Deine kalte Hand in meiner lässt mich schaudern. Dein Griff wird noch fester.
Ich stelle mich vor Dich. Deine kleinen Finger krallen sich in meine Hand bis es weh tut. Ich würde niemals loslassen. Du drückst Dich an meinen Rücken und zitterst vor Angst.
Der Gorilla hinter der Scheibe gähnt und zeigt seine riesigen Zähne. Ich drücke Deine Hand und gehe vorsichtig näher heran. Der Sockel der Scheibe reicht mir bis zum Bauch. Zögerlich lege ich eine Hand gegen das Glas. Der Affe pult sich mit einem Stock zwischen den Zähnen herum. Ich spüre, dass Du mir über die Schulter siehst. Du machst zwei Schritte und stehst neben mir.
Langsam wird Deine Hand warm.
Deine kalte Hand in meiner lässt mich schaudern. Du lachst darüber.
Dein rechter Schneidezahn fehlt. Vor zwei Tagen ist er ausgefallen. Du hast ihn mir stolz unter die Nase gehalten und mich damit aufgezogen schneller gewesen zu sein als ich.
Du bist gern schneller und besser als ich. Weil ich älter bin.
Du gehst immer aufs Ganze. Ich halte mich zurück. Du ziehst mich mit. Ich halte Dich zurück.
Die Frühlingssonne lässt Deine roten Locken leuchten. Deine grauen Augen blitzen vor Vergnügen und Triumph.
Wir sitzen auf dem Baumstamm in eurem Garten und blicken auf den See hinter eurem Haus hinaus. Langsam wird Deine Hand warm.
Deine kalte Hand in meiner lässt mich schaudern. Deine Schultern beben unter den Schluchzern, die Dich schütteln.
Wir sitzen auf deinem Bett. Du hast Dich fest in die Ecke am Kopfende gedrückt und umklammerst ein Kissen. Mir bleibt nur neben Dir zu knien und Deine Hand zu halten, während Du leidest.
Tränen tropfen auf deinen schwarzen Pullover.
Vor wenigen Tagen haben unsere letzten Sommerferien angefangen. Wir hatten große Pläne gehabt. Wir wollten zwei Wochen in England wandern.
Heute haben wir Deinen Vater zu Grabe getragen.
Ich rutsche neben Dich und lege meinen freien Arm um Dich. Du zitterst, verbirgst Dein Gesicht an meiner Brust.
Langsam wird Deine Hand warm.
Deine kalte Hand in meiner lässt mich schaudern. Du schmunzelst, hast es bemerkt.
Das vom Frost starre Gras knirscht unter unseren Sohlen und unser Atem kondensiert in der Luft zu kleinen Wolken, die unsere Worte mit sich fort tragen. Deine Wangen sind gerötet und Deine Augen strahlen, während Du sprichst. Dein Atem verfängt sich als Tropfen in Deinen Locken, die Dir ins Gesicht hängen und gefrieren. Mit großen Gesten untermalst Du Deine Geschichte. Jedoch nur mit einer Hand, die Finger der anderen halten meine fest umschlungen. Als hättest Du Angst loszulassen und davon zu driften.
Neben uns fließt träge der Neckar. Ich liebe die Vorlesungsfreien Tage, an denen wir Zeit für uns haben.
Schließlich knirscht nicht mehr Gras, sondern Kies unter unseren Sohlen. Unsere Schritte führen uns zurück nach Hause. Langsam wird Deine Hand warm.
Deine kalte Hand in meiner lässt mich schaudern. Du bemerkst es, kicherst leise.
Du siehst wunderschön aus.
Als ich Dir das ins Ohr flüstere errötest Du und lächelst verschämt, glücklich. Wir stehen im kalten Wind mitten auf der alten Steinbrücke und blicken auf den Fluß hinab, der unter uns entlang zieht.
Heute haben wir uns frei genommen. Einfach so. Weil es geht.
Der Wind zerrt an Deinen Locken. Erste weiße Strähnen durchziehen Dein Haar. Das Lachen, das zu Dir gehört wie die Luft zum Atmen, beginnt Spuren in Deinem Gesicht zu hinterlassen.
Sanft ziehe ich Dich weiter, auf die Türme des ehemaligen Stadttors zu. Du stolperst auf dem Kopfsteinpflaster und krallst Dich an meinem Arm fest.
Langsam wird Deine Hand warm.
Deine kalte Hand in meiner lässt mich schaudern. Als Du erschrickst wird Dein Griff fester.
Das Licht des Fernsehers wirft flackernde Schatten an die Wände des dunklen Zimmers. Ich ziehe die Decke um Dich fester, drücke das Kissen in meinem Rücken zurecht.
Dein Griff wird wieder fester. Ich lache leise. Du knuffst mich in die Seite und drohst Deinem Neffen, der auf dem Sessel flätzt und auch lacht, mit dem Zeigefinger. Er hat den Film mitgebracht.
Sanft beginne ich Deinen Nacken zu kraulen, mit Deinen Locken zu spielen. Das hat Dich bisher noch immer besänftigt. Du schmiegst Dich an mich.
Langsam wird Deine Hand warm.
Deine kalte Hand in meiner lässt mich schaudern. Du schmunzelst, jedoch nur schwach.
Deine Wangen sind eingefallen, Deine Haut ist fahl. Dennoch lächelst Du. Dein Lächeln hat tiefe Falten in die Haut um Deine Augen gegraben. Ich liebe diese Falten. Ich liebe Dein Lächeln. Ich liebe Dich.
Mit Deinen dünnen Fingern streichelst Du meine Hand.
Im Zimmer riecht es nach Desinfektionsmittel. Leise piept ein Gerät neben Deinem Bett. Der Schlauch zu Deiner Nase verunstaltet Dein Gesicht.
Ich streichle Dir eine Deiner weißen Locken aus der Stirn. Meine Fingerspitzen gleiten sanft über deine Schläfe. Du schmiegst Deine Wange in meine Hand.
Langsam wird Deine Hand warm.
Deine kalte Hand in meiner lässt mich schaudern. Du schmunzelst nicht.
Ganz still liegst Du da. Mit zitternden Fingern streichle ich Dir eine Deiner weißen Locken aus der Stirn. Deine Haut ist wächsern und fest.
Die Tränen hinterlassen kalte Spuren auf meinem Gesicht.
Vor der Aussegnungshalle ziehe ich den Schal fester um meinen Hals und klappe den Kragen meines Mantels hoch.
Deine kalte Hand in meiner fehlt mir.