Rating: P12
Nach dem Prompt „Möhre“ der Gruppe „Crikey!“
Land: Artovjel
--------------------------------------------------------------------------------------------------------------
Ein lautes Krachen jagte Marián in die Höhe. Innerhalb von Sekunden stand er aufrecht und sah sich nach der Gefahr um. Wer in den alchemischen Laboren von Kpew arbeitete, entwickelte früher oder später diesen Instinkt. Man musste hier mit allem rechnen. Explosionen und giftige Gase infolge von Experimenten waren noch das harmloseste. Einmal hatte ein unsichtbarer Brand gewütet, ein Gas, das ohne Lärm, Hitze oder Licht brannte, welches man erst bemerkte, wenn man hineingelaufen war. Damals hatten sich die Alchemisten mit Besen bewaffnet, die sie wie Lanzen lirhajnischer Ritter vor sich hielten, um Brände zu entdecken ...
Dieser Vorfall erzeugte jetzt eine Menge Lärm. Als er auf seiner Ebene keine Gefahr sehen konnte, lief Marián zum Turm und der Wendeltreppe. Das Donnern drang von unten herauf. Er musste also an der Quelle des Lärms vorbei, um nach unten zu laufen.
An den Stufen zögerte er. Wenn es ein Brand war, sollte er schleunigst hier raus, aber es klang nicht nach Feuer. Eher wie das Gebrüll eines Untiers.
Dann kamen mehrere Alchemisten heraufgerannt und spülten ihn zurück in seine Etage. Er entdeckte Kamil, der sich als letzter durch die Tür schob, diese ins Schloss warf und sich mit dem Rücken daran lehnte.
"Was ist passiert?"
"Ah, Marián! Sehr gut, nimm das." Kamil drückte ihm einen Besen in die Hand.
Marián schluckte. Schon wieder ein Besen!
"Bereit? Auf drei."
"Warte ... Kamil, was ist hier los?"
"Eins, zwei ..."
"Kamil! Rede mit ..."
"Drei!" Kamil packte ihn und schob ihn durch die Tür. Immerhin kam der ältere Alchemist mit ins Treppenhaus, statt Marián vollkommen allein zu lassen.
Er packte ihn am Ellbogen und schleifte ihn förmlich mit sich nach unten. Als sie sich der unteren Tür näherten, sah Marián, dass sie schief in den Angeln hing. Das Holz war geborsten. Dahinter schien etwas zu knurren.
"Leise!", mahnte Kamil.
Mit großen Augen sah Marián seinen Kollegen an. "Was, bei allen Geistern ...?"
"Ein Experiment ist etwas schiefgelaufen." Kamil beugte sich vor, spähte durch den Spalt der geborstenen Tür und zog ihn dann gegen jeden Widerstand hinein.
"Etwas ... schiefgelaufen ...", wiederholte Marián, als er das Monster vor sich sah. Es war doppelt so groß wie ein Mensch, mit breiten Schultern und langen Armen. Statt eines Kopfes saßen weiße Blüten an langen Stängeln, die sich auf die Eindringlinge richteten. In der Mitte der Blumen befand sich ein Punkt aus dunklen, violetten Blättern, wie eine Iris. Diese schien sich zu weiten, als das Wesen die beiden Alchemisten entdeckte, und dann zu verengen. Der Zyklop öffnete ein Maul und brüllte, der gleiche Lärm, der Marián schon aufgeschreckt hatte.
Jeder Zahn bestand aus einer Möhre. Auch die Arme, die kurzen, stämmigen Beine und die breite Brust bestanden nur aus braunen bis orangen Wurzeln, die sich schuppengleich übereinander schoben. Violette Möhren bildeten Stacheln auf dem Rücken, weiße Möhren die Krallen der Hände und Füße.
Kreischend sprangen sie zur Seite, als das belebte Gemüse auf sie zu stürmte. Marián und Kamil flüchteten hinter einen umgeworfenen Tisch, um den zerbrochene Phiolen in verschiedenfarbigen Pfützen lagen.
"Also, die gute Nachricht ist", rief Kamil über den Lärm des wütenden Golems, "wir haben endlich die richtige Rezeptur für einen belebten Homunkulus gefunden ..."