»Was ist nur los mit dir? - Je näher Weihnachten ran rückt, umso verschlossener wirst du!«, hörte ich meinen Freund Raphael sagen und doch registrierte ich es nicht wirklich.
Weihnachten? Was ist das schon? Das Fest der Freude, das Fest der Familie, das Fest des Glückes und der Seligkeit, das Fest der Liebe? Oder wohl eher das Fest der Scheinheiligkeit und des Konsums.
Ich stand in meinem Apartment, welches sich in der obersten Etage im Bürogebäude des Kastner Import & Export befand, und blickte über die vielen bunten Lichter der Stadt. Nahm einen Schluck von dem überteuerten Wein, den Raphael extra für meine kleine private Willkommensfeier besorgt hatte und spürte, wie er hinter mich trat. Mir einen leichten Hauch auf meinen Hals setzte und dabei war, mich dazu zu überreden.
Er war eine Herausforderung. Seitdem ich ihm begegnete, wollte ich keinen anderen mehr haben. Seine tiefbraunen Augen, fast so schwarze wie dich Nacht mit einem Glanz der Vollkommenheit.
»Na komm! Ich habe etwas, mit dem ich ihn mehr aufmuntern kann«, raunte Raphael in mein Ohr und öffnete meinen Knopf. Spürte seine fordernde Hand, wie sie sich um mich schloss. Ich wollte es genießen. Meinem Freund eine Freude bereiten und versuchte, diese verruchten Augen aus meinem Verstand zu verbannen. Es ging nicht, denn sofort bemerkte ich, wie Raphael sich lustvoll anspannte. Mein Schwanz gab nach und ich wusste auch, wenn ich ihm jetzt nicht das gab, was er von mir wollte, so hatte ich den nächsten Exfreund auf meiner Liste.
Sex aus Pflichterfüllung. Aber verkaufte ich mich damit nicht genauso wie Kilrian, oder sollte ich besser sagen wie Zeth, der sich für Geld hingab? Aber diesen Gedanken schob ich sofort wieder von mir. Darüber wollte ich gar nicht erst nachdenken.
Ich drehte mich zu ihm um und blickte ihm kurz in die Augen. Sie waren braun. Nur hatten sie eben nicht dieses dunkle Braun, nach welchem ich mich so verzehrte. Sofort drückte ich ihn runter und deute ihm an, dass er mir einen blasen sollte. Ich schloss meine Augen und rief ihn mir ins Gedächtnis. Seinen Körper, sein verschmitztes Lächeln, sein lustvolles Stöhnen und fing durch die Reibung, die Raphael mit seinem Mund tätigte an zu stöhnen. Ich ging fremd, in Gedanken betrog ich ihn immer und immer wieder, während wir Sex hatten. Jeden meiner Exfreunde habe ich auf diese Weise betrogen. Ich sah nicht sie. Ich sah nur einen, einen einzigen Mann, der für mich unerreichbar geworden war.
Nicht ganz. Ich könnte ihn anrufen, buchen und er wäre da.
Oft spielte ich mit dem Gedanken, es zu tun und doch, diese Gewissheit, dass es nur ein Job für ihn war, hielt mich davon ab. Er würde nicht mich sehen, sondern einen Kunden, den er bediente.
Der Orgasmus kam, doch er gab mir keine Befriedigung. Raphael führte mich zum Bett und legte mich so, wie er mich haben wollte. Ich ließ es zu und ertrug den Schmerz seines Eindringens. Die brutale Dehnung und wie er meinen Körper nahm. Mehr nicht. Am Ende drehte ich mich zu ihm um und hauchte ihn einen geheuchelten Kuss auf die Nase. Stand auf und ging unter die Dusche. Ich musste seinen Geruch abwaschen, welches vergebene Mühe war. Immerhin wohnte er seit einigen Wochen bei mir und sein Duft war überall in diesem Apartment.
Als ich aus der Dusche kam und ins Bett gehen wollte, sah ich, dass Raphael fertig angezogen war.
»Wo gehst du hin?« Er drehte sich zu mir um und lächelte mich leicht an.
»Ich muss noch einmal fort!« Er verdrehte die Augen. »Die Agentur hat ein Meeting einberufen.« Ich nickte nur und ging ins Bett, es war mir egal.
Raphael beugte sich zu mir runter und gab mir einen Abschiedskuss. Für ihn bedeutete er »Ich liebe dich und ich komme alsbald wieder.« Aber für mich bedeutete dieser Kuss nichts. Es war fast so, als ob ein Kind sein Stofftier abknutschte und es im nächsten Moment in die Ecke wirft.
***
Noch bevor Mr. Kastner ins Bürogebäude kam, stand ich schon an der Anmeldung und ging seine Termine durch, die ich wieder verschieben musste. Seine Vorstandsmitglieder hatten ein Meeting einberufen, das jetzt auf gleich stattfand. Ich sah, wie er mit seinem Wagen ankam und schenkte, in die vorgewärmte Tasse, seinen allmorgendlichen Kaffee ein. Ohne aufzusehen, mit dem Hörer am Ohr überreichte ich ihm die Tasse und er steuerte sofort den Konferenzsaal an.
Inzwischen hatte ich schon den fünften fluchenden Kunden besänftigt und ich rieb mir die Stirn, als ich in den Konferenzsaal gerufen wurde.
Als ich den Raum betrat, polterte Kyel schon los.
»Tom! Rufen Sie Anthony an. Die Sache ist mehr als dringend!« Mehr als ein »Ja, Sir!«, bekam ich nicht raus und verschwand wieder. Verfluchte Scheiße, so außer sich hatte ich ihn schon lange nicht mehr gesehen, geschweige denn erlebt. Ganz besonders diese kleine Geste, die er immer machte, wenn er sehr nervös war. Er drehte seinen Ehering stetig hin und her, das bedeutet, dass irgendetwas mit Sascha los war.
Die Nummer rauszusuchen brauchte ich nicht. Sie war intern im ganzen Haus eingespeichert und ich drückte die 2 mit #.
Nach dem ersten Klingeln ging er ran.
»Anthony, Kyel braucht dich. Er sagte, es sei dringend.«
»Gut ich rufe ihn gleich an!« Er legte auf und ich atmete tief ein.
Irgendwie fühlte ich mich um ein paar Jahre zurückversetzt. Diese Nummer wählte ich damals am Tag mindestens zwanzigmal an und in der Nacht nicht weniger.
Plötzlich kam Kyel aus dem Konferenzsaal gestürmt und schleuderte mir über seinen Rücken zu, dass ich herausfinden soll, wo Sascha ist.
»Er wird in seiner Praxis sein!«, entgegnete ich ihm.
»Nein, ist er nicht und sein Handy ist ausgeschaltet.« Okay! Hatte ich nicht gerade gesagt, dass ich mich um ein paar Jahre zurückversetzt fühlte. Das war gelogen. Ich war die paar Jahre zurückversetzt und die Sorge von damals machte sich erneut in mir breit.
Ich wählte die Handynummer von Sascha und wie bei Kyel ging nur die Mailbox an. Keine Ahnung, wie oft ich die Wahlwiederholung betätigt hatte, bis nach einer dreiviertel Stunde, Sascha endlich ran ging.
»Tom, was ist denn los? Ich habe hier 35 Anrufe von Kyel und von dir sind es auch nicht weniger!«
»Wo bist du?«
»Ich war im Krankenhaus bei einer Patientin, … Oh! Kyel ist schon da, …!« Er legte auf. Gut wenigstens war mit Sascha alles in Ordnung und mein Innerstes beruhigte sich wieder.
Seit der Sache von vor ein paar Jahren, standen sämtliche Alarmanlagen von Kyel auf Hochspannung. Und für mich war das ansteckend. Denn so wollte ich meinen Chef nie wieder sehen. Geschweige denn Sascha, der mir sehr ans Herz gewachsen war.
Kyel kam anschließend nur noch kurz ins Büro und überließ alles Weitere mir. Typisch!
***
Inzwischen waren sämtliche Angestellte schon nach Hause gegangen und ich machte noch einen kurzen Rundgang, nicht, dass sich noch welche verirrt hatten. Die Hauptsicherung für die Leuchten schaltete ich aus. Danach betätigte ich den Aufzug, der in mein Apartment führte und drückte die 15, die nur für mich bestimmt war, und lehnte mich an die Wand. Lange dauerte die Fahrt nicht und ich stand inmitten meines Apartments. Kyel hatte es so eingerichtet, dass der Aufzug auch meine Wohnungstür war. Diesen Luxus hatte nicht jeder. Sicherlich hatte ich noch eine Hintertür, die in den Treppenaufgang führte, für den Fall der Fälle, sollte ein Brand ausbrechen oder sonst was vorfallen.
Ich war durch den heutigen Tag wie erschlagen und seit gestern Abend, war Raphael nicht nach Hause gekommen. Eigentlich kam es mir Recht, den Abend alleine zu verbringen, und doch spürte ich so etwas wie eine Pflicht und rief ihn an.
»Hey!«, meldete er sich.
»Wann kommst du nach Hause?«, fragte ich und hörte ihn kichern.
»Vermisst du mich etwa!« Eigentlich nicht.
»Irgendwie schon!« Ich löste meine Krawatte und entledigte mich meiner Hose.
»Ich komme ungefähr in vier Stunden nach Hause, wenn das Flugzeug rechtzeitig landet.«
Ich sah die dunklen braunen Augen, die fast schon ins schwarze gingen vor mir. Unaufhörlich huschten sie durch mich durch und Reizströme verursachten einen unaufhaltsamen Stau in mir.
»Gott!«
»Was ist denn los!« Seine Stimme war plötzlich sehr besorgt.
»Scheiße, ich glaube, so lange kann ich nicht mehr warten!«
»Oh Tommy!«, raunte er. »Ich gebe dir, was du willst. Ich weiß, wie du auf Dirty Talk stehst. Mein kleiner versauter Engel. Tu, was ich dir sage!« Ich hatte die Augen geschlossen. Kilrian. Sah ihn. Sein verschmitztes Lächeln. Hörte seine Stimme. Nur seine Stimme. Raphael war nicht mehr da. Nie war er da.
»Ja! Sag’s mir!«, verlangte ich von Raphael.
»Umgreife dich und gebe dich meiner Stimme hin …!« Dirty Talk beherrschte Raphael und ich stöhnte und keuchte ins Telefon. Ich biss mir auf die Lippen, denn es kam mir nur ein anderer Name in den Sinn und den konnte und wollte ich nicht raus stöhnen. Kilrian. »Oh ja mein Engel, das war ein guter Orgasmus. Dehne dich für mich in der Zwischenzeit. Ich werde dich dann durchvögeln.« Er legte auf und ich blickte auf meine mit Sperma besudelte Hand.
Shit, ich brauchte diese Scheiße wirklich nicht. Was ich brauchte, war er. Er wusste, wie er mich handhaben musste. Instinktiv wusste er, was ich wollte und wie ich es wollte. Er hatte es mir in dieser einen einzigen Nacht gegeben.
Raphael war gut in seinem Tun, die Anderen ebenfalls, aber keiner kam an ihn heran. Ich denke, wenn ich mich ihm dargeboten hätte, so hätte selbst das Vögeln mit ihm eine andere Bedeutung gewonnen. Doch dem war nicht so. Ich hatte ihn genommen. Kilrian hatte mich anderweitig verführt. Auf so vielen Arten und jede war einzigartig. Keine Ahnung, wie viele Orgasmen er mir in dieser Nacht geschenkt hatte, aber ich fühlte mich wohl, glücklich und geborgen.
Das Bett wackelte leicht und Raphaels eigener Duft schlug mir entgegen.
»Böser Junge. Ich sagte doch, du sollst dich für mich bereitmachen!«, flüsterte er und ich spürte, wie er sich zwischen meine Beine schob.
»Warum sollte ich das? Du willst doch selbst Hand anlegen«, murmelte ich und als Bestätigung zog er meine Hinterbaken auseinander und seine Zunge nahm ihre Arbeit auf. Seine Finger folgten und irgendwann hatte er sich in mich gedrückt. Ich ging in seinem Rhythmus mit ein, aber er schaffte es nicht, mir noch einmal einen Orgasmus zu bescheren.
***
Der nächste Tag war Gott sei Dank ein Samstag und ich hatte frei. Leider hatte ich nicht damit gerechnet, dass auch Raphael frei hatte, und so saßen wir schweigend am Frühstückstisch. Er tippe wie üblich auf seinem Laptop herum und schrieb irgendwelchen Freunden, die ich noch nicht einmal kannte. Ich selbst hatte ein Buch zur Hand genommen, aber las nicht wirklich darin. Ich konnte mich nicht auf das Geschriebene konzentrieren und schaute stattdessen aus dem Panoramafenster.
Gegen Mittag. Raphael lag auf der Couch und schlief, als mein Handy klingelte. Es war Sascha und ich verdrehte schon meine Augen. Er hatte immer irgendwelche ausgefallene Ideen, die sofort umgesetzt werden mussten. Doch diesmal wollte er einfach nur Reden und ich konnte mir kaum vorstellen, warum er so niedergeschlagen war.
»Ach Tom, was soll ich machen? Ich wollte mit Viviane zum Weihnachtsmarkt und Kyel lässt uns nicht«, rückte er mit der Sprache raus.
»Ich kann dazu nichts sagen. Ich weiß nicht, was gestern in der Firma vorgefallen ist.«
»Es ist das erste Weihnachten, welches sie erlebt und jetzt …!«
»Beruhige dich erst einmal, vielleicht kannst du nächste Woche gehen. Bis Weihnachten sind es noch drei Wochen.« Es ging noch etwas Hin und Her und am Ende hatte er sich wieder beruhigt.
Auch wenn ich es gerne ignoriert hätte, aber mein Bauchgefühl für das kommende Weihnachtsfest war flau. Zumal ich nicht wusste, was Kyel so aus der Fassung hatte geraten lassen, dass er selbst seinem Sascha und seiner geliebten Tochter Viviane den Weihnachtsmarkt verbot.
Viviane war ein Racker. Mit ihrem knapp dreiviertel Jahr, hatte sie schon jeden um den Finger gewickelt, selbst John, der eigentlich auf jeden eifersüchtig war, der auch nur in die Nähe von Sascha kam. Sogar er hatte das kleine Mädchen ins Herz geschlossen.
Das Wochenende verging eher schleppend und ich sehnte mich danach, mich wieder in die Arbeit stürzen zu können. Raphael machte seiner Rolle als treusorgender Freund alle Ehre und wir landeten öfters im Bett, als mir lieb war.
Ich war froh, dass er endlich fertig war, ich unter die Dusche gehen konnte und den Sonntag hinter mich bringen konnte, als Raphael mich anblickte, als ginge gerade die Welt unter.
»Tom wir müssen Reden!«, fing er an und ich konnte mir vorstellen, worauf es hinauslief.
»Schieß los!«, meinte ich nur und deckte mich zu.
»So geht das nicht weiter. Ich fühle mich, als ob ich ein Lückenbüßer wäre. Du bist da. Ja. Wir schlafen miteinander. Ja. Aber es fehlt trotzdem etwas, …!« Ich hörte ihn und auch wieder nicht. Denn in mir nagte der Gedanke, ihn rauszuschmeißen. Soll ich es tun? Eigentlich ja. Ich wusste, dass ich ihn nicht liebte und doch half er mir, den anderen zu vergessen. Nein, das tat er nicht. Im Gegenteil, wenn er auf mir lag, dann sah ich nur Kilrian. Stellte mir vor, dass es Kilrian war, und am Ende war ich enttäuscht, weil es nicht so war.
»Ja, du hast Recht!«, sagte ich und wusste doch nicht, was er eigentlich gesagt hatte. »Und es tut mir leid. Ich bin oft mit den Gedanken woanders und die Arbeit tut ihr Übriges. Ich liebe dich!« Gott, warum habe ich das jetzt gesagt? Ich wusste warum. Raphael sollte mich ablenken, er sollte mich dazu zu bringen ihn zu vergessen. Meinen Schwarm, dem ich seit mehr als eineinhalb Jahren, … Eigentlich nutzte ich ihn nur aus. Mir war bewusst, dass das verwerflich war, aber ich konnte nicht anders.
»Ich weiß, dass du mich liebst, aber irgendjemand funkt dazwischen. Ich spüre es und ich sehe es, wenn du dir auf die Lippen beißt. Jemand anderes huscht durch deine Gedanken. Aber ich nehme es dir nicht übel. Denn du bist jetzt bei mir und er, wer immer es auch sein mag, ist ein Arsch gewesen dich gehen zu lassen. Du bist es wert, um dich zu kämpfen. Ich werde um dich kämpfen, …« ich beugte mich zu ihm rüber und gab ihm einen Kuss auf seine Lippen.
»Danke, dass du so nachsichtig bist.«
***
Der nächste Tag fing genauso an, wie alle anderen auch, wenn ich in die Arbeit musste. Noch bevor ich richtig wach war, rief Kyel schon an. Meistens waren es Nachfragen, wegen irgendwelcher Termine, die außerhalb der Firma stattfanden. Nicht nur Kyel rief mich an, auch Nicole, Cameron und der Neue, Aiden. Nicht nur, dass er der Schwager in spe von Kyel war, er hatte einfach ein Händchen für solch einen Führungsposten. Noch bevor mein Kaffee richtig aufgebrüht war, war ich schon mitten in der Arbeit und bekam nur am Rande mit, dass Raphael sich verabschiedete.
Wieder bekam ich einen Anruf von Kyel. Ich sollte mich bei ihm daheim einfinden und leitete die eingehenden Anrufe für die Firma auf das Headset um. Handy am Ohr und Autofahren, war nicht gut. Ich hatte schon inzwischen mehrere Strafzettel diesbezüglich bekommen, die Kyel zwar bezahlte, die mir aber auch eine rote Akte bei der Polizei einhandelten.
Ich fuhr auf den Parkplatz der Villa und staunte nicht schlecht. Ich sah das Auto von Emily, die von sämtlichen SPA-Agenten und einen Polizeiwagen. Auch der Audi von Sascha war noch da, obwohl er eigentlich schon lange in der Arbeit sein müsste. Scheiße, was ist denn hier los?
Das letzte Mal gab es so ein Aufgebot, als Sascha entführt worden war und meine innere Unruhe wuchs.
Ich stieg aus und sperrte die Tür auf. Dann trat ich in die Villa, und seitdem Sascha und Loren eingezogen waren, veränderte sich stetig die Inneneinrichtung. Jetzt lag überall Spielzeug herum und Loren wuselte, wie üblich in der Küche. John saß auf dem Boden und spielte mit der Lok. Lenard saß neben ihm und versuchte sich mit dem Aufbau eines kleinen Bahnhofgebäudes. Eigentlich war eine Doppelhochzeit geplant gewesen, aber Loren meinte, dass sie ihrem Sascha den Vorzug gab. Nun ihr könnt euch nicht vorstellen, wie Sascha darauf reagiert hatte. Er war außer sich und hatte sich am Ende doch noch einsichtig gezeigt. Natürlich nur, nachdem seine Mutter ihm mit ihrer Meinung die Schranken gewiesen hatte.
»Doppelhochzeit alles gut und schön, aber du und Kyel sollt die volle Aufmerksamkeit haben und Lenard und ich haben sie dann später. Wir waren beide schon einmal verheiratet. Wir können warten.« Nun bis jetzt gab es diesbezüglich keine Andeutungen mehr. Selbst nicht als John der Sohn von Emily und Anthony zur Loren ›Oma‹ sagte und zu Lenard ›Opa‹.
Sascha saß auf der Eckbank und das Bild, welches er mir darbot, ließ mich schaudern. Er war in sich gekehrt und hatte statt John seine Tochter Viviane auf dem Arm.
Was zum Teufel ist hier nur los?
Ich ging aus der Küche und bahnte mir den Weg zum ehemaligen Atelier, die wie mir scheint, schon wieder zu einer Einsatzzentrale umfunktioniert wurde.
»Tom endlich bist du da!« Seine Stimme überschlug sich fast und ich wurde hellhörig. Er nahm mich zur Seite und bestätigte mir meine schlimmsten Befürchtungen.
»Was? Wie konnte er aus dem Hochsicherheitstrakt fliehen?«, fragte ich fassungslos.
»Das wissen wir nicht!«, schaltete sich Anthony ein und so wie er aussah, war dies ein Ding der Unmöglichkeit, die selbst die besten SPA-Agenten zum Grübeln brachten.
»Er wurde, seit er verhaftet rund um die Uhr bewacht. Es muss ihm jemand von außerhalb geholfen haben«, sprach Loris, der sich ein Bier aufgemacht hatte.
»Wer?« Jeder zuckte die Schulter.
»Wenn wir das wüssten, hätten wir was dagegen unternommen«, fügte Anthony hinzu.
»Tja, man darf Nigel eben nicht unterschätzen und das war unser Fehler«, murrte Gerbert, der sich eine Zigarette anzündete, und ich sah die Abneigung in Kyels Haltung.
»Hier gibt es Kinder. Hier wird nicht geraucht!«, kam dieser sofort und nahm Gerbert die Zigarette aus dem Mund.
Soviel ich wusste, war Nigel Clancy ein Genie im technischen Bereich. Er konnte, wenn er wollte, jeden und alles auf die falsche Fährte bringen. Den Willen eines Menschen vollkommen brechen. Noch dazu war er sehr kampferprobt. Eine wirkliche gefährliche Kampfmaschine ohne Skrupel.
»Und, … und wisst ihr schon, auf wen er es abgesehen hat?«, stotterte ich meine Frage und blickte verstohlen in die Richtung, in der die Küche lag.
»Nun, wir können darüber mutmaßen, aber wir glauben alle, dass er nur aus einem einzigen Grund ausgebrochen ist!«
Sascha!
Mit diesem Gedanken stand ich wohl nicht alleine da und jetzt verstand ich auch, warum Kyel seinen Sascha nicht zum Weihnachtsmarkt hat gehen lassen.
»Wie nimmt er es auf?« Kyel schüttelte mit dem Kopf.
»Als ich es im erzählte, er, … er, … Scheiße. Er musste so viel durchmachen. Schon allein die ständigen Verhandlungen, weil immer, …!«
Ich wusste Bescheid. Ich wusste auch, welche Kraft es Sascha gekostet hatte, mit festem Blick und Stimme alles, aber auch wirklich alles, wiederzugeben. Jede Einzelheit. Auch die Beschämende, dass es ihm am Ende gefallen hatte, dass er nach mehr lechzte, nur um zu wissen, dass er noch lebte. In der Hoffnung zu leben, dass er irgendwann wieder zu Kyel zurückkehren konnte.
»Aber wie seid ihr eigentlich darauf gekommen, dass er ausgebrochen ist?«
»Wir haben einen Informanten, der uns direkt angerufen hat, als sein Verschwinden aufgefallen ist.«
»Wie konnte er ausbrechen, ohne dass es einer der Wachmänner mitbekam?« Die Antwort bekam ich sofort. Nigel hatte jemanden beauftragt, für ihn einzuspringen, damit er ungesehen verschwinden konnte. Dieser musste dann nur noch warten, bis die nächste Besuchszeit kam. Sich seiner Schminke entledigen, umziehen und so tun, als ob er ein Besucher war. Dies musste er alles zeitlich geplant haben, mit Voranmeldung und dem ganzen Drumherum. Aber, und dies war die entscheidendste Frage, wer würde sich dafür hergeben, einem Schwerverbrecher zu helfen? Der noch dazu die gleiche Statur aufwies … ich konnte darüber grübeln, wie ich wollte. Ich verstand es nicht.
Ich zog mich in die Küche zurück und sah Sascha jetzt am Laptop sitzen. Er sprach Deutsch und die Stimme, die aus der Box kam, verursachte in mir eine Gänsehaut. Seine Stimme, die ich mir immer und immer wieder vorstellte. Die ich noch genau in Erinnerung hatte, auch wenn ich sie so lange nicht mehr gehört hatte. Die ich in Gedanken hörte, während ich mit meinen Lovern Sex hatte. Und ich sah seine tief dunkelbraunen Augen, die schon ins Schwarze gingen, die alles in sich einzogen, …
»Das ist schön!«, sagte Sascha. »Das ist wirklich wunderbar und natürlich wirst du bei uns wohnen. Die Kosten für ein Hotel sparst du dir.« Er blickte hoch. »Mom! Kilrian übernachtet bei uns. Er hat einen Lehrgang in so einem Gastronomiedingens, …!« Ich hörte, wie Kilrian lachte.
»Gastronomie- und Hotelbewirtschaftung!«, verbesserte er ihn.
»Aber warum brauchst du das? Du hast doch schon fünf Sterne!«
»Schon, aber man darf nicht stillstehen und sich auf dem Ruhm ausruhen. Ich muss immer weiter lernen und mich stetig verbessern. Sascha ich muss weiter machen. Wir sehen uns, spätestens in einer Woche.«
»Ja, bye bis in einer Woche.« Sascha blickte auf und seine Augen leuchteten.
»Was ist los?«, fragte Kyel und ich zuckte zusammen, denn ich hatte ihn nicht hereinkommen hören.
»Du wirst es nicht glauben, aber Kilrian kommt in einer Woche zu uns. Er macht so einen Lehrgang, wegen so einer Gastronomiedingensgeschichte.«
»So!«, gab Kyel darauf zurück und seine Augen veränderten sich.
Emily kam in die Küche, sie hielt eine fast schlafende Viviane auf dem Arm und meinte, dass sie bereit sei fürs Bett. Sofort sprang Sascha auf und nahm sie ihr ab.
Als er aus der Küche gegangen war, setzte sich Kyel an dem Tisch und trank seinen Kaffee. Anthony und all die anderen taten es ihm gleich.
»Die Sache mit dem Verführer geht wohl doch noch vonstatten …« nahm Kyel das Gespräch in die Hand und alle anderen blickten ihn fragend an. »Er kommt zu uns!«, gab Kyel auf die fragenden Augen die Antwort.
»Wie hast du das denn geschafft?«, jubelte Anthony los.
»Gar nicht. Er hat sich selbst angemeldet!« Das war alles nur noch spanisch für mich. Die sprachen über etwas, was ich gar nicht verstand.
Das Einzige, was ich verstand und mich auch den ganzen Tag verfolgte, war diese Stimme. Sie klang selbst durch die Boxen mehr als nur verführerisch.
Gott machte die Stimme mich wahnsinnig und ich wurde, je länger es dauerte, immer hibbeliger.
Endlich war meine Arbeitszeit vorüber und ich fuhr nach Hause, in der Hoffnung einen wartenden Raphael vorzufinden. Er musste jetzt herhalten. Er musste mich ficken, damit ich das Timbre dieser Stimme aus meinem Innersten bekam.
Während der Fahrt nach oben zerrte ich die Krawatte runter und fing an, mein Hemd zu öffnen. Als die Aufzugtür sich endlich öffnete, war ich mehr oder weniger schon fast ausgezogen.
Raphael war da und er blickte mich leicht geschockt an. Sofort beendete er sein Telefonat und kam auf mich zu. Ohne ein Wort zu sagen, packte er mich im Nacken und schob mir seine Zunge in den Rachen. Seine Hände suchten meine Wölbung, und als er sie zu spüren bekam, keuchte er in meinen Mund. Er ließ von mir ab und zog mich Richtung des Bettes.
Die restlichen Klamotten fielen unbeachtet zu Boden und ich ließ ihn mich nehmen. Oh ja, er fickte mich und ich schloss meine Augen. Seine Bewegungen und das Gesicht mit den schwarzen Augen trieben mir die Tränen hoch.
Ich flehte Raphael an, härter zu werden und doch schaffte er es nicht, diesen Geist zu vertreiben.
Mit einem ›Shit‹ ergoss ich mich auf die Matratze und die Tränen flossen unaufhörlich in das Kissen. Ich konnte nicht anders und ich musste mir eingestehen, dass ich Kilrian liebte. Verfluchte Scheiße nur allein seine Stimme zu hören, machte mir dies klar.