Bälle und Testosteron
Der Bolzplatz ist eines jener immer kleiner werdenden Testosteronreservate die der Homo Erectus Pöbelenses noch sein Eigen nennen kann. Jedes Wochenende strömen die von Herd und Hof Verbannten zu Tausenden in die Bundesligastadien und auf die Kreisligaäcker. Hier erleiden sie, als bunt beschaltes Happening echter Männerfreundschaften, das Gemetzel, das sich ihre Helden und Opfer (je nach Spielstand) nachmittäglich in die verkrampften Waden treten lassen. Hier darf er noch seinem Fachabitur in Brüllen und Schwitzen frönen, eines jener dahinschwindenden Balzrituale, die sonst nur im Straßenverkehr und auf deutschen Baustellen zu beobachten sind. Im Gegensatz zu diesen beiden Betätigungsfeldern darf er es am Rande der abgelatschten oder kunstbegrünten Ballarenen aber aus purer Lust und in therapeutisch gelenkten Gruppen tun.
Hier lässt sich dann auch der Grund finden, warum das Küchenmonster den Idioten von der Leine lässt. Wenn der Sonntagsfraß mal wieder angebrannt ist, der Schwiegerrochen das Kompott ganz allein verdrückt hat oder die Blagen das Reihenhaus in einen nahöstlichen Krisenherd verwandeln, dann weisen Kittelschürze und High Heel ihm gemeinsam die Richtung, bevor er zum Axtschärfen in die Garage geht.
All der angestaute Wochenfrust, die blöde Fresse vom Chef, die vermeintliche Unfähigkeit der doofen Sklavenmarktmitstreiter, das ewige Gekeife der Alten, das Geheule der genetisch selbst verbockten Komparsen, all das darf sich unter Flutlicht entladen. Und er denkt immer noch, er tut das für sich und sein Team. In Wahrheit hat aber das Trauscheinluder alle Fäden in der Hand. Sobald er mit seinen Kumpels zur Tür hinaus poltert, trötend und krakeelend, schnappt sie sich das Smartphone oder die Kabeltrommel mit Quasselmuschel und tratscht entspannt mit ihrem Abziehbild am anderen Ende. Hier findet sie Zeit zur Entspannung, weil der Bierschinken endlich dem Eigenheimbunker den Rücken gekehrt hat. 2 Stunden Erholung bei leerem Geschwafel, Prosecco und affektiertem Gegacker. Im Gegensatz zu ihm muss sie dafür nicht noch irgendwohin latschen, an Kassen anstehen und sich von schwitzigen Pranken begrapschen lassen. Vieleicht ist sie tatsächlich schlauer, oder aber nur auf andere Weise bekloppt.
Aber Männer brauchen das, haben sie doch seit Generationen Schulter an Schulter auf Schlachtfeldern geblutet, sich in Revolutionen abknallen lassen oder als Horde den Säbelzahntiger gewürgt. Diese innige Verbundenheit im Kampfe, die bierselige Brüderlichkeit, diese homoerotische Unterschwelligkeit beim in die Arme fallen und im Fesselgriff herum springen sind des Pimmelträgers Antriebsfedern. Und weil im echten Leben nicht mehr gekämpft wird, es dem Germanen nicht mehr gestattet ist Blut zu vergießen, außer er heuert bei Flintenuschi an und schießt sich selbst die Haxen futsch, ist das Stadion das einzig wahre Schlachtfeld geworden.
Sobald der Schwarzmann in die Pfeife sabbert und der Stadionsprecher die Einmarschmusik der Gladiatoren abwürgt, brechen unberechenbare Aggressionen aus Familienvätern und Vorruheständlern. Halsschlagadern schwellen bis zum Platzen, Brillen rutschen von Blumenkohlzinken, schwielige Fäuste ballen sich an akkurat gebügelten Hosennähten und gesunder Menschenverstand weicht vertontem Wahnsinn.
Erstes Opfer ist immer der Linienrichter, weil er die Fahne falsch oder gar nicht hebt, sie sich am liebsten selbst in den Arsch rammen sollte. Auf verbal kreative Art und Weise werden ihm mannigfaltige Sehhilfen für diverse Körperteile angeboten. Von angedrohtem Liebesentzug bis hin zu blumigen Todesflüchen lässt der Wimpelschwinger alles stoisch über sich ergehen. Das muss er, das weiß er und das kann er, denn das ist alles Teil des Spiels.
Der Schiri ist genauso eine Blindschleiche, dieser einarmige Karussellbremser, die Pest soll er kriegen, das nächste mal wenn er pfeift, dann am besten nur noch 1,80 tief!
Und die Gegenmannschaft wird mit Scham und Hohn behängt wie eine unter Lametta erstickende Jahresendfichte. Legt sich mal einer lang, erhält er Beileid und Genesungswünsche, die selbst Jesus am Kreuze hätten stramm stehen lassen. Da fliegen leere Bierbecher wie Konfettiregen durch das Areal und Mittelfinger beweisen unglaubliches Expansionsbestreben.
Bierbecher sind übrigens immer leer, Mutti weist Papi eine Taschengeldsumme zu, von der sie überzeugt ist, dass sie 2 Halbzeiten durchhält. Und der Nachmittagssuff wird immer teurer!
Wenn das Hausteam mit 3 Punkten in der Kabine verschwindet, dann ist die Schlacht geschlagen und die Heroen des Grün werden heißblütig ihrer Vorteile gerühmt. Auch an dieser Stelle wabert schwuggelige Männerliebe ganz offenherzig um den Stammtisch. Blut und Tränen sind das höchste Gut vor dem Abendbrot.
Kriegen die Nichtskönner und Lufthakentreter aber so richtig auf die Mütze, ist es vorbei mit Popo tätscheln. Dann werden die Grasnabenfresser vom Feld geprügelt, dass sie sich nicht mehr wagen den Kopf zwischen den Schultern rauszustrecken.
Alles „part of the game“ und bis zum nächsten Wochenende wieder vergessen.
Das Refugium Bolzplatz ist dem Manne heilig! Genau wie seine Bewaffnung unter der Woche, der Trennschleifer, die Bohrmaschine und der Aufsetzmäher. Da der angeheiratete Devisenverbrenner die Nutzung am heiligsten aller Tage aber untersagt hat, verlagert er seinen Schützengraben eben auf den fremdgemähten Rasen. Also habt Verständnis, letztendlich ist seine Leidenschaft auch nur ein leicht nachzuvollziehender Fluchtinstinkt.