Wie es das Abkommen vorherbestimmte, deponierten Veyed und Serfem die mitgeführten Güter. Ein Drittel für das Volk und zwei Drittel für die Obristen.
Die Häscher Thules wussten zweifelsfrei hiervon, ließen es dessen ungeachtet wie belanglos geschehen. Es sollte ihnen ein Leichtes sein, die wenigen Handelswagen davon abzuhalten und das Volk weiter zu malträtieren. Aus irgendeinem unersichtlichen Grund beließen sie es dabei. Obgleich, an irgendetwas mussten diese armen Teufel ja glauben und vor allem ... leben.
Ihr Auftrag war eindeutig wie zweideutig. Unter den Händlern wog das Gewicht klingender Münzen oder Gleichwertiges im Tausch. Erhielten diese jedoch eine hölzerne Handelsmarke, galt das Geschäft unlängst als abgeschlossen. Nicht einmal das Joch der Unterdrücker konnte bisweilen in Erfahrung bringen, wer diese in Taler geformten Geldstücke in Umlauf brachte, noch wozu diese zugebrauchen waren. Im Leumund wurden diese als Schuld behandelt, also ein Zahlmittel für Gläubiger an Schuldner. Ein Erlass für eine Dienstleistung auf Kosten des Händlers gelegentlich. Andere meinten zu wissen, dass diese Taler dazu dienten, einen bereits bezahlten Auftrag auszulösen.
Veyed hob einen dieser Dinger vor sein Gesicht und betrachte diesen eingehend. »Ich glaube, jede dieser komischen Münzen hat eine eigene Bedeutung. Pa' sagte, wir müssen auf die Prägung achten.« Zwischen Daumen und Zeigefinger drehte er das gehaltene Stück hin und her. Auf der einen Seite befand sich wie bei den Kupferlingen eine Zahl auf der Gegenüberliegenden ein Symbol. Mal ein verschnürtes Säckchen, ein geöffnetes mit vermutlich Getreide drum herum; dann gab es einen Amboss samt Hammer, etwas das mutmaßlich ein Stoffballen sein sollte und etliche weitere. Die Umrahmung mochte anfänglich gekerbt gewesen sein. Stellenweise waren diese noch geringfügig zu erfühlen.
»Was meinst du damit? Dieser Schmied vorhin hat uns eine zurückgegeben und verlangte eine andere. Mir sagt dieser ganze Handelskram nichts.«
Veyed hingegen schien wie gefangen und verzog leicht die Brauen, als er das Stück Holz mit dem geschnitzten Symbol ins Licht drehte. Seltsam, hielt man die Münze wiederum anders, musste man genauestens hinsehen, um zu erkennen, was einem die Helligkeit verriet. Sollte es so offensichtlich sein? Wenn dem so war, aus welchem Grund fand man sie noch im Umlauf? Wieso gingen die selbst ernannten Lords und Obristen nicht dagegen an?
»Er wollte sie nicht, weil es die des Sattlers war.«
»Holz. Es ist eine einfache Scheibe aus einem Stück Ast«, schnaubte sein blauhäutiger Begleiter und schüttelte ein ledernes Säckchen. Widererwartend erklang nicht das übliche Geräusch klirrender Münzen.
»Ich glaube ...«
»Glaube ist hier nicht angebracht, mein junger Freund.«
»Dennoch ...«, er schnippte ihm die Handelsmünze hinüber, bevor sie ein weiteres vermeidliches Geschäft betraten. »Sie Genauer hin und sag mir, was du siehst«.
»Die Waren würden binnen zwei Tagen beim Weiler eintreffen?«
»So seine Worte. Du zweifelst?«
»Erstens. Was für Waren und zweitens Bestlin«, zählte Serfem auf und hob jedes Mal einen seiner Finger. Auch nachdem Veyed immer noch nicht verstand, zog der Thulene wahllos einen Weiteren der im Säckchen befindlichen Taler heraus. »Ist auf diesem zu sehen, was ich hätte sehen sollen?«
Wie geheißen griff der junge Mann zu und musterte das Stück Holz. Er drehte und wendete dieses. Hielt es vors Licht und wendete es erneut. Noch bevor sein Kopf die Verneinung vollenden konnte, hoben sich seine Brauen. Ein schelmisches Grinsen legte sich über seine Lippen und seine Augen begannen zu leuchten. »Geb mir einen Neuen, ach was. Geb den ganzen Beutel her.«
Einen nach dem anderen musterte er. Mal besonnen und aufmerksam, bei Weiteren ging es schnell und schien auf Anhieb zu finden, was er meinte, auf all den übrigen erkannt zu haben.
»Und«, knirschte Serfem, der sich sichtlich entrückt verhielt.
Aus einem Lächeln wurde Gewissheit und er hob anstatt des Kopfes nur die Augen. Einzeln ließ er die wertvollen Stücke zurück in den Sack gleiten und verschnürte diesen sorgfältig, ganz so als verfüge er über einen unsäglichen Schatz.
»Auf jedem Einzelnen. Die erhabene Seite meines Bruders würde wissen, was es hiermit auf sich hat.«
»Kayden hat was für eine Seite?«
»Na die, wenn er anfängt, so geschwollen zu reden. Die erhabene Seite eben.«
Anstatt zu antworten, zog Serfem die Stirn kraus und brummte. »Mhm.« Er hielt die Hand offen und erwartete den Beutel zurück. »Es ist, wie es ist.« Mit einem Blick, den man als beleidigt umschreiben konnte, hängte er sich den gereichten um den Hals und ließ diesen unter seinem Wams verschwinden. »Nicht jedem soll sich der Wert solchen Spielgeldes erweisen.«
Veyeds Adamsapfel hüpfte, als sich ihm ins Bewusstsein drängte, um was für Gegenstände es sich hierbei tatsächlich handeln mochte.
»Spielgeld.« Serfem klopfte sich dorthin, wo er die Taler verborgen hielt, und schüttelte den Kopf. »Komm, wir müssen weiter. Noch sieben Gefallen haben wir zu erfüllen.«
»Pa' würde niemals hinterrücks mit diesen Dreckskerlen paktieren. Irgendetwas fehlt.«
Der Thulene sprach verhalten und vermied Blickkontakt. »Es mag ausgerechnet von einem wie mir falsch klingen, aber es fällt mir schwer, daran zu glauben. Sie dir die Leute dort an. Die ganze Stadt scheint mir ...«
»War es nicht deinesgleichen, die das alles hier zu verantworten haben«, presste Veyed zwischen den Zähnen hervor und verengte die Augen.
Sein Gegenüber holte tief Luft. »Ja und genau deswegen sind wir hier, oder?«
»Pa'.«
»Ich verurteile ihn nicht. Er steckt viel mehr dahinter und wir sind seine Laufburschen.« Er machte Anstalten zu gehen, besann sich und sah hinüber zu jenem, der hätte ein Bauernjunge sein sollen. »Uns bleibt noch bis Anbruch der Nacht. Laut deinem Vater finden wir in einer kleinen abseits gelegenen Taverne Essen und ein Bett. Mich würde nicht wundern, wenn auch dort unser Spielgeld ausreicht.«
»Wo ich warten muss, während mein Bruder dich begleiten darf.«
Less begleitete sein Herrchen durch die wirren Gassen der Stadt und vermied es, seine Nase all zu oft in die einladenden Haufen an den Hauswänden zu heften. Immer wieder warf er stattdessen neugierige Blicke hinauf zu Kayden, der gedankenverloren schien. Scheinbar ohne Ziel vor Augen marschierten beide mal hier hin, mal dort hin. Seinem treuen vierbeinigen Begleiter hielt sich nah bei ihm.
Dem Jungen ging das Erlebte nicht aus dem Kopf. Immer wieder schweiften seine Gedanken zurück zu jenem verstörenden Bild. Selten überkam ihm solche Wut und erschrak über seinen Zorn. Hass auf eine einzelne Person, die er nicht einmal kannte.
Wie konnten Menschen nur so etwas tun, sie waren doch keine räudigen Hunde.
Er atmete schwer, schnaufte nahezu, als er nahe einer Hauswand stehen blieb und sich stützte. Mit hängendem Kopf stand er da, als habe er die vorherige Nacht durchzecht.
»Mach, das du weiterkommst, Junge. Besser noch, bevor die wachhabende Streife hier entlang trampelt.«
Ungläubig hob angesprochener den Blick und würgte einen schweren Kloß hinunter. Ihm stand nicht der Sinn nach gutgläubigen Worten, doch wusste er sich zu beherrschen, als er den Sprecher erkannte.
Verlegen nickte er und seine Hand suchte nervös nach dem Kopf seines Hundes, der den Mann aufmerksam betrachtete. »Tut mir leid«, stotterte er. »Mir ist nur Übel.«
»Verschwinde einfach von hier.«
»Aber.«
Unangenehm nahe nährte sich der Kopf eines Thulenen, dessen Nasenspitze beinahe die Seine berührte. »Jetzt sofort«, grollte er und seine Stimmer duldete keinerlei Widerspruch. Der Mann machte weder Anstalten, noch nahm er Less' Knurren für Bahre Münze. Lediglich mit den Augen deutete er abwärts. »Das gilt auch für deinen Hund.«
Die Uniform des Mannes zierte zwar nicht die altherkömmlichen Farben Memnachs, dafür jedoch die Abzeichen der Stadtwache und einen Stern.
Kayden schielte an dem Thulenen vorbei und zurück auf die Straße. Seine Wangenmuskulatur begann zu arbeiten. Er biss fest die Zähne aufeinander und schien mit sich zu hadern, zu tief saß das Entsetzen. Er wollte jemanden büßen lassen.
Der Wachhabende wendete den Blick in die des Jungen und sah ihn unverhohlen, mit erhobenen Brauen, an. »Jetzt ist der Moment, wo du meinen Rat befolgen solltest.«
Sein Kin hob sich und zwischen den Zähnen presste er grollende Worte hervor. »Dieser Mann«, vermochte der Soldat herauszuhören und wendete abermals den Kopf.
»Was ist mit ihm?«
»Ich werde ihn«, unterbrach Kayden brüsk und nestelte unter seinem Oberteil nach dem stumpfen Messer.
Noch bevor der Junge eine Dummheit begehen konnte, wurde dieser schroff in den nächstgelegenen Haufen Unrat geschubst und einen Säufer geschimpft. Less jaulte erschrocken auf und legte ihm aufmunternd den Kopf auf den seinen. Wiederholt stupste er mit der feuchten Nase dessen Wange.
Abseits des Geschehenen musste es ausgesehen haben, als würde der Soldat dem Jungen eine runterhauen und den Hund wegtreten.
Geistesgegenwärtig verharrte Kayden in seiner Position. Er viel auf die Knie und ließ sich, Gesicht voran vornüberfallen. Stechender Schmerz peinigte ihn und trieb Tränen in die Augen.
Nahendes Gelächter erscholl. »Sollen wir dem Herumtreiber Manieren beibringen Hauptmann?«
»Er hat seine Lektion gelernt«, behauptete dieser. Ein Geräusch erklang, als würde jemand schnippen. »Sobald er wieder Herr seiner Sinne ist, wird er sich fragen, welcher Gaul ihn wohl erwischt hat.« Unbeteiligt und gezwungen wirkte sein Lachen.