Prolog
Es war ein unerträglich heißer Donnerstagnachmittag, sodass ich trotz aller verkehrstechnischen Auflagen in Flipflops ins Auto gestiegen war. Mein Rücken hatte sich bereits in Stefans geliebten Ledersitz eingebrannt. Ich wusste, er hätte protestiert, wenn er gewusst hätte, dass ich mich derart leicht bekleidet hinter das Steuer setzte. Selbst wenn es sich dabei um meinen Wagen handelte. Was relativ war, da er von Stefans Geld bezahlt worden war. Wie so ziemlich alles, was ich besaß, doch das störte mich wenig.
Ich war eine dieser glücklichen Frauen, deren Männer so viel verdienten, dass sie es sich leisten konnten, sich nur um Haus und Garten zu kümmern. Kurz nach unserer Hochzeit vor fünf Jahren hatte mich dieser Umstand gestört und ich hatte gedroht, in Langeweile zu ertrinken. Doch schnell hatte ich gelernt, meinen Alltag mit erfreulichen Hobbys zu füllen. Darunter gehörte unter anderem das Erlernen diverser Fremdsprachen und mein donnerstäglicher Yoga-Kurs mit meiner besten Freundin Melanie.
Auch sie hatte ich Stefan zu verdanken, denn sie arbeitete in seiner Firma als Chefsekretärin. Wir hatten uns bei einer dieser öden Firmenveranstaltungen im Mai vor vier Jahren kennengelernt. Es war eines dieser Treffen, über die man nur aus dem Grund immer wieder spricht, weil sie so scheußlich gewesen waren. Stefan war wie immer zu solchen Anlässen für mich ungreifbar gewesen. Als Chef eines großen Automobilkonzerns gab es immer einige wichtige Hände zu schütteln, hatte er mir mit einem genervt-entschuldigenden Lächeln erklärt.
Ich war es gewohnt und hatte mich auf einen langen Abend gefasst gemacht, doch zum Glück hatte ich nach kurzer Zeit Melanie kennengelernt. Sie hatte eine abschreckend ehrliche und anziehend offenherzige Natur, die mich von Anfang an fasziniert hatte. Was vorallem daran lag, dass ich selbst eher zurückhaltend und introvertiert war. In ihrer Nähe wurde ich zu einer anderen Person. Ich konnte gar nicht anders. Sie redete wie ein Wasserfall und spürte sofort, wenn ich mich in meinen Panzer wie sie ihn nannte zurückzog. Sie hatte immer die richtigen Mittel, mich hervorzulocken und bald schon färbte etwas ihrer kühnen Wildheit auf mich ab. Mel pflegte zu sagen, dass sie in der Lage war, das beste aus mir herauszuholen. Und so war es auch.
In den letzten Jahren, in denen Stefans Geschäftsreisen immer mehr geworden sind und mich die langen Abende der Einsamkeit niederdrückten, war sie meine laute Rettung gewesen, die stets zur rechten Zeit zur Stelle gewesen war.
Ich erwachte jäh, als mein Handy klingelte. Es war Mel. „Maddi, meine Karre springt nicht an. Ich fürchte, du musst heute ohne mich schwitzen. So eine verdammte Scheiße!“
Ich verdrehte lachend die Augen. Sie wusste genau, wie ich es hasste, wenn sie derart ordinär war. Doch wenn ich sie tadelte, sagte sie stets, dass es im Leben ab und an angebracht wäre, ordinär zu sein.
„Beruhige dich. Das ist kein Weltuntergang. Kläre alles in Ruhe und wir treffen uns morgen auf einen Drink, okay?“
„Ich bin dir was schuldig.“
Als ich auflegte, schüttelte ich den Kopf und stellte mir vor, wie Melanies restlicher Abend in einem einzigen Chaos versank. Sie hasste es, wenn etwas nicht nach ihrem Kopf ging. Höchstwahrscheinlich würde das irgendein armer Teufel bei der erstbesten Autowerkstatt ausbaden müssen, die sie finden konnte.
Ich stand noch einige Minuten unschlüssig auf dem Parkplatz unseres Fitnessstudios und überlegte, ob ich den Abend dennoch wie gewohnt durchziehen sollte. Doch allein konnte ich mich einfach nicht motivieren. Außerdem hatte ich noch deutlich Stefans Worte im Hinterkopf, dass er den Abend heute zuhause verbringen würde, um etwas Papierkram zu erledigen. Ich konnte mich nicht einmal daran erinnern, wann er zuletzt so früh nach hause gekommen wäre, und sei es, um dort weiter zu arbeiten.
Gedanklich ging ich die Vorräte in meinem Kühlschrank durch und fragte mich, ob ich meinem Mann etwas Schönes daraus zaubern könnte. Wir waren jetzt seit fünf Jahren verheiratet, seit unserem Schulabschluss ein Paar und kannten uns unser ganzes Leben. Abgesehen davon, dass Stefan zu viel arbeitete, führten wir in meinen Augen die perfekte Bilderbuchehe und ich fühlte mich wie eine Prinzessin aus dem Märchen. Ich wusste, meine alten Schulkameradinnen beneideten mich um unseren Reichtum und meinen aufmerksamen, liebevollen Ehemann. Doch ich nahm dieses Geschenk nicht als selbstverständlich und war jeden Tag dankbar dafür. Jeden Tag versuchte ich, ihm eine perfekte Ehefrau zu sein.
Ich warf einen Blick in den Rückspiegel. Die mandelförmigen Augen waren dezent geschminkt, die blaue Iris stach fast vorwitzig hervor. Mein Mund war zart und rosa – laut Melanie ein Ton, den keine Lippenstiftindustrie der Welt herstellen konnte. Mein hellbraunes Haar fiel mir meist offen fast bis zur Hüfte.
Ich zog mir noch einmal den Lidstrich nach, dann startete ich den Motor und machte mich auf den Rückweg nach Hause. Vielleicht würde ich es schaffen, meinen Mann zu einem Glas Pinot auf unserer Terrasse zu überreden. Je länger ich darüber nachdachte, desto besser gefiel mir die Idee.
Ich stellte den Wagen in die Einfahrt hinter Stefans Auto und betrat beschwingt das Haus. Da ich Geräusche aus der Küche vernahm, schlug ich sofort diesen Weg ein. Sicher war er bereits ausgehungert auf der Suche nach einem dieser ungesunden Snacks.
Ich ging freudestrahlend um die Ecke, um ihm zu sagen, dass ich vorhatte, ihm ein köstliches Mahl zu zaubern, da erlebte ich den Schock meines Lebens. Es war, als friere der Moment ein, um sich dann schrecklich und widerwärtig für immer in mein Gedächtnis einzubrennen.
Die Geräusche, die ich im Flur vernommen hatten stammten tatsächlich von meinem Mann, doch er war nicht allein. Es war eine dieser klassischen Szenen, wie man sie aus schlechten Filmen kannte. Er hatte die Hose halb heruntergelassen und vögelte auf der Anrichte eine stark geschminkte Blondine. Sie machten einen solchen Lärm, dass sie mich nicht bemerkten. Der erste Gedanke, der mir durch den Kopf schoss war, dass Stefan sich beim Sex nie derart verhielt.
Ich stand wie zur Salzsäule erstarrt in der Tür und sah ihnen dabei zu, unfähig mich zu bewegen oder auf mich aufmerksam zu machen. Mein Kopf war voll der Abende, an denen er mich abgewiesen hatte, weil er zu geschafft von der Arbeit war. Ich hatte so getan, als mache es mir nichts aus und hatte das beunruhigende Gefühl, das dabei in mir aufgestiegen war, ein ums andere Mal niedergekämpft. Und hier stand ich also und fühlte neben Ohnmacht und endlosem Schmerz eine alles verzehrende Scham.
Erst als die fremde Frau auf der Anrichte endlich die Augen aufriss und mich bemerkte, kam wieder Leben in meinen Körper. Sie stieß einen hysterischen Schrei aus, woraufhin mein Mann sich umdrehte und mich entdeckte. Er stieß die andere so schnell von sich, dass sie beinahe zu Boden fiel. Es hätte komisch sein müssen, mir war aber alles andere als nach Lachen zu mute.
Ich verließ das Haus und stürzte mich fluchtartig zurück ins Auto. Ich fuhr auf direktem Weg zu Melanie. Dass ich heil dort ankam war ein Wunder. Ich schaffte es gerade noch aus dem Wagen zu steigen, dann stürzte ich blindlings in die Büsche und übergab mich heftig.
Später fand mich meine beste Freundin dort wie ich zusammengerollt im Gras lag und leise vor mich hin weinte.
Kapitel 1
Wenn es einen Himmel auf Erden gibt, so war es mit Sicherheit dieses Fleckchen hier. Die Sonne prasselte von einem babyblauen Himmel auf die Anlage des Grande Baia Resorts. Weit und breit nichts als wunderschöne Finkas umrahmt von wahren Kaskaden an prächtig blühenden Büschen, deren Namen ich nicht kannte.
Ich konnte immer noch nicht glauben, dass ich tatsächlich hier war. Meine sieben Sachen zu packen und in ein anderes Land abzuhauen passte so ganz und gar nicht zu mir. Doch wenn ich auf die Geschehnisse der letzten Wochen zurückblickte, konnte ich keine Alternative erkennen.
Zwei Wochen war es erst her. Zwei Wochen seit ich meinen Mann mit der anderen in unserer Küche erwischt hatte. Zwei Wochen voller Qual und Tränen, in denen Mel wie ein Engel für mich dagewesen war. Ich hatte mich bei ihr einquartiert, denn ich hatte mir geschworen, das Haus in Nymphenburg nur wieder zu betreten, um meine restlichen Sachen zu holen.
Ich hatte es schneller hinter mich gebracht, als ich mir zugetraut hätte. Dabei hatte ich feige auf einen Zeitpunkt gewartet, zu dem ich wusste, dass Stefan für gewöhnlich nicht zuhause war. Doch dieses mal hatte ich meinen Mann wieder unterschätzt. Er hatte auf mich gewartet. Später erfuhr ich, dass er die ganzen acht Tage, seitdem ich das Haus verlassen und nicht mehr für ihn erreichbar gewesen war darauf gewartet hatte, dass ich zurückkommen würde.
Rückblickend konnte ich kaum glauben, wie unerbittlich und hart ich gewesen war. Wie ich ihm gesagt hatte, dass ich nicht zurückkommen würde und wie ich mit Genugtuung in seinem Gesicht den gleichen Schmerz gesehen hatte wie ich selbst fühlte.
„Bitte sag mir, dass du nicht gerade an ihn denkst.“, riss Mels Stimme mich aus meinen Erinnerungen.
„Es ist gerade mal zwei Wochen her.“, erwiderte ich leise. „Glaubst du wirklich, es wäre so einfach?“
„Das sollte es auf jeden Fall sein.“, entgegnete sie unerbittlich. „Schließlich hat es sich dieser Hurensohn auch nicht gerade schwer gemacht.“
Sie war nicht die ganze Zeit derart hart und bestimmt gewesen. Als ich an jenem Tag völlig aufgelöst bei ihr angekommen war, hatte sie mit Mühe meinem Gestammel entnommen, was passiert war und mich in ihren Armen gewiegt wie ein Baby. Volle zwei Wochen hatte sie mich weinen gelassen und mich getröstet. Doch irgendwann hatte sie beschlossen, dass es so nicht weitergehen konnte und mich zu dieser Reise überredet.
„Es reicht!“, hatte sie gesagt und das Messer, mit dem sie Kartoffeln geschält hatte frustriert in ihre Spüle geworfen. Ich werde nie vergessen wie die Sonne an diesem Abend durch die Ritzen der Jalousien in ihre Küche gedrungen war und alles in diesem Orangerot erstrahlt war. „Du hast diesem Arschloch die besten Jahre deines Lebens geschenkt. Jetzt bist du dran!“
Und ohne mir eine Gelegenheit für eine Erwiderung zu geben, war sie ins Wohnzimmer gestürmt und hatte begonnen, wie eine Besessene auf ihrem Laptop herumzuhacken.
Als ich eine Stunde später zu ihr gestoßen war, um ihr mitzuteilen, dass das Abendessen auf dem dich stand, hatte sie mir auch eine Mitteilung zu machen. „Ich habe uns eine Reise gebucht, Maddi. Sechs Wochen Sardinien. Das wird dich schon wieder in die richtige Spur zurückbringen.“
Ich hatte protestiert, doch mir waren schnell die Gründe dafür ausgegangen, diese Reise nicht antreten zu können. Es gab nichts mehr, was mich in Deutschland hielt. Ich hatte keinen Job, keinen guten Draht zu meiner Familie und seit neuestem nicht einmal mehr ein Zuhause.
An einem der darauffolgenden Tage war ich ein zweites Mal zu unserem Haus gefahren, während diese im Büro war. Ich hatte es nicht fertiggebracht, Stefan einfach unwissentlich zurückzulassen.
Als er von unserem Vorhaben hörte, hatte er verzweifelt den Kopf geschüttelt, so als ob er erst da begriffen hatte, wie ernst es mir war. „Hör mir zu, Maddi. Es tut mir so leid, dass du das mit ansehen musstest. Wir sind fast zehn Jahre zusammen. Vor dir hat es nie eine andere gegeben, ebenso wenig wie bei dir. Hast du dich nicht auch mal gefragt, wie es sein würde?“
Das war der Moment gewesen, in dem ich ihm die widerliche Glastaube an den Kopf geworfen hatte, die seine Mutter uns zu unserer Hochzeit geschenkt hatte.
„Du tust es schon wieder!“, sagte Mel vorwurfsvoll und ich erwachte aus dem Gedanken wie aus einer tiefen Trance.
Schuldbewusst sah ich ihr in das gebräunte Gesicht, das von einzelnen Strähnen ihres platinblonden Haares umrahmt wurden, die sich aus ihrer Frisur gelöst hatten. Mit aller Macht versuchte ich, bei diesem Anblick nicht an die stöhnende Blondine auf meinem Küchentresen zu denken und rang mir mühsam ein Lächeln ab. „Von jetzt an gehört meine Aufmerksamkeit voll und ganz dir.“
Mel lächelte und strich mir kurz tröstend über den Arm. „Braves Mädchen. Wir kriegen dich schon wieder hin. Wirst schon sehen.“
Sechs volle Wochen blieben uns dafür. Danach würde ich mir überlegen müssen wie es mit mir und meiner Zukunft weitergehen würde. Ob ich Stefan verzeihen konnte. Ob ich das überhaupt noch wollte. Nur eines stand fest: meine Liebe zu ihm war in den wenigen Augenblicken in unserer Küche in Milliarden schmerzhafte Splitter zersprungen, die in meiner Brust festzustecken schienen. Er hatte gesagt, ich solle mir die sechs Wochen Bedenkzeit nehmen, noch mehr, wenn ich das brauchte. Doch wie konnte ich das, wenn mich der Gedanke quälte, dass er in dieser Zeit vielleicht die nächste Gespielin fände?
Melanie hatte mich genötigt, meinen Ehering in Deutschland zu lassen, sodass meinen Ringfinger nun eine seltsam weiße Stelle zierte, die nur noch mehr an den Verrat erinnerte.
„Du hättest mir ruhig mal helfen können. Langsam frage ich mich, wer von uns beiden die Sprachausbildung gemacht hat.“, meckerte Mel und fuchtelte mit zwei Schlüsseln vor meiner Nase herum.
Ich hatte gar nicht bemerkt, dass wir uns schon bei der Rezeption befanden. Es war ein imposantes Gebäude auf einer Art Hügel, von dem aus man die ganze Anlage überblicken konnte. Unter uns schimmerte verlockend ein Pool zu mir hoch. In der Ferne konnte ich einen Berg ausmachen, der mächtig wie ein Korken auf dem Meer zu treiben schien. Und davor schimmerten unzählige kleine Finkas wie weiße Diamanten im gleißenden Sonnenlicht. In meiner Brust regte sich ein Gefühl, dass ich so lange nicht mehr verspürt hatte, dass es einige Zeit dauerte, bis ich es als Freude identifiziert hatte. Mel hatte Recht – jetzt waren wir hier und wir würden das beste daraus machen.
„Wie ich sehe, hast du es auch ganz gut ohne mich hinbekommen.“, erwiderte ich mit einem schiefen Grinsen. „Können wir jetzt endlich in unsere Finka?“
„Tu was du willst, aber ich schleppe diesen Koffer sicher nicht quer über das Areal. Wir wissen ja noch nicht einmal, wo genau wir wohnen.“ Damit ließ sie sich ächzend in einem der Korbstühle nieder, die sich zwischen großen Blumenkübeln gruppierten.
Ich warf einen Blick auf eines der kleinen Golfcars, die in der Nähe standen. „Du willst dich allen ernstes von einem Shuttle kutschieren lassen?“
Sie zuckte die Schultern. „Ist im Preis mit drin. Spar dir die Luft! Da kommt schon jemand.“ Sie deutete auf das Gefährt, das soeben um die Ecke gebrettert kam. Hinter dem Steuer saß ein Mann um die dreißig, der seine Kappe tief ins Gesicht gezogen hatte und seine Augen hinter einer riesigen Sonnenbrille verbarg. Sein strahlend rotes Shirt mit der Aufschrift „Staff“ stand im krassen Kontrast zu seiner düsteren Miene.
Diese schien auch Melanie nicht verborgen geblieben zu sein, denn sie bedeutete mir, dass ich ihn ansprechen sollte.
„Ich spreche kaum Italienisch!“, zischte ich.
Sie winkte ab. „Du machst das schon.“
Ich sah zu dem Mann, der finster zurückstarrte und keine Anstalten machte, zu uns herüber zu kommen. Wütend auf Mel und den Fremden stapfte ich zu ihm und kramte die Brocken längst vergessenes Italienisch hervor, die ich während meines Studiums gelernt hatte.
„Buongiorno. Ähm… Dové…?“ Hilflos hielt ich meinen Schlüssel hoch, an dem ein Anhänger mit der Nummer meiner Finka baumelte.
Der Mann gab ein verächtliches Schnauben von sich, nahm wortlos den Schlüssel an sich, ohne ein Zeichen, dass er mich verstanden hatte und begann, unsere Koffer auf die Gepäckablage seines Wagens zu werfen.
„Was für ein unfreundlicher Kerl! Ich denke, alle Italiener seien so warmherzig!“, beschwerte ich mich bei meiner Freundin, die den Mann auf Englisch fragte, ob wir einsteigen sollten. Ich war mir nicht sicher, da er eine Sonnenbrille trug, doch ich glaubte zu sehen, wie er ungeduldig die Augen verdrehte, ehe er nickte.
„Der ist doch unmöglich!“, regte ich mich auf, als wir eingestiegen waren. Wenn er unsere Sprache nicht verstand, gab mir das das Recht, lautstark meinen Ärger kundzutun. Er fuhr so scharf an, dass mein Kopf unsanft gegen die Lehne knallte und ich warf ihm im Rückspiegel einen wütenden Blick zu, den er herausfordernd erwiderte, ehe ich mich abwandte und die Arme vor der Brust verschränkte.
„Süße, jetzt entspann dich. Wir sind ihn doch gleich los und dann beginnen sechs Wochen am so ziemlich schönsten Ort der Welt.“
„Ich habe einfach genug von rücksichtslosen Männern!“, brach es da aus mir hervor.
„Nicht alle Männer sind wie Stefan. Oder dieser Typ hier. Wir sind hier, um Spaß zu haben. Schau dich doch mal um!“ Sie zeigte auf die gepflegten Rasenflächen voller prächtiger Sträucher und niedlicher Finkas. Gelächter hallte von jeder Ecke zu uns. Es roch nach Sonnencreme und einem schweren Blumenduft.
Ich lächelte das erste mal seit meiner Ankunft aufrichtig und frei. „Du hast Recht. Tut mir leid.“
Dennoch atmete ich erst auf, als wir vor unseren Finkas zum Stehen kamen. Während der Fahrer ausstieg, um unsere Koffer abzuladen, rannten wir ungestüm zu unseren Unterkünften für die nächsten anderthalb Monate. Ich hörte wie Mel ausstieß, was mir selbst durch den Kopf schoss, als ich den schönen klimatisierten Raum betrat. „Heilige Scheiße! Der Herr im Himmel meint es gut mit uns!“
Das traf es ziemlich auf den Punkt. Es war nicht viel Platz, doch es war in der Tat ein kleines Paradies. Ein großes Himmelbett beherrschte den Raum. Gegenüber befand sich ein helles Sideboard mit kleinem Fernseher und an der Wand bei der Tür stand ein großzügiger Kleiderschrank. Das angrenzende Bad war hell und freundlich mit einer geräumigen Dusche.
Ein Geräusch hinter mir ließ mich zusammenzucken. Der Mann war mit meinem Koffer erschienen. Er hatte eine Präsenz, die den ganzen Raum einzunehmen schien. Hinter seiner Sonnenbrille spürte ich, wie er mich musterte.
„Grazie.“, sagte ich nervös und hoffte, er mochte bald verschwinden. Hinter ihm war Melanie in der Tür erschienen, die das Geschehen argwöhnisch beobachtete.
Da sprach er das erste mal völlig unverhofft und in einem nahezu perfektem Deutsch. „Zum Strand können sie das Shuttle nutzen. Rufen Sie einfach an der Rezeption an. Ich wünsche Ihnen einen guten Aufenthalt.“
Ich glaube, in diesem Moment klappte uns beiden die Kinnlade herunter. Er hatte also jede meiner Beleidigungen gegen ihn verstanden, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken. Der Gedanke ließ Melanie verlegen lachen. Mich machte er rasend vor Wut. „Hätten Sie uns nicht einfach sagen können, dass Sie Deutsch sprechen?“
„Sie haben nicht gefragt, Signora.“, erwiderte er kühl. „Sie waren zu beschäftigt damit, mit Ihrem Italienisch zu brillieren. Benvenati.“ Er tippte sich mit einem sarkastischen Grinsen an die Mütze und ließ uns stehen.
Ich fühlte mich wie eine dumme Gans. Fassungslos drehte ich mich zu Melanie um. „Was für ein unmöglicher Widerling!“
Doch meine Freundin hatte sich bereits vergnügt grinsend abgewandt, um sich in meinem Badezimmer umzusehen. „Reg dich ab, Maddi. Du hast keinen Grund, so rumzuzicken. Verdammt, dein Badezimmer ist doppelt so groß wie meins!“
Ohne, dass ich es hätte verhindern können, breitete sich ein Lächeln auf meinen Zügen aus. „Ich nehme an, dass ich es einfach verdient habe.“
„Ach halt die Klappe.“, sagte sie lachend und warf einen prüfenden Blick zur Uhr. „Kurz nach vier. Die perfekte Zeit, um den Pool abzuchecken.“
„Wollen wir nicht erst mal auspacken?“, fragte ich.
Sie winkte ab. „Das können wir machen, wenn die Sonne untergegangen ist. Vorausgesetzt, dass ich da nicht mit einem heißen Italiener in meinem Bett liege.“
Da sie bei dem Satz keine Miene verzog und es sich um Melanie handelte, musste ich davon ausgehen, dass der Satz ernst gemeint war. „Wir sind gerade erst angekommen!“
Sie nickte. „Und es ist Zeit, etwas Spaß zu haben. Gott, wie lange hatte ich diese Art von Spaß nicht mehr! Und ganz ehrlich Süße, für dich wird’s auch mal wieder Zeit.“
„Okay, okay. Gehen wir zum Pool.“, sagte ich schnell, ehe sie auf noch mehr dumme Gedanken kommen konnte, zerrte Handtuch und Bikini aus dem Koffer und machte mich daran, mich umzuziehen.
Auf den weg zum Pool, sagte ich mir wie ein Mantra innerlich immer wieder, dass ich die Zeit hier genießen sollte, dort angekommen tat ich es ganz automatisch. Es ging einfach nicht anders, als ich an dem großen Pool stand, um den sich zahlreiche Liegen gruppierten und der Wind sanft durch mein Haar strich. Ich sah auf das Meer hinaus, das hinter dem Resort zwischen den Bergen funkelte. Wieder fiel mein Blick auf den im Wasser treibenden Berg, über den watteweiche Wolken hingen und ein Zauber erfasste mich. Sein Anblick erweckte den Eindruck in mir, dass meine Probleme nichtig waren. Dass nichts anderes zählte als dieser Moment.
„Ich glaube, ich muss dir danken.“, sagte ich, nachdem wir uns zwei der bequemen Liegen direkt am Pool gesichert hatten.
„Glaub mir, Süße, ich tue das nicht nur für dich.“, erwiderte Mel mit einem trägen Lächeln, schob sich die Sonnenbrille auf die Nase und lehnte sich zurück.
Ich blieb noch eine Weile sitzen und genoss die Gegenwart der lachenden Kinder, während ich ihnen dabei zusah wie sie sorglos im Pool spielten, ein riesiges aufblasbares Einhorn trieb in ihrer Mitte. Mit angenehm leeren Kopf und leichten Herzen lehnte ich mich schließlich zurück. Ehe ich mich versah, hatte der Schlaf mich überwältigt.