Ich bewege mich schneller, als irgendjemand es mir zugetraut hätte - am allerwenigsten wohl ich selbst. Ich strecke die Hand aus, halte im nächsten Moment schon den Degen darin und schlage auf Jecri ein. Eine blitzschnelle Bewegung, wie eine Schlange, bevor der Magier überhaupt merkt, dass ich mich aus seinem Zauber befreit habe.
Der Degen schlägt eine flache, aber stark blutende Wunde in Jecris Oberarm. Bevor ich ein zweites Mal ausholen kann, greift er mein Handgelenk und hält mich fest, doch ich sehe mit grimmiger Zufriedenheit Blut über seinen zerrissenen Hemdärmel laufen. Gleichzeitig bin ich wie betäubt. Wolf ist alles, woran ich denken kann. Comodos darf meinem Wolf nichts tun!
Er schleudert mich mit einer wilden Armbewegung von sich und ich spüre, wie er neuerlich mit eiskalten Gedankenfingern nach meinem Bewusstsein greift. Ich versuche, mich zu wappnen, doch ich weiß nicht wie. Schon erklingt die Geige erneut. Zu meinem Erstaunen prallt Jecri von selbst an einer Mauer ab.
„Verdammt, sie hat sich befreit!“, flucht er. Ich stolpere rückwärts über den Höhlenboden und werde von starken Händen aufgefangen, die meine Oberarme umklammern. Comodos.
Neben ihm liegt Wolf noch immer auf der Seite. Ich suche in seinem Gesicht nach einem Lebenszeichen. Tatsächlich, seine Augen sind offen und er starrt mich an. Ich beginne, die Schultern zu bewegen, um Comodos abzuschütteln. Verflucht, er ist viel zu stark!
„Fessel sie!“, kreischt Jecri und hält sich den verletzten Arm. Ich trete Comodos gegen das Schienbein. Wolf richtet sich auf, schnellt nach vorne und beißt dem größeren Cereceri in die Wade. Comodos kreischt auf und lässt mich los. Ohne zu zögern, entreiße ich meine Arme seinem Griff. Ich schnappe mir Wolf am Halsband und ziehe ihn hinter mir her den Gang entlang. So schnell mich meine Beine tragen, trete ich die Flucht an. Comodos versperrt uns den Weg zurück zur Kapelle, also laufe ich mit Wolf weiter den Tunnel entlang, in der Hoffnung, dass es dort einen Ausgang gibt. Während Wolf stolpernd auf die Pfoten kommt, von denen ich ihnen gerissen habe, höre ich, wie Comodos unsere Verfolgung aufnimmt. Im Rennen schlage ich gegen einen Käfig, der dem Cereceri in die Laufbahn fliegt. Comodos wird ausgebremst, jedoch vermutlich nicht für lange. Ich drehe mich nicht mehr um, doch ich kann das Brüllen hören, das uns verrät, dass Comodos sich verwandelt hat.
Wolf neben mir keucht erschöpft. Er hat einiges abbekommen. Ich könnte schneller laufen, doch ich bleibe an seiner Seite. Wenn Comodos ihn fangen will, muss er erst an einer wehrhaften Misa vorbei!
Der Tunnel windet sich scheinbar ewig durch den Felsen. Comodos schließt mal zu uns auf, mal fällt er zurück, wenn ich ihm einen Käfig zwischen die Pranken werfe. Immer wieder sind es nur Haaresbreiten, die uns vor der Gefangennahme retten. Doch wir kommen an einer Fackel vorbei, die mit ihrem spärlichen Licht den Gang erleuchtet. Ich schnappe sie mir und werfe sie im Rennen nach hinten. Comodos schreit wie wahnsinnig auf. Treffer!
Wir rennen weiter, während Comodos schmerzerfüllt brüllt und zurückbleibt. Als die Schreie verhallen, werden wir nicht langsamer. Wir wissen nicht, ob der Liger aufgegeben oder das Feuer gelöscht und die Verfolgung wieder aufgenommen hat.
Endlich taucht Licht vor uns auf. Wolf hebt den müden Kopf und läuft ein wenig schneller. Ich halte mühelos mit, und wir stolpern in die blendende Helligkeit.
Wolf bellt warnend und ich bleibe im letzten Moment stehen. Mit rudernden Armen sehe ich in einen tiefen Abgrund direkt vor meinen Fußspitzen. Das Ende der Höhle liegt mitten in der Klippe!
Wolf fasst meinen Kleidersaum und zieht mich auf den sicheren Boden. Ich zittere vor Angst. Entsetzt sehe ich auf die Felsen. Ob ich es schaffen könnte, dort hinunter zu klettern? Neben mir verwandelt sich Wolf in einen Menschen.
Er hat eine blutende Lippe und ist sehr blass. Zitternd fasst er meinen Arm: „Ich zeige dir, wie du klettern musst! Vertraust du mir?“, sagt er und schiebt sich an den Rand des Felsen. Ich folge ihm - natürlich vertraue ich ihm. Ich weiß nur nicht, ob meinen Armen zu trauen ist. Ich fühle mich so schwach und muss daran denken, dass Paps noch in der Höhle ist. Ob Jecri ihn zur Strafe auch foltern wird?
Der Gedanke ist furchtbar!
Grade zeigt Wolf mit die ersten Griffe, da höre ich ein Knurren. Wir fahren beide herum, doch nicht schnell genug.
Comodos kommt aus dem Eingang gestürmt. Seine Schultern dampfen. Die Augen leuchten rot. Wie ein Dämon aus der tiefsten Hölle. Bevor einer von uns reagieren kann, packt Comodos Wolf und mich im Nacken und hebt uns in die Höhe, als hätten wir kein Gewicht. Wolf verwandelt sich. Ich sehe seine Angst in den aufgerissenen Hundeaugen. Sein Blick hängt an meinem. Ich würde ihn gerne trösten, doch wie?
Mit langsamen Schritten und schwer atmend trägt Comodos uns wieder in die Höhle.
Zu meinem Erstaunen redet er leise mit uns. Seine tiefe Stimme scheint mir durch Mark und Bein zu gehen: „Eigentlich könnt ihr ja nichts dafür. Ich tue nur, was mir gesagt wurde. Ich habe keine Wahl.“
Wieder und wieder sagt er diese drei Sätze. Sie brennen sich in den zehn Minuten, die Comodos uns zurück trägt, in mein Gedächtnis. „Eigentlich könnt ihr ja nichts dafür. Ich tue nur, was mir gesagt wurde. Ich habe keine Wahl.“ Sogar Wolf hört auf zu zappeln. Ich versuche, mit Comodos zu reden, doch seine Augen sind glasig und leer.
In der Höhle angekommen, werden wir von Comodos auf den Boden geworfen, vor die Füße von Kian Jecri. Der Magier grinst breit. Sein Arm ist verbunden.
„In den Käfig!“, befielt er Comodos. Wie werden hochgehoben und in einen großen Metallkäfig gesperrt. Zitternd bleiben wir dort liegen.