Düster und dicht erstreckten sich die unendlichen Wälder durch deren Blätterwerk kein Lichtstrahl je den Boden ereicht hatte.
Schob man die elastischen Zweige der Büsche zur Seite, so fand man sich an einem dunklen Ort wieder, wo schwarze Baumstämme sich kahl empor streckten, ehe sie ihre grünen Kronen entfalteten.
Kein Tier schien in diesem trostlosen Wald seine Pfoten, Hufe oder Krallen gesetzt zu haben und doch gab es hier Leben. Hier an diesem Ort, wo kein Vogel seine Stimme zum Gesang erhob. Wo kein kleines Waldtier mit buschigem schweif über den Boden jagte und emsig Nüsse und Beeren zusammensuchte.
Nur hin und wieder konnte man das Rauschen des Windes vernehmen oder ein unheilvolles Knacken aus dem Unterholz ausmachen.
Nie war ein Wanderer zurückgekehrt, der diesen Wald einst betreten hatte.
Sobald jemand in den Schatten der Bäume hinter den Sträuchern verschwand, hörte man nichts mehr.
Nicht einmal einen kehligen und verzweifelten Schrei, der niemals über die Lippen kam.
Wilde Geschichten und Legenden rankten sich wie Efeu um jenen Wald, der von Außen betrachtet wie jeder andere zu sein schien.
Man erzählte sich, dass eine grauenvolle Kreatur in diesem Wald hauste.
Eine Bestie. Blutrünstig und ohne Gnade. Ein Wesen von abnormer Größe, das mit seinen messescharfen Klauen, die so lang waren wie ein Menschenarm, Unschuldigen die Augen ausstach oder ihnen die Kehle durchschnitt, um das süße Blut zu kosten, nach welchem sich die dunkle Seele sehnte.
Stunde um Stunde, Tag um Tag soll dieses Monster, daraufharrend, dass ein Fremder den Wald betrat ohne zu wissen, was ihm geschehen würde, im finsteren Versteck lauern, wo es nach Aas und Moder roch. Nach Blut und Tod.
Die Kreatur mit den langen Klauen wartete. Wartete, dass sie den Geruch von Angstschweiß wahrnahm. Zusammen mit dem schlagenden Geräusches eines furchtsamen Herzens.
In den Nächten hörte man das Monster, denn es stieß in dunklen Nächten gerne sein markerschütterndes Brüllen aus, das einem das Blut in den Adern gefrieren ließ und jeden um den Schlaf beraubte.
Die Bewohner eines Dorfes ganz in der Nähe erzählten sich jedes Jahr um die Neujahrswende die schreckliche Legende vom Grauen des Waldes, denn sie wollten sich immer von neuem daran erinnern.
So saßen sie auch dieses Jahr beisammen und der Älteste des Dorfes stand in ihrer Mitte am wärmenden Feuer und erzählte die Legende mit leicht heiserer Stimme, die schaurig klang und Frauen und Kinder das Fürchten lehrte.
Als er mit der ersten Geschichte geendet hatte, schwieg er. Er schien die Angst der Leute zu genießen, die sich in der Luft vermischte und deutlich in ihren Gesichtern geschrieben stand.
„Nun. Ich werde euch heute noch eine andere Geschichte erzählen, die sich hier einst zugetragen hatte. Vor langer Zeit.“, erhob er dann die Stimme, leise und ruhig und begann zu erzählen, „Einst waren die Bewohner dieses Dorfes nicht so furchtvoll wie ihr es seid. Einst gab es noch keine Kreatur, die uns das fürchten lehrte. Unsere Geschichte beginnt vor vielen hundert Jahren an einem Tag wie diesem im tiefen Winter, wo der Schnee die Dächer unserer Hütten bedeckte und auf dem Boden so hoch lag, das ein hochgewachsener Mann bis zur Hüfte in der weißen Kälte versank. An diesem Tag kam ein Fremder ins Dorf. Er hatte eine gut gepanzerte Rüstung aus poliertem Material am Leib auf der wir viele kunstvolle Verzierungen sehen konnten, die beim Schmieden eingraviert wurden. Seine Waffen waren zwei breite Schwerter mit scharfen Klingen. Sie wirkten schwer, doch er schwang sie ganz behände. Ebenso leicht ging er mit einem mächtigen Bogen um, dessen Sehne uns sehr dick erschien. Doch das war kein Wunder, denn seine Pfeile waren auch nicht ohne. Sie waren nicht solang wie man eigentlich erwartet, doch waren sie etwas breiter als gewöhnlich und mit schwarzen Federn geschmückt...“
Hinter dem Visier könnte man meinen ein rotes Leuchten zu erkennen. Ein Glitzern in den Augen des Mannes, dessen Weg zum Haus des Dorfherren führte.
Auf seinem Weg folgten ihm die Blicke neugieriger Bewohner. Einige liefen sogar hastig hinter ihm her. Ließen alles liegen und stehen.
So bildete sich eine Gruppe um das Haus des Dorfherren Alak, der aus seiner Hütte heraustrat um zu sehen, was los war. Ihm folgte der Dorfälteste mit langem weißen Bart und Haar, einen Jungen an der Hand, der sein Nachfolger werden sollte.
Das Murmeln der Menge verstummte, als Alak den Fremden grüßte und nach Herkunft und Namen des Mannes fragte.
Eine blecherne Stimme, die gedämpft war, erklang als Antwort: „Valas ist mein Name, alter Mann und Valas ist der Name meines Heimatlandes.“
„Wohin seid Ihr unterwegs Herr Valas?“, ertönte die Stimme des Ältesten, den alle teils liebevoll teils ehrfürchtig Weißbart nannten.
„Ich bin unterwegs, um die Welt zu sehen, doch bitte ich hier um Rast und um ein Dach über dem Kopf bis der Winter dem Frühling weicht.“, sprach die Blechstimme und der Mann rückte seine Schwerter zurecht.
Alak warf Weißbart einen Blick zu, der seine braunen Augen, die mit vielen Lachfalten umringt waren. Er zog seine Stirn kraus, als der Älteste seinen Blick mit eisigen in Blau getauchten Augen erwiderte und nur nachdenklich nickte. Alak wandte sich daraufhin wieder dem Fremden zu. „Dann seid Willkommen Valas. Wir werden Euch eine Hütte zur Verfügung stellen, die in bestem Zustand ist, denn niemand soll behaupten wir würden uns um unsere Gäste nicht kümmern.“, sagte er mit einem Lächeln, rief zwei Männer zu sich, die Valas zur Hütte brachten, die er bestimmte, ehe sich Alak wieder zurück begab ins Warme.
Alle verließen den Ort. Nur Weißbart blieb. Der Junge sah mit seinem unschuldigen, kindlichen Gemüt zu ihm hoch. Etwas fragendes lag in den dunklen Augen des Kindes.
„Hm. Ich bin mir nicht sicher, aber von diesem Valas scheint eine dunkle Aura auszugehen.“, murmelte Weißbart und blickte den Jungen an.
„Vielleicht irrst du dich auch.“
„Nein. Nicht umsonst hat man mir die Künste der Druiden gelehrt, doch bevor ich voreilige Schlüsse ziehe, werde ich erst noch eine Weile nach denken.“, Weißbart drückte die Hand des Jungen und ging mit ihm zu seiner Hütte, die etwas abseits des Dorfes lag.
Er war nachdenklich geworden. Ob seine Befürchtungen stimmten? Wenn ja, was für ein Schicksal war ihnen dann von den Göttern vorher bestimmt?
Die Jahre vergingen und der Fremde kehrte jedes mal um dieselbe Zeit ins Dorf zurück, um eine Zeit hier zu verweilen.
Noch immer wusste niemand, wer er wirklich war und was er tat. Er war ein Rätsel, das niemand lüften konnte.
Valas, der Mann in der Rüstung, fiel auch sonst sehr auf, denn er ging nicht ins Wirtshaus, fand die Bräuche der Dorfbewohner nur amüsant, jedoch ansonsten für Humbug, doch eines ließ die Leute aufhorchen und stutzen.
Ein Jäger kehrte frühzeitig von der Jagd nach Hause ins Wirtshaus und nach wenigen Minuten war er umringt von vielen Leuten, die neugierig seiner Erzählung harrten.
Auch der Bursche, der bei Weißbart lebte lauschte schweigend und bis zum Platzen von Neugierde erfüllt.
„Und ich sage euch, es ist wahr. Dieser Herr Valas sieht der hübschen Tochter unseres Dorfherren zu gerne nach. Ich habe sie beide sogar im Wald beobachten können. Er hat versucht sie zu umgarnen und um sie zu werben.“, sprudelte es geradezu aus dem Munde des Jägers, der nur abbrach um einen kräftigen Schluck Bier zu nehmen, ehe er fortfuhr, „Das hübsche, dumme Ding. Die kleine, naive Tochter mit dem zierlichen Körper wollte er zur Frau haben, als könne ein Mann wie er mit so etwas leben. Auf jeden Fall hat die Kleine zu ihm gesagt, dass sie nur mit ihrem Vater redet, wenn er ihr sein Gesicht zeigt. Ich hätte nicht gedacht, dass dem Herrn soviel an der hübschen Gwen liegt. Er hat tatsächlich seinen Helm abgenommen und dann sah auch ich es. Sein Gesicht. Zerfurcht durch Narben von Kämpfen mit rotschimmernden Augen und wildem schwarzem Haar und doch wirkte er sehr jung und edel. Aber die kleine Gwen hat geschrieen bei dem Anblick von seinen Augen und ist auf und davon gerannt. Zurück ins Dorf.“
Der Jäger musste lachen und nahm erneut einen Schluck Bier.
„Der Herr Valas hat ihr nachgerufen, aber sie hörte ihn nicht mehr. Dann hat er wieder seinen Helm aufgesetzt und ist auch gegangen.“, beendete er seine Erzählung.
Die Leute begannen augenblicklich zu flüstern und tuscheln, doch der junge Bursche war bereits zur Tür hinaus gestürmt und lief zu der Hütte seines Lehrmeisters.
„Weißbart!“, rief er aufgeregt und riss die Tür schwungvoll auf, blieb jedoch abrupt stehen.
Vor seinen Stiefeln lag sein Meister mit blutigen Einstichen am Rücken. Als der Junge ihn umdrehte blickte er in das ehrfürchtige Gesicht des alten Mannes, dessen Augen leer und blau in ihren Höhlen lagen. Den Mund halb geöffnet, als wäre ein Schrei nie über seine Lippen gedrungen.
Hinter ihm knarrte die Tür und fiel ins Schloss.
Rasch wirbelte der Lehrling herum und wollte die Tür öffnen, doch sie war im selben Moment von außen verriegelt worden. Wütend trommelte er mit den Fäusten gegen die schwere Tür, bis er erschöpft zusammensank. Unfähig etwas zu tun.
Mit bebenden Händen suchte er nach etwas, um die Tür aufzubrechen. Er schmiss Gläser um, schob Bücher beiseite und kramte hektisch in Truhen und Schränken. Schweißperlen standen ihm auf der Stirn. Er wollte hier raus. Er musste den Dorfherrn Alak warnen. Wer auch immer Weißbart ermordet hatte, musste einen Grund gehabt haben. Einen ziemlich guten noch dazu.
Und dieser Grund fiel dem Burschen just in die Hände. Er blickte auf ein paar Zettel, die mit krakeliger Schrift beschrieben waren. Die Handschrift eines ängstlichen Mannes, der seine Entdeckung am liebsten nie bewiesen haben wollte, da sie zu grauenvoll war.
Was auch immer auf den Zetteln gestanden hatte, erfuhr niemals jemand, denn die Hütte des Druiden brannte noch in selber Stunde nieder. Jemand hatte ein Feuer gelegt und dieses Feuer verschlang alles.
Den Leichnam, die Beweise und den Burschen, der lebendigen Leibes mit qualvollen Schreien unrettbar verbrannte.
Noch in der selben Nacht wurde die Tochter Alaks entführt. Ihre Schreie waren durch die Dunkelheit gehallt und hatten die Bewohner des Dorfes geweckt.
Hastig waren sie zusammen gekommen, um den Entführer zu verfolgen und Gwen zu retten, doch kamen sie zu spät.
Als sie bis zum Wald gekommen waren, fanden sie Gwen am Boden liegen. Ihr Mund war geöffnet wie zu einem erstickten Schrei, der jedoch niemals erklangen war. Die leeren Augen voller Angst lag die Tochter des Dorfherren am vom Regen erweichten Boden.
Valas stand in voller Rüstung nur wenige Schritte entfernt. Sein Schwert zeugte noch von seiner tat. Er hatte dem Mädchen die Pulsadern am Arm und am Hals mit schnellen Schritten durchtrennt, nachdem sie sich zu sehr gewehrt hatte, was man an ihrem Leib gut sehen konnte.
„So dumm wie dieses Mädchen. So dumm seid auch ihr! Alak, Herr des Dorfes, Ihr und Eure Leute sollen fortan nie wieder in diesen Wald gehen und wer sich doch hineinwagt, der wird niemals wieder das Licht der Sonne erblicken geschweige denn etwas anderes!“, donnerte der Hüne mit tiefer Stimme, „Ich hatte Euch befohlen Eure Leute zurückzuhalten, wenn ich Eure Tochter mit nehme. Ihr habt nicht gehorcht und Eure Brut hat sich zu sehr gewehrt!“ Mit der Hand wies er auf die tote Gwen.
„Ihr Menschen seid dumm und erhaltet eure Strafe und keiner, kein Zauberer, kein Krieger, noch ein Gott vermag es euch jemals wieder zu befreien. Seht gut her, was ich mit Eurer Gwen tun werde, Herr Alak.“, in der kalten Stimme Valas’ lag tiefer Hass und Spott. Er trat näher und warf eine Fackel mit schwarzem Feuer auf den Leichnam. In Sekundenschnelle brannte Gwens Körper. Die Flammen leckten gierig an ihrem Fleisch bis nichts mehr außer ihren Knochen übrig war.
Valas winkte mit seiner Hand. Das Skelett, das von den Flammen schwarz gefärbt worden war, richtete sich klappernd auf. Die Knochen knackten sacht.
Die Dorfbewohner wichen ängstlich zurück, doch konnten sie den Blick nicht vom dem Schauspiel wenden, das sich vor ihren Augen abspielte.
Das Skelett veränderte sich, wurde Tierartiger und größer. Langsam sprossen Muskeln, Adern und Fell am Skelett bis es eine Kreatur wurde, deren Augen zuerst leer wirkten, dann blutrot zu leuchten begannen. Die Krallen waren scharf, die Zähne zum reißen von Fleisch gemacht und ein Geruch nach Fäulnis und Aas.
„Euer lieber Weißbart hat gewusst, was geschieht, wenn etwas passiert, das mir missfällt, doch warnen konnte er Euch nicht mehr und sein Lehrling auch nicht, denn dafür habe ich gesorgt.“, er ließ ein kühles Lachen, das von Hochmut zeugte, ertönen, ehe er die Kreatur mit einem Wink in den Wald trieb.
Jener Wald, der bis eben noch saftige Blätter an den Zweigen der Bäume getragen hatte, verblühte und wurde finster wie die Nacht.
Entsetzt sahen die Dörfler dem Wesen nach. Alak war in sich zusammengebrochen und wimmerte nur mehr. Von dem stolzen Dorfherren war nichts mehr zu erkennen.
Kaum wandten sie den Blick an die Stelle, wo Valas gestanden hatte, fiel ihr Blick ins Leere, denn dort war niemand mehr und nur mehr eine abgebrannte Hütte und der Wald zeugten davon, dass er jemals hier gewesen war.>
Der Älteste beendete seine düstere Erzählung und blickte sich im Kreise um, der sich um ihn herum gescharrt hatte. Seine knochige Hand mit langen Fingern umschlossen den Stab, den er als Stütze immer mit sich trug. „Nun ... Habt ihr noch Fragen, die ihr beantwortet haben wollt oder reicht euch jenes Gebrüll, das jede Nacht zu uns herüber schallt?“, fragte der Weise in seiner ruhigen Art. Seine Augen funkelten leicht amüsiert, als er die Angst in den Augen der Menschen sah. Kleine Kinder hatten sich eng an ihre Mütter gedrängt, denn sie suchten Schutz und Wärme. Ältere Kinder saßen dicht zusammen und versuchten angestrengt sich nicht anmerken zu lassen wie die Furcht sich in ihren kleinen Herzen immer weiter ausbreitete.
Die Männer legten teils schützend die Arme um die Schultern ihrer Frauen. Andere betrachteten ihre Waffen. Auch sie hatten Angst, doch keiner wollte diese offen zeigen.
Ein Lächeln beschlich das zerfurchte Gesicht des Alten. Er hob den Kopf und blickte zum klaren Himmel, an dem in der Kälte die Sterne funkelten. „Man erzählte sich noch eine Geschichte.“, begann er und sein Blick schweifte zum Feuer, das alle erwärmte und die Nacht erhellte, „Es war eine Weissagung, die man erzählte. Ein Prophet hatte sie einst zu uns gebracht. Diese Geschichte. Er berichtete über seine Träume, die wie Visionen durch seine Gedanken krochen und sich wie eisiger Nebel über ihn legten.
Ein Mädchen sollte kommen.
Ein unschuldiges Mädchen von seltsamer Gestalt mit vom Wind zerzausten Haaren und silbern schimmernden Augen. Ihr Herz würde unschuldig sein, doch durchtränkt von tiefer Trauer und Schmerz, der fest war und wie ein steinerner Knoten um ihr Herz geschlungen, um sie am Atmen zu hindern.
Warum ihr Leben schwer war, würde niemand wissen und niemand würde ihr lang genug in die Augen sehen können, um in ihre Seele zu sehen.
Wie ein einfaches Menschenmädchen würde sie sein. Ohne Waffen, ohne Schutz, allein und mit Angst vor dem was der nächste Morgen bringen würde.
Jenes Mädchen von dem man den Namen nicht wusste würde nicht fragen, sondern einfach nur gehen.
Es würde zum Wald gelangen und ohne sich umzusehen in jenem verschwinden.
Dies wäre das Opfer, das gewollt war.
Das Dorf würde wieder frei sein. Das Opfer war eine Unschuldige.
Man wusste nicht was im Wald geschah. Auch nicht was aus dem Mädchen wurde. Vielleicht starb sie, doch ihre Leiche würde niemals gefunden werden.
Sie wäre wie vom Erdboden verschluckt. Wie ein Regentropfen vom Boden aufgesogen wurde.