Feiner Nieselregen fällt auf die Wiesen und die kleinen Tropfen laufen die kurzen Grashalme hinunter und versickern im Boden. Erwin sitzt auf der überdachten Terrasse auf der obersten Stufe zum Garten und beobachtet die feinen Regentropfen. Sein kleiner Hund Fiffi hat sich eng an ihn gedrückt und Erwin streichelt sein kurzes Fell.
Wieder so ein langweiliger Tag, denkt sich Erwin und überlegt krampfhaft was er heute unternehmen könnte, doch ihm will einfach nichts einfallen, als plötzlich ein alter Mann in einem langen dunklen Mantel vor ihm steht. Fiffi springt auf und schnüffelt an seinen schwarzen Stiefeln und wedelt mit dem Schwanz. Erwin ist sprachlos, kennt Fiffi diesen Fremden? Dieser nimmt seinen Hut ab und schüttelt die Regentropfen ab, bückt sich und streichelt Fiffi. „Na mein Kleiner, erkennst du mich wieder?“ sagt er zu Fiffi und krault den Hund hinter den Ohren. Erwin ist verwirrt, Fiffi gehört nun schon fast fünf Jahre zur Familie und er hat diesen Mann noch nie gesehen, wieso kennt ER Fiffi? Der alte Mann schaut zu Erwin auf und ein kurzes Lächeln huscht über seine Züge, dann dreht er sich um, setzt seinen Hut wieder auf und ist weg. Fiffi steht noch schwanzwedelnd neben Erwin und schaut dorthin, wo der Fremde hingegangen war, dann legt er sich wieder hin. Jetzt kommt Leben in Erwin, er springt auf und läuft zur Straße, doch er kann weit und breit nichts mehr entdecken. Er pfeift Fiffi, holt sich sein Rad und versucht, den Fremden aufzustöbern.
Erwin radelt zuerst zu seinem Lieblingsplatz, einer kleinen Bucht am nahen See, dort lässt er sich ins weiche Gras fallen, stützt seinen Kopf in die Hände und meint zu Fiffi „WER war der alte Mann, kannst du mir nicht weiterhelfen“ und der Hund schaute ihn mit traurigen Augen an. Irgendetwas stimmte hier nicht überlegt er und er nimmt sich vor, seine Mutter zu fragen, wenn sie Abends von der Arbeit in der Bäckerei nach Hause kommt. Er dreht sich auf den Rücken, schaut in den blauen Himmel, beobachtet die Wolken und beschließt, die mysteriöse Begebenheit erstmals zu vergessen und noch einen schönen Tag mit Fiffi zu verbringen. Erwin springt auf und setzt sich aufs Rad und ruft „na du fauler Geselle, auf mit dir“ und schon ist Fiffi auf den Beinen. Erwin radelt planlos in der Gegend umher, als ihm plötzlich der alte verlassene Bauernhof, der nahe am Wald steht, einfällt und er tritt in die Pedale.
Schon von der Ferne kann er erkennen, dass wieder ein Teil der Scheune eingefallen war, ja er war in diesem Jahr noch nie da, überlegt er. Als er näher kommt, sieht er, dass die Haustüre des Wohntraktes offensteht und er steigt vom Rad, lehnt es an die Hausmauer, geht langsam zur Tür und deutet Fiffi keinen Laut von sich zu geben. Leise geht er über den Steinboden und späht vorsichtig in den Raum, der einmal die Stube war und es ist noch alles so, wie er es in Erinnerung hatte. Er schleicht sich zur Stiege in den ersten Stock, steigt auf die erste Stufe, doch diese knarrt ganz laut. Abrupt hält er inne und horcht, doch es passiert nichts und er steigt Stufe für Stufe empor, wieder legt er den Finger auf den Mund um den Hund zu zeigen, dass er still sein muss. Oben angekommen dreht er sich im Kreis um sich einen Überblick zu verschaffen, alles ist ruhig. Erwin geht auf die erste Türe zu und erschrickt, der alte Mann mit dem dunklen Mantel und dem Hut steht vor ihm. Fiffi läuft ihm zu und blickt erwartungsvoll zu ihm auf, auch wedelt er erfreut mit dem Schwanz. Jetzt nimmt Erwin seinen ganzen Mut zusammen und sagt „wer bist du und was machst du hier?“ Der alte Mann lächelt, bückt sich zu Fiffi nieder und sagt „du erkennst mich noch, du alter Junge“ und er streichelt ihm liebevoll über den Kopf. Fiffi leckt ihm die Stiefel ab, ja Erwin kann fühlen, der Fremde und sein Hund kennen sich, keine Frage, doch woher?
Der Fremde macht Erwin den Weg in den Raum frei und geht hinter ihm zum alten Sofa, setzt sich hin und Erwin steht unentschlossen davor. Nach einiger Zeit setzt sich Erwin zögernd auf die andere Seite des Sofas und schaut den Fremden stumm und herausfordernd an. Der alte Mann bricht das Schweigen und fängt zu erzählen an:
„Es war einmal ein wunderschönes Mädchen, sie war die Tochter eines steinreichen Müllers, ein Vater, der sein Kind wie einen Augapfel behütete. Eines Tages verliebte sich die reiche Müllerstochter in einen armen Bäckerjungen, der jedoch dem Vater überhaupt nicht gefiel. Die Müllerstochter und der Bäckerjunge trafen sich trotzdem, denn sie liebten sich sehr. Sie waren immer sehr vorsichtig und gingen getrennt zum Treffpunkt, zur kleinen Bucht am nahen See. Die Beiden sprachen von Hochzeit und ewiger Liebe und dass, wenn es sein muss, sie auch bereit wären, gemeinsam zu fliehen. Doch eines Tages folgte ihnen der Müller und überraschte seine Tochter mit dem Bäckerjungen. Seit diesem Tag wurde die Müllerstochter nicht mehr im Dorf gesehen.“ Der alte Mann machte eine Pause und Erwin meint „und was ist aus dem Bäckerjungen geworden?“ Er erzählt weiter „den Jungen hat man auch nicht mehr im Dorf gesehen, der ist fortgezogen um seine große Liebe zu finden, er zigeunerte im Land umher, denn er hatte ein gebrochenes Herz und er zog von einem Dorf ins Nächste und überall suchte er nach seinem Mädchen. Er lebte von der Hand im Mund, wie man so schön sagt.“ Wieder war es einige Zeit still, bevor der alte Mann weiterspricht. Erwin hatte vor Aufregung rote Wangen bekommen, Fiffi lag zufrieden am Boden. „Viele, viele Jahre zog der Bäckerjunge, er war nun ein Mann geworden im Land umher, als er eines Tages einen Jungen mit dem Rad fahren sah, der seinem Mädchen wie aus dem Gesicht geschnitten, aussah. Einige Tage beobachtet er diesen Jungen und dann ………dann hat er seine große Liebe wiedergesehen. Sie war natürlich auch nicht mehr die junge Müllerstochter, nein sie war eine selbstbewusste junge Frau geworden.“
Erwin schaut den alten Mann traurig an, schüttelt den Kopf und meint „das ist ein schönes Märchen, ich möchte jedoch gerne wissen, wieso sie Fiffi kennen?“ Der alte Mann streicht Erwin über die Wange und erzählt weiter „in die kleine Bucht am See, wo sich die beiden trafen, kam immer ein kleiner Hund, der war noch ganz jung, vielleicht zehn Wochen, den haben sie immer Futter mitgebracht, der war ihr Verbündeter.“
Erwin reißt die Augen weit auf und mit leiser Stimme fragt er „und das ist meine Fiffi?“ Der alte Mann nickt.