Im Zeitalter der absoluten Verschmelzung von Mensch und Smartphone hat sich auch das Kennenlernen von Mann und Frau verändert. Man begegnet sich nicht mehr zufällig in der Bahn oder auf dem Kampus. Man bedient sich verschiedener Apps, die das Kennenlernen mittels eines meist oberflächlichen Auswahlverfahrens vereinfachen. Also habe ich den todesmutigen Versuch gewagt mir die aktuellen Flirtapps genauer anzusehen, das Ergebnis ist bis jetzt ein Einblick in "Candidate" den ich zwar nicht bereue, aber auch nicht wiederholen möchte. Von "wie würdest du dir den ersten Abend mit mir vorstellen" von L. 22 Jahre alt mit einem oberkörperfreien Bild (auf was ist der wohl aus?) bis zu "Prinzessin oder Mafiabraut" von I. 20 Jahre mit einem Bild einer Softgun, kann man sich bei dieser absolut überflüssigen App durch allerlei Fragen klicken, und diese beantworten. Was aber wenn man etwas schreibt was komplett aus dem Thema fällt, eine Frage mit der die Generation "Nicht-Beziehung" nicht zurecht kommt? Ich habe die Frage "Nietzsche oder Hesse?" gestellt. Im Grunde kann man von beiden Bücher lesen, wenn man es den kann. Und sie sind nur schwer vergleichen, obwohl einer vom anderen beeinflusst war. Die genauere Erklärung der Personen spare ich mir jetzt, das ist für die Sachlage nicht von Bedeutung. Ich war gespannt und nicht sicher ob überhaupt jemand darauf antworten würde. Nach kurzer Zeit hatte ich 39 Antworten auf dem Schirm, einige waren ein Copy and Paste von Wikipedia, andere ganz gut und weitere mehr als lachhaft.
Im älteren Segment, also zwischen 25 und 55 Jahren, kamen ein paar Antworten, durch welche ich den Usern sogar glaube, dass sie mit den beiden Genannten etwas anfangen können. So schrieb zum Beispiel C. 26 Jahre alt: "würde den Nietzsche vorziehen. Bin aber doch eher Stoiker als Nihilist" Muss man den direkt etwas sein, nur weil man die Bücher eines Philosophen liest? Ich denke nicht, aber gut. P. 20 Jahre alt schrieb: "Definitiv Friedrich" - ich muss ihm zu seinem frechen Einbau des Vornamens von Nietzsche gratulieren, auf die Frage WARUM? habe ich allerdings keine Antwort erhalten. Manche scheinen die Frage auch fast schon persönlich zu nehmen. S. 27 Jahre alt schrieb: "Meine Ex hat Hesse zitiert nachdem sie mich verlassen hat. Definitiv Nietzsche!" Bitte was? Was kann den Hesse dafür, dass seine Ex ihn zitierte, nachdem sie ihn abgeschossen hat? Und wer baut den bitte bei dem stümperhaften Versuch online eine neue Frau kennen zu lernen bei der ersten Konversation seine Ex ein? Eine Therapie könnte helfen, oder das Buch "Steppenwolf" von Hermann Hesse, außer die böse Ex hat genau daraus zitiert.
G. 23 Jahre alt schrieb: "Ich lese nicht" - definitiv einer meiner Favoriten, ich hoffe für ihn, dass er eines Tages erkennt wie wertvoll das Lesen sein kann, nicht nur um Frauen kennen zu lernen. Es tut auch dem alltäglichen Sprachgebrauch gut.
T. 19 Jahre, hat mich mit "keinen Plan was du meinst" zumindest zum Lachen gebracht, genau wie F. 22 Jahre mit "Wer und wer?" Was kann man also über diese App sagen? Ein gewisser Funfaktor ist gegeben, aber im Grunde erfüllt sie den gleichen sinnlosen Zweck wie wahrscheinlich alle Flirtapps. Vermeiden das persönliche Gespräch und führt zu sinnlosen Treffen, die zu umgepanten Kindern führen. Letzteres hoffentlich dann doch nicht. Am Ende bleibt die Frage ob unsere Generation das gesprochene Wort nicht mehr ernst nimmt, und das Kennenlernen nur noch online möglich ist. Oberflächlich wie die meisten "Beziehungen" welche aus so etwas hervor gehen können. Die Analyse der User gestaltet sich durch die meist große Entfernung als zu aufwendig, als bleibt es bei dieser einen Frage, ich werde mich mittels anderer Apps genauer mit den Treffen befassen, die aus solchen Apps resultieren und daraus einen ausführlichen Bericht schreiben.