Schnell wand ich mich umher und sah die Einsamkeit höchstpersönlich vor mir. Weder hatte ich gedacht, dass die Hitze mich derart in der Wahrnehmung beeinflusste, noch, dass sich wirklich alle Bewohner Memphis einer solchen Tradition widmeten. Die Ränder meines Blickfelds verschwammen zunehmend und auch meine Glieder wurden schwer. Woher ich die Kraft nahm, trotzdem weiterzulaufen, wusste ich nicht. Vielleicht war es diese dumme Idee, die sich innerhalb von wenigen Momenten in meinem Kopf zusammengebraut hatte. Oder vielleicht die Tatsache, dass ich der Einzige war, der sich nicht dem Trauerzug des Pharaos anschließen wollte.
Ich konnte verstehen, dass man dem König huldigen musste. Immerhin tat er etwas für sein Volk. Doch nur für solche, die er kannte oder jenen, die mit Reichtum und Bekanntheit, oder bei Frauen sogar mit Schönheit, gesegnet waren. Und da ich weder das eine hatte, noch das andere war, schlich ich also durch die Gassen und versuchte, nahe an den Palast zu kommen. Zwischenzeitlich hatte ich einen Wasserkrug aus einer offenen Hütte entnommen und kippte den Inhalt hinunter. Wie eine reine Wohltat und doch Diebstahl. Die entsprechenden Bewohner der Hütte würden sich nicht freuen, weniger Wasser als sonst zu haben. Doch ich ging aufs Ganze.
Entweder alles, oder nichts.
Mit nackten Füßen tapste ich eine Zeit lang durch die Straßen, fernab von Hauptwegen und hörte immer wieder die Klagefrauen oder jene, die ihren König wirklich geliebt hatten. Schmunzelnd über die Tatsache, dass man einen Fremden eigentlich nicht lieben könnte, sah ich zu, wie ein Trupp Soldaten an mir vorbeischritt. Ich versteckte mich in den Schatten, die genauso brühend heiß war wie die Hitze selbst. Ich wartete, bis deren Stimmen leiser wurden und rannte weiter.
Der Palast vor mir erstreckte sich wie von den Göttern selbst erschaffen. Hohe Säulen ragten in den Himmel mit Inschriften, die nur die Priester selbst entziffern konnten. Die Hieroglyphen beschrieben eine Geschichte. Die Geschichte des prächtigen Memphis oder des innewohnenden Herrschers, der Götter oder von dessen Volk. Mein Name würde sicher nirgends stehen, würde ich eines Tages sterben.
Selbst die Spitze des Palastes würde zum Himmel reichen, so kam er mir vor. Aus braunem Stein gehauen, wie fast alles Kostbare in Memphis
Ich schaffte es, nahe genug heranzutreten, bevor die Wachposten mich bemerkten. Die Häuser vor dem Palast gehörten ihnen oder den Priestern, je nach gesellschaftlichen Stand näher am Palast. Da auch die den alten König beweinten, sahen sie mich nicht bei meinem Vorhaben.
Ich staunte nicht schlecht, als ich mich hinter einer der Säulen versteckte und auf den Eingang des Palastes lugte. Die Treppe zum Thronsaal war breiter als zwei Hütten zusammen, von edlen Stein gehauen und so glatt geschlissen. Da würde ich mich sicher selbst sehen können. Der Boden war befestigt und anders als die Straßen in unserem Viertle nicht so uneben. Ich verengte meine Augen und sah wirklich Spiegelungen auf dem Boden. Es war wirklich und wahrhaftig atemberaubend.
Atemlos blickte ich an den Seiten empor. Aalglatte Wände schützen links und rechts den Eingang vor mir vor Eindringlinge wie mich. Im regelmäßigen Abstand erkannte ich Wachsoldaten, die in gleichmäßigem Zeitabständen die Position wechselten. Sie sprachen weder miteinander, noch sahen sie einmal weg. Würde ich mich hindurchschmuggeln, dann würde sofort erkannt werden.
„Mist“, fluchte ich und schlug sofort die Hand vor dem Mund. Wie der Blitz zog ich mich zurück und drückte mich gegen die Säule, hinter welcher ich mich versteckte. Wenn mich einer gehört hätte, wäre ich jetzt schon tot. Doch es kam Amrun-Re sei Dank keiner. Ich sah hinauf, erkannte die breiten Mauern erneut, die bis zum Himmel reichten. Ein Falke saß auf dessen Spitze und kreischte. Und ich grinste.
Meine Kletterkünste hatten sich ausgezahlt, denn nun schlich ich auf der Mauer dem Eingang entgegen. Erstaunlicherweise lief ich schnell und koordiniert, hatte weder Angst noch Panik und huschte meinem Ziel entgegen. Der schmale Grat zwischen Hinunterfallen und Geschnappt werden und Weiterkommen und bald zu den Reichen zu gehören, feuerte meine Euphorie an. Das Blut rauschte schneller und der Kopf pochte mit jedem weiteren Herzschlag mehr Kraft durch meinen Körper.
Neben mir türmten sich mächtige Statuen als Tiermenschen, unsere Götter, symbolisiert durch Stein und Größe. Manche glaubten selbst daran und beteten diese an. Ich selbst gehörte zu jenen, die sich nicht als solche bezeichneten. Doch etwas Mächtiges hatten sie dennoch an sich, wenn man an deren Köpfen vorbeischritt und ihnen fast in die Augen starren konnte. Eine Patrouille wechselte ihre Stellung und ich machte mich augenblicklich klein.
Dabei hielt ich vor einem Abbild eines Gottes und betrachtete ihn stirnrunzelnd. Die Statue eines Menschen mit Falkenkopf machte mir kurzzeitig Angst, denn es sah so aus, als würde er mich beim Anschleichen anblicken. Es war Horus, der Königsgott. Der Gott des Himmels. Durch die Doppelkrone und dem starren Blick schien er mich zu verurteilen. Der Schnabel wirkte nicht nur spitz, sondern auch tödlich. Ich konnte förmlich sehen, wie sich sein Haupt zu mir bewegten und mich anschrie. Ich wartete einige Sekunden ab, doch es geschah nichts.
Und wieder wurde mir bewusst, weshalb ich eigentlich hier war. Ein Knurren im Magen verriet es mir und auch meine Kopfschmerzen, die durch die elende Hitze und wenig Wasser kamen, förderten meine Überzeugungen, nun das richtige zu tun.
Ich hielt nicht an, bog durch enge Gassen und versteckte mich vor Dienern und Soldaten. Wenige Menschen befanden sich in dem Palast, welcher durch die Schatten und wenig Sonne kühler wirkte. Ich stöhnte erleichtert auf, als in die untere Etage betrat und mich kurz vor den Schatzkammern befand.
Bald, schon bald, dachte ich und grinste feixend.
Ein Blick über Ecke sagte mir, dass sich zwei Wachen am Eingang der Kammer positioniert hatten. Schnell zog ich meinen Kopf zurück und schmiss einen Stein in eine weitere Ecke. Sofort schrien beide Wachen auf und rannten in die Richtung. Wie ich mir dachte. Sie waren nicht die klügsten, deshalb standen sie hier unten.
Schnell trugen mich meine Beine durch das Tor, das ich hinter mir schloss. Es durfte keiner wissen, dass ich hier war. Doch einen Spalt ließ ich offen, denn wenn die Wachen zurückkame , sollte ich nicht eingeschlossen hier feststecken.
Keine Fackel säumte die Wände und kein Licht der Sonne drang durch einen Spalt hinein. Schwärze und Dunkelheit selbst sammelten sich vor mir, während meine Augen sich an die Lichtverhältnisse gewöhnten. Der Spalt von der Tür kommend beleuchtete nur einen Teil dessen, was ich vor mit hatte. Und dann war es mit meiner Vernunft geschehen. Das Durcheinander von Gefühlen brach den Damm und die Sehnsucht nach allem, was ich nie haben werde oder je gehabt hatte, flutete mich.
Wie ein Verrückter stürzte ich mich auf die Münzen und Juwelen, die in vergoldeten Krügen auf den richtigen Zweck zum Ausgeben warteten. Grinsend sah ich Tari vor mir, wie sie mir dankend in die Arme lief und auch meine Mutter endlich wieder ein Lachen auf dem Gesicht hatte. Dann hätte ihr altes Leben wieder einen Sinn! So viele Taten, die ich vollbringen konnte und so viele Wunder, die noch vor mir standen.
Bis ein dumpfer Schlag am Hinterkopf mich in die Schwärze zog und mein Körper schlaff auf den Boden schlug.