Im Kaffeehaus sitzen in der Ecke drei Damen, nicht irgendwelche,
nein, echte Damen, mit auftoupiertem Haar, eine ist blond gefärbt mit kleinen lila Strähnchen, die zweite ist etwas ergraut, nicht viel, nur an den Schläfen und die dritte ist dreifarbig, gold, rot und schwarz. Doch eines haben sie gemeinsam - wulstige Finger, dicke Backen und ein Doppelkinn.
Ich blicke durch die Fensterscheibe, draußen wirbelt ein eisiger Wind die Schneeflocken durch die Gasse, ein Schneegestöber nennt man das wahrscheinlich.
Die Kardinalschnitte verschwindet unterdessen im Mund der ergrauten Dame, der gold-rot-schwarzen Dame mundet der Indianer, kleine weiße Sahneflöckchen hängen noch an ihren Lippen und die blond gefärbte Dame, SIE muss wohl ihre Mehlspeise schon verspeist haben, ein paar Krümel kleben noch am Tellerrand, doch ihre Augen schielen verstohlen zum Kuchenbuffet.
Niemand, keine der Damen wirft einen Blick durchs Fenster, doch, der kleine Junge, der mit seiner Mutter schräg gegenüber den drei Damen sitzt, der lächelt. Er schaut verzückt, wie die Flocken auf die Straße fallen und sie mit einem weißen Teppich überziehen. Ein Mann und eine Frau, beide etwas gebeugt, hetzen am Gehsteig vor dem Kaffee vorbei, der Mann hält sich mit einer Hand den Hut fest, wahrscheinlich, damit er im Chaos des Schneegestöbers nicht verloren geht. Die andere Hand steckt in der Manteltasche fest, so fest, dass er auf die Nase fällt, weil er sich nicht abstützen konnte, als er mit seinen Schühchen im Schnee ausrutschte, doch den Hut hält er im Liegen noch immer fest.
Mittlerweile wurden die leeren Teller der drei Damen ausgetauscht und mit vollem Munde wird über die Mode diskutiert, die Blonde mit den lila Strähnchen meint schließlich: „es ist eine Sauerei, die tollen Modelle nur bis Größe 40 herzustellen,“ und die Dame, mit den gold-rot-schwarz gefärbten Haaren meint: „ die Modelle würden sicherlich auch in unseren Größen noch adrett aussehen,“ „sicherlich“ meint mampfend die etwas ergraute Dame und nickt dabei.
Die Schneeflocken haben sich in Regentropfen verwandelt, und kleine Nebelschwaden ziehen am Fenster vorbei. Ein kleines Mädchen versucht an der Hand seiner Mutter die Straße zu überqueren, doch sie stürzt und wird dann brutal, wie ein Schlitten, über die Straße gezogen. Vorm Kaffee hebt die Mutter das Mädchen hoch und streichelt ihr über die Wange, wischt ihr mit einem Taschentuch die Tränen weg und redet auf sie ein. Plötzlich fängt das kleine Mädchen zu lachen an, die Natur hat die Straße in eine Eisbahn verwandelt und die Menschen straucheln, wanken, rutschen und schlittern am Gehsteig, fallen auf die Straße, rappeln sich wieder auf, einigen gelingt es besser, manche kriechen an die Hausmauer und versuchen sich dort wieder einigermaßen in die Senkrechte zu bringen.
Auch die drei Damen richten ihre Blicke nun von ihren Tellern hoch, als der kleine Junge, der schräg neben ihnen am Tisch mit seiner Mutter sitzt, laut in die Hände klatscht und dabei lacht.
Das Gespräch der drei Damen verstummt, entsetzt blicken auch sie zum Fenster und erstarren, dicke Eiszapfen hängen mittlerweile von den Dächern, der Eisregen hat die Straße und den Gehsteig zu einer Eisbahn verwandelt. „Ich glaube, das nennt man Glatteis“ meint kleinlaut die leicht ergraute Dame und die anderen beiden nicken. Die gold-rot-schwarze Dame schiebt das letzte Krümel ihrer Torte in den Mund und meint: „bei diesem Wetter bringen mich keine zehn Pferde auf die Straße, das Risiko zu stürzen ist mir zu groß.“ Die Blonde mit den lila Strähnchen zuckt mit den Schultern, entblößt ihren Oberschenkel und sagt: „ein blauer Fleck genügt mir“ und tippt mit dem Finger auf ein schwarz-lila-gelbes, schwabbeliges, handgroßes Hämatom. Langsam und vorsichtig zupft sie am Kleid, bis es wieder das Knie bedeckt, die wuchtigen Unterschenkel wippen leicht und der Brustkorb hebt und senkt sich so heftig, als ob die Dame einen Hundertmeterlauf zurückgelegt hätte. Ihr Atem geht stoßweise und ein leiser Seufzer entflieht ihrem Mund. Der kleine Junge beobachtet still die drei Damen, beugt sich dann zu seiner Mutter hin und flüstert ihr etwas ins Ohr - nun lachen beide.
Die drei Damen aber, winken der Kellnerin und bestellen sich - willst du es wissen? Natürlich noch eine Torte mit Sahne.