Ja gut, ich weiß, viele von euch kennen mich... als Seegraf... als den Vater des Königs... der das eine oder andere Mal seinen Senf dazu gibt und hier auf Belle ein paar Bücher geschrieben hat.
Aber das hat nichts damit zu tun mit dem, was ich euch heute erzählen möchte! Wie der Titel schon sagt, geht es um den Herbst... Aber lasst euch überraschen! Ich stehe nun kurz vor oder aber schon ein bissl im Herbst meines Lebens, glaube ich und ich hoffe sehr, dass ich auch dem Winter noch trotzen werde. Körperlich wie auch geistig...
Ich bin nun fünfundfünfzig Jahre alt, hab gelernt Autos zu reparieren und mich später auf Industriemaschinen spezialisiert, so dass ich schließlich zum Meister Maschinenbau graduierte und auf ein Leben mit vielen Auf und Ab`s zurückblicken kann.
Aufgewachsen bin ich auf dem Land als jüngstes von drei Kindern, mein Vater war Hilfsarbeiter, meine Mutter während meiner ersten elf Lebensjahre Hausfrau, bzw, Hauswirtin einer kleinen aber feinen Pension am Mondsee.
Ich bin Jahrgang 1963 und besuchte ab 1969 die Volksschule in Loibichl. Loibichl ist... oder war damals ein winziger Ort am Mondsee, der Anfang der Siebziger Jahre vom Deutschen als Urlaubsparadies entdeckt wurde. Der Deutsche hatte damals auf Grund des Wirtschaftswunders wirklich Geld in der Hand, wenn er mit seiner Familie in den Urlaub zog. Wir Österreicher waren damals fast noch Bürger eines Entwicklungslandes, obgleich fleißige Menschen, wie meine Eltern damals die Chance ergriffen, sich ein Haus bauten, (und ich meine damit, dass sie mit Hilfe der Nachbarn und hilfreicher Gemeindebürger wirklich selbst bauten, nicht bauen ließen!) und dieses bis auf ein einziges Zimmer jeden Sommer vermieteten, um die Schulden abzuzahlen. Jawohl, ein Zimmer, das elterliche Schlafzimmer war in der Saison von Mai bis September die Schlafstätte unserer ganzen fünfköpfigen Familie!
Müssig darüber zu berichten, was sich der eine oder andere Gast herausgenommen hat, auch in dem Glauben dass die Kinder des Hauswirtes mitgemietet wären als Spielgefährten ihrer verwöhnten Fratzen... und doch verbinden mich noch heute tiefe freundschaftliche Bande mit vereinzelten unglaublich lieben Menschen und deren Nachkommen aus jener Zeit, die mich nicht ausschließlich, aber auch geprägt haben mag.
Nun muss ich anführen, dass wir hier auf dem Land noch mit Anstand, mit Religionsunterricht und der erhobenen Hand des Katichets (damalige österreichische Vorstufe zum Priester) aufwuchsen, der uns lehrte nicht zu lügen, zu stehlen oder gar des Nachbarn Frau zu begehren! (Letzteres kam zugegeben erst später zur Sprache!)
Als ich dann mit fünfzehn nach der Hauptschule und dem Polytechnikum im nahen Salzburg zur Lehre kam, war ich wohl einer der unschuldigsten Knaben zwischen all den Stadtjungs, bei denen das bisher kleinste begangene Vergehen im Diebstahl eines Fahrrades bestand. Zwei Wochen etwa, war ich das Lieblingsopfer, erlebte Mobbing pur, bis mich der sogenannte Oberlehrbub vor versammelter Mannschaft dazu aufforderte, abends meine (seiner Ansicht nach zu früh gewaschenen Hände) in Altöl zu baden! Es war dies der Gipfel der Demütigung, die mit Sicherheit auch dazu beigetragen hat, dass ich heute manchen Dingen realistisch in die Augen schaue und auch mal über meinen Schatten springe...
"Hände in Altöl, hab ich gesagt, oder soll ich erst zum Meister geh`n?" All die lieben Kameraden harrten feixend der Dinge die nun kommen sollten. Keiner war bereit, für mich Partei zu ergreifen. Zu feige waren sie und froh, dass sie nicht selbst der Stein des Anstoßes waren.
"Peter", sagte ich, "Ich tu das sicher nicht! Und wenn ich es tu, dann hast du meine Hand im Gesicht!" Keiner konnte sich vorstellen, den Oberlehrbub zu schlagen und ich war auch nie ein Schläger... aber was Recht ist, muss Recht bleiben! Wenn man einen Menschen in die Enge treibt, muss man die Konsequenzen tragen können. Ich konnte nicht einfach von meiner Lehrstelle nach Hause gehn und dort verkünden, dass ich nie mehr dorthin gehen würde. Es waren andere Zeiten als heute! Ich weiß, mein Intellekt hätte für so manches Studium gereicht, aber das Geld meiner Familie nicht! Und ich hatte nicht das Recht, die mühevoll erhaschte Lehrstelle zu schmeißen! So war das damals!
Ich hatte erkannt, dass es nur eine Lösung gab: Ich musste diesem boshaften selbstherrlichen Kretin in unglaublich demütigender Weise den Schneid abkaufen! Allein das stupide Grinsen des vermeintlich stärkeren, der sich als Held sah, mich vor den anderen zu demütigen gab mir den Mut! An Kraft hatte es mir noch nie gemangelt, bis heute nicht...
"Zum letzten Mal, Bernhard: Hände in Altöl!" Nie! Nicht vorher, nicht nachher, hab ich zugeschlagen, zumindest nicht als erster... wenn dann nur zurück! Ich legte meine Rechte in den Bottich mit altem schwarzen Motor- und Getriebeöl, drehte und tränkte sie und ließ dabei sein blöd grinsendes Gesicht nicht aus den Augen. Mit jedem Grad seines Vergnügens wuchs der Zorn, mit dem ihn diese (Gott sei Dank flache Hand) treffen würde! Ich war vernünftig genug, mit der flachen öligen Hand zuzuschlagen...
Peter überschlug sich nach meiner, zugegeben kräftig verabreichten Ohrfeige. Stille erfüllte den Aggregateraum. Ungläubige Gesichter, Ein wimmernder Peter, der sich weinend in Richtung Meisterbüro verzog und schließlich erste bewundernde Blicke jener Kameraden, die mich Minuten zuvor so glorreich im Stich gelassen hatten.
Gemessenen Schrittes folgte ich ihm und als ich die Tür zum Meisterbüro öffnete, schrie mich dieser an: "Raus mit dir! Du bist als Nächster dran!" Ich aber blieb ganz ruhig stehen und sagte: "Wenn dieses Arschloch damit durchkommt; dann scheiße ich auf diese Lehrstelle Herr ....... !"
Der Meister schaute mich ungläubig an und meinte schließlich: "Du gfallst mir Bua, du hast Courage! Du wirst der nächste Oberlehrbua!" Ich habe diesen Job nie angenommen, Ich mag es nicht, Befehle zu erteilen. Ich bin auch nicht bereit, sie von jedem zu emfangen! Peter wollte mich den Rest meiner Lehrzeit immer mal auf ein Bier einladen... Dieses Bier hab ich nie getrunken.
Vor ein paar Wochen hatte ich in Salzburg zu tun und fuhr, weil es noch recht schön war, offen mit meinem kleinen Cabrio über die Landstraße wieder heim. Mein Termin in einer Buchhandlung bezüglich des Vertriebs meiner Romane war schneller erledigt als gedacht und da ich , um ja nicht zu spät zu kommen auf das Mittagessen verzichtet hatte, beschloss ich, an einem mir bekannten Imbiss zu halten. Ich grüßte freundlich und setzte mich auf einen der Barhocker. Eine hübsche, sympatische Kellnerin nahm meine Bestellung auf, ein Dürüm mit Schafskäse und eine Flasche Märzen. Ich sah wie sie den Auftrag am Döhnerspies weitergab und zum Kühlschrank ging, um mein Bier zu holen. Ein abgerissener Typ am anderen Ende der Theke schien sie immer wieder auf sich aufmerksam machen zu wollen und es war kaum zu übersehen, dass sie ihn gar nicht mehr wahrnehmen wollte. Sie brachte mir das Bier und ich fragte sie: "Belästigt sie der Typ da drüben?"
"Vergessen sie's! Der ist blöd, aber harmlos! Aber danke Herr... "
"Ich heiß Bernie!"
"Danke, Bernie! Nicole!" sie reichte mir die Hand. Er will wieder anschreiben, der Versager. Ich hab mal den Fehler gemacht und hab ihm eine Gulaschsuppe gegeben ohne sie zu verrechnen, als der Chef nicht da war. Er hat mir leid getan. Dann hat der Idiot geglaubt ich steh auf ihn und er kriegt jetzt immer was für Mau!"
"Ich weiß nicht woher, aber ich glaub ich kenne ihn! Und irgendwas sagt mir, dass es keine gute Erinnerung ist, die ich an ihn habe..."
"Was für ein Zufall!" meinte Nicki, "Ich kenn auch keinen, der eine gute Erinnerung an ihn hätte!"
Ich sah aus den Augenwinkeln, dass er uns beobachtete. Dann drehte er sich halb um auf seinem Barhocker, fixierte ein paar Sekunden meinen kleinen Benz und drehte sich wieder zur Bar. Nicole bediente einen weiteren Gast und ging nun endlich zu ihm hin, nachdem sie einfach nicht mehr so tun konnte, als hätte sie ihn nicht winken sehen.
Ich bin nicht neugierig! Ich weiß: Sagt jeder! Aber ich hatte dieses Gesicht nicht als lieben Kerl in Erinnerung und -auch wenn es mich nichts anging- es störte mich, das Nicole sich mit ihm abgeben musste. Ich ließ die beiden nicht aus den Augen. Ich wollte Nicki die Peinlichkeit ersparen, deutlich zu werden also gab ich deutlich das Zeichen mit den Fingern, mit dem man "baggare" - bezahlen symbolisiert. Dankbar kam Nicole zu mir. Ich gab ihr einen Zehner und forderte sie auf, ihm einen Toast und ein Bier, oder irgendwas zu geben, damit sie ihre Ruhe hätte. in der Zwischenzeit, war auch mein Dürüm fertig, das ich mit großem Appetit zu essen begann.
Nicole ging zu besagtem Gast und bot ihm an, ihm einen Schinken-Käsetoast und ein Bier auf meine Kosten zu bringen. Offenbar nahm er das Angebot an, vermied von da an allerdings, zu mir her zu sehen, was mir , ehrlich gesagt entgegen kam. Ich möchte hier nicht so erscheinen, als sei ich ein kalter unnahbarer Mensch. Im Gegenteil! Die , die mich kennen, schätzen meine warmherzige Art! Aber dieses Gesicht hat so etwas verschlagenes... Entschuldigung! Ist halt so!
Es ging gegen halb vier, die Imbissbude leerte sich. schließlich war es so weit, dass ICH am rechten Ende der Bar saß, und der geheimnisvolle Andere am linken. Nicole brachte ihm das von ihm georderte weitere Glas Bier, das von meinem Zehner noch gedeckt war. Als sie zu ihm kam, sprang er unvermittelt auf und schlug ihr das volle Glas aus der Hand. "Von dem Oaschloch brauch i nix! Der hat mein Leben ruiniert, des Schwein. Der hat mi tödlich blamiert, hat mi mit oan Schlog fast übern Jordan gschickt vor olle Lehrbuam!
Schlagartig war die Erinnerung an die Szene vor vierzig Jahren wieder da. Daher kannte ich dieses miese Gesicht.
"Des fällt dir jetzt ein, wo st satt bist?" fragte Nicole keck, "Du falscher Hund lässt dir zuerst das Essen zahlen und wennst nimmer kannst, reißts Maul auf!" Und zu mir gewandt: "Wenn du dem Arsch eine reinghaut hast, dann hast was gut bei mir!"
"Das ist längst verjährt Nicole. Vierzig Jahre ist es her, dass mich der feine Herr vor der gesamten Lehrlingsmannschaft demütigen wollte und schließlich selbst in die Grube fiel, die er für mich gegraben hatte!"
"Der Seegraf! Der Sunnyboy für den immer Sommer ist!" kam es verächtlich von ihm, "Der immer Glück hat und auf die Butterseiten fällt! Wieso hast du nie a Pech! Kannst dirs leisten, dass d irgend an Fremden zum Essen einladst, einfach so! Fahrst großartig mitn Mercedes Cabrio rum und lachst dir Kellnerinnen an. Schreibst a paar Bücher und hast a no Erfolg damit! Erklär mir des! Warum is für dich immer Sommer und für mich immer Winter?"
Ich nahm alle Willenskraft zusammen und versuchte zu schweigen... eine, zwei, drei Sekunden...
"Weilst du ein neidiges Arschloch bist und i eben net!" platzte es schließlich aus mir heraus.
"Du hättest mehr und größere Chancen ghabt, als ich Peter. Kamst aus guter Familie, keine finanziellen Sorgen... aber null Charakter, ein eiskaltes Herz! Du warst nie für andere da. Die Leute, über die du - bedauerlicher Weise - kurz Macht erlangt hattest, hast du schikaniert bis aufs Blut... Glaubst du, dass sowas Freundschaften fördert?! Natürlich hat sich jeder wegdreht von dir, in dem Moment wo er von dir nicht mehr abhängig war! Jeder der mit dir zu tun hatte, war heilfroh, dich los zu sein! DESHALB, Peter, DESHALB ist es für dich immer Winter und es wird auch keinen Sommer mehr geben für dich, weil dein Neid nicht zulässt, Irgendjemandem Irgendetwas zu gönnen. Deshalb wirst du irgendwann in einem sibirischen Winter sterben... Aber tröst` dich, mein Sommer ist auch vorbei! Doch im Gegensatz zu Dir, hab ich noch einen schönen Herbst vor mir!
Nicole sah von Peter zu mir "Doch!" lächelte sie, "Mit Einem wie dir könnt ich mir einen schönen Herbst vorstellen..."