Ich blinzelte mehrmals und versuche, die komischen Gefilde aus Bäumen, seichtem blauem Himmel über mir und saftigem Gras unter mir zu verstehen. Meine Hand fuhr an meiner Haut entlang, tastete alle Körperstellen ab. Selbst meine Augen suchten nach einer Stelle, die verletzt sein könnte. Die Fingerkuppen fuhren über gebräunte, makellose Haut, mein schwarzes schulterlanges Haar war weder verklebt noch die Kopfhaut verkrustet und auch mein Gesicht fühlte sich nicht an, als wäre ich angegriffen worden. An der Seite ertastete ich auch nicht die Rippen, die sich in den Tagen der Gefangenschaft mit Haut überspannt hatten, als wäre sie gegerbtes Leder.
„Wie....?“, meine Kehle fühlte aber dennoch trocken an und ich hyperventilierte. „Oh Amun-Re, Oh Herrscher über die Welt! Oh, Ihr Götter!“ Hektisch stand ich auf, fühlte die angenehme Kühle unter meinen Füßen und tapste dennoch einige Schritte orientierungslos umher. Wieso ich auf einmal die Götter herbeibeschwor, um eine Erklärung zu fordern, wusste ich nicht. Ich fing auf einmal an zu beten, das stand schon mal fest. Ich hatte den Verstand verloren! Sicherlich lag mein ausgemergelter Körper in der dunklen Zelle und ich war ohnmächtig geworden. Oder ein Soldat hat meinen Kopf getroffen und ich halluzinierte. Oder noch schlimmer: Tari hatte mir Kräuter verabreicht, damit sie mich bewusstlos durch den Palast in die Freiheit tragen konnte. Immerhin hatte sie etwas von so einem Plan gesprochen. Und mit einem schwachen Leib wäre sie trotz zierlicher Statur in der Lage gewesen, mich hinaus zu tragen.
Augenblicklich hielt ich inne, als ich während des Hin- und Hergelaufenes vor einer Rinde innehielt. Fast wäre ich gegen das Holz gelaufen. Erschöpft drehte ich mich um, lehnte mich gegen den breiten Olivenbaum, der neben einer Dattelpalme seinen Platz zum Wachsen gefunden hatte. Erstaunt sah ich die Kronen an, sah die ausgewachsenen Früchte und grüne Blätter.
„Wir haben doch…“, als Bauernjunge wusste ich nicht viel, aber was ich wusste, war, dass in der Trockenzeit wenig bis keine Früchte wuchsen. Dafür war die Hitze verantwortlich, oder wie manche glaubten der Zorn des Amun-Re. Und der kam natürlich jährlich zur gleichen Zeit. „Erst in ein paar Monaten müssten sie wachsen und gedeihen.“
Durch meine Größe war es mir möglich, eine Dattel zu erreichen und sie in Augenschein zu nehmen. Ich drehte und wendete sie, fühlte mit beiden Händen die dorre Haut und roch auch die typische Süße. Also biss ich hinein, bis der Kern mich stoppte und ich schließlich abbiss. Kauend brauchte mein Verstand eine Weile, bis er verstand.
Ich war wirklich hier in einem Paradies gelandet, wenn das real war. Aber ich lag sicher noch immer halbtot irgendwo herum und verweste langsam, während mein Hirn sich das Schönste vorstellen konnte, was meine Fantasie zu bieten hatte: Essen.
Eine Handvoll Oliven und vier Datteln später verstand ich immer noch nichts. Mein Blick schoss zur Höhe, sah die Sonne wie ein kreisrunde Scheibe. Sie stand am Zenit und trotzdem schwitzte ich nicht wie üblich. Selbst wenn die zahlreichen Bäume, die sich vor mir auftaten, genügend schatten spendeten, müsste mir die Hitze den Kopf wegbrennen.
Zögerlich schritt ich durch das angebliche Paradies, schnappte hier und da ein paar Früchte und genoss deren Geschmack. Solch feine Kost würde ich nie mehr kosten dürfen und wenngleich ich dafür einen Tod sterben müsste, wenn ich nicht längst schon im Jenseits war, dann musste ich die Zeit hier genießen. Doch Skepsis schob dich immer mehr in meine Gedanken.
Die Sonne schien nun schwächer über dem Horizont. Einige Zeit verging, dann käme die Nacht. Ich dachte an die Sagen, die mir meine Schwester von der Arbeit in einem Tempel einmal erklärt hatte. In diesem glaubten die Priester und seine Anhänger, dass die große Göttin Nut für die Nacht verantwortlich war. Nachdem ihre große Gestalt in Form des blauen Himmels, darunter das Zentrum der große Nil, den Tag darstellte. Wahrhaftig und tatsächlich verschluckte Nut nun die Sonne, wenn sie nicht mehr zu sehen war und nach einiger Zeit gebar sie diesen Tag neu. Dieser damit entstandene gleichmäßige Tagesablauf kam mir viel zu absurd vor. Sicher hatten die Kräuter gut gewirkt, nachdem man diese albernde Geschichte aufgeschrieben hatte. Ich war bei der Geburt meiner Geschwister dabei gewesen und wusste, wie widerlich eine solche Geburt war. Und anstrengend. Und welche Gefahren sie beherbergte. Dass meine Mutter sieben Kinder zu Welt bringen konnte, bevor Vater starb, war eine beachtliche Zahl. Anders als bei andere Familien verstarb die Mutter bei der Geburt eines Kindes schnell.
Meine Beine trugen mich an den Rand eines Flusses, dessen Ufer ich gegenüber nur spärlich erkennen konnte. Doch ebenso wie hier säumten Bäume und grün bewachsenes Land die Gegend. Nur das herrlich klare Nass trennte uns. Also ging ich in die Hocke und trank etwas, während ich mir im Kopf eine Frau mit einer gebärenden Sonne vorstellte.
„Das ist ja widerlich…“, flüsterte ich.
„Das solltest du Nut nicht wissen lassen“, hörte ich eine Stimme in der Nähe. Mir fiel die Flüssigkeit aus der Hand, als ich hochzuckte und plötzlich eine Gestalt vor mir erkannte. Durch das spärliche Licht am Horizont erkannte ich den Redner nicht sofort, doch krabbelte sofort erschrocken zurück, als mein Blick mich wirklich nicht trübte.
Durch den plötzlich aufkommenden Nebel bahnte sich ein langes Bott empor, dessen Spitzenende eingerollt war. Das helle Braun glich den Papyrusrollen in den Tempel, aus denen die Priester immer predigten oder etwas aufschrieben. Das andere Ende des Boots konnte ich gar nicht ausmachen, bevor der Fremde erneut sprach.
„Du solltest netter zu ihr sein. Nut ist ein liebes Wesen.“ Erneut stockte mit der Atem und mein Hirn spielte mir wieder etwas vor. Als sich der Nebel lichtete, erkannte ich eine Gestalt vor mir, die wesentlich größer war als jeden, den ich jemals gesehen hatte. Mindestens drei Köpfe größer stand ein Mann auf dem Boot, ebenso gebräunte Haut und geschminkte Augen. Die Lidstriche gingen ihm wie bei Tari bis zu den Schläfen und das Lächeln weiser Zähne überraschte mich. Freundlich sah er mich an und streckte einen Arm aus. Ich starrte den Fremden an und schüttelte den Kopf.
Sofort ließ er den Arm fallen, doch seine Ausstrahlung wurde nicht negativer. Der Bug kratzte an den Steinen und am Sand, als es sich am Ufer verkeilte und der Fährmann ausstieg. Immer noch konnte ich ihn nur anstarren, wie der Hüne, der in einem schwarzen Gewand gekleidet war und dessen Haare mit der Schwärze des Stoffes eine Einheit zu bilden schienen, näherkam. Ich drückte mich gegen den plötzlich hinter mir stehenden Baum, sodass der Abstand zwischen ihm und mir immer kleiner wurde.
Während sich der Mann vor mir hinkniete und mich anlächelte, füllte mich ein warmes Gefühl. Angenehm und entspannend, als würde meine Seele wieder den Körper verlassen wollen. Als würde dieses Gefühl von der Person ausgehen, ihr Lächeln es nur verstärken und ich mir eigentlich dumm vorkommen müsste, wieso ich nicht sein Angebot annahm, in dieses Boot zu steigen.
Vehement drängte ich die tollen Gefühle beiseite und schob Skepsis und Vernunft hervor. Beirren lassen wie andere ließ ich mich nicht, ich musste kämpfen.
„Erstaunlich. Du bist einer der wenigen, die sich nicht bezaubern lassen. Aber früher oder später musst du in mein Boot steigen.“ Seine Finger zeigte in den Wald hinter mir. Ich folgte der Richtung, erkannte die Dunkelheit aufwehen wie eine unruhige See. Als würde die Schwärze Hunger haben und mich als Abendessen verspeisen wollen. Ich zitterte am ganzen Körper und trotzdem sah ich dem Mann in die Augen, die Schwärze und gleichzeitig Licht zu sein schienen. Eins war klar: Menschlich war dieser jemand nicht.
„Ich bin Mahaf. Schon von mir gehört?“, antwortete dieser, als würde er meine Gedanken lesen können. Ich schüttelte leicht den Kopf, drückte mich mehr gegen die schmerzhaft scharfe Rinde und versuchte alles, um dem Fremden zu entkommen. Und der Dunkelheit. Und versuchte wieder zu erwachen. Mahaf lachte mich nur wieder warm an.
„Ich denke, du wirst nicht glücklich werden mit diesem Ende. Aber ich kann nicht jeden retten.“ Damit stand er auf, ging zu seinem Transportmittel zurück und stieg hinein. Zuletzt drehte er sich noch um, sah mich an. Stumm blickte er herab und deutete mit dem Kinn auf die Schwärze, die immer näherkam. Sie würde mich verschlingen, wenn ich hierblieb. Panisch stand ich auf und krakelte ins Wasser.
„Ich würde an deiner Stelle lieber hier sitzen, als vom Nil verschluckt zu werden. Immerhin kannst du nicht schwimmen.“ Und das bestätigte sich, als ich mit einem Fuß an einem Stein abrutschte und fast statt Luft Wasser schluckte. Erneut lief ich zurück zum Ufer, sah die Nacht über den Wald hinter mir und das gefährliche Tief vor mir. Das Boot hielt neben mir an und eine Hand tauchte in meinem Blickfeld auf.
Ohne Nachzudenken ergriff ich sie und kletterte ins Boot. Keuchend setzte ich mich.
„Nun gut, Minkabh. Osiris wartet auf dich.“