Die Geschichte der Federn
Zwei Phönixe umwirbelten sich in einem feurigen Kampf auf Leben und Tod für Jahrhunderte. Funken sprühten in einem gewaltigen Umkreis um die ganze Erde; fast wäre sie in zwei geteilt worden. Im tausende von Jahren alte Gemäuer der Erde fingen an, sich hauchdünne Spalten zu bilden. In den Katakomben rieselte hauchfeiner Sand auf den Grund; die Erde ratterte, als wäre sie ein kaputtes Uhrwerk. Bevor es weiter kommen konnte, gaben die Phönixe, jedoch nicht ohne sich noch ein letztes Mal gegenseitig vernichten zu wollen, auf. Um der Schlacht endgültig ein Ende zu bereiten, und die Welt vor der Zerstörung zu schützen, verschwanden beide ins große Nichts, und hinterließen nichts außer einer Rauchwolke und verbranntem Boden. Und 3 goldene Federn. Diese flogen hoch in die Luft und nahmen eine Reise auf unabsehbare Zeit auf.
Die erste Feder landete bei einer stolzen Frau. Sie war stur, hochgewachsen mit einem geraden Rücken, obwohl sie unsagbar alt war. Trotz, dass sie von jedem als grausam wahrgenommen wurde, war sie der Mensch mit der reinsten und unbefleckten Seele auf dem ganzen Erdkreis. Sie war einsam, lebte abgeschottet, als wäre sie das einzige Geschöpf auf der Erde, da sie lieber ihr ganzes Leben lang allein war, anstatt einer anderen Menschenseele auch nur unbeabsichtigt weh zutun. Dies ist, weshalb die Feder sie auserkoren hat. Die Feder gab ihr die Möglichkeit, sich, selbst bei vollkommener Isolation nicht alleine zu fühlen, damit sie nicht die Sehnsucht entwickelt, sich einem anderen Individuum zu nähern. Ob dies ein Segen oder Fluch ist, dies wissen nur die Phönixe.
Segen? Oder Fluch?
Die zweite Feder landete bei einem Neugeborenen. Sie brachte ihm viel Glück. Er wuchs unter perfekten Umständen auf, hatte Eltern, die ihn, und seine unschuldig wirkenden, braunen Augen, über alles liebten. Freunde, die einen positiven Einfluss auf ihn hatten, zwei Hunde, mit denen er schon früh gelernt hatte, umzugehen. Doch dies alles hielt ihn nicht davon ab, eines Tages einem anderen Kind im Kindergarten sein Brot zu klauen, auf das er neidisch war. Dies war der Tag, an dem seine Seele zu ihren ersten Flecken kam. Als er, einige Jahre später, zum wiederholten Mal einer ärmlichen Frau den Geldbeutel geklaut hatte, war seine Seele bereits ganz und gar schwarz. Die Feder erkannte, dass sie sich getäuscht hatte, verließ ihren Besitzer und begab sich auf Weiterreise. Kurz darauf wurde ihm alles weggenommen, was er je besessen hatte. Das Einzige, was ihn am Leben gehalten hätte, wäre eine reine Seele gewesen, gleichwohl war es dafür längst zu spät.
Die Feder windete sich vor Scham und Schande, was hatte sie für einen Nützen wenn sie dem falschen Menschen Vertrauen geschenkt hatte? Sie starb und zerbarst in Flammen.
Die dritte Feder landete bei einer selbstsüchtigen Frau. Schon früh wurde sie von ihren Eltern verlassen, musste auf der Straße leben und sich oft ihr Essen erbetteln oder ihre spärlichen Besitztümer vor Räubern verteidigen. Später gewann sie mit Hilfe der Feder im Lotto, und wurde steinreich. Sie gab nicht mal einen einzigen Pfennig an eine andere Person, wenn es nicht nötig war, aber sie hatte noch nie von jemandem gestohlen. Ihre Selbstsucht war es, die sie all die Jahre am Leben erhalten hatte. Die dritte Feder suchte sie aus, da sie nichts und niemanden über sich selbst stellte und auf harte Weise gelernt hatte, dass es keinen anderen Menschen gab, der vertrauenswürdiger war, als sie selber. Sie lernte, dass es besser war, sich selbst als Priorität zu stellen. Sie lernte, dass die Welt ein grausamer Ort war. Ihre Seele blieb ihr ganzes Leben lang rein.
Die Federn blieben vom Anfang ihrer Lebensspannen bis zu ihrem letzten Atemzug in ihnen. Aus Trauer vergingen die Federn in hellem Licht, denn sie hatten sich genau die Menschen ausgesucht, die ihnen ebenbürtig waren.