»Besser?«
»Sind wir jetzt quitt?«, Mathieu stöhnte erschöpft und legte seine Stirn an die kalte Kloschüssel.
»Du hast mich nie kotzen sehen.«
»Aber ich war schon dabei. Mehrmals.«
»Dann hab’ ich noch einen gut bei dir«, schmunzelte Lucien, zog ein zerknittertes Päckchen Taschentücher aus der Hose und machte eines davon nass, das er dem Schulsprecher hinreichte.
»Danke. Gott, das ist vielleicht peinlich«, murmelte der Blonde und wischte sich die Stirn und den Mund ab.
»Hey, in Australien gilt, wenn man einander kotzen sieht, muss man heiraten.«
Mathieu lachte und sah den Anderen vom Boden aus an. »Danke für’s Helfen.«
»Immer doch, Grantaine.«
Sie lächelten einander an, doch dieser Moment wurde jäh unterbrochen, als die Tür erneut aufgerissen wurde und Celeste im Rahmen stand. Sie hatte ein Täschchen in der Hand und wollte sich offenbar das leicht verschwitzte Näschen in Ordnung bringen. Sie stoppte, überblickte die Situation und verengte die Augen zu Schlitzen.
»Was macht ihr denn hier?«
»Nen Wichswettbewerb, Püppi. Wer weiter spritzen kann, bekommt ‘ne Runde Shots spendiert«, rotzte Lucien wenig freundlich. »Wonach sieht es denn aus, bitte?«
Mathieu war noch immer etwas käsig im Gesicht und machte nicht den Eindruck, als wäre er schon über den Berg und wie, um seiner Schwester die Antwort zu geben, beugte er sich plötzlich wieder über die Schüssel und erbrach sich erneut.
»Frage beantwortet, Püppchen?«
»Du bist so ein Arsch, Lucien Walace! Warum bist du so scheiße zu mir?«
»Ein Arsch, an den du ranwillst. Und warum? Weiß nicht. Vielleicht, weil ich schon vor Monaten gesagt habe, dass ich keine Beziehung mit dir haben will? Nein heißt Nein, hab’ ich dir schon mal gesagt. Scheint aber nur bei Mädchen zu zählen, oder? Hör’ auf, mich zu belästigen und ich höre auf, dich blöd zu behandeln. Ich bin leicht zu handhaben - Sei’ nett zu mir, ich bin nett zu dir.«
»Ich erzähle jedem, dass ihr hier vögelt!«
»Mach’ doch. Schadest damit nur dir selbst, du Lästermaul, denn dann bist du es, die scharf auf ‘nen Homo ist. Und jetzt hau’ ab, Mann. Ist schon schwer genug zu kotzen, ohne dass du störst.«
Celeste knallte die Tür stinksauer wieder zu und Mathieu rieb sich über den Kopf.
»Oh Mann, das wird noch Theater geben«, murmelte er matt. »Erst die Kotzerei, die sie brühwarm meinem Vater erzählen wird und dann das hier ... Sie wird die nächsten Tage so anschmiegsam wie ein Igel sein.«
»Ja, aber soll ich mir das gefallen lassen? Sie belästigt mich, stalkt mich und macht mich in einer Tour an und ich bin der Arsch, wenn ich ihr sage, sie soll sich verpissen?«
Der Blonde verneinte leise. »Gleiches Recht für alle.«
»Ich hab’ zwar ‘nen Schwanz, das heißt aber nicht, dass ich auf jede Tussi scharf sein muss.« Lucien ließ sich vom Wannenrand auf den weichen Vorleger rutschen und sah Mathieu ins Gesicht, der den Kopf auf dem Arm abgelegt und inzwischen seine Blässe überwunden hatte.
»Tolle Nummer. So hatte ich mir das nicht vorstellt, du«, murmelte er und rieb sich schniefend über die Nase. Seine Augen tränten von der Anstrengung.
»Hast keine Lust mehr auf Party, oder?«
»Ich glaub’, ich brauch’ ne Pause. Und keinen Alkohol mehr für mich.«
»Mir hat’s gefallen, dich tanzen zu sehen. Wusste gar nicht, dass du das kannst.«
»Ich auch nicht. Der Whiskey hat gesagt, ich könnte es und ich hab’s geglaubt.« Mathieu kicherte leise und hickste. »Igitt«, brummte er und erhob sich wackelig. »Ich muss nach oben ins Bad, mir die Zähne putzen.«
»Iss’ etwas Toast hinterher, das beruhigt den Magen.« Lucien stand hinter ihm und sah ihm über den Spiegel ins Gesicht. Der Blonde lächelte und lehnte sich an seine Brust, sodass der Rothaarige seine Nase an Mathieus Nacken legte und tief einatmete.
»Na los, Kotzbrocken, gehen wir dich wieder lecker machen.« Er schwieg einen Moment und betrachtete ihn weiter im Spiegel. »Du siehst rattenscharf aus, wenn ich das mal so sagen darf.«
»Ich hatte das Shirt noch nie an. Ich mag solche ... enganliegenden Sachen nicht. Ich ... hab’ dafür nicht den Körper.«
»Ach, Unsinn. Red’ dir jetzt mal keine Body Issues ein.«
Mathieu lächelte leicht, drehte sich um und fuhr mit der Hand über Luciens Bauch und Brust. »Du hast leicht Reden«, murmelte er und der Rothaarige zog ihn an sich und drückte ihm seine Lippen auf die Stirn.
»Ich find’ dich genau richtig, auch wenn das allein nicht zählt. Und jetzt ab, ich würd’ dich gern küssen, ohne dass mir auch schlecht wird.«
Kichernd wandte Mathieu sich ab. »Sorry.« Mit einem Stück angefeuchtetem Toilettenpapier, mit dem er sich die Stirn und das Gesicht abwischte, verließ der Blonde das Bad wieder. Die Party war währenddessen ungebremst weitergegangen und auf jeder freien Sitzgelegenheit hatten sich inzwischen Leute versammelt, manche zu zweit und heftig am Rummachen, manche unterhielten sich, in einer Ecke des Foyers spielten einige Flaschendrehen.
»Komm, mein Zimmer ist oben. Gut, dass ich abgeschlossen habe. Nicht auszudenken, dass da vielleicht irgendwer so was in meinem Bett macht«, er deutete auf zwei Zehntklässler, die sich aufzufressen versuchten.
»Außer uns, meinst du?«, kicherte Lucien leise hinter ihm.
»Niemand anderen lasse ich unter meine Decke!«
»Es ist mir eine Ehre.«
Auch im ersten Stock hatten sich manche versammelt, doch in den Schlafzimmern war niemand, da der Jugendliche so vorausschauend gewesen war, diese Räume abzuschließen. Celeste hatte es bei ihrem vergessen, doch das kümmerte den Jugendlichen nicht. Das war ihre eigene Schuld und ihre Verantwortung. Seine Eltern jedoch hätten es nicht gutgeheißen, wenn in ihrem Bett irgendwas abgegangen wäre, ganz zu schweigen davon, was Auguste Grantaine mit seinen Kindern gemacht hätte, wenn jemand unbefugt in seinem Arbeitszimmer gewesen wäre.
Das Badezimmer jedoch war unverschlossen und sie fanden es zum Glück leer vor. Während Lucien sich umsah, putzte sich Mathieu ausgiebig die Zähne, spülte mit Mundwasser nach und wusch sich den Schweiß vom Gesicht.
»Mein Hals brennt immer noch«, murmelte der Junge schließlich, zog den Schlüsselbund mit den Zimmerschlüsseln aus der Hosentasche und öffnete die Tür zu seinem. Verstohlen sah er sich um, bevor er den Rothaarigen hineinschob und hinter sich abschloss.
»Oho, Grantaine, willst du mich einsperren?«
»Nein«, kicherte der, »ich will nur nicht, dass jemand hineinkommt.«
Lucien lächelte und blinzelte, als Mathieu das Licht einschaltete. Sie brauchten einen Moment, um sich von der dämmrigen Beleuchtung des Hauses an helles Deckenlicht zu gewöhnen.
Schließlich schnalzte der Rothaarige mit der Zunge. »Und du meintest, mein Zimmer sei groß.« Er sah mit neugierigen Augen auf das breite Bett, das in einer Ecke des Raumes stand und über dem sich eines der zwei Fenster befand, den wuchtigen Schreibtisch und den Hi-Fi-Schrank voller DVD’s, auf dem ein großer Flatscreen thronte. Ein ausladender massiver Kleiderschrank stand an der einen Wand neben der Tür und an der anderen Seite war eine große Pinnwand befestigt, an der Mathieu Schleifchen, Urkunden, Preise und einige wenige Fotos angeheftet hatte. Darunter waren ein niedliches kleines Sofa positioniert, ein Tischchen und ein Schrank, in dem Schuhe verstaut waren. Neben dem Schreibtisch stand ein übervolles Bücherregal, das fast nur aus Sach- und Lehrbüchern und Krimis zu bestehen schien und über der eleganten hellgrauen Auslegware, die mit den Möbeln aus schwarzem Holz harmonierte, lag ein runder Teppich in freundlichen Herbstfarben, doch die Wände waren weiß. Das Zimmer war modern und offensichtlich teuer eingerichtet, doch schmucklos.
»Schon, aber deins hat Charakter. Du siehst ja, was mein Vater mir erlaubt, an die Wand zu hängen. Urkunden. Auszeichnungen ... als wäre ich irgendein Doktor, der sich selbst immer wieder an seine Verdienste erinnern muss.« Der Blonde seufzte.
»Was für eine Art Poster würdest du denn haben wollen?« Lucien lächelte.
Mathieu zog die Schuhe aus und schürzte die Lippen. »Weiß nicht, ein Union Jack wäre cool.«
»Mathieu!«, machte der Rothaarige gespielt bestürzt. »Du bist Franzose, schämst du dich denn gar nicht, die Flagge eines anderen Landes aufhängen zu wollen?« Lucien lachte leise und der Blonde schmunzelte.
»Nicht mal eine Flagge, es gibt da tolle Grafiken vom Big Ben und so.«
»Du darfst nicht mal Kunstdrucke aufhängen? Euer Haus ist doch voll davon!«
»Weiß nicht. Er meint, das würde mich vom Lernen ablenken.«
Der rothaarige Jugendliche hockte sich auf die Kante des Bettes und sah den Blonden ernst an. »Wie sieht Celestes Zimmer aus?«
»Wie deins ...«
»Und das, liebe Damen und Herren, ist gelebte Doppelmoral. Weißt du was, ich überleg’ mir was. Hier über dem Bett käme ein altes Tourplakat von Oasis oder so bestimmt geil. Und wenn ich nicht mehr bin, sag’ ich meiner Mutter, dass du alle meine Poster bekommst.«
Mathieu lehnte sich an Lucien und drehte seine Nase gegen dessen Hals. Er seufzte und entspannte sich zusehends.
»Sag’ mal, hast du auch anderes Licht als das große? Es ist ziemlich grell, findest du nicht?«
»Sehe ich immer noch aus wie ein Zombie?«, fragte der Blonde kichernd und richtete sich wieder auf.
»Nee, du bist schon süß«, grinste Lucien frech, »aber ... es ist zu hell«, er schnurrte und Mathieu spürte, wie die Wärme in seiner Brust hochstieg. War der Moment gekommen? Er spürte, wie er zu schwitzen begann und stolperte, als er aufstehen wollte. Lucien packte ihn und lachte leise.
»Hey, keine Kunststücke, ich möchte keine Verletzten.«
»Sorry«, murmelte Mathieu und steckte den Stecker einer Lichterkette ein, die über dem Bücherregal gespannt war. Kleine bunte Lämpchen warfen ein weiches Licht in das Zimmer, als der Jugendliche den Schalter umlegte und es schlagartig dunkler wurde.
»Oh, viel besser. So grelles Licht tut meinem Tumor weh«, erklärte Lucien und öffnete die Schnürsenkel seiner Boots, bevor er sie etwas umständlich von den Füßen zog. »Verdammte Axt«, schnaufte er und krabbelte anschließend frech weiter auf Mathieus Bett. »Ist das Kingsize?«
»Nicht ganz«, hauchte der Blonde nervös.
»Was ist? Hast du auf einmal Angst, zu mir zu kommen. Grantaine? Wolltest du mir nicht zeigen, wie geschickt du bist, kleine Babyrobbe?«
Mathieu betrachtete den Anderen einen Moment ernst, bevor sich die Anspannung löste und er lachen musste. Lucien hatte Recht, warum benahm er sich auf einmal wie eine Jungfrau in Nöten? Alles, was er sich seit Tagen gewünscht hatte, war nun eingetreten. Lucien war bei ihm, in seinem Zimmer, seinem Bett und keiner würde sie für diese Nacht voneinander trennen. Wen interessierte es denn, was geschehen würde oder nicht? Es gab nichts, wovor Mathieu Angst haben musste.
Grinsend krabbelte er zu dem Rothaarigen auf das Bett, der ihn schließlich am Gürtel packte und auf seinen Schoß zog. Die Finger in Luciens Mähne vergrabend, senkte Mathieu sein Gesicht auf das den Anderen und streichelte dessen Lippen mit seiner Nasenspitze, bevor er sie mit seinen verschloss.
Hingebungsvoll seufzten beide und Luciens Hände strichen zuerst über den Stoff von Mathieus T-Shirt und glitten schließlich darunter, hoben ihn an und zogen dem Blonden das Shirt über den Kopf, ohne kaum ihre Verbindung zu unterbrechen. Mathieu tat es Lucien gleich, indem er diesem sein Hemd über die Schultern nach unten zog und der Rothaarige es von sich warf. Sein Unterhemd folgte gleich hinterher.
Sich etwas nach hinten sinken lassend, ließ der Blonde es zu, dass Luciens Lippen über sein Kinn nach unten wanderten, die Zunge über sein Schlüsselbein glitt und der Rothaarige schließlich kleine saugende Küsse auf seiner Brust platzierte, die winzige rote Stellen hinterließen. Mathieu sank ganz nach unten und zog Lucien aus der sitzenden Position über sich, bevor er forsch nach dem Gürtel von dessen Jeans griff und diesen öffnete. Der Blonde schob seine Hand am Rücken unter den Bund der Hose, während der Rothaarige ihm dabei zusah und den Atem anzuhalten schien.
»Zu schnell?«, flüsterte Mathieu zaghaft, doch Lucien schüttelte den Kopf.
»Nein. Ich bekomme Gänsehaut von deinen Händen, das ist alles.«
Spielerisch, sanft und zart wie Schmetterlingsflügel ließ der Schulsprecher seine Fingerspitzen über die Haut des Anderen gleiten, der genüsslich wie eine Katze zu schnurren begann, seinen Kopf auf Mathieus Schulter legte und sich schließlich auf ihn sinken ließ. Eine ganze Weile lagen sie so, ohne irgendetwas anderes zu tun als die Nähe, Haut an Haut, zu genießen und ihre Finger wandern zu lassen. Keine Eile trieb sie, keine Furcht davor, von jemandem erwischt zu werden.
Mathieu streichelte die unglaublich weiche Haut Luciens und dieser hatte sein Ohr an die Brust des Anderen gelegt, die Augen geschlossen und lächelte. Er empfand einen Frieden, wie er es noch nie erlebt hatte, eine Ruhe und Gelassenheit, als könnte nichts in der Welt ihn je mehr erschüttern.
»Schlaf’ nicht ein«, murmelte Mathieu mit einem leisen Lachen.
»Ich kann nicht, Grantaine. Ich bin längst hart. So kann ich nicht pennen.« Der Rothaarige bewegte leicht das Becken und der Blonde spürte, was Lucien meinte. Kichernd stemmte Mathieu sich auf seine Ellenbogen. »Na, was machen wir denn da?«
»Spielen«, grinste der Andere spitzbübisch, richtete sich auf und zog am Hosenbund des Blonden, der auflachte und sich plötzlich in einer merkwürdigen Position wiederfand. Lucien saß auf seinen Unterschenkeln, zwischen Mathieus Beinen und dessen Schoß lag auf den Knien des Rothaarigen.
»Was tust du?«, japste der Blonde. Er konnte spüren, wie sehr sein Herz gegen seine Rippen schlug, als er dabei zusah, wie Lucien den Gürtel öffnete und schließlich die Knöpfe der Jeans löste.
»Na, gut zu sehen, dass ich nicht der Einzige bin, der von ein bisschen Geknutsch ein Zelt baut«, lachte der Rothaarige leise, sah Mathieu geradeheraus ins Gesicht und ließ seine Hand in die Unterwäsche des Blonden gleiten.
Der biss sich auf die Unterlippe, zwang sich aber, den Blick nicht abzuwenden. Ein lustvolles Schaudern glitt über Mathieus Körper, als der Druck von Luciens Fingern sich minimal verstärkte und den Schulsprecher dazu antrieb, seine eigenen in den Stoff seiner Tagesdecke zu krallen, schließlich doch die Augen zu schließen und den Kopf nach oben zu recken. Der Rothaarige änderte seine Position, beugte sich vor und gleich darauf konnte Mathieu seine weichen und warmen Lippen an seiner Kehle spüren, ebenso intensiv wie die Finger, die ihn umschlossen hielten und ihn massierten, langsam, aber bestimmt, zärtlich, aber mit spürbarer Kraft. Lucien wusste, was er tat und diese Erfahrung zahlte sich nun aus.
Mathieu wimmerte und wand sich, was auch den Rothaarigen schwerer atmen ließ, da der Schoß des Blonden unaufhörlich gegen den Luciens rieb. Seine Lippen glitten über das Kinn Mathieus nach oben und strichen schließlich über dessen, zwickten ihn zärtlich und saugten sich fest, sanft, spielerisch.
Als der Schulsprecher heftig zusammenzuckte und sich aufheulend ein Kissen auf das Gesicht drückte, spürte der Rothaarige ihn heiß auf seinen Fingern, was ihn genüsslich brummen ließ. Er hatte echt Gefallen daran gefunden, Mathieu so zu sehen und er würde, wenn er konnte, noch einige Male in dieser Nacht dafür sorgen, dass der Blonde derartig fiel. Dass sie es gemeinsam taten, wieder und wieder.