╭─━ · • ❀ • · ━━━━━━━━━━━━━━━━━━─╮
KAPITEL 29
Rosa Tinte
╰─━━━━━━━━━━━━━━━━━━ · • ❀ • · ━─╯
In der letzten Nacht konnte ich kaum schlafen. Vollkommen ausgelaugt fülle ich Kaffee in meinen Lieblingsbecher und kümmere mich dann um den restlichen Abwasch, der es gestern nicht mehr in dem Geschirrspüler geschafft hat. Obwohl ich für diese Aufgabe normalerweise eine meiner Lieblingsplaylists laufen lasse, möchte ich heute nur noch meine Ruhe haben. Schon der morgendliche Blick in den Spiegel hat mir gezeigt, dass ich krank und müde aussehe. Ich spüre diese Kraftlosigkeit in jeder meiner Bewegungen. Ich vermisse mich. Meine gute Laune, mein Lachen, mein fröhliches Tänzeln nach meinem ersten Kaffee, doch am Meisten vermisse ich meine Kreativität. Die Beziehung zu Matt hat mir all das genommen und das Schlimmste ist, dass ich selbst die größte Schuld daran trage. Ich war zu lange zu passiv, zu gutmütig und zu hoffnungsvoll, dass irgendwann alles wieder wie früher wird. Wenn ich aggressiver auf Veränderungen gepocht hätte, würde ich mich heute nicht leblos und leer fühlen. Es ist vorbei.
Der Geschirrspüler läuft und ich finde mich auf der Couch ein. Ich kuschle mich in die weiche Decke und greife nach meinem Zeichenblock. Ich überlege schon seit letzter Nacht, was ich schreiben soll. Ich würde die Worte nicht über meine Lippen bringen und ich würde vermutlich wieder einknicken und Matt eine weitere Chance geben, sobald er mich in seine kräftigen Arme nimmt und mich fest an sich drückt. Einer seiner Küsse würde ausreichen, um mich wieder verstummen zu lassen. Ich würde nachgeben, aufgeben, weiter leiden und hoffen, dass es dieses Mal besser wird. Schon bei dem Gedanken daran muss ich wieder weinen. Wie ich überhaupt noch weinen kann, ist mir unbegreiflich. Ich dürfte längst keine Tränen mehr übrighaben.
Ich ziehe Taschentücher aus der Box auf dem Couchtisch und wische mir die Tränen aus dem Gesicht, außerdem putze ich mir die Nase. Ohne einem Abschiedsbrief kann ich das alles nicht beenden. Matt hat es nicht verdient, dass ich ohne Erklärung verschwinde. Ich nehme mir viel Zeit meine Gefühle aufs Papier zu bringen.
Immer wieder streiche ich einzelne Worte und Zeilen durch. Meine Tränen lassen die rosa Tinte verschwimmen. Immer wieder zerknülle ich meine Entwürfe. Egal, was ich schreibe, es fühlt sich an, als würde es weder meinen Gefühlen, noch dem Ende unserer Liebe gerecht werden. Immer wieder habe ich das Gefühl, dass Matt eine bessere Erklärung verdient hat und immer wieder fehlt mir der Mut, das zu schreiben, was ich wirklich fühle. Jedes einzelne Wort wird Matt verletzen, egal welches ich wähle. Mich überkommt das Gefühl, dass das alles nicht gut ausgehen wird.
Matt,
wahrscheinlich wunderst du dich gerade, wo ich bin und warum mein Verlobungsring auf dem Couchtisch liegt. Wahrscheinlich machst du dir auch Sorgen, weil ich keine deiner Nachrichten beantwortet habe und auch deine Anrufe nicht entgegengenommen habe. Es tut mir unendlich leid, dass ich nicht stark und mutig genug bin, dir gegenüberzutreten, um das persönlich zu besprechen.
In den letzten Monaten habe ich Tag für Tag immer mehr von mir und meiner Persönlichkeit verloren. Ich konnte nicht mehr von Herzen lachen, ich konnte nicht mehr malen und heute bin ich an einem Punkt, an dem ich kaum noch fühlen kann. Ich bin vollkommen leer.
Matt, ich liebe dich, aber unsere Probleme sind zu groß, um von uns gelöst zu werden. Vor einem Jahr war alles zwischen uns perfekt und ich wollte an diesem Gefühl anhalten. Ich wollte es festhalten und für immer glücklich sein. Ich hatte die Hoffnung, dass alles so werden kann, wie es war, indem wir darüber sprechen. Ich dachte, dass wir einander wieder näherkommen, wenn wir besseren Sex hätten, doch ich lag falsch. In den letzten Monaten lag ich immer und immer wieder falsch. Ich dachte, dass zwischen uns alles wieder gut werden würde, wenn ich lächle und dir gebe, was du dir wünschst, in der Hoffnung, dass ich glücklich bin, wenn du es bist. Doch ich bin es nicht. Ich bin nicht mehr glücklich und das schon viel zu lange nicht mehr. In den letzten Tagen habe ich festgestellt, dass dein Traum von einer Hochzeit und einer großen Familie zwar dich über alles glücklich machen wird, mir jedoch schon der Gedanke daran große Angst macht. Ich bin noch lange nicht bereit für diesen Schritt und wenn ich weiterhin mitspielen und die Illusion der perfekten Freundin aufrechterhalten würde, wäre das dir gegenüber nicht fair. Das hast du nicht verdient. Und auch ich habe es nicht verdient, in einem Leben gefangen zu sein, was sich schon lange nicht mehr wie ein Leben anfühlt.
Es tut mir leid, dass ich nicht die Frau sein kann, mit der du dir deine Zukunft aufbaust und es tut mir leid, dass ich so lange gelogen habe. Ich hoffe, dass du mir eines Tages verzeihen kannst.
Ilaria
Ich weiß, dass der Brief all dem, was ich fühle und aussagen möchte, nicht gerecht wird, doch ich kann nicht mehr. Es ist zu schwierig, all das Chaos in meinem Kopf in einen einzigen Brief fließen zu lassen. Zu viele Stunden, in denen ich geweint habe und zu viele Gespräche, die zu nichts geführt haben sind vergangen. Dass ich mich dazu entschieden habe zu gehen, ist das Wichtigste. Und dass ich es so schnell wie möglich hinter mich bringen muss, um mich nicht wieder für eine weitere Chance zu entscheiden, ist eigentlich sogar noch wichtiger.
Ich lasse den von Tränen befleckten Brief auf dem Couchtisch liegen und nehme meinen Ring ab. Der Diamant funkelt wunderschön im Licht. Obwohl ich letzte Nacht noch Angst davor hatte, diesen Schritt zu gehen, ist es erschreckend einfach, den Ring für immer abzulegen. Es erschreckt mich, wie gut es sich anfühlt, diese Entscheidung zu treffen. Matt und ich werden uns nie wieder küssen. Ich werde mich niemals wieder in seinen Armen geborgen fühlen. Ich werde nie wieder seine Hand halten. Wir werden einander nie wieder unsere Liebe gestehen und wir werden auch nicht heiraten.
Ein letztes Mal stehe ich von der Couch auf. Ich trinke meine Tasse leer, spüle sie kurz mit Wasser aus und wische sie trocken. Meine Lieblingstasse nehme ich wieder mit nach Hause. Die darf Matt nicht behalten.
In der Garage lade ich meinen Koffer und zwei Taschen in mein Auto. Da ich nicht weiß, wie lange Matt noch unterwegs sein wird, habe ich nicht die Zeit, all meine Kleider einzupacken und mitzunehmen. Das Wichtigste ist jedoch eingepackt. Ein letztes Mal gehe ich zurück in das Haus. Ich schlüpfe in meine Winterjacke und werfe einen Blick in den Spiegel. Hoffentlich hält mich kein Polizist auf. So sollte ich eigentlich nicht fahren. Mir fällt die Kette an meinem Hals auf. Sie macht mich wütend. Eilig und dadurch sehr ungeschickt öffne ich den Verschluss und lege sie schwungvoll auf die Kommode. Als Matt mir dieses verdammte Kreuz geschenkt hat, um mich zu dem zu machen, was ich niemals war, hätte mir klar sein sollen, dass wir nicht mehr zusammenpassen. Ich atme tief durch und greife nach meiner Handtasche. Es wird Zeit, nach Hause zu gehen. Bevor ich das Haus verlasse, nehme ich noch meine Kuscheldecke aus dem Wohnzimmer mit. Die letzten Schritte in die Garage fühlen sich an, als würde ich immer tiefer in den Boden sinken. Ich tue das Richtige.
Die Fahrt fühlt sich ewig an, doch ich bin mir ziemlich sicher, dass sie genauso lang ist wie immer. Ich parke in der Einfahrt, schnappe mir meine Tasche vom Beifahrersitz und halte für einen Moment inne. Mir wird klar, was ich getan habe. Es tut weh, die Beziehung zu Matt hinter mir zu lassen und ich schäme mich sehr dafür, dass ich es ihm nicht von Angesicht zu Angesicht sagen konnte.
Schluchzend steige ich aus und laufe auf die Eingangstür zu. Noch bevor ich klopfen kann, öffnet Daddy sie mir.
„Was ist passiert?“ Ich falle ihm weinend in die Arme. Ganz überrumpelt drückt er mich an sich. „Was ist passiert? Bist du verletzt?“
„Ich-Ich kann nicht mehr mit Matt zusammen sein“, erzähle ich weinend. „Ich bin nicht mehr glücklich. Daddy, ich brauche dich.“
„Schon gut, ganz ruhig. Komm rein, wir reden.“
Daddy manövriert mich vorsichtig in das Haus, dann schließt er die Tür hinter mir. Meine Tasche fällt zu Boden. Ich klammere mich weinend an den einzigen Mann in meinem Leben, der mich niemals enttäuschen oder verbiegen würde. Ich werde fest gedrückt und bekomme einen tröstenden Kuss auf die Stirn.
„Daddy, ich will das alles nicht mehr. Kann ich-Kann ich hierbleiben?“
„Hey, alles ist gut, du bist wieder zu Hause.“ Daddy streichelt meinen Hinterkopf. „Komm, wir setzen uns auf die Couch. Dann erzählst du mir, was passiert ist.“
„Ja“, antworte ich schluchzend. Ich nicke.
Ich werde ins Wohnzimmer geführt und nehme auf der Couch Platz. Daddy hilft mir aus meiner Jacke und legt mir stattdessen eine Decke um die Schultern. Er schenkt mir eine liebevolle Umarmung und einen weiteren Kuss auf die Stirn. Nach Trost suchend lehne ich mich an ihn. Daddy streichelt mich, bis ich mich soweit gefangen habe, dass ich wieder richtig sprechen kann. Ich ziehe die Nase hoch, da lässt er von mir ab und beugt sich zum Couchtisch, um aus dem unteren Fach eine Box mit Taschentüchern zu holen.
„Hier, mein kleiner Goldfisch.“
„Danke, Daddy.“ Ich schluchze und putze mir die Nase. „Deine Kuchenform ist im Auto.“
„Vergiss die Kuchenform. Was ist passiert? Er hat dir doch nichts getan, oder?“ Daddy ballt seine Hand zur Faust, da lege ich meine Hand an seine.
„Nein, nein, es ist nur so, dass ich nicht mehr glücklich bin und ich so nicht mehr weiterleben kann.“ Daddy streichelt meinen Kopf. „Es ist so viel falsch gelaufen und ich kann ihn nicht heiraten. Ich will keine Babys und ich will keine Mum sein. Ich wollte doch Künstlerin sein. Ich wollte Kunst studieren und meine Bilder malen und ich wollte Ausstellungen. Ich will malen und keine Windeln wechseln. Ich will mein eigenes Leben leben, bevor ich eines in die Welt setze.“ Als ich erzähle, werde ich wieder unruhiger. Die Tränen scheinen gar nicht mehr weniger zu werden. Weinend vergrabe ich mein Gesicht in meinen Händen. Daddy gibt mir einen Moment, doch dann nimmt er mich wieder fest in den Arm und streichelt mich.
„Ich verstehe“, spricht mir Daddy ruhig zu. Seine Umarmung wird etwas fester. „Es ist das Wichtigste, dass du glücklich bist und wenn du es nicht mehr bist, musst du etwas ändern. Ich bin froh, dass du da bist.“
· • ❀ • ·
Müde blinzle ich und reibe mir die Augen. Ich nehme ein Schnurren neben meinem Kopf wahr und erinnere mich plötzlich daran, was heute passiert ist. Ich habe Matt verlassen und bin zu meinen Eltern gefahren. Ich drehe mich zur Seite und entdecke die Quelle des beruhigenden Schnurrens. Laileena liegt eingerollt neben mir. Ich streichle das kuschelige Kätzchen, was sie dazu bringt, alle Viere von sich zu strecken.
„Oh, du bist wach“, höre ich die Stimme meiner Mum. Sie sitzt an dem Esstisch und arbeitet gerade. Sie verschließt ein Paket mit Klebeband, dann stellt sie es zur Seite und kommt auf mich zu. „Kann ich irgendetwas tun?“
Ich nicke. „Ein Glas Wasser und eine Umarmung.“
„Es ist schön, dass du da bist, Ilaria.“
„Danke, Mum.“ Aus der Küche bringt sie mir ein Glas Wasser. Sie reicht es mir, sodass ich gleich einen großen Schluck nehmen kann. Als ich es abgestellt habe, setzt meine Mum sich zu mir und nimmt mich in den Arm. „Gibt es irgendetwas zu essen?“
„Natürlich. Ich kann dir Pasta aufwärmen, wenn du möchtest.“
„Ja, bitte.“
Mum drückt mich noch einmal fest, dann steht sie auf. „Ilaria, es tut mir leid, dass es dir so schlecht geht. Bitte sag mir, wenn ich irgendetwas tun kann, damit es dir besser geht.“
Ich wische über meine Augen. „Nein, alles gut, ich bin nur ein wenig hungrig und ich bin müde. Ich brauche eine Pause von allem. Keine Menschen, kein gar nichts.“
„Die bekommst du“, verspricht Mum mir. „Ich habe dein Zimmer fertiggemacht. Dein Dad hat deine Sachen schon aus dem Auto geholt. Du kannst so lange bleiben, wie du möchtest.“
„Danke, Mum.“
„Darf ich dich noch etwas fragen?“
„Immer“, antworte ich und sehe zu ihr nach oben.
Sie verhakt ihre Finger ineinander, dabei spricht sie: „Hast du wirklich mit Matt Schluss gemacht?“ Ich nicke. „Dann werdet ihr nicht heiraten?“
Nun schüttle ich den Kopf. „Nein.“ Mit beiden Händen streiche ich durch mein zerzaustes Haar. „Ich bin nicht bereit für das alles. Ich will dieses Leben nicht.“
„Dann hatte ich doch recht. Du hast gestern beim Dinner sehr unglücklich ausgesehen. Ich war mir so sicher, dass es dir nicht gutgeht, aber ich wusste nicht, was ich tun soll. Ich hätte dich nicht vor all den Leuten fragen können. Das wäre dir unangenehm gewesen.“
„Danke, Mum.“ Ich kämpfe schon wieder mit den Tränen. „Ich freue mich, dass du das sehen konntest. Der Tag war so furchtbar. Seine Grandma war so gemein zu mir. Es war die Hölle und ich hatte keine Ahnung, was ich machen soll. Ich konnte es Matt nicht sagen, er hat mir nie geglaubt. Ich musste da weg.“ Mit jedem Wort wird meine Stimme brüchiger und schließlich fange ich an, bitterlich zu schluchzen.
„Oh, nein, nein, nicht weinen.“ Mum kommt eilig auf mich zu. Sie zögert, doch dann nimmt sie mich in den Arm. „Nicht weinen, du bist jetzt wieder zu Hause und du bist in Sicherheit.“ Ich nicke schluchzend, dann klammere ich mich an meine Mum. „Nate? Nate, kannst du mir helfen? Du kannst das viel besser als ich.“
Als Mum um Hilfe bittet, muss ich lachen. Ich löse mich von ihr und greife nach einem Taschentuch. „Schon gut, Mum, du machst das toll.“ Weinend zu lachen fühlt sich seltsam an, doch es gibt mir das Gefühl, dass es tatsächlich bergauf gehen könnte.
„Alles okay?“, fragt Daddy, als er ins Wohnzimmer kommt.
„Ich weiß es nicht. Jetzt lacht und weint sie.“
„Das liegt daran, dass du lustig bist, Mum.“ Ich wische mir über die Wangen und putze mir die Nase. „Keine Ahnung, wieso es lustig ist. Vielleicht bin ich verwirrt und dehydriert.“ Mit einem leichten Lächeln streichelt Mum meine Schulter.
„Ich mache dir etwas zu essen. Vielleicht auch einen Kräutertee? Den könnten deine Nerven gut gebrauchen.“
„Das wäre lieb, vielen Dank.“
Dad lächelt mir aufmunternd zu. Mit einem Taschentuch wische ich mir die Tränen aus dem Gesicht und putze mir die Nase. Von dem vielen Weinen bekomme ich langsam Kopfschmerzen.
· • ❀ • ·
Nach einer Dusche kämpfe ich mich mit meiner Bürste durch mein Haar. Ich spaziere durch mein altes Zimmer und sehe mir die Polaroidfotos an, die an meinen Lichterketten hängen. Meine Bürste landet auf meinem Bett, dann beginne ich damit, die Fotos abzunehmen. Viel zu viele davon erinnern mich an Dates mit Matt. Auf einigen von den Polaroids ist er alleine oder wir zusammen zu sehen. Im Moment bin ich nicht stark genug, um mit diesen Bildern in meiner Nähe zu leben. Foto für Foto pflücke ich von der Lichterkette. Den Stapel stecke ich dann in meine Kommode. Als Matt wieder aus meinen Augen verschwunden ist, atme ich tief durch.
„Gleich viel besser“, lobe ich mich selbst, dann trockne ich mein Haar mit dem Handtuch, das ich um meine Schultern gelegt hatte. Das Handtuch hänge ich über den Stuhl meines Schreibtisches, dann klettere ich in mein Bett. Das Licht an meinem Nachttisch lasse ich an. Die Dunkelheit würde mir das Gefühl geben, alleine zu sein und damit kann ich nicht umgehen. Ich drücke Okti an mich und atme tief durch. „Danke, dass du da bist, Okti. Ohne dich würde ich heute Nacht wahrscheinlich nur weinen.“ Ich spiele mit einem seiner Tentakel und stupse mir damit selbst gegen die Nase. „Du hast Recht, Okti. Ich sollte nicht weinen. Ich habe genug geweint. Ab morgen wird alles wieder besser.“
Ein Klopfen an meiner Tür bringt mich dazu, mich wieder aufzusetzen. Schon an der Art des Klopfens erkenne ich meinen Daddy. „Komm ruhig rein.“
„Hey, Goldfisch, ist alles soweit okay?“ In seinem Schlafanzug und seinen flauschigen Hausschuhen kommt er auf mich zu. Er hält eine Flasche Wasser in der Hand, die er auf meinem Nachttisch abstellt.
„Ich weiß es nicht“, antworte ich ihm ehrlich, dann zucke ich mit den Schultern. „Keine Ahnung, was ich gerade fühle. Ich bin traurig, aber irgendwie auch erleichtert, aber ich fühle mich auch schuldig. Ich weiß es nicht. All das ist einfach zu viel für mich. Ich weiß gar nichts mehr so richtig, außer, dass ich mich schlecht fühle.“
„Ja, Liebeskummer ist beschissen“, antwortet er und tätschelt meinen Schenkel, der sich unter einer dicken Decke und einer Kuscheldecke versteckt hat. „Ich wollte dir sagen, dass es mir leidtut, dass ich dir nicht richtig zugehört habe und dass es so viel gegeben hat, was ich eigentlich sehen hätte sollen.“
Verwirrt sehe ich Daddy an. „Was meinst du?“
„Ich glaube, dass du mich nach deiner Verlobung um Hilfe gebeten hast, aber ich das nicht kapiert habe.“ Ich greife nach Daddys Hand. „Das tut mir leid.“
„Muss es nicht. Ich wollte gar nicht, dass du es weißt, denke ich. Keine Ahnung, ich bin seit Tagen überfordert und brauche unbedingt eine Pause.“ Ich nehme Daddy fest in den Arm, auch er legt seine Arme um mich und drückt mich an sich. „Und ich wüsste nicht, was ich ohne dich machen sollte.“ Tränen steigen in meinen Augen auf, sie bahnen sich ihren Weg über meine Wangen. Ich schluchze.
„Oh nein, nicht weinen, sonst weine ich auch“, meint Daddy, schon lache ich wieder ein wenig. Ich lasse von ihm ab und wische meine Tränen mit dem Ärmel meines Schlafanzuges weg.
„Ich sollte aufhören Wasser nachzufüllen, damit ich endlich aufhöre zu weinen.“
Daddy lacht, dabei greift er nach der Wasserflasche. „Dann nehme ich die wieder mit.“
„Nein“, antworte ich und ziehe eine Schmolllippe, wie ich es als Kind immer getan habe. Lächelnd reicht er mir die Flasche und ich sehe sie an. Er hat das Siegel bereits für mich gebrochen, damit ich es einfacher habe, wenn ich nachts aufwache und durstig bin. „Danke, dass du immer für mich da warst. Wenn du nicht so ein toller Dad wärst, dann hätte ich wahrscheinlich gar nicht den Mut gehabt, diese Entscheidung zu treffen.“
Daddy streicht über meinen Kopf. Er beugt sich zu mir und küsst meine Stirn. „Nein, das war ganz alleine dein Verdienst. Du bist nicht mehr mein kleines Mädchen, sondern eine erwachsene und starke Frau. Du weißt, was du willst und du solltest dich nicht mehr aufhalten lassen.“
Ich nicke leicht. „Im Moment fühle ich mich aber ehrlich gesagt nicht besonders stark. Hauptsächlich müde, denke ich.“
„Das ist okay.“ Daddy drückt meine Hand. „Bleib solange du willst. Ruh dich aus. Nimm dir die Zeit, die du brauchst.“
„Und ich nerve euch auch ganz sicher nicht? Ihr hattet euch doch sicher darauf gefreut, das Haus für euch alleine zu haben.“
„Ach was“, meint Daddy abwinkend. „Ohne meinen Goldfisch ist das Leben viel zu langweilig für mich.“
Daddy bringt mich dazu, breit zu lächeln. „Lieb, dass du das sagst.“
„Ich meine es so.“ Er steht wieder auf. „Gute Nacht.“
„Gute Nacht, Daddy.“
„Falls irgendetwas ist, weißt du ja, wo ich schlafe.“
„Danke.“