Rating: P16 [TW: Tod, Blut]
Nach dem Prompt „Antigua-Schlanknatter [Tierische Geschichten mit Flaschenhals]“ der Gruppe „Crikey!“
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Ringe klirrten gegen Glas, als der Pirat nach dem Flaschenhals griff. Prüfend hob er die braune Flasche in das unstete Licht und verzog das Gesicht, als er den Schlangenkörper sah, der im Inneren lag.
"Stellt das sofort wieder hin!", verlangte eine schrille Stimme. "Dieser Alkohol kostet mehr als Euer ganzes, rattenverseuchtes Schiff!"
Der Pirat drehte sich um und hob die Brauen, als hätte er die Anwesenheit der Hausherrin ganz vergessen und sei nun angenehm überrascht. Die Flasche behielt er in der Hand, deren Haut gebräunt war von Jahren auf See. Mit einem spöttischen Lächeln schlenderte er zu der adeligen Elfe, die versuchte, ihre Schultern trotz der hinten an die Stuhllehne gefesselten Arme gerade zu halten. Nur ihr Busen unter Seide und Brokat wogte bei jedem panischen Atemzug und an ihrem schlanken Hals pochte eine Ader viel zu schnell.
Der Pirat beugte sich vor und flüsterte ihr grinsend ins Ohr: "Gut."
Die Gefangene blinzelte und zuckte zusammen. Sie drehte das Gesicht zur Seite, schloss die Augen und atmete zittrig aus.
Der Pirat ging weiter. Seine Stiefel donnerten hohl auf das einst teure Holzparkett, ein Import aus Celyvar. Er machte einen größeren Schritt, um die Blutlache zu vermeiden, die langsam in Richtung des Stuhls kroch. Auch der Blick der Gefangenen ruhte für einen Moment auf ihrem toten Ehemann, dem Siegelring, der von der leblosen Hand blitzte.
Sie atmete tief durch. "Dann behaltet die Flasche. Verkauft sie und holt euch davon ein weiteres Schiff."
"Wozu das?" Der Pirat drehte sich um. "Meines leistet mir gute Dienste."
"Schenkt es Eurem besten Freund, was weiß ich. Startet eine Flotte!"
"Sehe ich aus wie die Marine?", fragte er lachend.
Die Gefangene schüttelte wild den Kopf. "Was wollt Ihr dann?"
Der Kapitän beugte sich grinsend vor. "Endlich stellt Ihr eine Frage."
"Was ... was soll das?" Die Gefangene rang um Fassung. "Wenn Ihr Gold wollt ..."
"Ihr solltet nicht so über Euer Gegenüber urteilen." Der Pirat sah sich auf dem Tisch um, auf dem Papiere und Münzen verstreut lagen. Er fand einen Brieföffner, schob die Spitze in den Korken und öffnete die Flasche. Er schnupperte an den aufsteigenden Dämpfen.
"Urteilen?", wiederholte die Gefangene, die ihre Fassung nur mühsam behielt.
"Ganz genau. Nur, weil ich ein Pirat bin, denkt Ihr gleich, ich hätte es nur auf Gold abgesehen!"
"Was wollt Ihr dann?" Sie schluchzte. Zitterte. "Was wollt Ihr?"
Der Pirat nahm einen Schluck aus der Flasche. Dann verzog er das Gesicht. "Es schmeckt nicht einmal."
"W-was?" Verständnislos sah die Gefangene ihn an.
"Ich hätte es ja verstanden, so viel Geld für etwas so Ekeliges auszugeben, wenn es wenigstens geschmeckt hätte." Er warf die Flasche zur Seite. Klirrend zerbrach sie und das Feuer, welches bereits die Wand erfasst hatte, zischte wie als Beschwerde über die Tropfen.
Mit schweren Schritten kam der Pirat nach vorne. "Diese Schlanknatter, die ihr Leben für diesen Mist lassen musste - sie zählt zu den seltensten Schlangen der Welt. Wollt Ihr wissen, warum?"
Der Blick der Frau huschte zum Leichnam, zum Feuer, dann wieder in das vernarbte Gesicht vor ihr. "Warum? Erzählt es mir!"
Der Pirat lächelte über ihren offensichtlichen Versuch, Zeit zu schinden. "Sie lebt nur auf den Inseln der Umgebung. Doch vor einigen Jahren nahmen ihre Bestände plötzlich rapide ab. Als mehr und mehr Zuckerrohrfelder gebaut wurden. Als die Ratten von den Sklavenschiffen sich hier ausbreiteten, und die Mungos, welche beide Jagd auf die Schlangen und ihre Gelege machten. Innerhalb weniger Jahre waren die Schlanknattern Geschichte, nur auf einer kleinen Insel überlebten ein paar. Drei Stück ... drei Stück fand ein Forscher, ein guter Freund von mir."
Nachdenklich machte der Pirat eine Pause.
"Und dann?" Die Frau versuchte, sich aufzurichten. "Ist er gestorben?", fragte sie mit falschem Mitgefühl.
"Woran, meint ihr? Diese Schlangen sind nicht giftig. Aber eine aufgeschlitzte Kehle, nun, das ist etwas anderes."
Verwirrt blinzelte die Gefangene zu ihm hoch.
"Er hatte ein Labor eingerichtet, um die Schlangen zu retten. Doch es wurde überfallen." Der Pirat ging zurück und schob mit dem Stiefel knirschende Glasscherben zur Seite. Im flackernden Schein schien die tote Schlange sich zu bewegen, als würde sie aus einem langen Schlaf erwachen. "Kurz darauf tauchten diese Flaschen überall auf. Und ich erfuhr, wer dieses Getränk im Besonderen liebt."
Diesmal zitterte die Adelige am ganzen Leib. "Ich ... ich habe nie jemanden ... ich würde nicht ..."
"Und doch ist es passiert. Die letzten dieser Schlangen wurden ausgerottet. Um sie in schlechtem Schnaps verfaulen zu lassen."
"Ihr ... Ihr könnt Geld haben, wenn Ihr wollt! Um ein neues Labor zu schaffen!"
Langsam drehte der Pirat sich um. Das Feuer malte zuckende Schatten auf seine Gestalt. "Ihr habt mir nicht zugehört: Die Schlangen sind fort. Die Art ist tot. Man bräuchte dämonische Macht, um einem leblosen Körper wie diesem noch Energie einzuflößen. Macht, einen intakten Körper - doch selbst ein mächtiger Nekromant kann kein Leben aus dem Nichts erschaffen, selbst wenn alles andere gegeben ist. Er bräuchte noch etwas, ein Opfer von beträchtlich größerer Lebenskraft. Die Umwandlung der Energie steht in einem merkwürdigen Verhältnis. Für eine so kleine Schlange bräuchte man einen Bären. Um die Population zu retten, einen Unsterblichen."
Die Augen der elfischen Gefangenen weiteten sich. "Nein ... nein! Ich ... ich kann Euch Leben geben, so viel Ihr wollt. Sagt nur ein Wort. Ihr kriegt Männer, starke Männer!"
"Sklaven." Der Pirat spuckte aus. Im zunehmenden Rauch verschwamm seine Gestalt. "Ihr denkt, Geld könnte alle Probleme lösen, nicht wahr? Ihr kommt hierher und bestecht die Verwalter, damit Ihr eure Plantagen bauen könnt. Ihr deckt die Augen Kiveharas mit Münzen zu, damit sie die Sklaven übersehen, die in die Bäuche Eurer Schiffe gestopft werden wie Gemüse in einen Festtagsbraten. Für ein wenig Geld, so denkt Ihr, vergisst jeder seine Moral."
Der Pirat kam näher. Die schluchzende Gefangene beugte sich in einem Hustenkrampf, als der Qualm zu ihr geweht wurde. "B-bitte ..."
"Aber das unterscheidet euch Festländer von den Wehilani", flüsterte der Pirat ihr ins Ohr. "Die Gesetze des Festlandes sinken auf der See wie Steine."
Ein Schrei hallte durch die Flammen. Wenig später verließ der Hexer das Anwesen, das vom Feuer verschlungen wurde.
Über der Schulter trug er einen Beutel, in dem sich zischelnd Leben regte.