Der Wind zog träge an der Landschaft vorbei, doch schaffte es nicht, die trockene Hitze derart aufzuwallen, dass man sie nicht spüren konnte. Wie keine Wolken im Himmel zu sichten waren, so sorgte auch die jährliche Wasserknappheit in diesen Tagen für Situationen, die ich mir nicht zusammenreimen konnte. Ich befeuchtete meine trockenen Lippen und verfluchte mich gleichzeitig dafür. Sie waren doch schon rissig und spröde, wieso dachte ich nicht nach?
Doch die Schmerzen waren ein Zeichen. So klein und unbedeutend sie in diesem Augenblick zu sein schienen, so größer war deren Zeichen. Ein Zeichen, dass ich noch am Leben war.
Nicht nur sorgten die Strahlen der Sonne für einen stetigen Temperaturanstieg, so auch war die Lebensmittelknappheit in meiner Stadt eine jährliche Herausforderung. Nur die Stärksten überlebten, nur die Stärksten konnten sich behaupten. Oder die Reichen sich alles kaufen, sodass die Armut und die Hungernot über die Bevölkerung hereinbrach wie der Nil in ein paar Monaten über die Felder. War es manchen zu viel, sodass sie selbst die wichtigsten Lebensmittel wegschmissen, so hatten manche Bewohner der Stadt nicht mal ein Körnchen Getreide zur Verfügung, um diesen weiter verarbeiten zu können.
Über diese Ironie war ich mir schon lange im Klaren gewesen. Das lag jedoch daran, dass ich in der Nahrungskette wohl als Allerletzter kam. Ich und meine Familie. Wie alle anderen, die in dem Armenviertel Memphis aufgewachsen waren und für die Stadtbewohner, die einfach Arbeit ausführten, nichts mehr war als ein Staubkorn an den Sandalen.
Und doch stand ich hier in der nach Schweiß riechenden Menge und sah zu, wie die Trauerfrauen ihr Klagelied sangen und den Verstorbenen beweinten. Auf der Bahre von edlen, mit Bändern und Juwelen geschmückten Pferden gezogen, klapperte das Holz aufgrund der unebenen Straße in Richtung Tempel. Alle Bewohner Memphis waren gerufen worden und sahen zu, wie ihr einstiger König seine letzte Reise antrat. Die Reise, die ihn zu den Göttern emportrug.
„Was für ein Schwachsinn“, murrte ich und wurde sogleich von einem Ellbogen verwarnt, keinen Ton mehr zu sagen. Ich musste mich nicht umdrehen um zu wissen, dass meine Schwester Nefertari mich zornig ansah. Sie hielt ebenso wenig von dem ganzen Drama als ich, doch sie schauspielerte mit, tat wie geheißen und fügte sich ihrem armseligen Schicksal.
„Sei still, Babu“, zischte sie und widmete sich wieder ihrem Trauerspiel.
„Klar, Tari. Ich stehe gerne tagelang an einem Platz und lasse mich von der Sonne bescheinen.“ Ich schwitzte und mein Körper, der von dem ständigen Stehen in der prahlenden Sonne langsam schwach oder taub wurde, drohte umzukippen. Seit Beginn des Tages sah ich einem Toten zu, und ich würde auch bald einer werden, würde ich nichts zu essen bekommen. Doch ein Blick über die Menge sagte mir, dass nur wenige es wagten, das überhaupt zu denken. Sie wollten entweder den Zorn der Götter nicht auf sich ziehen, noch ihren geliebten Herrscher beleidigen. Wie sollte man jemanden beschimpfen, wenn er schon eigentlich nicht mehr mitbekam, wie er zu Grabe getragen wurde?
Wieder ein Ellbogen. „Babu!“ Das Wort für Erstgeborener. Mein Spitzname meiner kleinen Schwester. „Tari“, lockte ich sie und fing an zu grinsen. Wieso durfte man keinen Spaß haben? Ihr ging es genauso schlecht wie mir, das wusste ich, ohne hinzusehen. So wunderschön meine Schwester auch war und so sehr sie sich auch den ganzen irrsinnigen Riten beugte, so sehr konnte man aus ihrem hübschen Mund auch das gleiche Verlangen nach Flüssigkeit hören. „Minkabh!“, erklang er erneut, diesmal lauter und warnender.
Ich verstummte augenblicklich und beugte mein Haupt. Mit der Menge zusammen setzten wir uns auf den rauen Boden, dessen Sandkörner und Steine sich in meine Haut gruben. Er schmerzte bereits beim Aufkommen auf den Boden, doch wieder sich erheben und die Stellung korrigieren kam einem Todesurteil gleich. So dumm wäre ich nicht, mich mit den Palastsoldaten anzulegen. Doch mein Kopf konnte ich heben, schließlich war ich nicht in der ersten Reihe. Die Klagefrauen trauerten lauter, sodass mir die Aufmerksamkeit nicht mir Teil wurde.
Ich sah den Wagen langsam an mir vorbeifahren. Jeder Schritt des Pferdes war schwerer als der nächste. Der Sarkophag mit dem Abbild des einstigen Königs war durch einig Leinentücher verdeckt, sodass die Reinheit des einstigen Herrschers wohl gewahrt wurde. Ich als einfacher Bauernsohn durfte nicht den König anblicken., selbst, wenn er es unter dem Gold und Metall nicht mal mehr sehen konnte. Was ich erhaschen konnte war aber die Kolonne hinter dem Wagen. Einige Diener trugen die langen Gewänder der Priester. Die wiederum preisten Tonkrüge mit einem mir fremden Inhalt der Sonne, dem Sonnengott Amun-Re. Der Göttervater, der sich nicht mal um sein Volk scherte, wie sie voller Hunger und Durst unter Zwang etwas beiwohnten, was sie nicht mal interessierten. Doch die gesenkten Häupter und Köpfe machten die Wahrheit unverkennbar. Sie hatten Angst vor dem Tod, wenn sie sich sträubten. Oder vor dem Zorn der Götter, was einem Tod wohl annährend gleichkam.
Damit die Kolonne an uns Bewohner mühelos vorbeiziehen konnte, posierten Wachen mit Speeren in regelmäßigen Abständen. Dahinter knieten die hübsch hergemachten und in dunklen Tücher gehüllte Frauen, die lauter wurden, je mehr der Wagen sie erreichte. Sie schrien und beteten, weinten und klagten, als würde es keinen Morgen mehr geben. Und damit verdienten sie ihr Geld.
Wir als einer der ärmsten Familien knieten weiter hinten, sodass man nur spärlich einen Blick auf die stummen Gesichter unserer gegenüber knienden Menschen erhaschen konnte.
„Wie lange dauert das denn, Tari?“, fragte ich, als mein Magen erneut krampfhaft mir deutlich machte, wie sehr er litt. Als würde ein Echo ertönen, hörte ich Taris Magen ebenfalls knurren. „Der Karren wird in den nächsten Tempel gebracht und dort wird der Leichnam gesegnet und geheiligt.“
Ich dachte mir schon, dass das lange gehen wird, aber bis zum nächsten Tempel war es ein knapper halber Tagesmarsch. Sollten wir so lange hier sitzen und fast verrotten? Zustimmend murrte mein Magen erneut und ich hielt inne. Meine Schwester wurde hellhörig.
„Babu, bitte“, flehte Nefertari und nahm meine Hand. Ich sah sie an und meine Züge wurden sanfter. Ihre mit Kohle verzierten Augen hoben ihre dunklen Augen an, während ihre sanft gebräunte Haut und strahlendes Lächelnd einer Göttin gleichkam. Durch die perfekten weiblichen Rundungen war sie eine Schönheit ihresgleichen. Immer kamen Männer und baten um ihre Hand, doch ich als neues Oberhaupt der Familie verneinte jede angehende Hochzeit. Sie sollte glücklich werden und ein schönes Leben führen dürfen. Doch allesamte Verehrer waren Trunkenbolde oder nutzlose Viehtreiber gewesen.
Und dabei war ich selbst noch nicht mal was Besseres.
Ich drückte ihre und sah in die Nacht in ihren Augen, als würden Sterne höchstpersönlich darin strahlen. Sie bat mich, mich zu beugen. Meinen Willen zu brechen und mich einfach dem Schicksal hinzugeben.
Erneut sah ich zu den Wachen und überschlug die Anzahl derer, die im Palast warteten und welche, die nun hier standen, um die Meute am Zaum zu halten.
„Ich weiß, Tari. Ich bin kein guter Bruder. Aber ich bin auch kein Verräter!“
Also schlich ich zurück in die Gassen und verschwand hinter einer Gebäudemauer.