Heidrun Böhm
Eine Geschichte, die ich für meine Enkelin geschrieben habe.
Lange Jahre hatten die Bäume am selben Platz im Wald gestanden. Sie sahen, wie die Jahreszeiten wechselten, wärmten sich in der Sonne und ertrugen im Winter die Kälte. Im Sommer fingen sich die Sonnenstrahlen in ihrem Astgeflecht, Insekten tanzten, und kitzelten ihre Zweige. Flinke Eichhörnchen huschten an den Stämmen entlang.
Eichhörnchen, müsst ihr wissen, können Entfernungen richtig abschätzen, und sehen besser als die Menschen. Ihr buschiger Schwanz dient ihnen als Steuerruder. Max, das schwarzrote Eichhörnchen hatte sich mit den Bäumen angefreundet. Bei seinen drolligen Sprüngen von Ast zu Ast hatten die Bäume immer etwas zu lachen. Morgens verließ Max sein Nest, um auf Nahrungssuche zu gehen. Meist kehrte er abends wieder zurück. Wenn es kalt und regnerisch, war, blieb er einige Tage im warmen Nest. Dann kuschelte er sich an seine Frau, die Minni. Minni hatte ein hellgelbes Fell, und braune, matt glänzende Augen Sie war eine besonders schöne Eichhörnchendame. Max und Minni lebten hier zwischen den hohen Nadelbäumen gerne. Die Vögel schaukelten sich auf den Zweigen der Bäume, zwitscherten ihre Lieder in den blauen Himmel und der Sommerwind sang eine Melodie. Es gab Nadelbaumsamen, Haselnüsse, Bucheckern, Eicheln und Pilze zu essen– und manchmal fing Max Insekten oder Schnecken. Im Herbst, wenn fauchende Stürme über die Bäume hinwegfegten, und kalter Regen den nahen Winter ankündigte, gruben sie ihre Wurzeln tiefer in den Boden. Dann warteten sie geduldig, bis sich der Regen in Schnee verwandelte. Max hatte sich einen Wintervorrat von Nüssen und Eicheln angelegt. Dumm war nur, Max und Minni waren vergesslich. Sie wussten nicht genau, wo ihr Vorrat lag. So strichen sie durch den Wald, und suchten sämtliche Stellen ab. Als sie ihren Lagerplatz endlich gefunden hatten, bekam Minni Junge. Es waren drei blinde nackte Eichhörnchen Kinder. Wenn sie drei Wochen alt sind, öffnen sich ihre Augen, und das Fell wächst ganz schnell.
Doch in diesem Winter erkrankten die Bäume. Das Atmen fiel ihnen schwer. Ihre Nadeln stürzten auf den Waldboden, bis alle Äste kahl waren. In ihrer Angst beschlossen sie, Hilfe zu suchen. Max war mit seinen Kindern beschäftigt und konnte sie nicht aufheitern. Mühlselig lösten die Bäume ihre Wurzeln aus der gefrorenen Erde. Es knirschte ordentlich, als sie aus den Löchern stiegen. Mit den Wurzelballenfüßen zu gehen, war schwierig. Es machte „klack, klack“ und „schwipp schwapp“, als sie durch den Schnee stapften. Unter ihnen knackten die Eisbrocken, und der Schnee spritzte in alle Richtungen. Doch wie groß war ihr Erstaunen, als eines der glitzernden Eisstücke zu reden begann und mit piepsender Stimme sagte: „Bitte zertrete mich nicht, ich bin ein kleines Steinmännchen und wohne hier. Mein Name ist Kasimir.“ Kasimir war ein grauer Stein. Auf seinem Kopf saß ein Käppchen aus Moos, seine Augen waren winzig klein und schwarz. Er konnte sich nur rollend fortbewegen, da er keine Beine hatte. Ein Baum streckte seine Zweige aus, um das Steinmännchen zu berühren. Ängstlich rollte Kasimir bei Seite. „ Wenn ihr meinen Kieselsteinkindern nichts zu Leide tut, könnt ihr mir gerne Gesellschaft leisten. „ Sagte er dabei. „Wo sind sie?“ Fragte ein großer Tannenbaum. „Vorausgegangen auf dem Weg in unser neues zu Hause“, war die Antwort. „Ein richtiges Haus habt ihr“, sagte der Tannenbaum erstaunt. „Wenn die Menschen auf ihren Wanderungen an uns vorüberkamen, hörten wir sie von ihren Häusern und Wohnungen erzählen. Wie glücklich müssen die Menschen sein!“ „Du redest dummes Zeug“, sagte das Steinmännchen, und seine kleinen schwarzen Augen funkelten empört. „Glück und Zufriedenheit kennen nur wenige Menschen. Viele sind habgierig, egoistisch, neidisch und rücksichtslos.“ „Wie meinst du das?“ Fragte der Baum. „Woher kommen eure kahlen toten Äste?“ Fragte das Steinmännchen. „Wir denken, das Regenwasser hat uns krankgemacht“, erwiderte der Baum. „In der Erde finden unsere Wurzeln nicht mehr genügend Halt und Nahrung.“ „Genauso ist es“ erwiderte das Steinmännchen. Deshalb gehen wir in ein Reich unter der Erde, und wenn ihr klug seid, geht ihr mit.“
Plötzlich rumorte und donnerte es gewaltig im Boden unter ihnen. Die Bäume erschraken, und das Steinmännchen rollte ohne es zu wollen, hin und her. Ein riesiger Fels erhob sich aus der Tiefe des Waldes. „Das ist die Felsmutter“, sagte das Steinmännchen. „Sie bewacht das unterirdische Reich. Sie wird uns behüten, und uns in ihrer Höhle eine Unterkunft geben.“ „Ja, das will ich“, sagte die Felsmutter mit tiefer knarrender Stimme. Ihr Gesicht war grau, sie hatte eine große Nase aus moosbewachsenen Steinen, große schwarze Augenhöhlen, die rot glühten und einen Mund, durch den beim Sprechen der Wind blies. „Kriecht nur in meinen Mund, dann könnt ihr den Weg nicht verfehlen“, krächzte die Felsmutter. Da begann es hinter den Bäumen schrecklich laut zu rumoren. Steine und Pflanzen krochen an ihnen vorbei in den Höhlenmund. Der Fuchs, Herr Hirsch, Frau Reh, Frau Eule und alle anderen Feld und Waldbewohner schlossen sich an. Aber die Bäume waren zu groß, wie sie sich auch drehten und wendeten, es gelang ihnen nicht, in den Felsschlund zu schlüpfen. So blieben sie verwirrt stehen und wussten nicht, was sie tun sollten. Sie schüttelten ihre Äste, und jammerten: „Wir sind zu groß, um unter die Erde zu schlüpfen!“ Nun kamen Max und Minni mit ihren Kindern. Max kam immer zu spät. Egal, was passierte, und wenn die Welt untergegangen wäre, Max wäre auch dazu zu spät gekommen. Erstaunt sah Max auf die Bäume, die vergeblich versuchten, sich in den Höhlenschlund zu zwingen. Da hatte der schönste Tannenbaum einen guten Einfall. „Max kannst du uns bitte darüber unterrichten, was im Fels vor sich geht?“ Vielleicht kann die Felsmutter einen kleinen Spalt offen lassen, damit du hinaus und herein gehen kannst?“ „Mach ich“, sagte Max, und schob Minni und seine Kinder in den Felsschlund. Die Felsmutter klappte mit einem lauten Seufzer ihren Mund zu, ließ aber einen kleinen Spalt offen.
Im Höhleninneren floss ein kleiner Bach, Fische tummelten sich im glasklaren Wasser. Libellen tanzten am Ufer. Leuchtkäfer verbreiteten mildes Licht. Auf einem Steinthron hatte ein prächtiger Hirsch Platz genommen. Er rief mit kräftiger Stimme: „Hört, ihr Tiere dieser Erde!“ Die Tiere schwiegen still und lauschten. „Wollen wir hier ein unterirdisches Reich gründen, zu dem die Menschen keinen Zugang haben? Oder wollt ihr warten, bis die Natur zerstört ist, und wir sterben müssen?" Ein Schreien, Zwitschern und Blöken war die Antwort. Ein alter Habicht flatterte aufgeregt mit den großen Flügeln. „Wir Raubvögel sind vom Aussterben bedroht, weil die Menschen immer mehr Straßen bauen.“ „Das Wasser haben sie vergiftet, und wir ersticken darin“, klagten die Fische. „Rücksichtslos!“ Rief eine aufgeregt zappelnde Fledermaus aus einer Felsnische. „Die Erde gehört uns allen, Mensch und Tier!“ Stumm hörte der Hirsch die Reden der Tiere an. „Wir müssen, zur Rettung der Natur die Menschen aus unserem Leben ausschließen“, sagte er dann. Ein vielstimmiges „Ja“ war die Antwort. „Aber die Bäume, was machen wir mit den Bäumen? Wenn wir die Höhle schließen und die Bäume allein lassen, werden im Frühling halbtote Stämme draußen stehen“! rief Max. Große Aufregung herrschte nun unter den Tieren und Pflanzen. Keiner wusste, was zu tun war.
In der Nähe der großen Felsmutter befand sich ein Bauernhof. Dort wohnte der Bauer Julius mit seiner Familie. Julius war ein zuverlässiger Mann, der die Natur liebte. Seine Frau Helga und er hatten drei Kinder, die Juliane, den Christoph und die Lea. Julius bestellte seine Felder, hatte einen Stall voll Nutzvieh, arbeitete gerne und konnte sich ein Leben ohne seine Frau und seine Kinder nicht vorstellen. Lea, das jüngste Kind der Familie war die neugierigste. Ihre Augen waren groß und braun und blickten aufmerksam in die Welt. Ihre Wangen waren rot wie reife Äpfel. Ihr Vater nannte sie deshalb „Apfelbäckchen.“ Lea entdeckte jeden Tag eine andere Neuigkeit.
Nun stand Weihnachten vor der Tür, und Papa wollte sich einen Christbaum im Wald suchen. Aber er hatte nur wenig Zeit, es war noch viel zu tun. Die Tiere im Stall mussten jeden Tag versorgt werden, er sollte seinen Traktor und die Mähmaschine warten, und Mama musste die Weihnachtsplätzchen backen und das Haus putzen. „Ich weiß nicht, wann ich in den Wald komme, um einen Christbaum zu suchen“, jammerte er.
Die Zeit verging viel zu schnell, es war drei Tage vor Weihnachten als Lea entschlossen zu ihrem Vater sagte: „Ich gehe in den Wald und suche nach einem Christbaum.“ Julius wusste, wenn seine kleine Tochter sich etwas in den Kopf gesetzt hatte, wollte sie es auch durchführen. So gab er ihr sein Einverständnis, ermahnte sie aber, nicht zu weit von zu Hause wegzugehen.
Lea zog sich den dicken Anorak an, stülpte sich die blaue Wollmütze über, und machte sich mit energischen Schritten auf den Weg in den Wald. Ein kalter Wind pfiff durch die Wipfel der Bäume. Die Wintersonne wärmte nur wenig, und am Himmel waren grauweiße Schneewolken. Lea fror, aber sie wusste, wo sie nach einem passenden Baum suchen musste. Auf der Lichtung, auf der die jungen Bäume wuchsen, würde sie bestimmt einen finden. Dann wollte sie ihn mit einem weißen Band markieren, damit der Vater ihn am nächsten Tag fällen konnte. Ein kalter Wind kam auf, und blies Lea direkt ins Gesicht. Ihre roten Bäckchen färbten sich blau, und ihre Ohren fingen an, vor Kälte zu kribbeln. „Brr“ sagte sie schüttelte sich, und verschränkte die Arme vor der Brust, um sich zu wärmen. Dann erinnerte sie sich an den Spruch, den ihr Vater gestern gesagt hatte: „Januar muss vor Kälte knacken, wenn die Ernte soll gut sacken.“ Ja, es war recht so, dass es kalt war, aber musste es schon im Dezember so weit sein? Tapfer ging sie weiter. Aber als sie die ersten Tannen erreichte, erschrak sie sehr. Die Nadeln waren braun und rieselten auf den Waldboden, die Zweige hingen schlaff herunter. Kein schöner Tannenbaum fürs Weihnachtsfest war zu sehen. Lea war enttäuscht, und wütend. Sie konnte ja nicht wissen, was hier passiert war. In ihrer Wut achtete sie nicht auf den Weg, rutschte auf dem gefrorenen Laub aus, und kullerte kopfüber den Hang hinunter. Mühsam rappelte sie sich hoch, wobei sie immer wieder abrutschte.
Nicht weit entfernt, sah sie einen Höhleneingang. Lea war neugierig, sie wollte sehen, was sich in der Höhle verbarg. Als sie näher kam, sah sie, dass der Eingang verschlossen war. An einer Stelle war ein kleines dunkles Loch. Lea kniete auf den hart gefrorenen Waldboden und versuchte, durch das Loch zu spähen. Aber es war zu dunkel da drin. Plötzlich sagte eine kleine piepsende Stimme: „Willst du mich wohl hinauslassen? Warum blockierst du mit deinem großen Kopf meinen Höhlenausgang?“ Erschrocken zuckte Lea zusammen, rutschte aus, und landete abermals mit dem Po auf dem nassen Waldboden. Ihr Anorak war mit Dreck beschmiert, und ihre Hose hatte braune Flecken. Mama wird mit mir schimpfen, dachte sie, aber das war vergessen, als sie Max, das Eichhörnchen sah. Max stand mit hochgestelltem Schwanz vor Lea, seine braunen Augen funkelten kampflustig, und sein kleiner Körper war angespannt. „Wer bist denn du?“ fragte Lea. Sie wunderte sich nicht darüber, dass sie mit Max sprechen konnte, denn Menschen, die die Natur lieben, haben diese Gabe. „Ich bin Max das Eichhörnchen, ich bin unterwegs zu den kranken Bäumen“, antwortete Max. „Ja, die armen kranken Bäume habe ich gesehen. Was ist nur geschehen?“ fragte Lea. Max dachte: Ei, das Mädchen ist sehr nett. Anscheinend sind nicht alle Menschen egoistisch und selbstsüchtig. Und so ergab es sich, dass Max Lea die Geschichte der Tiere im Fels erzählte. Neugierig spähte sie danach in den Höhleneingang, aber sie konnte nichts sehen. „Darf ich euch besuchen?“ Fragte sie dann. „Da muss ich den Hirsch fragen, er will eigentlich keine Menschen sehen. Aber bei einem Kind wird er vielleicht eine Ausnahme machen, “ antwortete Max. „Ach bitte, tu das, ich warte hier gerne, “ sagte Lea. Max zischte mit aufgestelltem Schwanz wie ein Wirbelwind in den Höhleneingang. Wenig später kam er zurück und fiepte aufgeregt: „Der Hirsch sagt, du kannst kommen, mit einem Kind wird er reden, folge mir.“ Und Lea kroch auf allen Vieren hinter Max her. Als sie wieder aufrecht stehen konnte sagte Max: „Nun sind wir da. Schau dich um." Erstaunt sah Lea auf den Bach der im Höhleninneren floss. Fische tummelten sich im glasklaren Wasser. Libellen tanzten am Ufer. Leuchtkäfer verbreiteten mildes Licht. Ein kleiner blauer Bach schlängelte sich durch die Höhle, das Wasser war rein und glasklar. Libellen tanzten am Ufer und Leuchtkäfer erhellten die Dunkelheit. Die Tiere, die sich hier aufhielten, sahen alle glücklich und zufrieden aus. Sogar die Pflanzen blühten, mitten im Winter. Der prächtige Hirsch saß auf seinem steinernen Thron. „Guten Tag, liebe Lea, was führt dich hierher? „ knurrte er mit tiefer Stimme. „Ich wollte sehen wo die Tiere und Pflanzen geblieben sind“, antwortete Lea schüchtern. „Ei, du bist aber ein neugieriges Menschenkind“, brummte der Hirsch. „Ja, das sagt mein Vater auch immer“, murmelte Lea. „Wo wohnst du?“ Fragte der Hirsch dann. Und Lea erzählte ihm von dem Bauernhof, von ihren Geschwistern und von Mama und Papa. Und davon, was sie so den lieben langen Tag trieb. Als sie fertig war, nickte der Hirsch mit dem Kopf, und sein mächtiges Geweih schwankte dabei hin und her. „Du gefällst mir. Ich würde mich freuen, wenn du dich hier umsiehst, und deinen Eltern berichtest, dass die Tiere und Pflanzen sich in dieser Höhle niedergelassen haben. Und vergiss nicht zu erwähnen, dass wir nur dann wieder herauskommen, wenn die Menschen ihr Verhalten ändern.“ Lea versprach ihm, ihren Eltern alles zu berichten. Sie wussten bestimmt, was hier zu tun war.
Julius war sehr erstaunt, als Lea ihm von ihrer Begegnung erzählte. Zuerst wusste er nicht, was er antworten sollte. Leas Mama befürchtete, ihre Tochter hätte sich im Wald eine Erkältung geholt, und habe nun Fieberfantasien. Aber Lea ließ nicht locker. „Bitte geht mit mir in den Wald, dann werdet ihr die kranken Bäume sehen“, sagte sie zu ihren Eltern. Julius seufzte, er sah, seine Tochter meinte es ernst. Er konnte ihr keinen Wunsch abschlagen, auch wenn er es für verrückt hielt, was sie erzählte. „Zieh dich um, so wie du angezogen bist, kannst du nicht in die Kälte hinausgehen. Ich werde mit dir gehen, Vater hat noch viel zu arbeiten, “ sagte Mama knapp. Und Lea rannte in ihr Zimmer, um sich etwas anderes anzuziehen. Draußen war es noch kälter geworden. Der Atem gefror in der Luft er sah aus wie kleine weiße Rauchschwaden. Der Schnee knirschte unter ihren Schuhen, der Waldboden war glatt. Lea und ihre Mutter liefen so schnell sie konnten. Als die Mutter die kranken, abgestorbenen Bäume sah, erschrak sie. Aber wir groß war ihr Erstaunen erst, als sie Max sah. Max hatte am Waldesrand auf die Menschen gewartet. Als er sie kommen sah, hüpfte er auf die beiden zu, und fiepte mit heißerer Stimme: „Guten Tag.“ Auch Mama konnte Max verstehen. Das war ein Zeichen dafür, dass sie ebenfalls ein guter Mensch war, der die Natur liebte. Einige Zeit später standen Mama und Lea in der großen Höhle. Der große Hirsch kam langsam auf die beiden zu. Er schüttelte seinen Kopf und schnaubte laut: „Max hat mir gesagt, dass ihr kommen werdet, ich bin bereit euch anzuhören.“ „Was ist mit den Bäumen los? „Fragte Mama. „Wir können uns keinen Weihnachtsbaum mitnehmen, sie sind alle krank. „
„ Das tut mir leid, aber die Bäume waren zu groß, um in die Höhle zu kommen“, sagte der Hirsch. Dann erklärte er Leas Mama, warum die Tiere sich hier in der Höhle aufhielten. „Aber dagegen muss etwas getan werden, wir brauchen euch, und die Natur“, sagte Mama. „Ja wir müssen etwas tun“, stimmte Lea zu. Dabei hüpfte sie aufgeregt hin und her, stolperte und trat auf einen Stein, der „Aua, verflixt, pass doch auf“, schrie. Erstaunt sah sie sich um. Der Hirsch lachte, „Hier bei uns lebt alles, selbst die Steine haben Gefühl. Wenn ihr den Menschen da draußen klar machen könnt, dass sie die Natur schonen müssen, werden wir wieder herauskommen. Aber nur dann. Ihr seht ja, die Bäume sterben. Wollt ihr das wirklich? “Ich werde sofort zum Bürgermeister gehen, der weiß wie ich den Umweltminister erreichen kann," sagte Mama. Der Hirsch nickte zufrieden. „Ich sehe, du bist ein guter Mensch“, brummte er. Aber Mama hatte keine Zeit für große Reden. Sie nahm ihre Tochter bei der Hand und verabschiedete sich eilig, um zum Bürgermeister zu gehen.
Es wurde ein trauriges Weihnachtsfest für Lea, so ganz ohne Baum. Der Bürgermeister erreichte den Umweltminister erst nach Weihnachten. Der Umweltminister machte Urlaub in Spanien und konnte nicht nach Hause fliegen. Ein Vulkan war ausgebrochen und eine große Lavawolke breitete sich über ganz Europa aus. Deshalb konnten die Flugzeuge nicht mehr fliegen, ohne in Gefahr zu kommen. Endlich, es war schon am Dreikönigstag, kam der Umweltminister nach Hause. Als er von den Tieren in der Höhle hörte, beauftragte er den Bürgermeister, sich dort umzuschauen. Aber die Tiere ließen ihn nicht in die Höhle herein. Sie hatten das Vertrauen zu den Menschen fast verloren. Mama und Lea mussten mit kommen, um zu vermitteln. Danach kam der Umweltminister mit seinem ganzen Gefolge. Der Bürgermeister hatte alle Bauern des Dorfes mitgebracht, und Leas Papa war auch mitgekommen.
So standen sie zum zweiten Mal in diesem Winter vor dem Höhleneingang und warteten darauf, dass die Felsmutter ihr Maul öffnete. Es knirschte ordentlich, und die Menschen wichen erschreckt zurück als der riesige Felsbrocken, wie von Geisterhand beiseitegeschoben wurde. Ein großer Bär erschien und rief mit lauter Stimme: „Nur um der Kinder willen werden wir mit euch reden! Die Kinder sind für eure Vergehen nicht verantwortlich. Wie das Gericht der Tiere über euch urteilen wird, muss allerdings der König entscheiden!“ Nun durften sie eintreten, mussten sich aber durch die riesige Halle bis zum Hirschkönig schleppen und sich dort auf den Boden setzen. Die kluge Eule saß auf einem Stein vor dem Thron. Sie hatte eine große Brille auf dem Schnabel und las den Menschen aus einer Anklageschrift vor: „Ihr habt die Natur ausgebeutet, und der Erde Schaden zugefügt. Wenn ihr nicht bereit seid, euer Verhalten zu ändern, werden wir nie wieder auf die Erde zurückkehren.“ Die Menschen versuchten, sich zu verteidigen, wurden aber von den wütenden Tieren niedergeschrien. So blieb ihnen nichts anderes übrig, als den Forderungen der Tiere nachzukommen. Sie mussten ihr Leben ändern, und auf manches verzichten.
Doch je einfacher und anspruchsloser sie wurden, desto zufriedener waren sie. Sie hatten gelernt, dass es in der Natur nur ein Miteinander geben konnte. Als die Tiere das sahen, kehrten sie mit den Pflanzen wieder auf die Erde zurück. Die Bäume wurden gesund und uralt. Sie stehen heute noch auf ihrem Hügel. Wenn man dort vorüberkommt, hört man sie flüstern: „Wir danken dem Kind, das uns gerettet hat.“ Die große Höhle bekam den Namen: „Leas Höhle“ und Lea war sehr stolz darauf. Schließlich hatte sie dafür gesorgt, dass den Menschen die Natur erhalten bleibt. Oft saß sie bis zum Abend vor der Höhle oder spielte im Wald mit Juliane und Christoph. Dann hörte sie die Amseln singen und den Kuckuck rufen. Eichhörnchen schwangen sich von Baum zu Baum. Hasen hoppelten über die Wiese. Lea liebte den Wald und alles, was es darin gab. Alle Bäume alle bemoosten Hügel, alle Stellen an denen Walderdbeeren wuchsen, jede Blume und jedes Tier. Wenn der Abend kam, wurde es still im Forst. Nur den Ruf des Kuckucks hörte man aus der Ferne. Füchse und Rehe huschten an Lea vorbei. Max, das Eichhörnchen schlüpfte in seinen Baum zu Mini und seinen Kindern. Die große Eule saß auf ihrem Ast auf dem Tannenbaum und blinzelte träge mit den Augen. Und wenn Lea nach Hause ging, raschelte, trappelte und krabbelte es im Moos. Die Steinmännchen gingen schlafen und die Sonne ging glutrot unter. Derselbe Himmel ist über unserem Bauernhof, dachte Lea dann. Sie war zufrieden. Der Wald gehörte allen. Mensch und Tier.