsere Zungen fochten einen Kampf aus und keiner war gewillt nachzugeben. Dennoch ging ich wieder als Sieger hervor.
Ich nahm ihn, ich verführte ihn mit all meinem Wissen. Nie zuvor im Leben hätte ich gedacht, dass es mir so sehr gefallen könnte, so sehr wie mit ihm.
Ohne es mitzubekommen, waren wir irgendwann wieder im Bett gelandet und schliefen ein.
***
Wie üblich klingelte mein Wecker um die gleiche Zeit, aber irgendwas war anders, etwas lag auf meinem Arm. Es dauerte eine Zeit, bis ich mich daran erinnerte, was geschehen war und schmunzelte. Bevor der Wecker das zweite Mal losgehen konnte, hatte ich ihn ausgeschaltet und kuschelte mich wieder an meinen Adonis.
»Heute stehe ich nicht auf. Die werden es auch mal ohne mich schaffen. Es ist viel zu gemütlich«, murmelte ich in Gedanken.
Als ich dann schließlich erwachte, lag ich alleine im Bett. Tom war verschwunden, seine Seite war bereits abgekühlt und ich fühlte ein mir unbekanntes Stechen in meiner Brust.
›Ja, warum sollte denn auch das Glück mir einmal hold sein. Es wäre zu schön, um wahr zu sein!‹ Tom kam aus Amerika und ich wohnte hier in Deutschland. Wir hätten eh keine Chance. Ich war für ihn nichts weiter als eine Urlaubsaffäre. Dieser Deckel war einfach viel zu weit weg.
Außerdem konnte ich es mir nicht leisten, mich zu verlieben. Nicht ich - und vor allem Zeth nicht, der Luxus Callboy.
***
»Na was soll’s!«, dachte ich und blickte auf den Monitor. Tätigte die Rückbuchung für ›Jerry‹ und ging endlich zur Tagesordnung über. Trat aus meinem Büro und schon kam Sascha auf mich zu. Herzhaft nahm er mich in seine Arme und offenbarte mir, dass er Kyel und Tom die Stadt zeigen wollte und ich mitkommen sollte. Ganz besonders den Weiher, in dem wir als Kinder immer schwammen.
Ich blickte zu Kyel, dessen Augen immer noch Bände sprachen, zu Tom, der mich ignorierte. Eigentlich wollte ich seine Einladung annehmen, lehnte sie dann aber doch ab. Egal, was war mit Tom los? Ich hatte nicht das Gefühl, das er mich in seiner Nähe haben wollte. Vor allem, warum er nun so kalt mir gegenüber war? Innerlich schüttelte ich mich und wandte mich von den dreien ab.
»Beruhige dich. Es ist, wie es ist. Du bist eben auf ihn hereingefallen, so wie es vielen jungen pubertierenden Mädchen auch passiert, wenn sie jemanden ›Ach so Tolles‹ sehen.« Nur hatte ich meine Pubertät schon einige Jahre hinter mir.
Ich konnte nicht glauben, dass es gerade mir passierte? Mir? War doch unvorstellbar.
Als ich in mein Büro zurückging, bekam ich eine SMS. Sie war von ›Jerry‹ und ich zog die Augenbrauen zusammen, als ich sie öffnete.
›Danke für die schnelle Rückbuchung, aber du wärst den Betrag wert gewesen.‹
»Nerv mich nicht!«, dachte ich und legte das Handy weg. Dennoch - etwas war an dieser SMS faul und ich las sie noch einmal.
Woher zum Teufel wollte er wissen, dass ich es wert gewesen wäre? Idiot. Ich hatte niemand mit dem Namen Jerry. Ich mein, ich hatte noch niemanden mit dem Namen Jerry, der mich gebucht hatte. Stone, Hard, Soul oder Captain, nur um einige zu nennen. Verschwiegenheit wurde bei mir großgeschrieben. Ich musste ja nicht damit prahlen und es in die Weltgeschichte rausschreien, dass selbst der Präsident der USA meine Dienste in Anspruch nahm. Glücklich war ich deswegen nicht, aber das Geld, das ich dabei verdiente, half mir, meine Schulden und die meiner Eltern beziehungsweise die Krankenhausrechnungen von meinem Vater zu begleichen. Mein Vater war leider nicht krankenversichert und seine private Krankenversicherung hatte ihm gekündigt, als er die Prämien nicht mehr aufbringen konnte. Und doch schien die SMS etwas in der Art einer Selbstgefälligkeit, eines Vorwurfs zu haben.
Noch einmal las ich sie und irgendwie kamen mir Tom und Jerry aus der Comicserie in den Sinn. Um ehrlich zu sein, bereits als Jerry mich buchte, hatte ich diese Maus im Kopf. Es kam nicht selten vor, dass jemand ein Pseudonym nahm, welches auf die eigene Person geschnitten war. Tom ... Tom und Jerry. Tom! Ich verschluckte mich an meiner Spucke und mir wurde es schlecht. Er wusste es. Und ich konnte mir auch vorstellen, woher er es erfahren hatte.
Plötzlich schwirrte mir ›Sire‹ durch den Kopf. Ein hart rannehmender Freier, der sich seine Männer unterwarf. Selbst mich. Seine Wünsche: Nicht sprechen, nicht stöhnen, nicht ansehen, nicht berühren, nur stillhalten und auf sein Kommando einen Orgasmus haben. Dieser Name hatte nicht nur ein Gesicht und mittlerweile besaß er nicht nur ein Pseudonym, sondern einen richtigen Namen. Kyel Kastner. Es waren ein paar Jahre und er war einer der ersten Freier, die ich bedient hatte. Im ersten Jahr buchte er mich ständig, wenn er nach Deutschland kam. Doch es ließ immer mehr nach, bis er mich nicht mehr anrief.
Nun wusste ich auch warum. Sascha.
Mir wurde es noch schlechter. Mein Magen rumorte und ich wünschte mir nur, diesen Tag schnell hinter mich zu bringen.
Egal, in welche Arbeit ich mich stürzte, immer wieder kam mir Tom in den Sinn.
***
Die Tage vergingen und die Probleme, welche mir Mario mit seinem Sam bescherte, kamen mir nur recht. Ich wusste, wie Mario in ihn verknallt war, doch dieser reiche Schnösel sah nicht einmal, was unmittelbar vor seiner eigenen Nase war. Er es kein Stück verstand, wenn man es ihm direkt an den Kopf schmiss. Er nur sich sah und jedem Rock hinterher glotzte.
Wie gesagt, die Abwechslung, die ich durch die beiden hatte, tat mir gut. Und witzig war sie ebenfalls. Wie war ich überrascht, als ich einen ›Kundentermin‹ wahrnahm und Sam im Hotelzimmer auf dem Bett saß, sein Blick im Niemandsland und wie er seine Finger knetete. ›Kleist‹ war der Name, mit dem er mich gebucht hatte, und ich musste wirklich an mich halten, um keinen Lachanfall zu bekommen. Wie kam er nur darauf? Egal.
Von Tom sah ich nichts mehr, nicht einmal mehr einen Schatten, bis der Tag der Abreise kam. Wie hatte ich es mir gewünscht, dass er einfach in meine Privaträume rein gestürmt kam und mich nahm. Unverhofft und fordernd, wie in meinen Träumen, die mich seitdem nicht mehr losließen. Mir harte Morgen bescherte und einen feuchten Fleck auf meiner Matratze hinterließen.
Ich zog mich in mein Büro zurück, in der Hoffnung nichts mehr von der Hochzeits- und Flitterwochengesellschaft zu sehen. Stürzte mich über die Abrechnung und zog meine Schublade auf.
Dort lagen sie. Lange hatte ich nicht mehr an sie gedacht. Viele Wochen hatte ich gegen sie angekämpft und fragte mich, warum ich sie nicht schon lange weggeschmissen hatte. Nun bereute ich es und zog trotzdem eine Zigarette aus der Schachtel. Die Verlockung war zu groß. Zündete sie an und den widerlichen Geschmack ignorierte ich einfach. Als ob ich nie aufgehört hatte, rauchte ich die Zigarette sofort auf Lunge. Kein Reizen, kein Husten, das Nikotin tat seine Wirkung. Mir wurde schwindlig und ich schloss für einen kurzen Moment die Augen. Ein Fehler. Sofort fingen mich heiße Küsse ein und das Stechen in meiner Brust nahm unaufhaltsam zu.
Ein Klopfen riss mich aus meiner Lethargie und die Tür wurde geöffnet. Ein Angestellter lugte rein und sagte, dass die Herrschaften ›Kastner‹ mich unbedingt noch einmal sehen wollten. Warum denn nur? Ich hatte mich doch schon von Sascha verabschiedet.
Ich trat aus dem Büro und nahm den Weg zur Anmeldung. Dort stand er. Sein Antlitz stach heraus und ich musste mich zusammenreißen. Nicht hier und nicht jetzt. Nachts, wenn ich alleine im Bett lag und er mich in meinen Träumen verfolgte, erst dann werde ich der heißen Spur des Verlustes Aufmerksamkeit schenken.
Sascha kam auf mich zu und wir umarmten uns. Kurz, freundschaftlich. Er hauchte mir ein ›Danke‹ entgegen und machte für Kyel Platz. Dieser reichte mir seine Hand, bedankte sich und im selben Atemzug drückte er mir ein Kuvert in die Hand.
»Eine kleine Aufmerksamkeit, weil du uns kostenlos bei dir übernachten lassen hattest«, flötete Sascha. »Na los, mach auf!« Wie immer war er ungeduldig und ich sah ihn vor mir, als zehnjährigen, der als Geschenkgeber, nervöser war als der Beschenkte.
»Du änderst dich nie!«, schnaufte ich und öffnete das Kuvert. Es war ein Scheck über 50.000 €. Unglauben traf mich und ich blickte abwechselnd in Kyels und Saschas Augen. Tom vermied ich, anzusehen.
»Omama hatte gesagt, dass es deinem Vater schlechter geht ...«
Nein! Sicherlich meinte Sascha es gut, aber ich wäre nicht Kilrian, wenn ich es nicht selbst bewerkstelligen könnte.
»Sascha, ich ... ich kann es nicht annehmen. Es ist zu viel.« Er grinste.
»Dachte ich mir schon, dass du das ablehnen würdest. Dann nimm es für dein Hotel. Soviel ich weiß, wolltest du es doch ausbauen?« Wieder schüttelte ich den Kopf.
»Ach Kil. Du hast dich wirklich nicht geändert«, lächelte Sascha und winkte noch einmal zum Abschied. Kyel bedachte mich immer noch mit diesem dunklen Blick.
»Keine Sorge, ich werde meine Hände bei mir lassen. Es sei denn, Sascha bezahlt mich. Aber auch dann nicht. Er ist wie ein Bruder für mich und ich würde es nicht einmal können, selbst wenn ich es wollte.« Kyel und Sascha gingen zu ihrem Wagen.
»Für ein Geschenk bist du dir zu stolz, um es anzunehmen. Aber deinen Körper zu verkaufen, um schmierige Bonzen zu befriedigen, ihnen den Schwanz zu lecken und deinen Arsch hinzuhalten, dafür langt dein Niveau. Nicht wahr Zeth.« Toms Stimme drang in mein Innerstes und mein Herz zerbrach etwas mehr.
Ich verschloss mich und meine andere Natur, die, die dies kannte, oft ertragen musste, wenn ich bei einem Kunden lag, kam hervor.
»Schade, ich hätte nicht gedacht, dass gerade du dich mit schmierigen Bonzen auf die gleiche Ebene stellst, Tom. Oder sollte ich Jerry sagen?« Noch mehr zerbrach in mir.
»Tom!«, rief Kyel ihn.
»Du hast absolut keine Ahnung!«, zischte er und drehte sich um.
»Guten Flug!«
Ich winkte Sascha noch einmal zu. Ignorierte mein Herz und setzte mein professionelles Geschäftslächeln auf. Innerlich war mir aber absolut nicht zum Lächeln.
»Danke, wir chatten!« Ich nickte und Tom fuhr das Auto vom Parkplatz.
Ich drehte mich um ... Tat einen Schritt vor dem anderen ... Die Tür kam immer näher. Nur hatte ich immer noch das Gefühl auf dem Kies, wo ich gestanden war, immer noch zu stehen und ihm hinterherblickend.
Aus!
Die Seifenblase war zerplatzt. Die rosarote Wolke verdunkelte sich. Es war ein Schlag ins Gesicht und nie wieder würde ich jemanden, jemals so nah an mich heranlassen, wie Tom.
***
Die Tage, Wochen und Monate vergingen. Tom trat immer weiter in den Schatten, bis ich ihn gänzlich vergessen hatte. Zumindest versuchte ich es mir immer wieder einzureden und ertrug somit den stetig schleichenden Schmerz in meinem Innersten.