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Nach dem Prompt „Kleiner Schillerfalter“ der Gruppe „Crikey!“
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"Eine Tochter! Herzlichen Glückwunsch, mein König."
Askiron, der Feenkönig, verzog das Gesicht nur noch etwas mehr. Noch eine Tochter. Er nahm das in ein Rosenblatt gewickelte Bündel entgegen.
"Und die Königin?" Dass der Diener nichts von ihr gesagt hatte, konnte nichts Gutes bedeuten.
"Der Heiler kümmert sich noch um sie. Die Geburt hat sie stark geschwächt."
Askiron seufzte. "Holt eine Amme für das Kind. Und gebt Anweisung, dass niemand den Westast betreten soll. Meine Frau soll alle Ruhe erhalten, die sie braucht."
Der Diener verneigte sich und eilte davon, während Askiron mit regungslosem Gesicht auf sein drittes Kind sah. Sie war blass und blond, wie ihre Schwestern, jedoch mit strahlend grünen statt blauen Augen.
"Habt Ihr einen Namen für sie?", fragte Koskatur, Askirons Berater, der sich bisher im Hintergrund gehalten hatte.
Nachdenklich trat der König an das kleine Astloch, das ihm einen Blick auf die Zweige seines Königreichs ermöglichte. Das kleine Wesen in seinem Arm strampelte sacht. Sein Kopf jedoch war leer. Er hatte viele Namen für Söhne, aber keinen für Mädchen. Nach zwei Mädchen hatte er fest mit einem Sohn gerechnet. Ein Junge, der seinen Thron sichern würde.
In diesem Moment glitt ein Schatten über das Baumwipfelkönigreich. Ein Schmetterling tanzte über der Stadt im Baum und landete an einem höheren Ast, wo er die Flügel auf und zu klappte. Ihre bunte Farbe offenbarte sich nur, wenn die Flügel offenstanden, ansonsten färbten sie sich braun.
Leise drangen die erstaunten Rufe aus der Stadt herauf, als die Feen den seltenen Besucher bemerkten.
Askiron lächelte. "Ilia. Sie soll Ilia heißen."
⁂
Die drei Mädchen spielten leise auf dem von Blüten bedeckten Boden der großen, natürlichen Baumhöhle, die dem Elfenkönig als Halle diente. Er thronte am Kopfende des leicht gewundenen Raumes, an der Seite von Elysmeera.
Sie war blass, tiefe Ringe lagen unter ihren Augen. Die letzte Geburt hatte sie schwer geschwächt, und seitdem hatten sie es nicht noch einmal versucht, obwohl die Königin sich nichts sehnlicher wünschte, als ihrem Gemahl den ersehnten Sohn zu schenken. Doch Askiron hatte es ihr verboten, und seine Entscheidung war unumstößlich.
Die Mädchen kicherten, während sie stickten oder nähten und leise gemurmelte Geschichten austauschten.
"Wo ist eigentlich Ilia?", fragte die Königin nach einer Weile.
Askiron musterte seine drei Töchter auf dem Teppich, und stellte fest, dass die zweitjüngste tatsächlich fehlte.
"Herr." Ein Diener trat aus dem Schatten und neben sie. "Sie ist oben im Hof, Herr."
"Was macht sie da?" Askiron runzelte die Stirn.
"Sie beobachtet die Libellenreiter, Herr."
"Schon wieder?" Überrascht sah er zu seiner Frau. In diesem Sommer hatte sich die kleine Ilia schon oft fortgestohlen. Langsam erkannte er darin ein Muster. "Interessiert sie sich etwa für einen der jungen Reiter?" Eine entsetzliche Vorstellung! Sie war noch viel zu jung.
"Nein, Herr, ich denke eher ..." Der Diener schluckte, ehe er es aussprach. "Ich denke, sie ist wegen der Libellen dort. Sie stellt den Reitern viele Fragen dazu, wie man solch ein Tier zähmt."
Askiron hob überrascht die Augenbrauen. "Vielleicht will sie ja eine Reiterin werden!"
"Bitte!" Seine Frau legte ihm eine Hand auf den Arm und sah ihn streng an. "Wenn das stimmt, wirst du ihr diese Flausen austreiben, nicht wahr?"
"Natürlich", sagte der König ruhig.
⁂
Ilia saß fest im Sattel der Libelle. Es war ein kleineres Tier, dessen Beißzangen gefesselt waren. Doch da seine Tochter nun schon seit sieben Sommern trainierte, hatte Askiron schließlich zugestimmt, dass ihr erster richtiger Ritt längst überfällig war.
Er hatte Ilias Mutter nichts davon gesagt, was heute stattfinden würde, und so stand er nun alleine am Balkon und beobachtete seine Tochter mit einem flauen Gefühl im Magen. Mehrere Reiter saßen bereits auf ihren Libellen, um im Notfall einzugreifen, während die Königstochter auf dem grünschillernden Tier saß. Eine bereits gezähmte und wenig temperamentvolle Libelle war es, aber bei diesen großen Raubtieren konnte man sich niemals ganz sicher sein.
Ein Teil von Askiron wünschte sich, Ilia würde Schnecken oder Grashüpfer bevorzugen. Doch ein anderer Teil von ihm schöpfte Hoffnung. Der Thron seines Baumes würde an jenen Sohn des Königs oder seiner Berater übergehen, der das mächtigste Reittier zähmte. Dieses Gesetz war unumstößlich, aber in den letzten Jahren waren ihm erste Zweifel gekommen.
Muss es wirklich ein Sohn sein?
⁂
Die Zeremonie der Thronfolge war heißersehnt. Da Askiron keinen Sohn hatte, brannten die Sprösslinge der adeligen Familien darauf, sich in diesem Duell zu beweisen. Gewinnen würde, wer das eindrucksvollste Reittier zum Versammlungsplatz auf dem breiten Ast vor der Halle brachte.
Unruhig saß der alternde Feenkönig auf seinem Thron, während all die jungen Adeligen ankamen. Sie ritten Wespen. Bunte und seltene Bienen. Schillernde, giftspritzende Käfer oder welche mit Hörnern. Einer kam sogar auf einem Tausendfüßler. Doch all diese hatten kaum eine Chance, denn die sirrenden Flügel der Libellen beherrschten den Platz. Schillernd und gefährlich vereinten sie die beiden Kriterien der Auswahl in sich.
Eine besonders große, rote Libelle sank schließlich aus dem Himmel. Askiron beugte sich vor, als er die erschrockenen Rufe hörte. Welcher talentierte Reiter hatte dieses mächtige Biest bezwungen?
Doch seine Hoffnungen wurden enttäuscht, denn es war nicht Ilia auf dem Rücken des Raubtiers, nur ein junger Kämpfer.
"Wo bleibt sie?", murmelte er angespannt.
Elysmeera legte ihm eine Hand auf den Arm. "Dieser tapfere Krieger ist sicherlich auch ein guter König. Selbst wenn sie noch auftaucht, mit seiner Punktzahl kann sie nicht mithalten."
Und das stimmte. Die große Libelle hatte eine Rekordanzahl an Stimmen geerntet.
Dann jedoch - die Zeremonie war fast vorüber - senkte sich mit einem Mal ungläubige Stille über die Anwesenden und alle Blicke glitten nach oben. Wenig später erklang das Schlagen mächtiger Schwingen. Ein Schlagen, kein Surren. Askiron sprang auf und eilte zu einem Astloch. Was er erblickte, ließ ihn mit offenem Mund dastehen, denn Ilia kam wie versprochen, um für ihren Thron zu kämpfen. Sie hatte jedoch keine Libelle als Reittier.
Sie ritt einen Schmetterling. Einen der seltenen und wunderschönen Schillerfalter, nach denen sie benannt war. Ungläubig starrte alles die Königstochter an. Nicht nur, dass sie erschien, um den Thron zu beanspruchen - nein, sie ritt auch auf einem Tier, das noch niemand geritten hatte. Einen Schmetterling einzufangen hatten die Feen nicht einmal für möglich gehalten.
Ein erleichtertes Lächeln trat auf Askirons Gesicht, denn er wusste in diesem Moment, dass Ilia die Wahl gewinnen würde.
Wie sich herausstellte, war sie genau das Kind, das er sich so sehnsüchtig erhofft hatte.