Du bist Elred Aramys Nuvian.
Du musst oben bleiben, so schwer es dir auch fällt. Wenn ihr alle drei gefressen werdet, hilft das Brenna kein Stück.
Du wirfst ihr einen entschuldigenden Blick zu, während sie weiterhin wie festgefroren in der Luft hängt. Ihr könnt euch alle drei nur unendlich langsam bewegen, doch Karja stürmt mit aller Macht vorwärts.
Du holst so lange mit dem Seil aus. Es zu schwingen ist gar nicht so einfach, da es deiner Bewegung nur sehr langsam folgt. Ein merkwürdiges Gefühl! Du holst aus und bringst das Seil nach vorne. Nur langsam entfaltet es sich vor dir.
Unten hat Karja Brenna inzwischen erreicht. Die Hände der beiden Frauen treffen sich. Als Karja zieht, sinkt sie fast automatisch in den Boden ein. Das ist die Hebelwirkung, die du nun wunderbar beobachten kannst. Von den Kräften, die auf euch wirkten, bekommt ihr allerdings nur sehr wenig mit. Die verlangsamte Welt lässt Schwung und Wind verblassen.
Karla streckt die andere Hand aus und ergreift in aller Seelenruhe das Seil – auch wenn diese Ruhe täuscht. Der Sand bricht unter ihr ein, Brenna liegt schon halb im Loch, und nur das Seil ermöglicht es den Frauen, ihr Gleichgewicht fort vom Erdgräber zu verlagern.
Das Seil verwandelt sich in deinem Griff in Stahl, als es gespannt wird. Du stemmst die Füße in den Boden und wirfst dich zurück, um es irgendwie zu bewegen. Auch hier fehlt dir die Zeit, um das Gewicht gut einzuschätzen. Einen Moment kriecht dir das Seil aus den Händen. Dann packst du fester zu und ziehst mit aller Kraft. Die hast das Gefühl, einen Berg versetzen zu wollen. Aber es muss möglich sein – mit genug Schwung. Normalerweise kriegt man nicht mit, wie viel Kraft so eine Handlung fordert. Du darfst dich einfach nicht vom Schmerz ablenken lassen.
Also ziehst du und endlich bewegt sich das Seil zu dir. Deine Muskeln brennen, aber du ignorierst den Schmerz. Du ziehst das Seil zu dir. Es wird immer schneller, immer leichter. Es brauchte nur den ersten Ruck. Dann setzt du eine Hand um – geradezu gemütlich.
Schritt für Schritt kommen Brenna und Karja den Hang hinauf. Hinter ihnen explodiert die Erde zu einer bizarren Wolke aus Stein und Schmutz. Ab und zu siehst du braune Schuppen und gelbe Zähne aufblitzen, mehr erkennt man vom Erdgräber nicht.
Als Brenna und Karja den Hang überwunden haben, erschlafft das Seil urplötzlich und du merkst, dass du fällst. Mit einem langsamen Ausfallschritt kannst du dich auffangen und rennst los, das Seil ziehst du mit. Karja schnappt sich die Taschen, die noch hier oben stehen, dann rennen sie und Brenna Hand in Hand hinter dir her. Ein paar Steine fallen um euch zu Boden. Sie stürzen langsam, aber in ihre Bahn zu geraten kann gefährlich sein. Als du einen zur Seite schieben willst, verbrennst du dir die Haut, vermutlich, weil er in der richtigen Zeit so schnell stürzt. Und du hast ihn nur an der Seite berührt!
Künftig verzichtest du auf solche Experimente und rennst einfach in die Ödnis hinein. Bei jedem Schritt schwebt ihr einen Moment in der Luft, ehe ihr die Füße aufsetzen könnt. Ihr merkt instinktiv, dass ihr Arme und Oberkörper zum Rennen einsetzen müsst, da ihr sonst langsamer werdet. Sonst nimmt niemand von euch das Laufen so intensiv wahr, aber jetzt könnt ihr jeden Schritt, jede Handbewegung in Ruhe planen und all eure Kraft einsetzen.
Glücklicherweise bleiben die Steine bald hinter euch zurück. Schließlich erkennst du, dass sich der Erdgräber zurückgezogen hat. Er hat aufgegeben.
Erschöpft lässt du den Schöpferstein los. Ihr stolpert etwas, als ihr in die Zeit zurückkehrt. Du merkst erst jetzt, dass deine Füße und Beine pochen. Die Schmerzen sind stark, aber ihr scheint euch nichts gebrochen zu haben – vermutlich konntet ihr bei der verlangsamten Flucht nur nicht so gut spüren, wenn ein Aufprall zu stark war. Sonst kann man das im Laufen ja ausgleichen.
Nun hörst du auch das ferne Toben des Erdgräbers. Geräusche waren in der verlangsamten Zeit völlig ausgeschaltet, aber es muss dort drüben ein ohrenbetäubender Lärm gewesen sein.
Karla setzt die Taschen ab, die sie mitnehmen konnte.
„Wir haben Wasser für ein, zwei Wochen“, stellt sie fest. „Aber keine Nahrung.“
„Ich habe gar nicht an die Taschen gedacht“, entschuldigst du dich. „Es ging alles so schnell … oder auch langsam …“
„Schon gut. Hauptsache, wir leben alle noch.“ Karja winkt ab. „Ohne den Esel hätten wir das alles ohnehin nicht weit schleppen können. Aber wir sollten zusehen, dass wir etwas jagen.“
„Gibt es in der Wüste denn Wild?“ Zweifelnd siehst du auf die Dünen hinaus, die sich inzwischen vor euch erstrecken. Der Boden unter euren Schuhen ist inzwischen mehr Sand als Geröll.
„Ich … bin nicht sicher.“ Karja sieht dich ratlos an. „Auf See würden wir einfach ein Netz auswerfen und Fische fangen. Aber das geht hier vermutlich nicht.“
Du lächelst bei der Vorstellung. „Vielleicht sollten wir noch eine Weile an der Grenze bleiben und hoffen, dass wir keinen weiteren Erdgräbern mehr begegnen. Hier könnte es wahrscheinlich mehr große Tiere geben. Eines davon und wir sind erst einmal versorgt.“
„Ja, aber wir machen einen riesigen Umweg“, meckert Brenna. „Mir ist sowieso schon heiß! Außerdem reicht unser Wasser nicht ewig.“
„Wir finden sicherlich Oasen.“ Du siehst Karja an.
Die Piratin zuckt mit den Schultern. „Klar, es gibt hier viele Oasen, aber die meisten sind geheim. Ich kenne mich hier auch nicht aus.“
Brenna verzieht das Gesicht. „Dann sollten wir direkt mit der Suche nach Wasser beginnen.“
„In der Wüste gibt es Schlangen und Skorpione. Die will ich weder jagen, noch essen.“
Brenna sieht dich spöttisch an. „Weichei!“
„Brenna …!“ Du seufzt. Manchmal können Menschen echt kindisch sein. In der Hinsicht ist sie wie ihr Bruder.
„Ich weiß es ja auch nicht“, gibt sie zu deiner Überraschung nach und fährt sich seufzend durch das Haar. Besorgt sieht sie auf die Ödnis, die euch umgibt. „Ich habe nur das Gefühl, wenn wir uns falsch entscheiden, werden wir daran zugrunde gehen …“ Sie sieht dich fragend an. „Hast du ein besseres Gefühl bei deiner Idee?“
Du horchst in dich. Bist du dir wirklich sicher, dass ihr im Erdgräberland bleiben solltet? Du hast doch gerade erst am eigenen Leib erfahren, wie gefährlich es hier ist.
Doch auch die Wüste birgt tödliche Gefahren. Es ist die Wahl zwischen Pest und Cholera.
Du entscheidest dich für …
- … Pest. Wir bleiben im Erdgräberland. Lies weiter in Kapitel 6.
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- … Cholera. Ich gebe Brenna nach. Lies weiter in Kapitel 7.