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Nach dem Prompt „Arabische Hornviper [Tierische Geschichten mit Feigenbaum]“ der Gruppe „Crikey!“
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In seinem Traum war er wieder in Casta.
Rau und gelblich erstreckte sich das Hochland von Sigamat Zawo vor ihm. Das 'Königreich der Himmel' war zu zerfurcht wie seine alten, bebenden Hände, dunkel und von Narben gezeichnet.
Im Staub, den der Wind über das Geröll blies, zeichneten sich jedoch mit einem Mal Formen ab: Palmen und Feigenbäume, Blumen und blühendes Gesträuch. Der alte Zwerg blinzelte und die Welt trat in Farben hervor, verlor den rötlichbraunen Schleier und wurde zu einem Garten voller bunter, singender Vögel.
Langsam wanderte er durch das Paradies. Seltsame Lieder drangen an seine Ohren. Die Luft war erfüllt vom Geruch der Blüten.
Dann kam er an einen großen Feigenbaum, dessen Blätter auf der Unterseite wie Silber schimmerten. Er hing voll mit Früchten, deren Süße er in der Luft beinahe schmecken konnte.
Als er nähertrat, von dem Baum wie in einen Bann gezogen, wand sich eine Schlange aus dessen Geäst. Eine Viper mit hornartigen Auswüchsen über den Augen, deren geschlitzter Blick ihn fixierte.
Der alte Zwerg erstarrte.
"Fürchte dich nicht", sprach die Schlange zu ihm. "Ich bin gekommen, weil du nach mit gerufen hast."
"Ich habe nicht ..."
"Mit deinem tiefsten Herzenswunsch riefst du nach mir. Sag mir, was wünscht du dir."
Er sah auf seine vernarbten Hände: Gezeichnet von Arbeit und Leid, und mehr noch von all dem, was er nicht hatte festhalten können. All dem, was ihm entrissen worden war.
"Ich will Rache", flüsterte er.
Die Viper zischelte bestätigend. "Und du bist hergekommen. An den Ort, wo alles begann. Ich werde dir helfen. Du musst nur einen Schritt tun."
Sie streckte ihm eine Feige entgegen. Der Zwerg trat vor, streckte die Hand danach, begierig, endlich etwas zu ergreifen, etwas zu nehmen.
Sand wirbelte auf. Er begriff, dass ein Kreis im Erdreich um den Baum gelegen hatte, eine Zeichnung des mburischen Feuerkreises mit alten Schriftzeichen, die er nicht zu lesen verstand. Seine Schritte hatten den Kreis zerstört.
Er war nicht religiös, doch in diesem Moment fühlte er sich von einem Gedanken durchzuckt. Das kann nicht gut sein.
"Du bist keine Viper", sagte er zu der Schlange.
"Nein. Nun iss."
Er fühlte eine Feige in der Hand. Wie er hineinbiss, schmeckte er, dass sie viel zu süß war.
Dann schreckte er schweißgebadet aus seinem Traum auf. Nur das Meer war zu hören, die Wellen, die in beständigem Rhythmus gegen die Klippen schlugen.
Täuschte er sich, oder klang der heulende Wind wie das Gelächter eines Dämons?