Velaa ist fertig. Sie steht auf und fixiert mich mit ihren kalten Augen: „Du kommst mit!“
Ich trotte hinter ihr her in Misas Schlafzimmer. Velaa schließt die Tür. Das Klicken klingt scharf und bösartig. Es erinnert mich an eine Schlange kurz vor dem Angriff.
„Was ist passiert? Phosphor!“
Ich strenge mich an und kann mit viel Konzentration in meine Menschenform wechseln. Zitternd verschränke ich die Arme.
„Phosphor. Was ist mit meiner Tochter passiert?“
Ich zucke mit den Schultern und krächze etwas - meine Stimme ist noch heiser.
„Solltet ihr nicht immer zusammenbleiben?“, fragt Velaa streng.
„Ich - ich habe sie nur kurz aus den Augen verloren.“, krächze ich und werde sofort rot. Ich kann nicht gut lügen.
Velaa verschränkt die Arme: „Phosphor!“
Sie spricht meinen Namen langsam und streng aus. Ihr Tonfall macht mir unmissverständlich klar, dass ich nur ein streunender Hund aus den Ruinen bin. Ich schlucke.
„Sie hat mir verboten, etwas zu sagen.“, quieke ich.
Velaa hebt eine Augenbraue: „Misa kann dir grade nichts verbieten. Und ich will wissen, warum!“
Ich knirsche mit den Zähnen. Velaa soll doch nichts wissen. Eine gute Ausrede muss her, und zwar schnell!
„Sie - sie hat mich geschickt, um Brot zu holen. Wir wollten... arbeitsteilig einkaufen. Als ich am Treffpunkt war, habe ich Misa nicht gesehen.“
Ich sehe auf meine Finger. Da ist Dreck unter den Nägeln, Dreck aus den Ruinen. Bald werde ich wohl wieder dorthin zurück gehen.
„Ich habe sie gesucht. Sie war benommen und ist einfach umgekippt.“
Ich sehe zu Velaa auf. Glaubt sie mir? Kann sie Misa helfen?
Velaa atmet aus. Ihre Schultern sacken nach unten und alle Kraft scheint aus ihrem Körper zu weichen. Ihre plötzliche Schwäche macht mir Angst.
„Ich kenne diese Krankheit.“, erzählt Velaa, ohne anzuzeigen, ob sie mir die Geschichte mit dem Einkaufen abnimmt. „So sehen Menschen aus, denen einen dunkler Magier seinen Willen aufzwingen will.“
Ich fahre zusammen: „Irgendein Typ will Misa übernehmen?“, frage ich entsetzt.
Velaa nickt.
„Was können wir tun?“
Jetzt zuckt Velaa mit den Schultern: „Wir können nichts tun. Es ist an Misa. Entweder kann sie dagegen ankämpfen und für immer sicher sein. Oder... sie wird tun, was immer ihr neuer Meister befiehlt. Bis zu ihrem Tod.“
Ich denke an den Lilienduft-Mann. „Und wenn wir den Magier finden? Und ihn töten?“
„Du kannst nicht einfach losziehen und Menschen töten!“, schimpft Velaa. „Außerdem sind Magier mächtig. Du hättest keine Chance.“
Ich knurre leicht: “Aber würde es ihr helfen? Würde es, Velaa?“
Velaa zögert: „Das schon, aber...“
Ich seufze: “Aber?”
“Er ist ein Magier, Phosphor. Du hast keine Chance gegen ihn! Selbst, wenn du wüsstest, wer er ist!”
“Aber ich weiß es doch!”, entfährt es mir, bevor ich nachdenken kann.
Velaa fixiert mich mit hartem Blick: “Du weißt, wer Misa das angetan hat?”
Ich schlucke. “Ähm. Nein?”
Velaa seufzt und gibt anscheinend auf. Das ist kein gutes Zeichen.
“Bleib bitte bei ihr.”, bittet sie mich: “Ruf mich, wenn irgend etwas ist.”
Ich nicke, und Velaa verlässt den Raum. Sie nimmt Misa auf den Arm und trägt sie die Treppe hinauf in ihr Zimmer. Ich folge beiden und fühle mich elend.
„Wolf?“
Dieses schwache Geräusch lässt mich schneller aufspringen als ein lauter Schrei es gekonnt hätte. Es ist Misas Stimme! Ich renne an ihr Bett und bleibe einen Schritt davor wie angewurzelt stehen.
„Misa! Wie geht es dir?“, ich flüstere, als könnte ein lautes Geräusch sie verletzen.
Sie lächelt schwach. „Es...tut mir...leid.“, bringt sie über die blassen Lippen. Ich setze mich neben sie und fasse vorsichtig ihre Hand: „Es ist okay. Versprich mir nur - Versprich mir, dass du gesund wirst!“
Ich bin entsetzt, wie stark meine Stimme zittert. Misas Augen sehen mich müde an. Ich weiß, was sie sagen möchte.
„Du kannst es!“, komme ich ihr zuvor: „Du kannst dagegen ankämpfen. Wenn du ihn einmal abgeschüttelt hast, kann er dich nie wieder berühren!“
Misa macht den Mund wieder zu und sie besinnt sich. Mit einem schwachen Lächeln nickt sie und erwidert den Druck meiner Hand. „Okay.“, haucht sie.
Ich stehe auf: „Ich hole Velaa, damit du etwas zu trinken bekommst. Versuch, bis dahin wach zu bleiben, ja?“
Misa lässt meine Hand nicht los. „Er heißt Kian. Kian...Jecri.“ Sie holt zitternd Luft.
„Ich weiß.“, sage ich schnell. „Er ist ein Magier. Sein Cereceri heißt Comodos.“
Misa sieht mich hoffnungslos an: “Er hat Vater.“
Ich zucke zusammen. Wir hatten es vermutet, aber die Wahrheit so deutlich zu hören, ist etwas anderes.
„Hast du ihn gesehen?“
Misas Griff wird stärker, ihre Stimme drängender: „Es geht ihm schlecht, Wolf. Wir müssen schnell handeln. Kannst du...“, sie hustet: „Kannst du gehen? Befreist du ihn?“
Ihre Hand wird schwach. Ihre Augen sehen mich kraftlos an.
„Ich hole Velaa.“, sage ich und will lospreschen. In der Tür drehe ich mich noch einmal um und hole tief Luft: „Ja, Misa. Ich gehe und rette ihn. Aber werde bald gesund, ja?“
Misa schließlich erleichtert die Augen.
Ich mache die Tür zu und renne zu Velaa, die im Arbeitszimmer Papiere sortiert. Als ich ihr sage, dass Misa wach war, aber jetzt wieder schläft, folgt sie mir sofort zu Misa, die unverändert in Velaas Schlafzimmer liegt.
Velaa nimmt ein Glas Wasser, in dem mehrere scharf riechende Tropfen gelöst sind, und setzt sich damit zu Misa. Sie nimmt den blonden Kopf auf den Schoß und flößt Misa die Flüssigkeit langsam ein. Ich stehe in der Tür und fühle mich wie ein Eindringling in ein privates Zimmer. Die sonst so harte und strenge Velaa wirkst plötzlich so zerbrechlich, wie sie da fürsorglich neben Misa sitzt. Seit Marc fort ist, schweigt Velaa viel. Inzwischen ist ihre Frisur unordentlich und ihre Bewegungen wirken fahrig. Die Ringe unter ihren Augen bezeugen, dass sie zu wenig Schlaf kriegt.
Ich werde das Gefühl nicht los, dass ich Schuld an der ganzen Sache bin. Als ich damals auf Comodos getroffen bin und Misa kennen gelernt habe, ist etwas passiert. Jetzt hängt Comodos irgendwie mit dem Verschwinden von Misas Vater zusammen.
Ich beiße die Zähne aufeinander, dass es knirscht. So leicht gibt ein Pyron nicht auf!
Leise schleiche ich mich auf den Flur und renne dann durch die Halle, die Treppen hinab, durch den Flur und schließlich husche ich durch die Tür nach draußen. Als die Tür hinter mir ins Schloss fällt, höre ich Velaas Stimme nach mir rufen. Ich falle auf vier Pfoten und renne los, so schnell ich kann, die Ohren angelegt und die Zähne gefletscht.
Ich lasse Misa nicht im Stich!