Rating: P12 (CN: Suizidgedanken)
Nach dem Prompt „Sommergoldhähnchen/Lächeln“ der Gruppe „Crikey!“
Land: Falys
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Die zerbrochene Klinge fing den letzten Strahl der sinkenden Sonne ein. Der Himmel war blutrot und Lautarius fand, dass es ein Sinnbild ihrer Lage war.
Die Ahwain auf der grünen Insel, zurückgeschlagen nach Jahren des Krieges. Ein Meer aus Blut, ganz wie jedes, das sich vor seinem Blick auffächerte, bedeckte den Kontinent. Die Tabari hatten gewonnen.
Das Herz des jungen Kriegers war schwer. Es fühlte sich an, als würden Splitter der geborstenen Klinge in seinem Fleisch stecken. Das Schwert von König Reginus, gesplittert wie die letzte Hoffnung der Ahwain. Und Viritotus, ach, Viritotus ... Lautarius wollte sich nicht ausmalen, welche Qualen sein Liebster in Gefangenschaft erleiden musste. Allerdings gab es kaum noch ein Dutzend kampffähiger Männer. Die meisten der etwa hundert Entkommenen waren verletzt - oder noch Kinder.
"Du solltest etwas essen."
Lautarius hob den Blick nicht, als seine Schwester hinter ihn trat. Sumela legte die Hand auf seine Schulter.
"Wozu?", fragte er leise. "Wir sind doch bereits tot."
"Sag das nicht!"
"Es ist doch die Wahrheit." Der junge Mensch sah auf. "Oder hat der Rat entschieden, dass wir angreifen?"
"Wir sind zu Wenige ..."
"Dann sind wir tot." Er sah auf das Meer hinter dem Hügel mit dem Schwert. Das Grab war leer, denn Reginus' Leichnahm verrottete irgendwo auf dem Kontinent, auf jenem Schlachtfeld, wo Lautarius auch Viritotus zum letzten Mal gesehen hatte. Er seufzte. Der Elf würde vielleicht noch einige Jahre leben, zur Belustigung der tabarischen Herrscher, die jetzt das Land von Küste zu Küste besaßen. Vielleicht würde Viritotus in einer Arena als Gladiator enden.
"Wir sind entkommen", sagte Sumela leise. "Dieses Land ist fruchtbar. Wir können hier leben."
"Als was?" Lautarius schnaubte. "Als Bauern. Nur darauf wartend, dass die Tabari auch hierher kommen. Denkst du denn, sie werden aufhören, nur weil sie auf das Meer stoßen? Oh nein - diese Insel werden sie auch bald angreifen. Und dann ..."
"Dann haben wir Krieger wie dich, die uns verteidigen."
Er schüttelte den Kopf. "Nein, Sumela. Ich glaube nicht, dass ich das noch kann. Es ist doch sinnlos. Wir haben keinen König mehr, sein Sohn ist gefangen und uns regiert ein Rat alter Narren! Sie werden sich ergeben, wenn die Tabari kommen. Was soll ich dann tun?"
"Vielleicht ist es jetzt Zeit für Frieden."
"Frieden ..." Er schüttelte den Kopf, dann erhob er sich.
"Sehnst du dich denn nicht nach Frieden? Nach Ruhe? Sieh dich um! Die grüne Insel ist ein Paradies. Andere Völker haben sich den Tabari auch ergeben und durften leben."
Lautarius ließ den Blick über die in Schatten versinkende Insel gleiten. Noch war das saftige Grün der Wälder und Wiesen zu sehen, die reichhaltige Fülle dieser Welt. Doch für seinen Blick war alles bereits nachtgrau.
Er marschierte an Sumela vorbei auf einen Hain zu.
"Lautarius!", rief sie ihm nach. "Wir leben noch, hörst du? Wir leben noch!"
"Ich nicht mehr", sagte er ruhig. Er wusste nicht, ob sie seine Worte noch hörte.
Es war egal. Alles war egal. Er hatte Viritotus verloren. Und sie hatten ihr Land verloren. Die Ahwain, die Krieger des Ebers, waren verloren. Ohne einen Wurzelaltar, der tief mit dem Land verschmolzen war, war ihre Macht gebrochen. Der letzte Angriff der Tabari hatte sie überrollt. Sobald der erste Altar gefallen war, hatte sich Chaos verbreitet. Mit jedem verlorenen Meter war die Schlacht gekippt. Nun waren sie keine Krieger mehr, nur ein versprengtes, geschwächtes Volk.
Er zog das Schwert aus seinem Gürtel und hielt die kurze Klinge einen Moment in der Hand. Etwa armlang, breit, ohne eine Parierstange - deutlich verzierter als die einheitlichen Schwerter der Tabari.
Es waren einfach zu viele. Eine Hetzjagd gegen die Eber war es gewesen. Niemand konnte dieser endlosen Flut standhalten und nun waren die Ahwain verängstigt, führerlos und gebrochen.
Zerbrochen, wie das Schwert des Königs, das eigentlich an Viritotus hätte gehen sollen, oder an einen Ratsmann als Stellvertreter.
Lautarius legte das Schwert ab. Solange er nicht für Viritotus kämpfte, wollte sein Herz gar nicht mehr kämpfen. Er hatte einfach keine Kraft mehr!
Schweigend ging er durch den Wald. Sumela folgte ihm nicht, doch er glaubte, ihr Schluchzen zu hören. Sie wusste, dass er nicht wiederkehren würde. Er hatte sein Schwert aus der Hand gegeben. Er bot den Göttern sein Leben an, denn er benötigte es nicht mehr.
Da hörte er einen Vogelruf, ein leises Zwitschern nur. Verwundert drehte er sich um, denn er kannte den Ruf.
Auf einem niedrigen Setzling, einer Tanne, noch kaum kniehoch, erblickte Lautarius einen kleinen, grau-grünlichen Vogel mit einem hellen, gelben Streifen auf dem sonst dunklen Kopf. Der winzige Vogel zwitscherte lauthals und hüpfte auf dem Zweig hin und her.
"Was machst du denn hier?" Es war ein Goldhähnchen, wie er es aus Ehwaith kannte, ihrer Heimat auf dem Kontinent. Der kleine Vogel war weit geflogen.
Statt zu antworten - wieso auch? - flog der Vogel auf. Lautarius sah ihm nach, ein Lächeln auf den Lippen. Ein Stück Heimat war zu ihm zurückgekehrt.
Da bemerkte er noch etwas. Zwischen den dichten Bäumen blitzte graues Astwerk auf. Er stockte, dann trat er vor.
Tatsächlich, es war Graurinde, der heilige Baum seines Volkes, und die Astbündel waren sogar von dunkelrotem Harz gezeichnet. Die Linien waren fein gearbeitet, von Menschen- oder Elfenhand in zarte Kringel und Bilder gelenkt worden.
Er folgte den Zweigen, ungläubig. Und tatsächlich erblickte er dahinter einen großen, keilförmigen Stein. Der Altar im Wurzelring war voller Erde und halb von Efeu überwuchert, doch unverkennbar ein Altar seines Volkes.
Ein Wurzelaltar.
Lautarius spürte das Kribbeln, als er sich dem Altar näherte. Es war eine versunkene, vergessene Kultstätte. Sie war uralt, das fühlte er. Und sie rief ihn vorwärts.
Es waren schon früher Ahwaid hier gewesen. Ein so alter Altar konnte ihnen unendliche Macht verschaffen.
Genug, um einem Angriff standzuhalten, wenn sie vorbereitet waren. Vielleicht auch genug, um einen geschickten Angriffsvorstoß auf einen nichtsahnenden Gegner zu wagen ...
Lautarius konnte kaum atmen, als er kribbelnd von einem Sturm von Gefühlen überwältigt wurde. Das war die Magie des Altars, die ihn erkannte.
'Nimm dein Schwert wieder auf', schienen ihm die Götter zuzuflüstern. 'Und führe dein Volk zum Sieg!'
Lautarius nickte langsam. Warum wartete er auf die törichten Entscheidungen der alten Narren? Reginus war fort, doch Viritotus lebte noch. Sie mussten ihn retten! Er würde seine Leute hierher führen, sie mussten ihm zuhören.
Und dann würden sie kämpfen!