Schon so lange ist es her, seit ich das Licht am Himmel das letzte Mal hab leuchten sehen, das letzte Mal, seit der schrecklichen Blutnacht, die mein ganzes Leben veränderte.
Es fällt mir schwer, davon zu erzählen. Es ist einfach nur schrecklich und ich weiss nicht, ob wir das alles jemals überleben werden. Die meisten Pflanzen sind schon abgestorben, es gibt kaum mehr etwas zu Essen und an jeder Ecke der Stadt lauert Gefahr. Es ist die Apokalypse, sagen manche Leute. Die Welt wird untergehen und wir können nichts dagegen machen.
Tagebuch zu schreiben ist eine Möglichkeit all das zu verarbeiten, das tue ich nun hier:
Es begann, an einem normalen, sonnigen Tag, alles schwirrte von Leben und von der Freude des neu erwachenden Frühlings. Doch die Idylle trügte. Bei uns herrschte zwar lange noch Frieden, doch viele andere Länder versanken in Elend, Krieg und Tod. Wir gehörten zu den Privilegierten, welche einst jedoch ihren Erfolg und Wohlstand auf dem Rücken anderer Völkern und anderer Länder aufgebaut hatten. Wir hatten vor knapp 1 ½ Jahrhunderten alles kolonialisiert, eingegriffen in die Gefüge der damals fremden Gesellschaften und dabei noch gedacht, dass wir damit etwas Gutes tun. Doch wir hatten dabei vergessen, dass wir die andern Völker dadurch an ihrer Entwicklung zu mehr Eigenständigkeit und demokratischem Verständnis hinderten. Nun holt uns alles wieder ein, alles was wir an Fehlern und Leid angerichtet haben, fällt nun auf uns zurück. Wir haben das selbst zu verschulden. Ich glaube nicht eine Apokalypse im herkömmlichen Sinn, aber an Ursache und Wirkung und diese wird nun in den jüngsten Ereignissen sichtbarer, als jemals zuvor.
Die Völker im Nahen Osten waren zu jener Zeit in Aufruhr. Schreckliche fanatische Auswüchse entstanden und griffen über auf die ganz restliche Welt. Unsere… (vermeintlich) fortschrittlichere Gesellschaft, liess sich von diesen Auswüchsen selbst verderben und begann zurückzuschlagen, jedoch mit einer anderen Art von Fanatismus: dem Nationalsozialismus. Dieser bekam neuen Auftrieb und vergessen waren die einstmals schrecklichen Ereignisse unter Hitler- Deutschland. Das Volk liess sich blenden, es tappte in die genau gleiche Falle, wie schon damals. Menschen, welche vom Krieg Zuflucht in unseren reichen Ländern suchten, wurden schliesslich verfolgt und zum grossen Teil niedergemetzelt. Es wurde nicht mehr unterschieden zwischen jenen, welche wirklich schuldig waren und den Unschuldigen. Unser Volk sah zu, viele waren nicht ganz einverstanden, wagten aber nicht mehr zu widersprechen, oder resignierten, weil ihren mahnenden Worten, doch niemals Gehört geschenkt wurde. Die Situation spitzte sich noch zu, als von einem bisher eher unbedeutenden, europäischen Land ausgehend, ein Diktator die Macht an sich riss und einen Genozid anzettelte, der ein schreckliches Blutbad anrichtete.
Ich weiss noch, wie ich durch die Strassen ging, überall Blut, überall ermordete Menschen, vorwiegend mit etwas dunklerer Hautfarbe. Der neu ernannte Diktator ermordete auch alle Europäer, die ihm im Weg standen. Alle die sich gegen den Genozid ausgesprochen hatten, darunter auch viele namhafte Politiker und Menschenrechts- Aktivisten. Es hiess: „Entweder ihr seid für oder gegen uns und seid ihr gegen uns habt ihr den Tod ebenfalls verdient, wie all diese Terroristen und sonstigen Verbrecher.“
Die Kinder und Frauen aus dem Nahen Osten wurden, nach der grausamen Ermordung ihrer Männer, Väter und Brüder in Lager gesperrt, wie damals die Juden unter Hitler. Das neue Regime, wollte sie umerziehen, wie es schon in früheren Zeiten mit heidnischen Kulturen gemacht worden war. Missionare, welche von dem vermeintlich religiösen Führer aus Polen angestellt wurden, kümmerten sich darum. Es müssen schreckliche Verbrechen in diesen Lagern passiert sein und wir… haben einfach nur weggeschaut. Aber warum? Aus Angst, aus Gleichgültigkeit, oder aus Wankelmütigkeit heraus? Ich weiss es nicht. Ich sitze nun hier ober auf einem der vielen flachen Hochhausdächer und blicke über das Land, noch immer sind die Spuren zu sehen, von den Grausamkeiten, die damals passierten. Das Blut ist zwar in den Strassen getrocknet, doch niemand hat es mehr weggewischt. Denn als der Himmel sich auftat und seine ganze Abscheu über unser frevelhaftes Tun auszuspucken schien, da begannen tiefrote Tropfen zu fallen…
Zuerst meinten wir, es sei einfach etwas eingefärbtes Wasser, welches da herniederging, doch dann begriffen wir, dass es mehr war. Es war reines Blut! Ich war damals draussen vor der Stadt mit meinem Fahrrad unterwegs, als sich der Himmel gegen Abend plötzlich verdunkelte. Ich dachte zuerst, es sei ein besonders schöner Sonnenuntergang, doch dann wurde der Himmel über mir roter und roter, finsterer und finsterer, bis er die Farbe von dunklem karminrot angenommen hatte. Ich konnte es kaum glauben, das sah so seltsam aus, das hatte ich noch nie zuvor gesehen. Ich hielt mein Fahrrad an und blickte zum Horizont. Das seltsame Rot breitete sich immer weiter aus, immer dunkler und dunkler wurde es. Aber es war nicht die Dunkelheit der Nacht, die da auf mich zukam, nein! Es war… ganz anders und es war sehr unheimlich! Alles schien von dieser seltsamen Farbe verschlungen zu werden, wie von einem schwarzen Loch, nur war dieses hier karminrot und dann… kam Wind auf, ein starker Wind, welcher einen seltsamen, beunruhigenden Duft mit sich trug und… schliesslich der Regen, dieser schreckliche, dickflüssige Regen!
Er fiel zuerst nur tropfenweise auf mich hernieder und zuerst begriff ich, wie gesagt, nicht sogleich, was es damit auf sich hatte. Doch als dann immer mehr dieser seltsamen Tropfen fielen, immer dichter, immer undurchdringlicher, stellte ich mit Entsetzen fest, dass ich über und über mit zähflüssigem Blut bedeckt war. Es ergoss sich über mich, wie aus unsichtbaren Kübeln, es machte meine Haare klebrig und roch genau wie richtiges Blut. Es war, als ob im Himmel ein riesiges Tier geschlachtet würde und sein Lebenssaft ergiesse sich nun über alles. Ich schrie, erfüllt von unbändigem Entsetzen laut auf, stieg auf mein Fahrrad und begann wie eine Wahnsinnige in die, ebenfalls rotverschmierten, Pedale zu treten. Es wurde nun noch dunkler, die Nacht brach herein… Doch diese Nacht war finsterer als jede bisherige Nacht in meinem Leben. Ich wusste damals noch nicht, dass ich die Sonne, das leuchtende Tagesslicht, an jenem Tag wohl das allerletzte Mal gesehen hatte. Ich war auf dem Land, ausgeliefert diese Naturgewalt, welche sich über alles ergoss, über Bäume, Blumen, Häuser, Tiere und Menschen. Ich fuhr, fuhr weiter und weiter, meine Augen von blutigen Schleiern getrübt, meine Kleider kaum mehr zu erkennen, unter dem entsetzlichen Regen, der wirklich aus einer apokalyptischen Schrift zu kommen schien. Die Strasse wurde glitschig und gefährlich. Ich rutschte darauf aus und stürzte in den Strassengraben, welcher nun ebenfalls mit Blut gefüllt war und es regnete weiter, immer weiter! Als ich stürzte kam zu dem Schmerz, welchen ich durch den Sturz erlitt, auch noch das Entsetzen dazu, dass mein ganzer Körper, ja sogar mein Gesicht in dem blutgefüllten Graben versank. Ich prustete und rang nach Atem, doch das Atmen fiel bei so einem Unwetter schwer. Noch einmal raffte ich mich auf, stieg auf mein Fahrrad und radelte weiter und weiter in der Hoffnung, endlich bei einem Haus anzukommen, wo ich mich unterstellen konnte.
Endlich tauchte ein schemenhafter Umriss in unmittelbarer Nähe auf. Ich trat noch mehr in die Pedale und endlich, endlich erreichte ich das rettende Vordach eines Bauernhauses. Ich warf das Fahrrad ins blutige Gras, lief und lief, doch meine Atemwege wurden mehr und mehr von dem entsetzlichen Nass verklebt und ich röchelte nur noch, als ich endlich den Unterstand erreichte. Meine Schreie, waren nun in heiseres Schluchzen übergegangen und ich wischte mir so gut ich konnte das Gesicht sauber. Meine Tränen liefen herunter, bildeten helle Bahnen auf dem noch immer rotverklebten Untergrund meiner erhitzten Wangen. Ich konnte nicht mehr aufhören zu weinen. Ich stand unter Schock und der Regen fiel weiter und weiter.
So kam es zu der Blutnacht, welche die Schlimmste meines Lebens zu sein schien. Doch jetzt da ich sehe, wie die Umwelt langsam stirbt, weil der Himmel immer noch von rotschwarzen Wolken verhangen ist, bin ich sicher, es werden noch schlimmere Tage auf uns zukommen. Das haben wir uns alle selbst zuzuschreiben. Wir haben diesen Fluch durch unsere Freveltaten auf uns gezogen. Das Blut das wir vergossen haben, fällt nun auf uns zurück und… ich weiss nicht, wie es noch weitergeht. Werden wir diesmal etwas daraus lernen? Oder werden wir gar nicht mehr die Gelegenheit haben etwas zu lernen, weil die Welt zugrunde gehen wird? Dieser Gedanke ist es, der mich in den Nächten wachliegen und unter Tages eine tiefste Schwermut spüren lässt. Werden wir nochmals eine Chance kriegen, irgendwann oder irgendwo? Ich weiss es nicht. Doch es wird sich zeigen…
Ende