Ich erstarrte innerlich, mein Blut gefror mir in den Adern. Wie hätte es denn auch anders enden können als mit dem Tod? Wieso musste ich auch den Pharao bestehlen? Nein, ich hatte ihn nicht bestohlen!
Meine Hände ballten sich zu Fäusten und ich keuchte auf, als ich mich aufrichten wollte. Sofort rannten zwei Wachen zu mir und grenzten mich von dem künftigen Herrscher ab.
„Herr…“, murmelte ich, da meine Kehle der Wüste draußen glich. Ironischerweise durchfloss Kälte mich wie Nil das Wasser. Doch ich würde nicht kampflos aufgeben.
„Herr!“, diesmal lauter drangen die Worte aus meinen rissigen Lippen, bis ich meinen Oberkörper so aufgerichtet hatte, dass ich mich kniend vor dem Jungen befand. Mein Kopf würde beim Aufrichten meines Körpers seine volle Größe bei weitem überreichen, denn ich war schon als Kind überdurchschnittlich groß gewesen. Doch mein Kopf hielt ich gesenkt, denn ich wagte es ja bereits, den künftigen König überhaupt anzusprechen. Auch wenn sich dieser bereits abgewandt hatte. Doch die Worte >mein Pharao< würden mir nicht über die Lippen kommen. Niemals!
„Du Dreckstück wagst es, den Herrscher anzusprechen, du nutzlose Heuschrecke!“ Sofort traten die vor mir befindlichen Soldaten vor, als mich ein Fuß an den Rippen erwischte. Keuchend stieß ich die Luft aus, als mein Kopf nach vorn schleuderte und fast auf dem Stein aufkam. Ein Fuß auf meinem Hinterkopf hinderte mich am erneuten Aufrichten. Also hielt ich meine Stirn gesengt. Widerstand wäre zwecklos gewesen. Tränen stiegen mir voller Frust in die Augen, doch ich schluckte den Ärger hinunter. Stattdessen hob ich meine Stimme an und schrie dem entfernten König hinterher, in der Hoffnung, er würde mich noch hören.
„Wie könnt Ihr Gerechtigkeit sein, wenn Euer Volk einer Zeremonie bei Hitze gleicher Hölle ausharren muss. Wir leiden alle Hunger und Ihr habt einen vollen Teller. Jeden Tag verdursten wir trotz des mächtigen Nils, weil das verseuchte Wasser uns töten würde. In der seit Monat herrschenden Trockenzeit leidet jeder, außer Ihr. Ein König, der meint der Göttin Maat gleichzukommen und doch nur redet. Wie soll ich etwas ernten, wenn als vertrocknet ist? Wie kann ich als Bürger Abgaben leisten, wenn das, was ich verdiene nicht einmal reicht, um meine Familie zu versorgen, nachdem mein Vater letztes Jahr von uns ging. Wegen Eures Vaters Kriege, die ihm und tausend anderen das Leben gekostet hat! Nun müssen wir unsere Ahnen ehren und von was? Wie könnt Ihr mich verurteilen, wenn ich das Meine beschützen wollte vor den Götters Zorn in diesen Zeiten?!“
Zum Ende wurde ich immer lauter, bis ich schier schrie. Meine Tränen flossen, weil das Eingeständnis mir selbst mehr weh tat als den Menschen, die mich nur wie ein Ungeziefer behandelten. Wie sollten sie es auch verstehen?
Ich spürte einen weiteren Tritt an der Seite, doch es kümmerte mich nicht. Ich hatte versagt. Ich hatte es nicht geschafft.
Ich wurde zurückgelassen, ohne, dass sie mich anketteten. „Es tut mir leid, Nefertari...“, flüsterte ich, als die Schmerzen meine Welt um mich herum verdunkelten.
„Babu!“, rief jemand, als ich umarmt wurde. Träge hob ich den Blick und sah in dem Schein der Fackeln eine weibliche Gestalt. Sie lief mit ausgestreckten Armen zu mir, überfiel mich praktisch. Und ich konnte nicht mehr tun als schwach zu lächeln und mich aufrecht zu halten.
Der dritte Tag war angebrochen, oder bereits der vierte? Zeit war in dieser Dunkelheit war relativer Begriff, wenn zuerst Schwärze mein Freund war und nun die Fackeln mich am Schlafen hinderten.
„Nefertari..“, raunte ich und hob mein mittlerweile noch dürreren Arme. Die Knochen stand hervor und sicher war auch mein Gesicht eingefallen. Doch ich sah meine Schwester, bevor ich gehen musste. Immerhin. „Was tust du hier?“
Meine Schwester hob mich an den Schultern, streckte ihre Arme aus und betrachtete mich mit verheultem Gesicht. Ihre Haare standen wirr umher und trotzdem ließ mich ihre Schönheit lächeln. Auch sie grinste und sah sich um. Dann kam sie näher um zu flüstern.
„Ich habe gehört, was passiert ist, Babu. Sie wollen dich öffentlich hinrichten lassen. Das darf nicht sein. Sie verbreiten Lügen über dich und beschimpfen den Namen unserer Familie!“
Neferatri kam nicht zum Punkt, sondern redete wie ein Wasserfall. „Aber ich habe mir etwas ausgedacht. Wir können fliehen. Wir alle: Unsere Mutter, unsere Geschwister und wir beide. Ich habe ein paar Rebellen gefunden, die mir dabei helfen würden und sie...“, Tari hielt inne, als ich leicht den Kopf schüttelte.
„Was?“, fragte sie mit hängen Schultern und fassungslosem Blick.
„Wie bist du hierhergekommen?“ Statt mich zu freuen, wollte ich ihren Schutz. Wenn sie sich hineingeschlichen hätte, wäre sie dem Tode näher als ich jetzt.
„Ich habe tagelang vor den Palastmauern getrauert und um Einlass gebeten. Irgendwann hatten sie wohl Mitleid und ich habe es zu dir geschafft. Keine Sorge, hier ist keiner. Ich kann sehr überzeugend sein.“ Stolz hielt meine kleine Schwester das Kinn in die Höhe und lobte sich damit selbst.
Und ich lächelte, obwohl mir danach nicht zu Mute war. Je näher ich meiner Hinrichtung kam, desto eher hatte ich das Gefühl, der Tod würde mich vorher holen. Ohne Essen und Wasser tagelang in Dunkelheit zu verbringen, war ein Todesurteil an sich. Ich glaubte nicht mehr, dem Volk als Beispiel zu dienen, das man Thutmosis III nicht verärgern sollte. Sie wollte mich hier verrotten lassen. Was besser war? Keine Ahnung.
Und das wurde auch Tari so langsam klar, dass es nicht mehr lange hin war, bis sich mein Verstand und mein Körper dem Ende entgegensehnten.
„Du willst nicht hier raus?“, kam die Frage, die ich niemals erwartet hätte. Ich atmete langsam tief ein, sammelte meine Kräfte und hielt Tari in den Armen, als würde sie mein Rettungsanker sein. Es strengte an und ich würde nicht lange mich bewegen können, bevor mir schwindelig wurde. Doch ich hielt die Umarmung so lange, wie es mir in meinem armseligen Zustand möglich war.
„Ich liebe dich, Tari. Ich liebe meine Familie und meine Mutter. Ich liebe euch alle, die mich so behandelt haben, dass ich ein schönes Leben haben konnte. Niemals hätte ich gedacht, eine so begabte Schwester wie dich haben zu dürfen.“ Ich sah die Tiefen ihrer Augen, in denen ich mich gerne verlor. Die Nacht und die Sterne. Das reine Glück. Mein Glück.
Tränen flossen nun uns beide über die Wangen. „Und ich danke dir für alles. Aber mein Leben ist hier zu Ende. Es tut mir leid, dir nicht ein besseres gegeben zu haben. Denn alles, was ich je getan habe, war für dich!“
Damit schlug ich die Augen zu und küsste sie mit den spröden, rissigen und blutig gekauten Lippen auf ihre wunderschön, sanfte und weiche Haut. Ein Kontrast ihres und meines Lebens war uns immer klar gewesen und auch jetzt fühlte ich die Linie, die uns trennte. Und doch hielten wir zusammen wie ein gemeinsam schlagendes Herz.
Auch sie hielt mich in den Armen. Drückte mich sanft, und weinte. Sie würde ein gutes Leben ohne mich haben.
Schließlich, als wäre die Ewigkeit an uns vorbeigezogen, stand sie auf.
„Ich liebe dich, Babu!“ Und dann verließ sie meine Zelle. Und ich das Leben.
Meine Seele vollzog eine Verwandlung, formte sich zu etwas Neuem, wie ein leuchtender Punkt. Obwohl ich nur die bloße dunkle Decke sah und der Raum nach wie vor voller Undefinierbarem stank und mein Körper eigentlich nur einem vertrockneten Baum glich. Ich fühlte etwas Befreiendes. Der leuchtende Punkt vergrößerte sich, füllte meinen Verstand und das wohlige Gefühl weitete sich aus, zu den verwinkelten Gegenden und Ecken meines dürren Leibs. Schließlich entzog sich meine Selle meinem fleischlichen Körper und schwebte empor.
Endlich frei….
Bis ich meine Augen aufschlug und eine blühende Baumkrone über mir sah.