Die Hitze auf dem Großen Basar macht heute jedem schwer zu schaffen. Ich besuche den Stand, an dem die Trauben und anderen Produkte von Lucianas Weingütern neben Informationen über die Pferde meiner Zucht feilgeboten werden. Die von uns beauftragten Händler mögen zwar einen guten Ruf genießen, aber Kontrolle hat noch nie geschadet, insbesondere während der Namenlosen Tage. In dieser Zeit herrscht stets Unsicherheit in der gesamten Stadt, und ich bin froh, dass morgen der Monat Praios beginnt. Über allem, was in den Namenlosen Tagen geschieht, liegt stets der Schleier des Verderbens, und ich bin froh, wenn Luciana diese Tage gut übersteht. Eine Schwangerschaft ist stets ein Risiko, und unsere Monate als vor Travia verbundenes Paar haben meinen Respekt vor ihr in Gefühle verwandelt, die unserer Beziehung nicht abträglich sind. Sie ist so klug wie schön, und dass wir das Bett teilen, ist jede Nacht ein Genuss.
Nun, bis auf die letzten Monate natürlich. Sie schläft schlecht und das Kind in ihrem Bauch hindert sie an so vielem, was wir üblicherweise tun, und seien es nur die Spaziergänge durch den Kaiserlichen Marstall. Selbst auf meinem eigenen Gestüt war sie seit Wochen nicht mehr, und das, obwohl ihr Interesse an den Pferden gegenüber stets viel größer war als ihren eigenen Weingütern gegenüber. Ich bin froh, wenn das Kind bald zur Welt kommt und wir es einer Amme übergeben können, so dass sie wieder ganz sie selbst sein kann.
Der fünfte Namenlose Tag sowie die bereits vergleichsweise späte Stunde halten die meisten Leute davon ab, den Basar zu besuchen. Mein Herumstehen ist müßig, und ich weiß es, doch irgendwie fühle ich mich hier nützlicher als Zuhause. Ich weiß einfach nicht, was ich mit Luciana gerade anfangen soll. Vielleicht sollte ich ihm Rahjatempel vorbei gehen, um meine Bedürfnisse nach körperlicher Vereinigung zu befriedigen, die sie mir gerade nicht geben kann … andererseits ist es gerade so heiß, dass selbst die Rahjageweihten vermutlich wenig Interesse daran hätten. Es bleibt mir wenig übrig, als nach Hause zurückzukehren und mich im halbwegs kühlen Innenhof aufzuhalten. Vielleicht kann mir ja eines der Fellachenmädchen zur Unterhaltung dienen? Wie auch immer. Ich werde es sehen.
Noch auf der Straße vor dem Haus höre ich die Schreie. Zuerst bin ich verwirrt, dann überrascht, dann entsetzt. Das darf nicht wahr sein! Es ist der fünfte Namenlose Tag! Die Perainegeweihten meinten, das Kind käme im Praiosmonat auf die Welt, nicht jetzt! Nicht an einem Namenlosen Tag!
Zögernd betrete ich das Haus, stehe im Innenhof und lausche angespannt Lucianas gequälten Lauten. Ich kann hier nicht bleiben, wird mir schlagartig klar. Das tue ich mir nicht an! Mit etwas Glück wird sich die Geburt noch einige Stunden hinziehen, bis zur ersten Praiosstunde, so dass der nächste Monat angebrochen ist. Ich winke einen der Bediensteten zu mir, informiere ihn, dass ich bei “Löwin und Einhorn”, dem Weinlokal hier im Theaterviertel, zu finden sei, und verlasse fluchtartig das Gebäude.
Nur zwei Stunden später sucht er mich auf. Ich sitze über meinem fünften Glas Wein und versuche, Ablenkung in der Unterhaltung mit einem reisenden Händler zu finden, als der Fellache keuchend neben mir auftaucht. Offenbar hat er sich sehr beeilt, was mich beunruhigt. Noch bevor ich ihn zum Sprechen auffordern kann, bricht es aus ihm heraus: “Bitte kommt nach Hause, Soberan. Euer Sohn ist geboren, und die Soberana möchte euch rasch sehen.”
Mehr will er nicht sagen, aber ich sehe ihm an, dass etwas unausgesprochen blieb. “Wie geht es ihr?”, blaffe ich ihn barsch an, und er zögert nur kurz, bevor er murmelt: “Nicht so gut, Herr. Aber der Mundillo ist wohlauf.”
Das interessiert mich überhaupt nicht, um das Kind soll sich eine Amme kümmern, aber Luciana … ich springe auf und beeile mich, die Weinstube zu verlassen, auch, wenn der Wirt mir noch hinterherruft, ich schulde ihm noch Geld. Im Hinausgehen höre ich den Händler, der mit mir am Tisch saß, erklären, dass ein Notfall vorliege, aber die genaue Erklärung höre ich schon nicht mehr.
Die Perraingeweihte, die mich empfängt, gebietet mir Schweigen, als ich sie mit Fragen bedrängen will. Sie greift mich am Arm und geleitet mich in ein Zimmer, in dem wir ungestört sind.
“Eure Frau ist sehr geschwächt, Soberan, ihr dürft sie jetzt nicht bedrängen oder aufregen”, beginnt sie. “Wenn sie Zeit und Ruhe bekommt, wird sie mit großer Wahrscheinlichkeit wieder genesen.” Sie zögert und sieht mich mitfühlend an, und die Furcht in meiner Brust wächst.
Ich will sie zum Weitersprechen auffordern, kann aber nicht, und als sie das Schweigen endlich bricht, bin ich mir nicht sicher, ob ich hören will, was sie noch zu sagen hat.
“Euer Sohn ist wohlauf. Aber er wird euer einziges Kind bleiben, so leid es mir tut. Eure Frau wird eine weitere Geburt sicherlich nicht überstehen. Aber er ist gesund und munter und wird euch sicherlich viel Freude bereiten.”
Ich lache freudlos auf. Nun ja, immerhin wird Luciana wieder gesund werden … oder nicht? “Was meint ihr mit ‘großer Wahrscheinlichkeit’? Wird sie gesund oder nicht?”, frage ich besorgt.
Die Geweihte zögert, überlegt, bevor sie weiterspricht. “Es liegt in der Hand der Götter, Soberan. Ich kann ihren Willen nicht bestimmen. Meiner Erfahrung nach stehen ihre Chancen jedoch nicht schlecht. Eure Anwesenheit wird ihr sicherlich helfen, Kräfte zu sammeln. Aber seid behutsam und ruhig, wenn ihr zu ihr geht.”
Ich nicke, immer noch verunsichert, und lasse die Geweihte im Raum stehen, während ich hinauseile.
Lucianas Blick wirkt unglaublich müde und schwach, als ich ins Zimmer schlüpfe. Als sie mich erkennt, huscht ein Lächeln über ihr Gesicht, und ich nehme auf dem Stuhl neben dem Bett Platz. Irgendjemand hat saubergemacht, aber der Geruch nach Blut und Schweiß liegt immer noch drückend in der Luft. Ich ignoriere es aber und greife behutsam nach ihrer Hand, versuche, ihr Lächeln zuversichtlich zu erwidern.
“Jetzt sind wir wirklich eine Familia”, flüstert sie mir zu, und das schwache Lächeln huscht wieder über ihre Züge. “Ich gratuliere dir, Soberan”.
Es ist ungewohnt, als Familienoberhaupt angesprochen zu werden, aber ich will ihr die Freude nicht nehmen und drücke leicht ihre Hand. “Das ist dein Verdienst - Soberana”.
Ihr Lächeln vertieft sich, doch ihre Kraft reicht immer noch nicht aus, um es lange zu halten. “Hast du ihn schon gesehen?”
Ich schüttle den Kopf.
“Du musst ihn dir ansehen. Er ist wunderhübsch!”
Ihr Fokus auf das Kind beunruhigt mich ein wenig, aber vielleicht ist das normal, wenn man Mutter wird? Immerhin hat sie die letzten Wochen über kaum etwas anderes nachdenken können, egal, welches Thema ich angesprochen habe. Alle paar Minuten hat es, nein, er ihr irgendwelche Beschwerden bereitet.
“Ich werde mir unseren Sohn natürlich ansehen”, verspreche ich ihr. “Schlaf ein wenig, du hast dich unglaublich erschöpft.”
Halb scheint sie bereits eingeschlafen zu sein, als sie die Augen noch einmal öffnet und mich ansieht. “Ich habe mir einen Namen ausgesucht!”, verkündet sie mit Inbrunst, und ich merke, dass ich hier nicht mitzureden habe. Wenn sie sich etwas in den Kopf gesetzt hat, bin ich machtlos. Also nicke ich nur und warte.
“Talfan. Und Desidero. Immerhin wird er unsere Wünsche umsetzen.” Damit schläft sie nun wirklich ein.
Wie kommt sie nur auf diese beiden Namen? Ich erhebe mich leise und verlasse den Raum. Ich werde einen Gelehrten fragen, was genau ‘Desidero’ bedeutet. Bosparano habe ich, im Gegensatz zu ihr, nie gelernt.
Draußen erwartet mich die Geweihte und bedeutet mir mit einer Kopfbewegung, ihr zu folgen. Sie führt mich ein Zimmer weiter, in dem die Amme sich gerade über das winzige Menschlein beugt, das Luciana so viel Kraft gekostet hat. Geboren am fünften Namenlosen Tag … hoffentlich ist das kein böses Omen.
Als ich nahe bei ihm stehe, bin ich wider Willen fasziniert. So winzig hatte ich ihn mir tatsächlich nicht vorgestellt. Er sieht schrecklich zerknautscht aus, Lucianas Beschreibung mit ‘wunderhübsch’ kann ich nicht nachvollziehen. Aber sei es, wie es ist. Er wird ja noch wachsen. Talfan Desidero. Nun gut.
Die Geweihte sieht mich erwartungsvoll an, doch ich weiß nicht, was ich nun tun soll. Lächelnd nimmt sie ihn auf und legt ihn mir in die Arme. “Ihr solltet ihn festhalten, Soberan, wenn ich den Geburtssegen spreche. Das wird ihn sicherlich verstärken!”
Unsicher halte ich ihn auf meinem Arm, während sie die Liturgie beginnt. Verstärken … also macht sie sich auch Sorgen wegen der Namenlosen Tage?