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KAPITEL 4
Ein Blick in die Vergangenheit
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Müde saß ich in der Unibibliothek, um für eine Prüfung zu lernen. Während ich in meinem Buch las, hielt ich mich mit meinen liebsten Jellybeans motiviert. Süßigkeiten hoben auch in den dunkelsten Tagen meine Laune und Cottoncandy schmeckte mir immer schon am besten.
Ich griff in die Tüte und steckte dann einige der kleinen Süßigkeiten in meinen Mund. Kauend las ich weiter und machte mir eine Notiz, sah allerdings auf, als jemand vor meinem Tisch stand und den mir gegenüberstehenden Stuhl zur Seite schob.
„Ist hier noch Platz für mich?“, fragte mich der gutaussehende Footballspieler, ehe er schon seine Bücher auf den Tisch legte. Matt lächelte mich an. Dass ich ihm für das gesamte Wochenende abgesagt hatte, hatte ihm wohl die Stimmung auf eine Party verdorben.
Ich sah mich um, zuckte mit den Schultern und nickte. „Ist dir einer der leeren Tische nicht lieber? Da könntest du dich mehr ausbreiten.“
„Ich lerne gerne in netter Gesellschaft“, antwortete er. „Du hast doch nichts dagegen? Falls doch verziehe ich mich wieder.“
„Nein, schon in Ordnung.“
Matt nahm Platz und öffnete seinen Rucksack. „Ich habe dich gestern auf der Party vermisst.“
„Du hast mich vermisst?“, antwortete ich amüsiert. „Du kennst mich doch gar nicht.“
„Noch nicht“, meinte Matt selbstsicher. „Aber ich will dich kennenlernen.“
Ich legte meinen Stift auf mein Buch und stützte dann mein Kinn an meiner Hand ab, dabei musterte ich Matt ausgiebig. „Hast du überhaupt eine Prüfung, für die du lernen musst oder stalkst du mich vielleicht doch?“
Matt lachte, doch er hielt sich schnell die Hand vor den Mund, um die anderen Studenten nicht zu belästigen. „Gott, nein. Ich stalke dich doch nicht. Ich wollte wirklich lernen, aber dann hab' ich dich gesehen und dachte, dass ich beides unter einen Hut bringen könnte.“
„Und wenn ich dich verscheucht hätte?“, fragte ich nach.
„Dann hätte ich wohl einen Papierflieger mit einer Nachricht zu dir geschickt“, antwortete er frech.
Ich schmunzelte. Die Idee gefiel mir, dennoch hatte ich keine Zeit für eine Romanze. „Weißt du, Matt. Ich fühle mich wirklich geehrt, aber ich muss lernen. Ich habe einen straffen Zeitplan und ich habe keine Zeit für Partys oder für ein Date. Der Gedanke ist zwar schön, aber ich muss mich echt anstrengen. Ich habe so hart dafür gearbeitet, dieses Stipendium zu bekommen. Ich muss mich auf die Uni konzentrieren.“
„Und wenn ich mir die Zeit nehme, ein Date ganz geschickt in deinen Zeitplan einzuflechten? Irgendwann hast du doch bestimmt Zeit, um zu essen. Dann könnten wir zusammen essen.“
„Ich weiß nicht“, gab ich unentschlossen von mir und senkte meinen Kopf, um wieder zu lernen. „Ich muss noch ein Kapitel durcharbeiten.“ Ein Blick auf die Uhr zeigte mir, dass es schon viel später war, als ich gedacht hatte.
„Sorry, ich wollte dich nicht stören.“ Matt schlug sein Buch auf.
„Schon in Ordnung.“ Ich griff wieder zu meinen Süßigkeiten und bediente mich an meinen Jelly Beans. Während Matt durch seine Notizen blätterte, beobachtete ich ihn für einen Moment. Mit einer Hand schob ich meine Tüte in seine Richtung. „Bedien' dich.“
Matts Blick wirkte überrascht, als er mich ansah, doch dann lächelte er breit und griff in die Tüte. „Danke.“
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Über mir breitete sich ein Schatten aus. Ich sah nach oben und lächelte, als ich Matt erblickte. Ich zog den Kopfhörer aus meinem Ohr und stoppte die Musik. Die angenehm warme Sonne war wohl heute nicht das Schönste an diesem Tag. Ihn wiederzusehen, stimmte mich doch fröhlicher, als ich jemals geglaubt hätte.
„Du gibst nicht auf, hm?“, fragte ich nach.
„Wenn du möchtest, dass ich aufgebe, dann musst du es mir nur sagen.“
Ich klopfte neben mich auf die Decke. „Nein, ich fühle mich sehr geschmeichelt. Auch wenn ich langsam wirklich das Gefühl habe, dass du ein Stalker bist.“
Matt lachte, setzte sich aber dennoch zu mir. „Nein, im Ernst. Wenn du möchtest, dass ich dich in Ruhe lasse, dann sag es mir. Ich möchte mich nicht aufdrängen. Ich will dich kennenlernen, aber wenn du überhaupt kein Interesse an mir hast, dann verschwinde ich jetzt und schreibe dir auch nicht mehr.“
„Nein, nein, das war nur ein Scherz. Weißt du, ich will ehrlich mit dir sein. Ich habe in den letzten Tagen immer wieder nachgedacht und ich weiß nicht, was ich will. Ich muss viel lernen und ich habe nicht besonders viel Freizeit. Ich habe keine Zeit für Partys oder Drama oder eine Beziehung. Du willst doch bestimmt nicht neben mir sitzen und mir beim Lernen zusehen. Ich würde dir nur den Spaß verderben.“
„Will ich nicht?“, fragte Matt nach.
Ich legte meinen Kopf schief und sah ihn an. „Willst du?“
„Es war schön letzte Woche Zeit mit dir zu verbringen, auch wenn wir nicht viel geredet haben“, antwortete er. „So muss ich mir selbst auch Zeit nehmen, um zu lernen. Ich muss meine Noten ohnehin aufbessern. Mein Sportstipendium ist nur solange ein Freibrief, solange auch meine Noten in einem gewissen Rahmen bleiben.“
Ich strich durch mein Haar. „Dann stört es dich nicht, wenn ich nicht auf Partys gehe?“
„Naja, wäre schade, wenn du diese Erfahrung nie machst. Du solltest nach dem College nicht das Gefühl haben, dass du etwas verpasst hast. Wenn es dir nicht gefällt, kannst du immer noch zurück auf dein Zimmer gehen.“ Er öffnete seinen Rucksack. „Du musst aber nicht. Wäre nur traurig, wenn du später bereust, dass du dich nicht ausgelebt hast, als du noch jung warst.“
Nachdenklich sah ich auf meinen Zeichenblock. „Dann meinst du, dass ich es bereuen werde, wenn ich nichts Neues ausprobiere?“
Matt zuckte mit den Schultern. „Möglich.“ Er stellt zwei Dosen Coke auf die Decke und holt dann eine Tüte heraus. „Ich will dich aber jetzt nicht in eine Lebenskrise stürzen.“ Er reicht mir die Tüte. „Hoffentlich magst du Muffins. Es ist einer mit Schokoladestückchen und einer mit Blaubeeren. Ich habe auch noch Cookies von Subways, wenn du die lieber magst.“ Matt legt außerdem eine kleine rosa Tüte auf meine Decke. Ich erkenne sofort, dass es sich um meine liebsten Jellybeans handelt. Er hatte also aufgepasst. Das imponierte mir sehr.
„Wird das hier ein Date?“, fragte ich etwas überrumpelt.
„Ja. Du hast doch sonst nichts vor, oder?“
Ich griff in die Tüte und holte den Schokoladenmuffin heraus. „Wenn du keine Süßigkeiten dabeihättest, hätte ich dich vielleicht sitzen lassen.“
Matt lachte. „Gut, dann muss ich wohl dafür sorgen, dass ich immer etwas zum Naschen dabeihabe, um dich bei mir zu halten.“
„Es hilft auch, wenn du nett zu mir bist“, antwortete ich ihm, worauf er nickte.
„Das habe ich vor. Ich mag dich, Ilaria.“
Ich war mir ziemlich sicher, dass er mir in diesem Moment ansah, wie aufgeregt ich war. „Ich ähm … danke.“
Matt und ich unterhielten uns noch eine Weile, dabei verdrückten wir die Snacks, die er mitgebracht hatte. Ich zeigte ihm mein Sketchbuch und musste ihm erklären, dass ich nicht etwa von Händen besessen war, sondern dass ich viel geübt habe, um besser zu werden. Ich hatte das Gefühl, dass Matt mir interessiert zuhörte und dass er alles über mich wissen wollte. Ich habe mich sogar zu einem weiteren, richtigen Date überreden lassen. Schon bei dem Gedanken, Matt wieder zu treffen, schlug mein Herz höher. Er sah gut aus, war nett und aufmerksam und außerdem gab er mir das Gefühl, hübsch und begehrenswert zu sein. Ein Gefühl, dass ich in meinem Leben nie wirklich hatte. Es war verrückt.
· • ❀ • ·
In einem schönen, kurzen Kleid musterte ich mich vor dem Spiegel. Ich drehte mich zur Seite und betrachtete wie fixiert meiner Brüste. Meine kaum vorhandenen, viel zu kleinen Brüste. Um mein Kleid etwas besser auszufüllen, griff ich in meinen BH und steckte Einlagen hinein. Ein weiterer Blick in den Spiegel machte mich jedoch nur noch trauriger. Ich fühlte mich nicht wohl. Ich fühlte mich unattraktiv. Ich fühlte mich, als würde ich mich und auch Matt belügen. Der Gedanke, dass ich mich ihm irgendwann nackt zeigen müsste, wenn wir tatsächlich eine Beziehung eingehen würden, machte mich noch unsicherer. Ich wollte weglaufen. Mir war danach, einfach wegzulaufen.
„Du siehst umwerfend aus“, machte mir Quinn ein Kompliment. „Naja, bis auf deinen Gesichtsausdruck. Das sieht eher nach Tornadowarnung aus.“
Ich legte meine Hände an meine Brüste. Man spürte deutlich, wie ausgepolstert mein BH war. „Ich fühle mich nicht wohl. Sollte ich vielleicht doch etwas Anderes anziehen?“
„Du könntest eine Jacke oder einen Cardigan drüberziehen“, schlug Quinn mir vor. „Dann kannst du dich darin verstecken, wenn du dich unwohl fühlst.“
„Eigentlich möchte ich am liebsten absagen und mich hier im Bett verstecken“, meinte ich geschlagen und deutete schlaff Richtung Bett.
Quinns mitleidiger Blick schmerzte. Um mich aufzuheitern trat sie auf mich zu und umarmte mich fest. „Wenn du lieber hierbleiben willst, dann könnten wir uns meinen Laptop schnappen und uns einen Film ansehen.“
„Das ist lieb von dir.“ Ich ließ von ihr ab und sah noch einmal in den Spiegel. „Weißt du, was am Lächerlichsten ist? Ich liebe dieses Kleid. Ich liebe es wirklich. Es ist so schön und dennoch fühle ich mich hässlich, wenn ich es trage.“
Quinn rieb meinen Rücken und legte ihre Arme wieder um mich. „Du solltest netter zu dir sein.“ Sie ließ ihren Kopf an meiner Schulter ruhen. „Aber wenn du wirklich absagen willst, dann mach es.“
„Ich weiß nicht.“
„Dann entscheide ich für dich. Du ziehst einen Cardigan über und dann trägst du noch etwas Lipgloss auf.“ Quinn ließ von mir ab und öffnete meinen Schrank. Sie zog einen Strickcardigan heraus und reichte ihn mir. „Hier, zieh das an.“ Ich schlüpfte hinein und betrachtete mich dann erneut im Spiegel, während Quinn etwas in meiner Schminktasche suchte. „Sieh' mich an.“ Meine Freundin öffnete das Lipgloss und trat an mich heran. Durch ihre Brille sah sie in mein Gesicht und trug dann vorsichtig, aber mit leicht zittrigen Fingern das Lipgloss auf meine Lippen auf. „Ich habe es dir noch nie gesagt, aber ich bin neidisch auf deine vollen Lippen.“ Sie nimmt wieder Abstand.
„Wirklich?“, fragte ich nach, worauf sie nickte.
„Ja, sehr sogar.“ Sie verschloss das Lipgloss wieder und ließ es in meine Schminktasche fallen. Quinn blickte in den Spiegel und spitzte ihre Lippen. „Wenn aufgespritzte Lippen nicht immer so over the top wären, dann würde ich das sofort machen lassen.“
„Aber du hast doch schöne Lippen“, sprach ich Quinn gut zu, worauf sie mich ansah.
„Die Form ist schön, aber sie sind zu schmal.“
Ich seufzte. „Schade, dass wir keine Superkräfte haben. Das eigene Aussehen zu verändern wäre wohl die beste Superkraft.“
„Unsichtbar zu sein würde mir aber auch gefallen“, meinte Quinn überzeugt.
Ich kicherte, stimmte dann aber zu: „Ja, das wäre nicht schlecht.“
Unsere Unterhaltung ging schnell zu Ende, als Matt mich anrief. Zum Abschied drückte ich Quinn fest, schnappte dann meine Tasche und verließ das Studentenheim. Matt und ich hatten tatsächlich ein richtiges Date!
„Wow, da bleibt einem doch glatt das Herz stehen“, gab Matt erstaunt von sich, als ich auf ihn zukam. „Du siehst echt toll aus, Ilaria.“
„Danke“, antwortete ich verlegen. „Du siehst aus wie immer.“
Matt lachte. „Wenn ich gewusst hätte, dass du dich so schick machst, dann hätte ich mir mehr Mühe gegeben. Du weißt aber schon noch, dass wir nur Pizza essen gehen, oder?“
„Ja, ich weiß, aber ich mag das Kleid.“ Ich verschränkte meine Arme und kuschelte mich in meinen Cardigan. Teils, weil es doch recht frisch war, teils, weil ich so meine flache Oberweite kaschieren konnte. „Ich hätte mich aber fast wieder umgezogen.“
„Warum das denn?“
„Ach, nicht so wichtig. Lass uns den Abend genießen.“ Obwohl ich etwas eingeschüchtert von Matts gutem Aussehen war, griff ich vorsichtig nach seiner Hand. Er lächelte mich breit an und verhakte unsere Finger ineinander.
Zusammen spazierten wir zu dem kleinen Pizzaladen. Hier holten uns auch Quinn und ich ab und zu eine Pizza. All meine Unsicherheit verflog, als Matt und ich uns unterhielten. Wir redeten über die Kurse, die wir belegt hatten, die Projekte, die anstanden und ich erzählte ihm auch von dem Bild, an dem ich aktuell arbeitete. Der Abend verging wie im Flug und ich hatte mich besser amüsiert, als ich gedacht hätte.
Bevor Matt mich zurück zum Studentenheim brachte, gingen wir noch ein wenig spazieren. Es war bereits dunkel, doch ich wollte noch nicht ins Bett.
„Kommst du zum Spiel?“, fragte Matt mich, ehe er meine Hand drückte.
„Eigentlich hatte ich nicht vor, mir das Spiel anzusehen“, antwortete ich ihm ehrlich. „Du weißt schon, ich muss lernen.“
„Und wenn ich dir sage, dass ich mich freuen würde, wenn du kommst?“ Ich sah zu ihm auf. „Ich könnte einen kleinen Glücksbringer brauchen.“
Meine Augen weiteten sich. „Du meinst mich?“
„Ja“, antwortete Matt bestimmt. „Ich denke, dass du mir Glück bringen wirst.“
„Dann sollte ich wohl doch zum Spiel kommen. Es wäre schade, wenn ihr verlieren würdet, nur weil ich mich durch meine Notizen ackere.“
Als ich aufsah, bemerkte ich, dass wir schon am Wohnheim angekommen waren. Die Zeit mit Matt verging wie im Flug. Er beugte sich in meine Richtung, doch ich nahm Abstand. Ich hatte zu viel Angst vor diesem Schritt. Alles würde so offiziell werden, wenn wir uns küssen.
„Ich sollte jetzt reingehen. Wenn es noch später wird, wecke ich noch Quinn auf.“
Matt wirkte zwar enttäuscht, doch er lächelte gleich wieder. „Dann wünsche ich dir eine gute Nacht, Ilaria.“
„Danke, ich dir auch.“
Ich nahm von Matt Abstand und ging die Stufen hinauf. Ein letzter Blick verriet mir, dass er wohl darauf wartete, bis ich im Gebäude war. Er winkte mir zu. Zaghaft erwiderte ich sein Winken, ehe ich hinein ging. Als die Tür hinter mir ins Schloss fiel, atmete ich tief durch. Matt hätte mich beinahe geküsst, doch ich war noch nicht so weit. Noch lange nicht. Das alles ging mir viel zu schnell.