Nach dem telefonischen Kundengespräch, welches mich auf andere Gedanken bringen sollte, beruhigte ich mich überhaupt nicht. Ich ließ mich auf einen Stuhl sinken. Vergrub meinen Kopf in den Händen und fragte mich ständig, warum? Warum konnte er mich nicht einfach in Ruhe lassen? Ich hatte kein Interesse an ihm oder seinen Geschäften, die, wenn ich auch nur einen kleinen Teil davon der Polizei erzählen würde, ihn für viele Jahre hinter Gittern brachten.
Aber was konnte ich tun? Nichts! Allein die Tatsache, dass ich der Sohn von einem Drogenboss und Zuhälter war, würde ausreichen, um selbst für ein paar Monate ins Visier der Ermittlungsbehörden zu geraten.
Wenigstens spannte Kyel mich später wieder voll mit Arbeit ein, so war der heutige Vorfall dann doch bald vergessen, wenngleich ein nebliger Schatten stetig in meinem Hinterkopf hauste.
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Eine Woche später war es dann so weit. Seitdem unerwünschten Besuch von meinem Vater hatte ich nichts mehr von ihm, oder von seinen Schergen gehört. Er brauchte mich auch nicht damit zu nerven, denn er wusste bereits, dass ich kommen würde. Wie jedes Jahr. Einmal im Jahr. So war es abgemacht. Er ließ mich in Ruhe und ich würde immer zu seinem Geburtstag, an diesem Familientag, den braven Sohn spielen.
Sicherlich sah ich auch einige, die ich leiden konnte. Die von den Machenschaften meines Vaters nichts wussten. Zum Beispiel Oma Nanna, Okay, sie hieß Nadeschda, würde ich gerne wiedersehen. Zu einigen hatte ich noch Kontakt, aber auch nur übers Internet. Meine Arbeit spannte mich viel zu sehr ein, als dass ich mal, schnell einen Kurzurlaub nach Russland antreten könnte.
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Ich richtete meine Krawatte und blickte über die nächtliche Stadt, bis meine Aufmerksamkeit zu dem eingepackten Geschenk schweifte. Es war sein Lieblingswhiskey und so sicher, wie ich wusste, dass das Amen in der Kirche kam, wusste ich, dass sein ganzer Keller mit diesem edlen Gebräu voll war. Mir war es egal. Ich hatte mir keine Mühe gegeben, ein passendes Geschenk zu suchen. Hauptsache ich hatte etwas, um den Anstand zu wahren. Die Flasche hatte ich schon vor vielen Monaten gekauft. Diese Sorte war nur während drei Monaten zu einem ›annehmbaren‹ Preis zu erhalten. Einen Preis, den auch ich mir leisten konnte.
Ich hasste den Winter, die Kälte und zog meinen Mantel an. Kurz betrachtete ich mich im Spiegel und wenn die Situation nicht so verkorkst wäre, könnte man meinen, dass ein als Mafiosi verkleideter Mann, während des Mardi Gras, mich anschaute. Ich drehte mich von diesem Anblick weg und steuerte den Aufzug an. Drückte auf den Knopf und sofort bewegte sich der Aufzug und die Schiebetür glitt auf. Ich trat ein und drückte auf Erdgeschoss. Als ich den Empfang betrat, gingen die wenigen Lichter an, die mit Bewegungsmeldern ausgestattet waren. Gab an der Tür den Code für die Alarmanlage ein und schaltete sie ab. Trat in die Kälte und aktivierte sie wieder.
Kurz stand ich regungslos da und starrte das bereits wartende Auto an. Vor ihm stand der Bodyguard meines Vaters und wollte mir schon die Tür öffnen. Doch ich schüttelte den Kopf.
»Sorry! Ich fahre mit meinem eigenen Auto!«, sagte ich.
»Mr. Selter besteht darauf!«, sagte der Mann und wieder schüttelte ich den Kopf.
»Sagen Sie ihm, Sie hätten alles versucht, um mich in den Wagen zu bekommen, doch am Ende haben Sie Sterne gesehen, ...« Nun er schien wohl nicht gerade einer von der hellsten Sorte zu sein, doch am Ende überzog ein herablassendes Grinsen sein Gesicht.
»Mr. Selter, darf ich dennoch bitten ...!«
»Wo findet die Party statt? Wieder im gleichen Restaurant wie letztes Jahr oder will er vor seiner Familie angeben und lässt die Party in seinem Penthouse steigen?« Bevor er mir die Antwort gab, war ich schon in meinem Auto und fuhr vom Parkplatz. Nun, er war anscheinen doch ziemlich schnell, denn es dauerte keine Minute und er fuhr hinter mir her. Ein Katz und Maus Spiel wäre vielleicht in Anbetracht der Situation mal eine willkommene Abwechslung. Unaufhaltsam schob sich dieser Gedanke immer weiter nach vorne, dennoch fuhr ich ohne Umwege in meine eigene Hölle.
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Wie kam es überhaupt so weit? Dad war immer alles für mich gewesen. Mit ihm konnte ich Pferde stehlen gehen, natürlich als Metapher gemeint, denn jetzt war ich mir nicht mehr so sicher, dass er dies nicht in die Tat umsetzen würde und direkt eine ganze Herde stahl. Nur, weil ich es wollte. Gott!
Vor vielen Jahren hatte ich meine Schule hinter mich gebracht und bekam sofort ein Vorstellungsgespräch bei Kyel Kastner. Damals war es noch eine kleine Firma und keiner konnte ahnen, wie weit sich diese Geschäftsidee entwickeln würde. Nun, jetzt war er einer der Führenden in der Branche und Kyel Kastner, wird jetzt schon als bedeutende Legende gehandelt.
Nun ich schweifte ab.
Ab wann war mein Dad nicht mehr mein Dad? Seitdem Augenblick als ich ihm mitteilen wollte, dass ich eine Lehrstelle hatte. Ich stürmte über die Treppe hinterm Nachtclub zu unserer Wohnung, weiter bis in sein damaliges Büro. Ohne anzuklopfen, riss ich die Tür auf und ...
... Und diesen Anblick wünschte ich meinen schlimmsten Feind nicht. Ein Mädchen, verweint und wimmernd, hing an der Decke und drei gestandene Mannsbilder bearbeiteten sie. Ihre Brüste, Arme und Beine bluteten. Blut lief ihr über die Innenseite ihrer Schenkel, keiner der Anwesenden schien mich zu bemerken. Keine Ahnung, wie lange ich dem Treiben zugeschaut hatte, nein eher gestarrt hatte, denn die Zeit stand still und ich sah nur das Mädchen. Sie war nicht einmal mehr fähig zu schreien.
Als sich mein Magen bemerkbar machte und ich mich lauthals übergab, ging alles schnell. Ich hörte wie Dad, so etwas wie »Scheiße« und »wer hat die Tür nicht abgeschlossen« schrie, erwachte ich aus meiner Triade der Kotzerei und der Starrheit.
Ich machte kehrt und rannte in mein Zimmer.
Zuerst saß ich nur auf dem Bett und ignorierte das Klopfen an der Tür. Das Bild meines Helden war zerbrochen und ich konnte es einfach nicht fassen. Das war nicht mein Dad. Das war der Teufel.
Keine Ahnung, wie viele Stunden ich einfach nur da saß und rein gar nichts mitbekam. Immer wieder ging mir der Anblick des Mädchens durch den Sinn und irgendwann stand ich dann meinem Vater wieder gegenüber.
Er belächelte mich nur und sagte nichts.
»Geht es dem Mädchen gut?« War die einzige Frage, die ich stellte. Ich wollte es immer noch nicht glauben, dass er selbst Hand angelegt hatte. Ich sagte mir immer wieder vor, dass es nicht er war, sondern einer, der genauso aussah wie er.
»Sie ist nur eine Hure.« Erst jetzt blickte ich in seine Augen, die kalt waren und Verachtung ausdrückten. Waren die immer so?
»Sie hatte das verdient ... - Mach dir darüber keine Gedanken. So ist das Geschäft ...« Ich konnte nicht mehr. Allein diese Aussage reichte aus, um in mir etwas zerbrechen zu lassen. Ich schüttelte nur den Kopf.
Die nächsten Wochen waren die Hölle für mich. Dad wollte mich unbedingt in sein ›Geschäft‹, so wie er es nannte, einarbeiten. Und je mehr ich erfuhr, umso mehr Hass und Abneigung baute sich in mir auf. Das ging bis zu dem Tag, als er mir verbieten wollte, weiter in die Lehre zu gehen. Er meinte, ich hätte etwas Besseres verdient, als ein Arschkriecher zu werden.
Da bin ich dann ausgezogen und fing an, in Kyels Büro zu nächtigen. Natürlich blieb Dad nicht untätig und versuchte, mich immer wieder aufs Neue zu überreden. Ich blieb stur und am Ende blieb ihm nichts anderes übrig, als mich mehr oder weniger gehenzulassen. Aber nur mit der Auflage, dass wenn er mich rief, ich zu ihm kommen musste. Wenn ich dies nicht täte, er mich abholen ließ, oder etwas anderes passieren würde. Nun bis jetzt gab ich ihm keine Gelegenheit, mich mit irgendetwas erpressen zu können. Solange ich tat, was er verlangte, war alles in bester Ordnung. Nur, ich würde lügen, wenn mein Bauchgefühl nicht etwas anderes sagte. Dieses Jahr würde es zu einem Bruch in unserem Deal kommen. Wie? Wenn ich das wüsste.
Ich hielt vor dem Penthouse, denn laut Vater sollte ich ihn erst privat treffen. Sein Bodyguard stand plötzlich hinter mir und führte mich durch das Gebäude. Er schien seine Aufgabe sehr gewissenhaft zu nehmen. Er sprach in sein Headset rein und die Tür ging auf.
Als ob nie etwas gewesen wäre, kam mein Vater auf mich zu und umarmte mich. Sein teures Parfum stieg mir in die Nase, aber da war noch ein zweiter Geruch ... ein Geruch, der sich tief in meiner Erinnerung eingegraben hatte. Ein Duft, von dem ich in der Nacht träumte ... Nein! Das war absurd! Innerlich schüttelte ich mich und drückte mich von ihm weg. Überreichte ihm sein Geschenk und tat so, als ob ich mich etwas umsehen würde. Tatsächlich wog ich ab, wie und wann ich hier verschwinden könnte. Nur, und das wusste ich, seine Türen wurden bewacht.
Die Begrüßungsfloskeln waren, Gott sei Dank, bald vorbei und wir begaben uns zur eigentlichen Party.
Auch wenn ich nicht gerne hier war, so freute ich mich doch, meine Verwandtschaft wieder einmal sehen zu können. Ich kam ins Gespräch mit meiner Cousine, sie war, wie es sich herausstellte, seit einem halben Jahr verheiratet.
»Tja Tom, du wolltest ja nie!«, stichelte sie und ich zuckte nur die Schulter.
»Glaube mir, es wäre nie gut gegangen.« Es war eine ausgelassene Party, aber dennoch spürte ich einen ekelhaften Nachgeschmack, jedes Mal, wenn ich Dad mit seinem Handy sah, oder wenn einer von seinen Bodyguards sich zu ihm ans Ohr beugte. Jedes Mal wurde sein Ausdruck zufriedener, bis er gänzlich gelöst war.
Ich möchte nicht wissen, wie viele heute Nacht unter seinem Regime gelitten haben, damit er jetzt so friedlich wirkte.
***
Völlig geschafft von der gespielten Heuchelei sank ich später in mein Bett. Nur an Schlaf war nicht zu denken. Irgendetwas war heute anders, nur war mir nicht klar was. Mit diesen Gedanken schlief ich ein und bekam nicht einmal mit, wie Raphael sich neben mich legte.
Der nächste Tag fing ganz normal an. Ich stand in meiner Küche und trank meinen Kaffee, als mein Chef mich anrief. Ich solle heute wieder zur Villa kommen. Dies häufte sich in letzter Zeit.
Ich nahm mir vor, endlich mal Urlaub zu machen. Mal so eine ungestörte Zweisamkeit mit Raphael würde uns bestimmt guttun und mich auf andere Gedanken bringen. Raphael kam in die Küche und sah noch ziemlich verschlafen aus.
»Hey!«, begrüßte ich ihn.
»Hey!« Kam es etwas rau von seiner Seite, sodass ich ihn eingehend musterte. Seit wann stand er in der Früh gleich voll angezogen da? Sonst war er immer in seinen Shorts und brauchte eine Ewigkeit, um sich anzuziehen. Auch ansonsten schien er nicht wie sonst zu sein. Er benahm sich ... anders ... komisch. Aber da ich wie immer unter Zeitdruck stand, wischte ich diese Gedanken beiseite und verabschiedete mich mit einem flüchtigen Kuss. Selbst dieser war anders, aber ich ging trotzdem.
Da mir das Essen von gestern noch ziemlich im Magen lag, fuhr ich diesmal an der Bäckerei vorbei direkt zur Villa. Heute standen nur Saschas und Kyels Wagen auf ihren Parkplätzen. Die ehrenwerten Herrschaften nahmen sich frei, wann sie wollten. Hätte ich mal auch so ein Glück? Nein! Meine Arbeitszeit ging von 0 bis 24 Uhr. Sieben Tag die Woche, 24 Stunden am Tag. Okay ... Ich sollte mich nicht beklagen, sämtliche Überstunden bezahlte Mr. Kastner und davon hatte ich reichlich.
Ich machte mir nicht die Mühe zu klingeln, da ich die Schlüssel besaß, denn es kam auch schon mal vor, dass sich Sascha ausgesperrt hatte und wenn Kyel auf ein Meeting war, ich den Schlüsseldienst spielen musste.
Kaffeeduft schlug mir entgegen. Sascha hatte mir bestimmt wieder eine gute heiße und dampfende Tasse hingestellt mit extra viel Zucker. Ich liebte ihn wie einen Bruder. In den letzten Jahren waren wir sehr stark zusammengewachsen und ich konnte mir diese Freundschaft nicht mehr wegdenken.
Ich hatte Recht, auf dem Platz, auf dem ich immer saß, stand bereits eine Tasse und ich ließ mich nieder. Meinen Mantel behielt ich an, denn Kyel hatte irgendetwas gesagt, dass ich jemanden chauffieren sollte. Und manchmal musste es dann sehr schnell gehen. Mit anderen Worten ich musste immer und allzeit bereit sein.
»Guten Morgen!«, begrüßte mich Sascha, der mir sogleich auch noch Frühstück vor die Nase stellte. »Du kannst den Mantel ausziehen. Es dauert noch etwas!«, meinte er und setzte sich auf seinen Platz. Von irgendwoher hörte ich die kleine Viviane schreien, doch Sascha bewegte sich nicht. Wahrscheinlich musste Kyel ran. Früher hätte ich ihn mir nie als einen Vater vorstellen können, aber Sascha hatte sogar dies geschafft.
Was mich allerdings wunderte, war, dass die SPA nicht anwesend waren. Hatte ich seit gestern irgendetwas verpasst? Wohl kaum! Die werden wohl ihre Nachforschungen über Clancy ausweiten.
Ich nahm die Tasse in die Hand und nippte daran. Einfach richtig, einfach köstlich. Sascha wusste, wie ich ihn haben wollte, und mir fiel auf, dass noch zwei weitere Gedecke aufgetragen wurden. Kyels und dann noch eins. Auch dies war nicht unüblich bei ihnen. Es übernachtete ständig irgendjemand in der Villa. Meistens Sarah, wenn sie hier in der Stadt ihr Praktikum absolvierte. Oder Loren mit Lenard, die ihre eigene Wohnung hier in der Villa hatten. Auch kam es vor, dass Anthony und Emily mit ihrem Sohn John hier waren oder nur der Kleine. Denn Kyel war der Pate von ihm. Mike schien auch ein Dauergast zu sein, wenn er und Raoul sich in den Haaren hatten, was häufiger vorkam. Eigentlich war es in der Villa immer voll und wenn man einen Schritt reinsetzte, man die Liebe und Wärme spürte. Ich war gerne hier und deshalb wunderte es mich schon lange nicht mehr, wenn mehrere Gedecke aufgetragen wurden, als es eigentlich Personen in der Villa gab.
Doch dann hörte das Timbre einer tiefen Stimme, die mir sofort dunkelbraune, bis ins Schwarz gehende, Augen zeigten. Lustvolles Stöhnen, neckische Zunge, freches und stürmisches Verlangen erschien vor meinem geistigen Auge und ich blickte auf.
Dieses Schwarz ... kurz blickte er mich an, bevor er sich abwandte und zu Sascha trat.
Sofort fing alles in mir an zu kribbeln und ich musste meine ganze Kraft aufbringen um meine Tasse zu halten, die sehr gefährlich in meiner Hand zitterte.
»Guten Morgen Kilrian. Ich dachte, du stehst erst um 9 auf?«, begrüßte Sascha ihn auf Deutsch. Fragte ihn, wie er seinen Kaffee möchte, mit dem ganzen Drumherum? Ich selbst bekam nichts mehr mit.
Seine Augen hatten mich wieder gefesselt. Ich fühlte mich in jene Nacht zurückversetzt. Zu ihm. Ich spürte ihn. Ich hörte ihn. Ich schmeckte ihn und verdammt ich wollte ihn. Jetzt! Ich wollte ihn auf dem Tisch flachlegen. Ihn lecken. Ihm mit gleicher Münze zurückgeben, was er mir gab. Und doch hätte ich es nicht gekonnt, nicht einmal, wenn jetzt niemand hier wäre. Etwas nagte an mir. Dieses Wissen, das er nicht nur Kilrian Ford, sondern auch Zeth der Callboy, den ich selbst einmal gebucht hatte, war. Seinen Dienst, aber nie in Anspruch nahm.
Was wäre geschehen, wenn ich Zeth anstatt ihn gefickt hätte? Würde er mich auch jede Nacht verfolgen? Würde ich mich dann auch in stetig wechselnde Beziehungen stürzen? Würde ich mich dann auch immer und immer wieder flachlegen lassen, nur um diesem Gefühl noch einmal nahezukommen?
Ja, das waren die Fragen, auf die ich selbst keine Antwort hatte.
Die beiden unterhielten sich, und obwohl ich Deutsch verstand, hatte ich Probleme, ihnen zu folgen. Seine tiefe und samtweiche Stimme versetzte mich in Höhen und Tiefen. Breitete ihre Schwingen aus und trug mich. Ich flog und fiel gleichzeitig. Als mein Handy losging, zuckte ich zusammen. Ich ging ran und irgendein Kunde von Kyel hatte eine Beschwerde. Oder war es der Hausmeister des Geschäftsgebäudes, der mir mitteilte, dass die Wasserleitung gebrochen war?
Ich wusste es nicht mehr.
Die Zeit blieb in dem Moment stehen, indem ich ihn hörte. Seine Stimme.
Der Kaffee war bereits ausgetrunken und dennoch führte ich die Tasse immer und immer wieder zu meinem Mund und hoffte inständig, dass ich ihn nicht anstarrte. Starrte ich ihn überhaupt an? Ich konnte nicht mehr unterscheiden, was tatsächlich geschah und was ich mir nur einbildete.
»Tom reiß dich zusammen! Der, der dir gegenüber sitzt, war nur eine Affäre. Ein Urlaubsabenteuer. Mehr nicht. Er wird nie etwas mehr sein als eine Affäre.« In seinen Augen war ich auch nichts weiter als eine willkommene Abwechslung, aber wenn ich es genau betrachte, vielleicht auch nicht. Er hatte seine Regeln außer Acht gelassen, hatte das vielleicht etwas zu bedeuten?
Er war ein Callboy. Wie sich das anhörte, so gehoben, so nobel, so edel. Er war eine Hure und nichts anderes, jemand der sich prostituiert. Selbst das klang noch nobel.
Schlampe, Hure, Stricher. Egal, wie ich darüber nachdachte, es änderte nichts.
Kyel herrschte ein ›Morning‹ in die Runde und setzte Viviane in ihren Hochstuhl. Sie machte keine Anstalten, sich hinsetzten zu wollen, als sie Sascha erblickt hatte. Sofort war Sascha in seinem Element und besänftigte sie. Auch wenn ich es versuchte zu vermeiden, so blickte ich immer wieder leicht verstohlen zu Kilrian. Er schien selbst in Gedanken zu sein und hin und wieder zuckten seine Mundwinkel. Er fand wohl das Schauspiel zwischen Sascha und Viviane interessant.
»Sag mal Kili, wann geht dein Lehrgang los?«
»Um 10 Uhr ...!«, vernahm ich ihr Gespräch wieder und auch wenn ich auf ihn fixiert war, so blieb mir nicht aus, wie Kyel ihn musterte.
»Tom!« Shit, ich erschrak und fuhr aus meinen Gedanken.
»Erschrecke mich nicht so, du Idiot!«, zischte ich Kyel an und er zog seine Brauen zusammen. Du meine Güte, was war denn bloß in mich gefahren? Stand auf und schenkte mir frischen Kaffee ein. Sascha brüllte vor Lachen und klopfte auf Kyels Schulter. Kyel selbst schloss für einen kurzen Moment seine Augen und murmelte etwas, von wegen »der ist reif für die Insel!« Sascha lachte immer lauter und noch bevor ich ein »Sorry« raus würgen konnte, meinte Kyel. »Tom, Sie werden Mr. Ford in den nächsten zwei Wochen zu seinem Lehrgang fahren und wieder zurück.«
»Ich komm gut alleine zurecht!«, ging Kilrian dazwischen.
»Wohl kaum! Du wohnst hier und du wirst dich an meine Regeln halten.«
»Kyel!? Was soll das? Er ist unser Gast ...!«
»Sascha, wir haben darüber gesprochen ...!« Die Situation wurde heikel und Sascha nahm wieder seine Altgewohnte, ›ich halte jeden und alles auf Abstand‹, Haltung an. Die Situation mit Clancy war anscheinend nicht nur heikel, sie war verdammt noch mal todernst. Aber wie sollte ich auch etwas genaueres wissen, ich war ja nur der Sekretär, der alles immer als Letzter erfuhr. Kilrian blieb ruhig, aber ich sah, dass er ziemlich aufmerksam war.
»Nun eins vorweg. Ich bin euch für eure Gastfreundschaft sehr zu Dank verpflichtet, dennoch brauche ich niemanden, der mich chauffiert. Ich kann mir auch einen Leihwagen nehmen oder ein Taxi.«
»Nein!« Kam es synchron aus Kyels und Saschas Mund. Plötzlich sprang Sascha auf und wie immer war er wieder zu spät dran.
Noch bevor er aus der Küche raus war, rief er irgendetwas, von wegen »und Emily kommt dann!«
In dem Moment, als die Tür der Villa ins Schloss fiel, veränderte sich Kyel. Er wurde zum Chef, nein, zu jemand anderem, dessen Wesen ich schon lange nicht mehr zu Gesicht bekommen habe.
»Nun, Kilrian. Es ist mein Wunsch, dass du dich von Tom fahren lässt. Rund um die Uhr. Die ganzen zwei Wochen!«
»Was soll das hier werden? Kontrolle?«, warf Kilrian ein und seine Stimme war scharf.
»Du kannst es so auslegen. Ich möchte gerne wissen, wo du dich aufhältst!«
»Tzz! Ich bin nur hier, um den Lehrgang zu machen ...!«
»Und wahrscheinlich noch zu etwas anderem. Ich spreche nur die Zeit an, in der du heute früh, hier ankamst.« Kilrian blickte Kyel herausfordernd an. Ich kannte niemanden, außer Sascha, der diesem dominanten Blick lange widerstehen konnte. »Sehe es als exklusiver Service meiner Gastfreundschaft an. Ich bin nur um deine Sicherheit besorgt.« Immer noch blieb er standhaft, doch irgendwann umfing seine Mundwinkeln dieses Lächeln. Dieses Lächeln, das dem von Kyel in nichts nachstand. Diese beiden waren sich ebenbürtig und wenn ich wetten sollte, so tippe ich auf Kilrian, der die Oberhand behielt.
»Danke, wie zuvorkommend. Nun da du ja um meine ›Sicherheit‹ besorgt bist, nehme ich dieses Angebot gerne an. - Nur den Dienst des Chauffeurs. Noch dazu wird dein Sekretär jedes Ziel, das ich nenne für sich behalten. Meinen Zustand ignorieren und mich nicht ansprechen. Sollte ich es mitbekommen, dass er dir auch nur einen kleinen Hinweis gibt, war deine Besorgnis um meine Sicherheit umsonst. Auch würde ich es begrüßen, wenn du mich darauf nicht mehr ansprechen würdest. Selbst nach den vielen Jahren haben meine Regeln, die ich damals aufgestellt habe, noch immer bestand.« Gott diese tiefe Stimme, dieses Raunen.
Kyel gab anscheinend nach, was nicht der Normalität entsprach. Nickte schließlich, doch dieses Blitzen in seinen Augen verhieß nichts Gutes.
Mein Herz zog sich zusammen und anhand des Gesprochenen, wusste ich nun, dass ich Kilrian nicht nur zu seinem Lehrgang zu fahren hatte, sondern zu seinen ... seinen ...
»Oh Gott ... ich steh das nicht durch!«