„Hey, pass doch auf!“ Ich zuckte zusammen. „Tschuldigung“, nuschelte ich. Der Junge, den ich versehentlich angerempelt hatte, schüttelte den Kopf und ging weiter. Beschämt, mit gesenktem Kopf und knallroten Wangen ging ich weiter auf meinen Spind zu. Ich öffnete ihn und blickte auf den Stundenplan auf der Innerseite der Tür. Als nächstes hatte ich Englisch. Ich griff mir mein Buch und mein Heft. Ich blieb noch einen kurzen Moment stehen und versuchte mich wieder einigermaßen in den Griff zu bekommen. Ich wollte nicht mit einem Gesicht wie eine Reklametafel herumlaufen. Das hätte mir nur wieder Gelächter von vielen Seiten eingebracht. Nach noch ein paar Sekunden richte ich mich auf und gehe hocherhobenen Kopfes in die Richtung meines Klassenraumes los. Ich war aber so darauf bedacht nicht irgendwie aufzufallen, dass ich meine Englisch-Sachen fallen ließ. Sofort schoss mir wieder die Röte ins Gesicht. Ich wollte mich schnell bücken, um die Sachen aufzuheben, als mir plötzlich jemand zuvorkam und mir mein Buch und mein Heft wieder in die Hand drückte. Dankbar sah ich Isabella an. „Na, schon viele Sachen fallen gelassen heute?“, fragte sie scherzhaft. Ich musste das erste Mal an diesem Morgen grinsen. „Wahrscheinlich so oft wie du in einem Schuljahr. Na, wie geht’s?“ „Gut geht’s! Nur sobald ich die Schule betreten habe, hat mich direkt wieder dieser Aiden umschwärmt“ Lächelnd antwortete ich: „Oh, du Arme!“ Isabella war eins der hübschesten Mädchen der Schule und alle Jungen lagen ihr zu Füßen und nicht selten beneidete ich sie darum. Wenn sie mal jemanden anrempelte, war es ihr gegenüber, der sich gestenreich entschuldigte. Im Moment nervte sie vor allem Aiden aus unserer Klasse. Er versuchte jedes Mal, wenn er sie sah, mit ihr zu flirten. Doch Izzy ließ ihn genauso wie jeden Jungen vorher zwar nicht eiskalt abblitzen, aber wirkliches Interesse zeigte sie auch nicht. Das schien ihn aber nicht sonderlich zu beeindrucken. Im Gegenteil, er suchte nur noch mehr das Gespräch mit ihr und machte ihr schöne Augen. Isabella war so ein Mädchen, das einfach wunderhübsch war, ohne etwas dafür tun zu müssen. Ich war eigentlich das komplette Gegenteil von ihr, schüchtern, aus aller Sicht, auch aus meiner, nicht sonderlich sexy und vor allem auf die Schule und gute Noten fokussiert. Make-up und Schminke waren auch eher ihr Ding. Trotzdem war Isabella meine beste und eine meiner wenigen Freundinnen. Wir kannten uns seit dem Kindergarten und waren schon immer unzertrennlich. Das hielt bis heute an. Obwohl ich so anders war als sie und auch nicht beliebt oder so, war sie immer auf meiner Seite und verteidigte mich vor den anderen, die mich nahezu mobbten. Aber leider war sie natürlich nicht immer da, um mir zu helfen. Ich war schließlich schon 14 Jahre alt und sie konnte nicht ständig an meiner Seite sein. Sie hatte auch noch andere Freude und war nicht mein persönlicher Bodyguard. Aber solange sie bei mir war, fühlte ich mich sicher, denn ihre Autorität schreckte jeden zurück. Als mal ein Junge aus einer höheren Stufe mich angemotzt hat, hat sie ihn so lange vor aller Augen zusammengestaucht, dass er angefangen hat zu weinen. Seit dem Tag an waren in ihrer Gegenwart alle freundlich zu mir. Sobald Isabella aber einmal nicht hinsah, warfen mir alle finstere Blicke zu und tuschelten. Kurz zusammengefasst war Izzy so was wie die Schulqueen. Indem sie sich jetzt in Bewegung setzte, holte sie mich aus meinen Gedanken. Ich folgte ihr und zusammen betraten wir den Klassenraum. Mr Davis war noch nicht da. Stattdessen waren aber schon die meisten anderen aus meiner Klasse da. Zusammen gingen wir auf die zweite Reihe links am Fenster zu und setzten uns neben Eleanor und Elaina, die gut mit Isabella befreundet waren. Die beiden waren auch immer perfekt gestylt und waren auch bei Jungs heiß begehrt. Mit ihnen verstand ich mich ganz gut, aber zwischen ihnen fiel ich auf wie ein bunter Hund. „Hallo, ihr beiden!“, begrüßte Eleanor uns. Elaina war damit beschäftigt mit Ryan und Erick gleichzeitig zu flirten. Sie unterbrach ihr Gespräch nur kurz und rief uns ein kurzes: „Hi!“, zu. Schon war sie wieder auf die beiden Jungs konzentriert. Die würdigten mich keines Blickes und warfen mal wieder nur Izzy einen freundlichen Blick zu. Stumm packte ich mein Mäppchen aus und begann die Hausaufgaben zu dieser Stunde noch mal zu überfliegen. Da lehnte sich plötzlich Isabella langsam in mein Blickfeld: „Du Evie, kann ich die letzte Aufgabe noch schnell bei dir abschreiben? Ich habe die einfach nicht hinbekommen. Bitte, bitte!“ Ihr Hundeblick ließ mich schmunzeln. „Na gut, die war auch nicht so einfach.“ Das war typisch Izzy. Sie interessierte sich nicht sonderlich für die Schule und verwendete so wenig Zeit dafür wie möglich. Das war schon immer so gewesen. Im Kindergarten war sie schon immer diejenige von uns gewesen, die malte, während ich mir selbst das Lesen und Rechnen beibrachte. Dankbar schnappte meine beste Freundin sich das Heft und begann schnell die Lösungen in ihr Heft zu kritzeln. Gerade als sie fertig war, betrat Mr Davis den Raum. Hastig gab sie mir mein Heft zurück. „Good morning, 9c!“ „Good Morning, Mr Davis!“, leierte die ganze Klasse im Chor herunter. Sofort schaltete mein Kopf von Unterhaltung mit Freunden, auf Unterricht. Gespannt lauschte ich der Stunde und verstand alles super. Im Gegensatz zu meinem Rest der Klasse. Ich war wieder mal die Einzige, die richtig mitarbeitete. Auf Dauer beunruhigte mich das schon etwas. Die Blicke, die mir meine Mitschüler jedes Mal zuwarfen, wenn ich wieder einmal die richtige Antwort parat hatte und sie auf fast perfektem Englisch an Mr Davis ablieferte, wurden immer feindseliger. Zur Pause hin wurde es immer schlimmer. Es wirkte so, als würden sie mich mit ihren Blicken erdolchen wollen. Nur Izzy schaute jedes Mal stolz, sobald ich die korrekte Antwort gab. Es erwärmte mir das Herz, obwohl es etwas unter der eisigen Stimmung meiner Mitschüler unterging. Dann klingelte es zur Pause. Zusammen mit Eleanor, Elaina und Isabella betrat ich den Schulhof. Augenblicklich kamen ein paar Jungs aus den Parallelklassen angelaufen und ich war vergessen. Sie umgarnten die drei Mädchen, boten ihnen verschiedene Snacks an und machten ihnen Komplimente. Kurz gesagt flirteten die Jungs was das Zeug hielt. Dabei blieb ich natürlich außen vor. Izzy warf mir einen entschuldigen Blick zu. Um die drei hatte sich eine regelrechte Traube aus Jungs gebildet. Aber es waren auch viele Mädchen dabei. Sie alle waren falsche Schlangen, die die Gunst von Eleanor, Elaina oder Isabella erwerben wollten. Denn sobald eines von den Girls von ihnen beachtet wurde, wurde es automatisch auch von den Jungs gesehen. Ich bildete da eine Ausnahme. Auch wenn ich gut mit dem Trio befreundet war, war ich von Anfang an abgeschrieben gewesen. Langsam ging ich in die Richtung, in der meine Mauer stand. Sie lag etwas abgelegen auf unserem Schulhof. Hier war es meistens ruhig und die Mauer war von vielen Teilen des Hofs nicht einsehbar. Oft kam ich hierher, um etwas Zeit für mich allein haben zu können. Meine Freundinnen wussten außerdem, dass ich hier sein würde und falls sie sich von den Jungs loseisen könnten, würden sie mich so einfacher finden.
Doch heute war es anders. Als ich um die Ecke bog und die Mauer entdeckte blieb ich augenblicklich stehen. Ich traute meinen Augen nicht. Das konnte und durfte doch nicht wahr sein!