Sie hat buchstäblich eine Gänsehaut. Reglos liegt sie vor mir, so nackt und bloßgestellt. Die weißen Federn, sie sie einst gewärmt haben, wurden ihr auf grausamste Weise ausgerissen und für Mäntel oder Bettdecken verwendet. Die Daunen , die bei uns so begehrt sind. Ohne Geduld oder Gefühl reißen die Arbeiter ihnen das Gefieder aus und nehmen ihnen das Letzte , was sie noch hatten. Ob sie wenigstens ein schönes Leben hatte? Ich glaube nicht. Bilder ziehen an meinem inneren Auge vorbei. Über 20.000 Tiere bewegen sich verängstigt in der großen, fensterlosen Halle. Kaltes weißes Licht aus Neonröhren erhellt den finsteren Ort. Kein Sonnenstrahl würde sich jemals hierher verirren. Es ist kalt und man sieht ihnen an , wie sie frieren. Aber das ist nicht das Schlimmste im Moment. Viele von ihnen liegen reglos am Boden mit offenen Wunden und schweren Verletzungen. Es gibt niemanden , der sich um sie kümmert, sie sachte vom Boden aufhebt und die Wunden pflegt. Es gibt niemanden der ein bisschen Mitgefühl zeigt oder versuchen wird sie zu retten. Es ist kalt und schmutzig. Plötzlich öffnet sich eine Tür und ein stämmiger Mann betritt die Halle. Die Ersten fangen an zu fauchen und zu schreien. Sie wissen was jetzt kommt und Angst breitet sich aus. Wen wird er jetzt packen? Er kommt näher und sie Alle weichen zurück. Und schon hat er Eine. Ihr Name ist Susanna, aber das interessiert ihn jetzt nicht. Denn außer mir weiß niemand, dass sie so heißt. Vor einer Woche wurde sie von einer Größeren am Fuß verletzt und humpelt seitdem. Die letzten zwei Tage konnte sie sich nicht einmal mehr zum Futter vorkämpfen und sitzt seit dem hungrig und durstig in der Nähe des Eingangs. Auch sie versuchte zu fliehen, aber er war zu schnell. Jetzt zappelt sie und versucht sich zu befreien , aber der eiserne Griff des Mannes lässt sie nicht los und sie schnappt verzweifelt nach Luft. In einem Nebenraum wird sie mit seltsamen, eisernen Geräten fixiert und vor Angst wird ihr ganz schlecht. Niemand hört ihre Hilfeschreie. Dem Mann ist es egal, ob er ihr weh tut. Er möchte einfach seine Arbeit verrichten, so schnell wie möglich , damit er es hinter sich hat. Ohne Betäubung werden ihr jetzt die Federn ausgerissen. Der ganze Körper von Susanna schmerzt und jetzt reißt er auch noch grob an ihrem Fuß. Sie schreit, so laut wie sie kann, doch niemand eilt zu Hilfe. Sterben wäre jetzt schön, das Leben ist zu grausam .Schon seit auf die Welt kam, weiß sie, dass es niemanden kümmert, was sie fühlt und wie es ihr geht. Natürlich geht es den 20.000 Anderen nicht anders, aber egal wie viele sie sind, sie können sich nicht trösten. Es gibt keinen Hoffnungsschimmer und der enge Platz macht sie so aggressiv, dass sie sich gegenseitig angreifen und verletzten. Mittlerweile ist Susanna fast nackt ,und dort, wo vorher die Federn in der Haut steckten, kommt Blut aus ihrem Körper. Es ist kalt und Susanna zittert, denn ihre Federn sind jetzt in einem Sack. Sie wird wieder auf die brutale Weise am Hals gepackt und zurück geworfen, in die trostlose Halle. So wird es noch mehrere Male passieren, bis sie dann zum Schlachten kommt...
Es schaudert mich und ich starre vor mich, auf den Teller. Sachte streiche ich über die nackte Gänsehaut, die sich kalt und leblos anfühlt. Eine Träne kullert über mein Gesicht. Da, vor mir liegt Susanna, unsere Weihnachtsgans.