Geduld, weisst Du, dass du mich manchmal beinahe zur Verzweiflung bringst? Ich MUSS dir das einfach einmal sagen!
Da sitzt du gemütlich in deinem Sessel, die Beine locker übereinander geschlagen und geniesst die warme Frühlingsluft, die durch das offene Fenster hereinströmt. Ein entspanntes Lächeln liegt auf deinem Gesicht, während du eine Tasse Tee schlürfst und dem Gesang der Vögel lauschst. Sonnenstrahlen finden ihren Weg ins Zimmer und malen helle Kringel auf den Fussboden. Sie erfassen deine Füsse, wandern dann langsam deinen Beinen entlang zu deinem Körper und hüllen ihn mit Wärme ein. Genüsslich sitzt du einfach da!
Wie kannst du nur so ruhig da sitzen?
Meine liebe Ungeduld, wie gut kann ich dich verstehen!
Ich sehe, wie du nervös durch die Räume streifst, wie du dich setzt, wieder aufstehst, dir mit der Hand durch die Haare fährst. Ich spüre, wie gerne du jetzt, genau jetzt, schon längst an einem anderen Ort wärst. In Gedanken bist längst am Ziel angekommen oder zumindest bald da, während dein Körper immer noch hier neben mir steht. Ich beobachte, wie dein Kopf deinen Füssen immer etwas voraus ist. Vermutlich ist dir gar nicht bewusst, dass du dadurch eine leicht gebeugte Haltung einnimmst...
Woher nimmst du eigentlich die Ruhe, mehr noch, die Kraft, einfach so still und ruhig dazusitzen, Geduld? Ich KANN das einfach nicht!
Liebe Ungeduld, die Antwort ist ganz einfach: Ich vertraue. Ich vertraue dem Leben und dem Lebensfluss.
Mit Verlaub, liebe Geduld, aber das ist mir zu einfach! Wo kämen wir denn hin, wenn alle einfach nur so im Stuhl sitzen und der Dinge harren würden, die da noch kommen sollen? Jemand MUSS sich doch bewegen!
Die Geduld lächelt sanft.
Ja, liebe Ungeduld, du hast recht. Und du hast nicht recht.
Wenn ich sage, ich vertraue dem Lebensfluss, bedeutet das nicht, dass ich mich nie bewege. Das heisst vielmehr, dass ich auf den richtigen Moment warte.
Es kann aber durchaus auch geschehen, dass ich den richtigen Moment zu verpassen drohe... und dann bin ich sehr dankbar dafür, dass es dich gibt!
Die Ungeduld lächelt erfreut.
Echt? Du freust dich über mich?
Ja, liebe Ungeduld! Ohne dich kann es mich nicht geben, so wie du ohne mich nicht existieren kannst. Wir beide gehören zusammen. Wir tanzen zusammen einen Tanz. Einmal führst du, einmal führe ich. Aber wir sind ein Paar!
Die Geduld steht auf und reicht der Ungeduld die Hand. Gemeinsam tanzen sie in die warme Frühlingssonne hinaus.