Als die Wärter ihn in den Raum hineinführten schlug ihm das Herz bis zum Hals. Es war ungewöhnlich, dass der Direktor jemanden in seiner Lage persönlich in seinem Büro empfing. Was konnte das bedeuten? Ein Anflug von Hoffnung überfiel ihn. Gab es doch noch eine Möglichkeit, wie er seinem Schicksal entkommen konnte? Er hatte die letzten 38 Tage an nichts anderes gedacht, kam aber immer zu dem gleichen fatalen Ergebnis. Die Chance aus seiner Situation zu entkommen war praktisch gleich null, besonders hier in Texas. Die Menschen hier wollen Sühne, sie wollen Blut sehen. Aug um Aug, Zahn um Zahn, wie es in der Bibel steht.
Seine einzige Chance war eine Umwandlung der Todesstrafe in eine lebenslange Freiheitsstrafe. Dies konnte aber nicht der Direktor sondern nur der Governor persönlich.
Und der Governor war ein Mann, der seinen Bürgern gab, was sie brauchten. Sein Vorrat an Leuten wie ihm, mit denen er praktisch monatlich seiner Verantwortung – wie er es nannte – gegenüber dem Staat Texas und seinen Bürger nachkommen konnte, war nahezu unerschöpflich. Der Todestrakt quellte fast über. Da blieb ihm praktisch gar nichts anderes übrig, als regelmäßig Platz zu schaffen und der Gerechtigkeit ihren Lauf zu lassen.
Nebenbei festigte seine Unerbittlichkeit sein Ansehen in der Bevölkerung, besonders wenn er nach einem vollstreckten Urteil persönlich auf sein hölzernes Rednerpult stieg, das er jedes Mal vor der versammelten Menge draussen schnell aufbauen ließ, um zu dem aktuellen Fall Stellung zu nehmen.
Mit gequältem Gesichtsausdruck drückte er sein Mitleid mit den Opfern und seinen Angehörigen aus. Man glaubte ihm anzusehen, wie sehr ihm selbst die Hinrichtung an die Nieren ging. Dennoch fand er die Kraft die richtigen Worte, auch an die Angehörigen des Delinquenten und die unermüdliche Gruppe von Demonstranten zu richten. Mit den Worten der Bibel beschrieb er, wie durch die gerade vollzogene Prozedur die Schuld gesühnt, und die nunmehr befreite Seele den Weg zu Ihrem Schöpfer suchen kann.
Mit seiner Schauspielkunst hätte er in Hollywood Karriere machen können, aber er hatte sich die Politik ausgesucht. Sein Talent - und seine weitreichenden Kontakte -hatten ihm den Weg geebnet. Heute war heute Governor des Bundesstaates Texas. Und er war stolz darauf, obwohl man ja nie wußte was die Zukunft noch so für einen bereit hielt.
Man konnte sich darauf verlassen, dass das Rednerpult spätestens um zwanzig Uhr abgebaut werden konnte, da der Governor früh zu Bett ging und großen Wert darauf legte, vorher noch mit seiner Familie zu Abend zu essen.