Dunkle Wolken verdeckten den Himmel und bald würde es anfangen zu regnen. Die Menschen sehnten sich schon lange nach einer Abkühlung, denn sie hatten bereits mehrere Monate unter der drückenden Hitze des Sommers gelitten. Besonders viele Stadtbewohner wählten die Flucht aufs Land oder an die Küste, was jedoch wegen der begonnenen Ferienzeit nicht nur für erhöhtes Verkehrsaufkommen, sondern auch für weitere Torturen sorgte. Stundenlang stand man im Stau, starrte auf die Stoßstange des Vordermanns und brütete vor sich hin. Hinzu kamen noch die Mitinsassen, die einem mit unterschiedlichen Dingen auf die Nerven gingen. Seien es die Beschwerden über die Temperaturen im Auto, die stets wiederholte Frage nach der Ankunftszeit oder der Wunsch bei den unpassendsten Gelegenheiten auszutreten. Der Rest, der sich das Reisen nicht leisten konnte oder den damit verbundenen Stress ersparen wollte, blieb zu Hause und versuchte, sich mit den gegebenen Umständen zu arrangieren. Es war gegen Abend, als die Wolken sich von ihrer Last befreiten und dicke Tropfen auf die Erde prasselten. Überrascht stellten sich die meisten der betroffenen Fußgänger unter oder eilten durch den Regen zu ihrem Ziel. Diejenigen, die es vorhergesehen hatten, spannten mitgeführte Schirme auf und gingen weiter ihres Weges.
So auch Madoc, ein hagerer Mann mittleren Alters mit eingefallenen Wangen, blassem Teint und dunklen Ringen unter den Augen. Als wäre seine Erscheinung nicht merkwürdig genug, blickte er sich ständig hektisch um. Wann immer sich sein Blick mit dem eines anderen Menschen kreuzte, fing sein linkes Augenlid an, nervös zu zucken. Darüber hinaus schien er es sehr eilig zu haben, denn seine Schritte waren ausgreifend und er kümmerte sich nicht darum, ob er in Pfützen trat oder andere Passanten anrempelte. Sein Weg führte ihn eine Zeit lang auf den großen Straßen der Stadt entlang, ehe er über diverse Seitenstraßen und Gassen in eines der dunkleren Viertel gelangte. Diese Gegend zog nur zwei Sorten von Menschen an: die Verzweifelten und die Dummen. Wobei das eine häufig das andere mit einschloss. Madocs Hand verstärkte den Griff um die kleine Aktenmappe, die er mit sich trug, und er presste sie sich enger an die Brust. Seine Zunge fuhr in unregelmäßigen Abständen über seine Lippen, sein Augenlid zuckte und der Schirm zitterte leicht. Er hetzte durch die dunklen Gassen und war völlig außer Atem, als er endlich sein Ziel erreichte. Das Haus, vor dem er stand, war so alt und marode, dass es an ein Wunder grenzte, dass es noch nicht eingestürzt war. Mademoiselle Roxanas Wunderwelt stand auf einem alten, fast verblassten Türschild. Madoc atmete tief durch, klopfte an und wartete geduldig. Irgendwo im Haus bewegte sich jemand, das konnte er hören. Etwas Schweres fiel anscheinend zu Boden und wurde durch das Haus gezogen, ehe die Tür sich öffnete. Vor ihm stand eine kleine, bucklige Frau. Sie war in bunte Gewänder gehüllt, trug mehrere Ringe und Armreife und blickte den späten Gast aus trüben Augen an.
»Guten Abend, ich habe Sie bereits erwartet. Kommen Sie rein!«, nuschelte sie, winkte ihm mit einer knochigen Hand zu und drehte sich um. Madoc betrat das Haus und folgte Mademoiselle Roxana. Während sie mit schlurfenden Schritten vorausging und leise vor sich hin murmelte, folgte er ihr und betrachtete die Umgebung. Die Regalböden bogen sich unter der Last alter okkulter Bücher, während Talismane und Fetische aus den überfüllten Schubladen der Kommoden herausragten. Die Lampen an den Wänden waren teilweise mit Ketten behängt, an denen unterschiedliche Anhänger baumelten. Das Arbeitszimmer, in das die Alte ihren Gast führte, war verhältnismäßig schlicht eingerichtet. Ein schwerer Samtvorhang hing vor dem Fenster, und nur ein paar Kerzen erhellten mit ihrem flackernden Schein den Raum, in dessen Mitte ein Tisch und zwei Stühle standen. Mit einem Wink gab sie ihm zu verstehen sich zu setzen, während sie selbst einige Utensilien aus den Schränken holte und ihm gegenüber Platz nahm. Verdutzt hob Madoc seine Augenbrauen. Vor ihm lagen ein Blatt Papier, ein Tintenfass, eine Schreibfeder, ein Dolch und eine Messingschale. Es war anders, als er erwartet hatte. Ehe er etwas sagen konnte, antwortete Mademoiselle Roxana bereits auf seine Frage:
»Glauben Sie mir, ein Talisman ist in Ihrem Falle zu schwach und hat nicht die gleiche Wirkung, wie ein Ritual. Und wenn ich Sie richtig verstanden habe, dann wollen Sie ganz sicher sein, dass ihr Wunsch in Erfüllung geht, oder?«
Er nickte heftig. Ja, sein Wunsch musste dringend erfüllt werden, ansonsten hätte er noch mehr Probleme! »Was muss ich tun?«, fragte er schließlich. Die Alte kicherte in sich hinein und ein kalter Schauer lief ihm über den Rücken. »Schreiben Sie ihren Wunsch auf das Papier, setzen Sie darunter ihren vollen Namen, und hinterlassen sie einen kleinen Blutfleck hinter ihrer Unterschrift!«
»Das ist alles? Mehr nicht? Das hätte ich ja selbst von zu Hause aus machen können!« Er lachte auf, aber verstummte sofort, als er den Blick von Mademoiselle Roxana bemerkte.
»Alles was Sie tun müssen.«, antwortete sie giftig.
Madoc zuckte mit den Schultern, öffnete das Tintenfass, tauchte die Feder ein, schrieb seinen Wunsch auf das Papier und unterzeichnete mit seinem vollen Namen. Anschließend nahm der den Dolch in die Hand, stach sich in den Daumen und drückte ihn auf das Papier. Die Alte nahm das Blatt entgegen, murmelte beschwörende Worte in einer fremden Sprache und entzündete das Papier an der Flamme einer Kerze. Mit der freien Hand führte sie einige Gesten aus, und warf das brennende Papier in die Messingschale, ohne in ihrem Tun inne zu halten. Erst als der aufsteigende Rauch verflogen war, verstummte ihr Singsang, und mit einem Blick bedeutete sie Madoc zu gehen.
Der erste Teil seines Plans war erfüllt und trotz aller Sorgen und Zweifel, die ihn plagten, versuchte er sich einzureden, dass er das richtige getan hatte. Er musste nur fest genug daran glauben, dann würde der Abend gut für ihn enden. Er verließ diesen zwielichtigen Teil der Stadt und beeilte sich sein Ziel zu erreichen. Das Ischtar-Casino war eines der größten und beeindruckendsten Gebäude der Stadt. Hinter der Fassade der antiken Architektur verbarg sich modernste Technik und im Innern erwartete die Spieler eine angenehme, große, hell erleuchtete Halle in denen die diversen Slot-Maschinen und Spieltische standen. Ebenso bekannt war es aber auch für seinen hohen Hausvorteil: Die meisten Spieler verließen es entweder arm oder mit einem kleinen Vermögen. Letzteres hatte jedoch selten etwas mit Glück zu tun, sondern eher mit der Tatsache, dass sie es mit einem großen Vermögen betreten hatten. Madocs Herzschlag beschleunigte sich, als er diese Welt betrat. Das Klingeln und Rattern der Maschinen war in seinen Ohren der Gesang himmlischer Choräle, und das grelle Licht der Deckenfluter verlieh allem eine Aura von Heiligkeit. Für ihn war dieser Ort das Paradies, hier konnte er sich entfalten und ausleben. Hier konnte er seinem Laster frönen, auch wenn die Konsequenzen ihn bisher immer tiefer in die Spirale des sozialen Abstiegs getrieben hatten.
Angefangen hatte es, als sein damaliger Arbeitgeber Konkurs anmelden musste. Er fand zwar eine neue Arbeitsstelle, aber das neue Unternehmen besaß flache Hierarchien, und im Endeffekt bekam er für mehr Arbeit weniger Geld. Der Stress wuchs mit der Zeit und irgendwann entdeckte er die Entspannung des Glücksspiels für sich. Waren es anfangs nur Würfelspiele in der Kneipe, begann er bald die Hütchenspieler in den Einkaufszentren aufzusuchen und wurde bald darauf Stammspieler im Ischtar. Nachdem seine Frau ihn mitsamt den Kindern verlassen hatte, ging er fast täglich ein und aus, ehe das Vermögen aus Sparbuch, Haus und Kapitalanlage aufgebraucht war und die Bank ihm keinen Kredit mehr genehmigte. Aber das würde sich heute alles ändern. Er war sicher, dass heute sein großer Tag war! Als erstes ging er zum Schalter, um sich Chips und Kleingeld zu holen. Der Casinomitarbeiter staunte nicht schlecht, als er den Geldbetrag sah, den Madoc aus der Aktentasche holte: Zweihundertfünfzigtausend Dollar! Das war sein ganzes Erspartes, mehr besaß er nicht, außer vielleicht den Wert seiner Kleidung. Wie immer ging er als erstes zu den Spielautomaten. Da es für die typischen Verhältnisse im Casino relativ früh war, konnte er gleich eine Reihe von neun Automaten bedienen. Aus eigener Erfahrung wusste er, dass er in den ersten Runden verlieren würde, aber je mehr er spielte und je mehr Automaten gleichzeitig liefen, desto höher waren auch seine Gewinnchancen. Er staunte nicht schlecht, als gleich in der ersten Runde jeder der neun Automaten klingelte und eine große Summe Münzen ausspuckte. Zeigte das Ritual der Alten schon seine Wirkung? Neugierig startete er eine weitere Runde mit gleichem Ergebnis. Danach noch eine. Und noch eine. Immer wieder klingelten die Automaten und sein Gewinn stieg zusehends. Auch nach zwei weiteren Runden hatte Madoc noch keinen einzigen Dollar verloren. Nachdenklich kaute er auf seiner Unterlippe herum. Sollte er es wagen und sich an den Kartenspielen versuchen? Er wusste, dass er alles verlieren, aber auch sehr viel gewinnen konnte. Sein Glück hatte ihn bisher nicht verlassen, also schien sich sein Wunsch zu erfüllen. Die Versuchung auf den großen Reichtum war zu groß, als dass er sie sich entgehen lassen konnte. Also wechselte er alles Geld in Chips ein und ging zum nächsten Kartentisch. Blackjack und Texas Hold’em ließ er gleich links liegen, ihn reizte viel mehr das Tropical Stud Poker. Allein die Möglichkeit mit seinem Blatt das Hundertfache seines Einsatzes zu gewinnen, rechtfertigte seine Entscheidung mehr als genug. Den ersten freien Platz, den er fand, nahm er sofort in Anspruch und stieg in die Runde ein.
Der Croupier nickte ihm begrüßend zu. Sie kannten sich vom Sehen her. Es war nichts ungewöhnliches, dass Madoc hier am Tisch saß. Gelassen mischte der Croupier die Karten und musterte die Spieler, besonders Madoc. Da war etwas in seinen Augen, das ihm fremd war. Es war eine Art Glitzern. Vermutlich hatte er bei anderen Spielen einen hohen Gewinn abgeräumt und meinte, seine Glückssträhne würde anhalten. Aber der Croupier würde das verhindern. Immerhin war es seine Aufgabe dafür zu sorgen, dass die wichtigste Regel des Glücksspiels eingehalten wurde: Das Haus gewinnt – immer! Mit flinken Fingern wurden die Karten gemischt und ausgeteilt. Kaum war dies geschehen, setzten die Spieler schon ihre Wetten, und Madoc setzte gleich zu Beginn seiner Runde den Höchstbetrag. Zu seiner Enttäuschung musste er feststellen, dass er nicht gewann, aber immerhin erhielt er seinen Einsatz zurück. Er hatte nichts gewonnen, aber auch nichts verloren. Das war immerhin besser als nichts! In den nächsten Runden ging es ähnlich weiter. Mal gewann Madoc, mal erzielte er ein Unentschieden mit dem Haus und bekam seinen Gewinn ausbezahlt.
Verwundert runzelte der Croupier die Stirn. Es war neu für ihn, dass Madoc so ein gutes Blatt erhielt. Immerhin sorgte er oft genug mit kleinen Tricks dafür, dass sich der Hausvorteil bei dem Spiel verbesserte, aber Madoc zog sich nie zurück. Betrügen konnte er nicht, aber vielleicht spielte er mit der Gruppe zusammen? Falls dem so sein sollte, würde er es herausfinden! Er wusste auch schon wie! Geschickt mischte er wieder die Karten. »Gentlemen, ab nun gilt die Regel Doppelt oder nichts! Bitte tätigen Sie ihre Einsätze! Flink teilte er die Karten aus und wartete.
Bis auf Madoc, der sein Glück nicht fassen konnte, verließen nach und nach alle Spieler den Tisch und wurden durch neue ersetzt. Sein Wunsch war ihm also gewährt worden! Er konnte jedes Risiko eingehen und würde nicht verlieren. Seit er der Runde beigetreten war, hatte er sein Vermögen bereits verdoppelt. Allein mit dieser Summe könnte er mit einem Schlag schuldenfrei sein und dann immer noch ein beschauliches Leben führen. Aber noch war er nicht soweit, noch hatte er den Gipfel des Erfolges nicht erklommen. In der nächsten Runde setzte er sein ganzes Vermögen ein. Die anderen Spieler stiegen sofort aus. Es war ihnen eindeutig zu riskant, aber sie starrten alle gebannt die Karten des Hauses und des Spielers an.
Nach einen Moment des Zögerns deckte der Croupier sein Blatt auf: Straight Flush! Ein leichtes Lächeln huschte über seine Lippen, denn er bezweifelte, dass sein Gegenüber die Kombination schlagen konnte.
Madoc fing an zu zittern, warf einen erneuten Blick in seine Karten und deckte sie lauthals lachend nacheinander auf. Royal Flush! Die höchste Kombination im Spiel! Er hatte es tatsächlich geschafft! Lachend sammelte er seine Chips ein und verließ den Tisch. Das war eindeutig der Gipfel des Erfolgs und ein schwerer Schlag für das Casino. Die Mitarbeiter hinter dem Wechselschalter warfen sich vielsagende Blicke zu, als sie die Chips zählten, und ihm anschließend einen Scheck ausstellten. Fröhlich pfeifend und leicht tänzelnd verließ Madoc, als gemachter Mann von Welt, das Ischtar-Casino und ging nach Hause. Heute Nacht würde er gut schlafen, das wusste er. Und morgen würde er den Scheck einlösen. Das war der Beginn eines neuen Lebens für ihn! Keine Schulden, keine Armut und keine Geldeintreiber mehr! Er würde sein eigener Boss sein, er konnte tun und lassen, was er wollte. Er widerstand dem Drang den Scheck zu küssen und setzte seinen Weg fort.
Alfonso Ramirez saß immer noch am Tisch und regte sich nicht. Langsam wurde ihm die Konsequenz seines Handelns bewusst. Der sonst so unglückliche Spieler hatte an einem einzigen Abend das Casino um einen zweistelligen Millionenbetrag erleichtert. Ein Ereignis, das Alfonso seinen Vorgesetzten zu erklären hatte. Ein Kloß bildete sich in seinem Hals und er war froh als seine Ablösung kam. Erschöpft setzte er sich im Personalraum in einen Sessel und zündete mit zitternden Händen eine Zigarette an. Die sonst so beruhigende Wirkung des Nikotins blieb aus. Seine Gedanken kreisten noch immer um das verspielte Geld. Wie war das nur möglich gewesen? Eine große, schwere Hand, die sich ihm auf die Schulter legte, riss ihn aus seinen Gedanken. Langsam drehte er sich um. Vor ihm stand einer der persönlichen Mitarbeiter des Casinoleiters.
»Mister O’Mooney will dich sehen. Jetzt.«, sagte der Gorilla.
Alfonso schluckte, drückte die Zigarette aus und folgte dem anderen Mann. Sie durchquerten das Casino und fuhren in einem der gläsernen Aufzüge hoch in die Chefetage, die noch über den hängenden Gärten des Casinos lag. Seine Knie waren butterweich, als er das große geräumige Büro betrat, in dem nur der Schreibtisch des Casinobetreibers stand. Der menschliche Gorilla kam nicht mit ins Büro und ließ ihn mit dem Chef allein.
»Setzen Sie sich, Mister Ramirez.«, sagte dieser mit freundlicher Stimme. Alfonso folgte der Aufforderung und musterte dabei seinen Chef. Er wusste nicht wie alt O’Mooney war, aber er wirkte keinen Tag älter als dreißig. Sein dunkler Anzug saß wie angegossen, und es gab kein einziges Detail an ihm, das nicht perfekt war. Sein Gesicht wirkte wie aus Stein gemeißelt und erweckte den Eindruck, dass er selten lachte. Seine Körpersprache verriet kein Zeichen von Anspannung oder Erregung, und auch wenn seine Stimme freundlich war, so wusste Alfonso doch sehr genau, dass er aufpassen musste, was er sagte.
»Sie wissen vermutlich, warum ich mich mit ihnen unterhalten will?«
Alfonso nickte nur stumm.
O’Mooney lehnte sich zurück und drückte sanft seine Fingerspitzen aneinander. »Dann erklären Sie mir bitte, wie dieser Umstand geschehen ist. Wie haben Sie es geschafft, unser Casino um mehrere Millionen Dollar ärmer zu machen?«
Mit knappen Worten schilderte der Croupier die Ereignisse an seinem Spieltisch. Er ließ dabei kein Detail aus, denn je offener er war, desto eher konnte er auf Verständnis seines Chefs hoffen. Immerhin hatte er jeden erdenklichen Trick angewendet, um dem Spieler das gewonnene Geld wieder abzuknöpfen.
O’Mooney nickte nur bestätigend und richtete sich wieder auf, als Alfonso seinen Bericht beendet hatte.
»Beantworten Sie mir bitte noch folgende Frage, Mister Ramirez.«, begann er. »Wie hoch ist noch mal das Kopfgeld, dass das Sinaloa-Kartell für Sie ausgelobt hat?«
Ramirez schluckte. Wie alle Angestellten des Casinos hatte er eine kriminelle Vergangenheit. O’Mooney war bekannt dafür, Betrüger und Kriminelle zu beschäftigen, um sein Casino zu betreiben. Um sich ihrer Loyalität sicher zu sein, gewährte er ihnen jedoch Schutz vor Rivalen und der Justiz, was aber nicht bedeutete, dass er es nicht gegen einen einsetzen konnte.
»Dreißig Millionen.«, antwortete er heiser.
»Und wie lautet die wichtigste Regel im Geschäft?«
»Das Haus gewinnt immer!«
Wieder nickte O’Mooney. Er schob ihm einen Zettel zu, auf dem eine Adresse geschrieben stand. »Ich gebe ihnen eine Chance! Lassen Sie es am besten wie einen Unfall aussehen.«
Alfonso nahm den Zettel entgegen, steckte ihn ein und verließ das Büro. Er hatte verstanden. Er hatte sehr gut verstanden!
O’Mooney wartete bis Ramirez sein Büro verlassen hatte, ehe er aufstand und an das große Panoramafenster trat. Von hier aus hatte er einen wundervollen Ausblick auf die Stadt und konnte die Menschenmassen sehen, die in sein Casino ein- und ausgingen. Er betrachtete sein Spiegelbild und richtete seine Seidenkrawatte. »Ich wusste, dass du da deine Finger im Spiel hast.«, sagte er, ohne den Blick vom Panorama abzuwenden. Ein leichtes Kichern antwortete ihm. Hinter einer Säule trat eine alte, bucklige Frau hervor, die in bunte Gewänder gehüllt war. Ihre Armreife klimperten leise bei jeder ihrer Bewegungen, als sie mit schlurfenden Schritten näher kam. »Ich konnte der Versuchung nicht widerstehen«, erwiderte sie.
»Ich hoffe der Einsatz war es wert«, antwortete O’Mooney trocken.
Die Alte trat neben ihn und blickte ebenfalls aus dem Fenster. »Das war er auf alle Fälle, Mammon!«, antwortete sie. Die Luft um sie herum fing an zu flirren, und ihr Erscheinungsbild nahm eine andere Form an. Sie zeigte nun ihr wahres Gesicht. Gelbe Augen mit schlitzförmigen Pupillen spiegelten sich im Fenster, während ein großer, stachelbesetzter Schwanz langsam hin und her schwang und eine Zierpflanze umwarf. Auch die Gestalt von O’Mooney veränderte sich. Der hagere Casinobesitzer wurde immer fetter und bald sprengte sein Körperumfang die Belastungsgrenze seiner Kleidung. Goldene Ketten und Ringe rasselten bei jeder Bewegung und bald darauf erfüllte der Geruch von faulen Eiern das Büro. Der Fettsack drehte sich um und holte eine kleine Holzkiste aus einer der Schreibtischschubladen. Beiläufig klappte er die Schachtel auf und entnahm ihr zwei kubanische Zigarren. Eine davon reichte er seinem Gesprächspartner, während er seine in den Mund nahm. Feuer war nicht nötig, beide sogen langsam an den Zigarren, die sich wie ein Wunder selbst entzündeten. Sie rauchten schweigend während sie wieder auf die Stadt hinab blickten.
»Du hast meine Frage noch nicht beantwortet«, sagte Mammon. »In wie fern hat sich der Einsatz für dich gelohnt?«
»Es mag zwar nur eine einzige Seele sein, aber diese Seele ist genau der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringen wird!«
»Wie meinst du das? Welchen Gewinn bringt dir dieser Mensch?«, wollte Mammon wissen.
Die Gestalt neben ihm lachte. »Ach Mammon, du denkst immer nur ans Geld und schaust nicht weit genug in die Zukunft. Ein reicher Mann, der zufällig in einem Elendsviertel umkommt, wird die Aufmerksamkeit der Polizei auf sich ziehen. Es kommt zu Verhaftungen, Protesten und Unruhen, die sich wie ein Lauffeuer über die Stadt ausbreiten werden! Es wird geplündert, gebrandschatzt, vergewaltigt und gemordet! Es werden herrliche Tage werden! Und sobald alles vorbei ist, werden einige Wertgegenstände wieder ihren Besitzer wechseln, und deine Kasse füllen.«
Mammon grinste bei dieser Vorstellung. Gewalt war ihm zwar zuwider, aber solange sich die Menschen für Geld und Wertgegenstände interessierten, war sie ein gutes Mittel zum Zweck. So gesehen hatte sein Meister gut daran getan, ihm dieses Ärgernis auf den Hals zu schicken, denn damit würde sich sein Schatz vermehren, ebenso wie das Heer der Verdammten. »Das hättest du mir aber auch vorher sagen können.«, antwortete er.
»Hätte ich«, sagte Luzifer. »Aber dann hätte ich weniger Freude gehabt« Mit diesen Worten drehte sich der Herrscher der Hölle um, verschwand wieder hinter einer Säule und ließ Mammon allein zurück. Dieser starrte immer noch grinsend auf die Stadt, während unten im Casino die Münzen in seinen Schatztruhen klimperten.