Velaa nimmt Misa noch einmal stumm in den Arm und drückt sie für einen Moment an sich. Dann fragt sie: „Wo ist Marc?“
Misa zuckt zusammen: „Noch in der Höhle! Er war ohnmächtig.“
„Welche Höhle...?“, fragt Velaa verwirrt, während Kento sofort zurück in die brennende Kapelle rennt.
„Hinterher!“, ruft Misa und zieht mich am Halsband mit sich. Velaa folgt uns: „Das Dach stürzt bald vollständig ein!“
Innen ist der Raum voller Rauch. Zum Glück hat sich am nah am Boden noch ein Rest Sauerstoff gehalten. Kento schickt den Aufzug nach unten, während Velaa und Misa noch geduckt zu ihm rennen. Velaa starrt auf das Mosaik, dass sich absenkt, nachdem es zuvor nicht vom restlichen Boden zu unterscheiden war. Wir springen auf die Plattform und warten atemlos, während es in die Tiefe geht. Zum Glück hat sich das Feuer nach oben hin ausgebreitet. Die Luft ist zwar trocken, aber kühl. Langsam beruhigt sich mein rasendes Herz.
Als die Decke der Höhle am Fuße des Aufzugs in Sicht kommt, schnappt Velaa nach Luft. Mit großen Augen sieht sie auf die vielen Kisten.
Misa zieht ihre Mutter schnell durch die Höhlen. Ich humpele hinterdrein, Ziaz an meiner Seite, die fröhlich um mich herum springt. Kento feiert ebenfalls und hüpft hinter Misa her. Die ganze Zeit singt er: „Der Magier ist tot! Der Magier ist tot!“ Wir anderen schweigen.
Ich bleibe stehen, als wir die große Höhle erreichen, und lege mich auf den Bauch. Misa und Velaa wecken Marc aus der Ohnmacht. Er ist noch erschöpft, kann aber mit Velaas Hilfe stehen. In diesem Moment rumpelt etwas über unseren Köpfen.
„Das war die Kapelle.“, sagt Kento nüchtern.
„Wie kommen wir denn wieder nach oben?“, fragt Velaa entsetzt.
„Durch den Gang zu den Klippen!“, ruft Misa und deutet in die Richtung. „Wir müssen nur sehen, wie wir Paps nach unten bekommen.“
„Nach unten? In die Ruinen?“, fragt Velaa zweifelnd. Aber Misa läuft bereits los.
Ich seufze. Ich bin so müde, und der Weg ist weit. Obwohl ich es will, kann ich meine Muskeln nicht dazu überreden, mich hinter Misa her zu tragen. Kento, Ziaz, Velaa und Marc folgen Misa. Ich entspanne mich. Sie sind in Sicherheit.
Ich habe keine Kraft mehr. Nicht einmal verwandeln kann ich mich. Langsam schließe ich die Augen. Sie gehen in die Ruinen. Ich werde sie schon finden! Aber vorher werde ich mich ein bisschen ausruhen...
Seifengeruch. Vanille, Kirschblüten und ein Hauch Honig. Arme umschließen meinen Hals.
„Hoch mit dir, Wolf!“
Ich rühre mich nicht, aber Misa hebt mich einfach vom Boden auf. Sie umklammert meinen Brustkorb und schleppt mich mit kleinen Schritten vorwärts. Ich atme ihren Geruch tief ein und spüre, wie ich mich ohne mein Zutun verwandele. So ähnlich, wie ich zu einem Hund werde, wenn ich mich fürchte. In der anderen Richtung habe ich es noch nie erlebt.
Doch tatsächlich kann ich die Arme um Misas Hals legen. Sie trägt mich, wie man ein kleines Kind tragen würde.
„Wir haben es geschafft, Wolf.“, flüstert sie in mein Ohr. Ich nicke, aber meine Augen fallen zu. Das letzte, was ich denken kann, ist, dass ich ihr wunderschönes Kleid mit meinem Blut versaue. Dann rieche ich den vertrauten Duft der Ruinen.
Kento ist voraus gelaufen und nach unten geklettert, um Seile zu holen. Knapp 30 Minuten saßen Misa, Velaa, Marc und ich in der Öffnung der Höhle, Ziaz war mit Kento gegangen. Als dieser endlich zurückkehrte, war es tiefste Nacht. Mithilfe der Seile wurden Marc und ich herabgelassen. Schließlich auch noch Velaa und Misa, denen Kento den Abstieg nicht zutraute. Ich atme erst auf, als wir alle sicher auf dem matschigen Boden der Ruinen stehen. Kento führt uns schnell und leise durch die Gassen bis zum alten Hafen. Trotzdem muss uns wohl so ziemlich jeder Cereceri bemerkt haben. Der Geruch der Klippen ist wohl unverkennbar. Auch von nachtaktiven Cereceri ist nichts zu sehen. Sie verstecken sich, aus Angst vor uns. Ein sehr eigenartiges Gefühl.
Wir dürfen in Kentos Haus unter den Treppen. Obwohl sie ja deutlich mehr Luxus gewohnt waren, schlafen die Luminors fast sofort ein. Marc hat Velaa im Arm und ich liege neben Misa. Ziaz hat sich mit einem spöttischen Blick zwischen unseren Köpfen niedergelassen, sodass wir beide ihr Fell im Gesicht haben. Aber keiner von uns hat die Augen lange genug offen, um sich zu beschweren.
Der nächste Morgen beginnt wundervoll - es regnet, ganz leicht. Ein kleiner Sommerschauer. Ich wache vom Geräusch des Regens auf, jeder einzelne Knochen tut mir weh. Trotzdem wecke ich Misa leise und wir schleichen nach draußen, um auf den zerfallenen Treppen sitzend auf die anderen zu warten.
Der Regen wäscht uns allen Schmutz ab.